Die Story ist an einem Tag entstanden, quasi über Nacht, als ich mir ein paar Gedanken gemacht habe. Sie ist ein bisschen anders als meine bisherigen. Als kleiner Hinweis..... sie ist recht detailliert beschrieben, wer also nicht so gerne über Tod und Verlust liest, für den ist die Story möglicherweise nicht wirklich etwas.
Gedanken
Den Reißverschluss seiner Jacke vollständig schließend lief Gerrit durch die kalte Nacht. Es war frisch draußen, durch die Kälte der Luft konnte Gerrit seinen Atem sehen, was zu dieser spätwinterlichen Jahreszeit nichts Außergewöhnliches war. Er hoffte seine Gedanken durch die kühle Luft klären zu können. Schon eine ganze Weile lief Gerrit so durch die teils verwinkelten Straßen von München. Ein Blick auf seine Armbanduhr bestätigte ihm dies, bereits seit über einer Stunde schlenderte er planlos durch die Gegend.
Es war ihm alles einfach zu viel geworden in letzter Zeit. Das Jahr 2009 schien kein gutes werden zu wollen. Dabei hatte es doch eigentlich ganz passabel begonnen. Gerrit hatte einen schönen Start gehabt, ausgiebig mit seinen Freunden gefeiert und das neue Jahr gepriesen. Doch nun schien sich alles gegen ihn stellen zu wollen. Bereits im alten Jahr hatte sich einiges angebahnt, doch Gerrit hatte einigen Problemen einfach nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, und so hatten sie ihr Eigenleben entwickelt und sich weiter vertieft.
Ein erneuter Blick auf die Uhr mahnte ihn langsam den Heimweg anzutreten. Es war bereits nach 2 Uhr nachts, doch Gerrit hatte einfach keine Lust jetzt schon nach Hause zu gehen. Der Drehtag war wie immer lang und erst gegen 23 Uhr zu Ende. Daheim hatte er es allerdings nicht lange ausgehalten, er hatte das Gefühl alles würde ihn erschlagen, als würde ihm die Decke auf den Kopf fallen. Also packte er kurzentschlossen seine Sachen, zog sich warm an und drehte ein paar Runden. Die Richtung nicht wissend marschierte er irgendwo entlang, Hauptsache weg von daheim und draußen in der frischen Luft.
Schon seit Tagen versuchte Gerrit seine Gedanken zu ordnen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Er hatte so viel, worüber er nachdenken musste, was ihn beschäftigte, dass er nicht wusste, wo er am besten anfangen sollte. Zu lange hatte er seinen immer wieder aufkeimenden Gedanken keinen Spielraum gelassen sich zu entwickeln, sodass sie nun jenen Raum mit Brutalität forderten.
Gerrit dachte wieder an seine Fans und an seine Arbeitsstelle. Im letzten Jahr hatte er nicht besonders viel Urlaub genossen, was ihm eine Menge Kraft geraubt hatte. Doch nicht nur er hatte hart zu schuften, auch seine Kollegen, besonders aber Alex und Michael, mussten viel und lange arbeiten. Gerrit hatte Michael im letzten Jahr mit anderen, mit anerkennenden Augen gesehen. Dieser musste den Tod seiner Eltern innerhalb kürzester Zeit wegstecken und schaffte es trotzdem, wenn auch mit Einbußen, präsent in der Arbeit aufzutreten.
Gerrit konnte sich einfach nicht vorstellen, wie man mit so einem Schicksal entsprechend umgehen sollte, er wollte sich das einfach nicht vorstellen. Doch nun hatte er keine Wahl, er war damit konfrontiert, und er musste nun selbst lernen damit umzugehen. Seine Mutter kam kurz nach Neujahr bei einem Autounfall ums Leben. Bei extremer Straßenglätte verlor ein entgegenkommendes Auto in einer Kurve die Kontrolle und prallte frontal gegen das Auto seiner Mutter, die von einem Einkauf zurückkam. Es gab keine Hoffnung mehr, seine Mutter war sofort tot, der Fahrer des anderen Fahrzeugs wurde schwer verletzt und lag seit dem Unfall im Koma.
Auch wenn niemand die Schuld an diesem Unfall trug, wollte Gerrit jemanden dafür verantwortlich machen. Ebenso wollte er einfach nicht glauben, dass der Tod seiner Mutter sinnlos war. Er konnte nicht verstehen, warum sie sterben musste. War sie ihm doch immer eine liebevolle und gütige Mutter, die ihn, so gut es in ihrem Ermessen stand, alleine großzog, da sein Vater gestorben war, als er klein war. An ihn hatte Gerrit keine Erinnerungen mehr.
Und nun blieben ihm auch nur mehr die warmen Erinnerungen an seine Mutter, die wohlklingenden Worte, mit denen sie ihn jedes Mal begrüßte, wenn er sie am Wochenende besuchen kam. Die Beerdigung war einer der schwersten Gänge, die er in seinem Leben gehen musste. Zumal er diesen Weg familiär alleine bestreiten musste. Er hatte die Unterstützung seiner Freunde, doch nicht die seiner Familie, da er niemanden mehr hatte, der ihn unterstützen konnte.
Seine Oma, die Mama seiner Mutter, war im letzten Jahr eines natürlichen Todes gestorben, kurz bevor Gerrit in seinen wohlverdienten Weihnachtsurlaub fliegen wollte. Sie hatte zwar schon ein stolzes Alter erreicht und konnte ein erfülltes Leben genießen, doch trotz des Wissens, dass auf das Leben der Tod folgen muss, war es ein Schock für Gerrit, der ihm noch heute in den Knochen steckte. Er brach seinen Urlaub ab, um seiner Oma gemeinsam mit seiner Mutter die letzte Ehre erweisen zu können, und sie zu Grabe bringen zu können.
Es hatte sehr an seinen Kräften gezehrt seine geliebte Großmutter zu verlieren, die ihm immer einen Ort der Zuflucht geschenkt hatte, wenn er diesen daheim nicht finden konnte. Sie hatte ihn vieles gelehrt, was er erst im späteren Leben verstanden hatte, und wofür er seiner Oma sehr dankbar war. Auch wenn die beiden nicht immer einer Meinung waren und im Thema Frauen oft unterschiedliche Ansichten hatten, Gerrit hatte trotz der Streitereien aus jedem Gespräch mit seiner Oma sehr viel für sich mitgenommen, auch wenn er das seine Oma nicht immer hatte wissen lassen.
Zu oft hatte er sich geniert sein Unrecht zuzugeben, doch seine Oma war ihm neben seiner Mutter die größte Stütze. Auch als er schon erwachsen war kam er immer wieder zu seiner Oma, um ihr von seinem Leben zu erzählen, um sie um Rat zu fragen, um einfach eine schöne Zeit mit ihr zu haben. Mit großem Interesse lauschte er auch den Erfahrungen seiner Oma, die diese gerne aus ihrer Vergangenheit erzählte. Gerrit fühlte sich in solchen Momenten zurückversetzt in einer frühere Zeit, die ihn ebenso lernen ließ wie die Gegenwart.
Tief atmete Gerrit ein und ließ die kalte Luft seine Lungen ausfüllen. Der Himmel war wolkenlos, die Luft rein und klar. Sie peitsche ihm zwar ins Gesicht, doch gerade diese Tatsache holte ihn immer wieder aus seinen Gedanken und gab ihm einen bisschen Halt und die Sicherheit sich nicht vollkommen in seinen Gedanken zu verlieren.
Als Gerrit vom Tod seiner Großmutter erfuhr, fühlte er sich, als würde man ihm eine der Stützen seines Fundaments wegreißen. Doch er hatte keine Zeit sich auf weitere Überlegungen einzulassen, er musste sich um seine Mutter kümmern, für die es nicht leichter war. Er organisierte den Gottesdienst, das Begräbnis, kümmerte sich um das Versenden der Todesnachricht, managte all dies, um seiner Mutter ein Stück Trauer abnehmen zu können.
Trotz alledem, oder gerade deshalb war er in der Lage einen recht ausgelassenen Jahreswechsel feiern zu können. Seine Freunde brachten ihm den nötigen Ausgleich, auch wenn diese über Gerrits recht frohe Stimmung zeitweise verwundert waren.
Doch dann passierte das Unglaubliche, der Unfall geschah und Gerrits Mutter erlag ihren Verletzungen. Damit hatte Gerrit im Traum nicht gerechnet. Sein ohnehin schon angeschlagenes Fundament wurde nahezu zerschmettert, es zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Er hatte noch nicht einmal Zeit und Ruhe gefunden, um um seine Oma trauern zu können, und dann verunglückte seine Mutter.
Gerrit spürte immer wieder Hass in sich hochsteigen. Hass gegenüber Gott und der Welt, die seine Mutter hatten sterben lassen, Hass gegenüber dem anderen Fahrer, weil dieser nicht langsamer gefahren war, Hass gegenüber der Streudienste, die die Straßen nicht rechtzeitig gesalzt hatten, Hass auf sich selbst, dass er seine Mutter nicht gefahren hatte, was den Unfall vielleicht verhindert hätte.
An einer Kreuzung blieb er stehen und blickte auf die gelb blinkende Ampel. Er war soweit gelaufen, dass er schon fast außerhalb von München war. In dieser schon leicht ländlichen Gegend wurden die Ampeln nachts ausgeschaltet und blinkten nur mehr gelb. Mittlerweile war es schon nach 3 Uhr nachts. Aber Gerrit wollte einfach noch nicht nach Hause. Ihm war zwar schon recht kühl, aber diese Kühle war einfach zu angenehm, als dass er sie gegen eine stickige und enge Wohnung tauschen wollte. So schaute er sich nach beiden Seiten um, überquerte die Straße und setzte seinen ziellosen Weg fort.
Als Gerrit wieder über seine Großmutter nachdachte, schweiften seine Gedanken ab zu einem Drehtag kurz vor dem Urlaub. Schmerzvoll erinnerte er sich daran, wie es sich angefühlt hatte, als Jonas ihm einen Stoß ins Herz versetzte. Sorgfältig ließ er alles Revue passieren. Es war zwei Tage nach dem Tod seiner Großmutter, als er später als geplant im K11 erschien. Gerrit war eine gute Stunde zu spät, was ihm sehr unangenehm war. Er hatte mit der Beerdigung seiner Oma zu tun und dabei die Zeit vergessen.
Völlig abgehetzt kam er im K11 an, stieg aus dem Fahrstuhl und kaum, dass er zu den anderen aus dem Team gehen wollte, hörte er schon Jonas‘ Stimme: „Die Oma gestorben, dass es manche Leute nur so runter reißen kann ist schrecklich, ist doch nur die Oma...“ Gerrit erbleichte bei diesen Worten und hörte erst gar nicht weiter zu. Er konnte nicht glauben, was er da gehört hatte. Sofort machte er auf der Ferse kehrt und lief zurück zum Fahrstuhl. Michael bemerkte dies und lief ihm nach, doch Gerrit wollte in diesem Moment von niemandem etwas wissen. Grob stieß er Michael weg und fuhr mit Fahrstuhl nach unten, um ins Auto zu steigen und mit quietschenden Reifen abzufahren.
Alex besuchte ihn damals noch am selben Abend zu Hause und versuchte ihm klar zu machen, dass Jonas von sich erzählt hatte. Gerrit schien wohl die letzten Worte von Jonas‘ Satz nicht mehr wahrgenommen zu haben. Jonas nahm den Tod von Gerrits Großmutter zum Anlass, um seinen Kollegen zu erzählen, dass er ein sehr schlechtes Verhältnis zu seiner eigenen Großmutter hatte, und es ihn vermutlich nicht so mitnehmen würde, würde sie eines Tages nicht mehr am Leben sein. Jonas wollte niemals Gerrits Trauer ins Lächerliche ziehen, und Gerrit sollte das auch selbst wissen, dass Jonas niemals so etwas tun würde.
Für Gerrit klang es plausibel, und Jonas kam später selbst noch vorbei, um sich zu erklären und seinem Freund sein aufrichtiges Beileid erneut auszudrücken. Nach einem längeren Gespräch war Gerrit klar, dass Jonas ihm niemals Leid zufügen wollte, und unglücklicherweise eine Aussage zur anderen kam, und er im falschen Moment das Falsche gehört hatte. Als die beiden Männer sich am späten Abend verabschiedeten, schien wieder alles in Ordnung zwischen ihnen. Doch Gerrit hatte immer noch daran zu knabbern. Er wusste, dass es nicht notwendig war und verstand Jonas und den Hintergrund seiner Aussage, die gar nicht auf Gerrit ausgelegt war. Und trotzdem tat ihm die Aussage weh. Momentan konnte er Gesprächsthemen, die den Tod von nahen Verwandten beinhalteten nicht sachlich gegenüber stehen.
Sein Blick auf die Gebäude vor ihm fiel auf ein Lokal namens ‚Alex‘ Bar‘. Schon war der nächste Gedankenanstoß gelegt. Gerrit kramte ein Taschentuch hervor, schnäuzte sich und wischte sich die Augen trocken, so wie Alex es vor wenigen Tagen auch getan hatte. Vor ein paar Tagen bat Gerrit Alex nach Drehschluss mit zu ihm zu kommen. Er wollte nicht alleine sein und hatte vor den beiden etwas Leckeres zu kochen, sodass sie einen mehr oder weniger ausgelassenen Abend verbringen konnten.
Der Abend verlief sehr entspannt, die beiden genossen Speis und Trank und erledigten gemeinsam den Abwasch. Sie taten dies nicht zum ersten Mal, und so ging alles schnell von der Hand und sie waren zügig fertig. Mit einem Glas Wein setzten sie sich auf die Couch, als Alex das Fotoalbum sah, das auf dem kleinen Couchtisch lag. Auf ihren fragenden Blick hin nickte Gerrit leicht, und so schlug Alex das Album auf. Sie erspähte Fotos von einem kleinen Jungen, der nur mit Unterhose bekleidet im Garten spielte, daneben eine ältere Frau, die in die Kamera lächelte.
„Du und deine Oma?“, fragte Alex, worauf Gerrit traurig nickte. Solche Fotos und die Erinnerungen in seinem Kopf waren das einzige, was ihm noch geblieben war. Interessiert durchblätterte Alex das Album, inspizierte jedes Foto genau, sah lauter fröhliche Gesichter eines immer größer werdenden Gerrits, der gemeinsam mit seiner Mutter und Großmutter eine glückliche Familie bildete.
Gerrit jedoch konnte bei dem Anblick der Fotos seine Tränen nicht zurückhalten. Er schluchzte auf, drehte sich aber im selben Moment von Alex weg, weil es ihm unangenehm war sich nicht beherrschen zu können. In seinen Taschen kramend suchte er ein Taschentuch, doch es wollte sich partout keines auftreiben lassen. Alex streichelte ihm über den Kopf und drehte ihn zu sich, um ihm mit einer Handbewegung die Tränen von seinen Wangen zu wischen.
In Alex‘ braunen Augen spiegelte sich Gerrit wieder. Es tat gut jemandem bei sich zu haben, der einem Halt gab, vor allem, wenn es die Person war, in die man verliebt war. Schon länger empfand Gerrit mehr für Alex als reine Freundschaft, aber er wusste, dass es zu schwer sein würde Beruf und die Liebe im selben Beruf unter einen Hut zu stecken. Somit hatte er Alex nie spüren lassen, dass er mehr von ihr wollte.
Während Gerrit so seinen Gedanken nachhing, vergrub er sein Gesicht tiefer in den Jackenkragen. Mittlerweile war er in einem kleinem Waldstück angekommen, das kaum ausgeleuchtet war. Er musste aufpassen, wo er hinging. Allmählich wurde ihm mehr als kalt. Aber er war immer noch nicht bereit den Heimweg anzutreten, nicht jetzt, wo er mitten im Nachdenken war, also ging er weiter und ließ seine Gedanken erneut wandern.
War wieder ein klasse Teil lässt du denn Alex und Gerrit am Ende zusammenkommen?? Ich bin schon auf die FS gespannt also schreib bitte schnell weiter LG
Klasse geschrieben und beschrieben. Danke für die Warnung vorher, aber die hat mich dennoch nicht vom lesen abgehalten. *Selbst schuld* Aber die Neugierde gewinnt doch immer wieder. Wenn auch sehr traurig. *mit den Tränen Kämpf* Aber die ist Klasse geschrieben und kommt wirklich gut rüber. Man merkt, dass Du Dir Gedanken gemacht hast
Danke für eure Kommis! Hier habt ihr den letzten Teil.
Gerrit hatte Alex nie seine wahren Gefühle spüren lassen, doch an diesem Abend brauchte er eine starke Schulter dringender als alles andere. Während Alex seine Tränen trocknete, kam er ihr näher und näher, bis sie sich tief in die Augen schauten. Gerrit umfasste Alex‘ Gesicht und näherte sich ihrem Mund, doch Alex wich zurück. Wie versteinert saß Gerrit nun da, sein Gesicht lief hochrot an. Alex hatte ihn tatsächlich abblitzen lassen, gerade jetzt, wo er sie am meisten brauchte.
Alex griff nach Gerrits Händen und hielt sie fest in ihren. „Gerrit, das geht nicht. Ich weiß, dass es dir im Moment sehr schlecht geht, weil deine Oma und deine Mutter gestorben sind, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Es gibt so vieles, was dich beschäftigt, dass es unfair von mir wäre, wenn ich diese Situation ausnützen würde, in der du kaum klare Gedanken fassen kannst.“
Alex strich Gerrit über die Wange, der seinen Kopf aus lauter Scham gesenkt hatte. „Sieh mich an, Gerrit.“ Alex hob mit ihren Fingern seinen Kopf an. „Ich stehe dir zur Seite, ich bin für dich da, aber als Freundin, nicht als Geliebte.“ Auf Gerrits Nicken umarmte Alex ihn, um ihm zu zeigen, dass sie für ihn da sein würde, egal, was er brauchen würde.
Dieser Rückschlag war jedoch eine bittere Zurückweisung für Gerrit. Auch wenn er vielleicht etwas überschwänglich reagiert hatte, als er Alex küssen wollte. Er hätte es vermutlich langsamer angehen sollen, aber in dem Moment wollte er einfach nur Zuneigung spüren, die ihm jedoch verwehrt wurde. Oder hatte Alex vielleicht Recht, und er suchte nur nach einer Art Entschuldigung, um sich nicht mit dem Tod seiner Mutter und Großmutter auseinandersetzen zu müssen? Wollte Gerrit deshalb Alex mit einem Kuss an sich binden?
Gerrit wusste nicht mehr, was er denken sollte, er wusste nur, dass er nicht mehr so intensiv denken wollte. Es war zwar schön etwas Ordnung in die Gedanken bringen zu können, aber einfach mal abschalten und nichts denken müssen würde in diesem Moment ein wahres Geschenk für ihn bedeuten.
In seinen Gedanken verloren geschah das, was Gerrit befürchtet hatte, er stolperte auf dem Waldboden über eine Wurzel und setzte sich gepflegt zu dem anderen Gestrüpp auf den Boden. „Verdammte Scheiße noch mal!“, schrie Gerrit völlig außer sich und schlug mit geballten Fäusten hart auf den Boden. Er war so fertig mit sich und der Welt, dass er in Tränen ausbrach und sich nicht mehr halten konnte. Er fühlte sich so kraftlos und ungestützt, dass er das Gesicht in seine erdigen Hände vergrub und sich keine Blöße gab. Um diese Zeit war sowieso keiner unterwegs, es war nach 4 Uhr morgens, wer sollte ihn also schon sehen?
Langsam aber sicher entwickelte Gerrit ein Gefühl der Gleichgültigkeit. Er hatte keine Lust mehr sich seinen Gedanken zu stellen, zu verarbeiten, was in den letzten wenigen Wochen passiert war. Mit schweren Bewegungen erhob er sich, wischte sich mit dem Unterarm die Tränen aus dem Gesicht und ging weiter.
Außerhalb des Waldes kam er auf eine Fußgängerbrücke, die über einer stark befahrenen Autobahn verlief. Doch zu dieser Zeit war kaum ein Auto zu sehen. Gerrit lief bis zur Mitte der Brücke und hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest. Mit leerem Blick folgte er den Straßenmarkierungen unter ihm, die sich ins Endlose zu erstrecken schienen.
Er hatte niemanden mehr. Seine Großmutter war gestorben, die Auseinandersetzung mit Jonas hatte ihn immer noch nicht losgelassen, seine Mutter musste er auch zu Grabe tragen, Alex hatte ihn zurückgewiesen, und die ganze Arbeit und der Stress stiegen ihm allmählich über den Kopf und der nächste Urlaub würde noch lange auf sich warten lassen. Für eine Sekunde schlichen sich Gedanken ein, von denen er nicht gedacht hatte, dass er sie je haben würde. Die Aussicht von der Brücke aus war schön, und schnell könnte sie enden. Der Schmerz würde sofort nachlassen, die Gedanken würden aufhören ihre Wege zu gehen, er wäre mit einem Mal erlöst von seiner jetzigen Situation.
Noch einmal ließ er seinen Blick auf dem Asphalt wandern, von dem Punkt aus, wo er stand, bis zu der Stelle der Autobahn, wo sie eine Kurve ging und sich seinem Blickwinkel entzog. Mit einem Mal krallte er sich am Geländer fest, schüttelte den Kopf und stieß sich vom Ende der Brücke weg. „Du alter Depp, als ob Mama und Oma sich das von dir wünschen würden! Lass den Quatsch und stell dich deinen Gefühlen!“, rief sich Gerrit zurück in die Realität. Das hier war das Letzte, was er tun wollte. So feige war er nicht, und das war auch nicht er selbst.
Ein letztes Mal ging er zum Brückengeländer, seine Hände an sich herunterhängen lassend. Er schaute dem Himmel zu, wie er sich zunehmend lila-orange färbte. Die Sonne würde sich bald aus dem Horizont erheben und einen neuen Tag einleiten. Erneut vergoss Gerrit Tränen. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich nun befreit. Auch wenn er die ganze Nacht durch München gelaufen war, geplagt von Selbstzweifel und der unermesslichen Trauer um seine Mutter und Großmutter, trotz alledem fühlte er sich sicherer als noch am Tag zuvor.
Er wischte sich die Tränen ab, die über seine Wangen gekullert waren, sah hinauf in den Himmel, und ließ seine Lippen die für ihn wichtigen Wörter formen: „Mama, Oma, ich hab euch so unendlich lieb. Ich enttäusche euch nicht und kämpfe weiter. Ich danke euch für alles, möget ihr in Frieden ruhen.“
Für wenige Sekunden ließ er mit geschlossenen Augen die junge Sonne sein Gesicht erwärmen, bis er sich fasste und entschlossen endlich den Heimweg antrat.
Das war ein Wahnsinns schluss. Ich dachte ehrlich er wird springen aber solch ein glaube an die verstorbenen bringt manchmal wunder mit sich Mir hat die Geschichte echt gut gefallen LG