Piep, piep, piep… Sie liegt mit geschlossenen Augen da. Ihre Haut ist weiß und wenn die Monitore nicht beweisen würden, dass sie noch lebt, dann könnte man meinen sie wäre nicht mehr unter den Lebenden. Er sitzt neben ihrem Bett und hält ihre Hand. Er sieht so aus als hätte er drei Nächte keinen Schlaf mehr gehabt. Er hat dunkle Ringe unter den Augen, seine Haare sind zerzaust und er hat einen Drei-Tage-Bart. Piep, piep, piep… „Sandra du musst wieder aufwachen! Hörst du?” immer wieder stellt er ihr diese eine Frage. Manchmal laut und manchmal ganz leise. Aber immer hat er Tränen in den Augen. Piep, piep, piep… Er nimmt überhaupt nicht wahr, dass jemand das Zimmer der Intensivstation betreten hatte. „Herr Storm?“ wird er von einer Schwester angesprochen. Er ist mit seinen Gedanken so tief versunken, dass die Stimme nicht zu ihm durchdringen konnte. Er vernimmt immer nur das schrecklich hohe Piep, piep, piep… „Herr Storm?“ fragt die Krankenschwester erneut. Er zeigt wieder keine Reaktion auf ihre Worte. Erst als sie ihm die Hand auf die Schulter legt schreckt er zusammen und schaut auf. „Entschuldigen Sie bitte. Sie haben nicht reagiert als ich Sie angesprochen haben.“ Er nimmt das nur mit einem resigniert, traurigen Nicken zur Kenntnis. „Sie müssen sich doch mal ausruhen. Sie sitzen jetzt schon seit drei Tagen und wachen bei ihrer Frau. Gehen Sie mal nach Hause und ruhen sich aus.“ Chris sah sie nur an. Man konnte in seinen Augen nichts lesen außer tiefer Trauer und Hilflosigkeit. Piep, piep, piep… „Nein ich werde bei meiner Frau bleiben.“ Sagt er mit leiser zerbrochen klingender Stimme. Die Schwester sieht sich noch schnell die Werte der Patientin an und geht dann wieder leise aus dem Krankenzimmer. Chris bekommt das alles gar nicht mehr mit. Er ist mit seinen Gedanken wieder bei Sandra. Immer wieder rollen ihm langsam Tränen über die Wangen. Sie fallen auf ihre Hände und rollen weiter auf ihre Bettdecke. Sie zeigt weiterhin keine Reaktion. Immer wieder steht er auf und streicht ihr über ihr braunes, auf dem Kissen offen liegende Haar. Immer wieder streicht er über ihre Wangen, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. „Sandra du musst wieder aufwachen!“ flüstert er ihr wieder zu. Piep, piep, piep… Immer wieder dieses Piep, piep, piep… Irgendwann macht es ihn noch verrückt. Tränen stehen wieder in seinen Augen. Zu schmerzlich sind die Erinnerungen an den Tag, an dem sich sein so glückliches Leben zu ende war.
Drei Tage zuvor: „Sie erwarten ein Kind.“ Erklärte die Ärztin als Chris und Sandra in ihrer Arztpraxis waren. Sandra litt die Tage zuvor immer an Übelkeit und wollte abklären ob sie eine Magen-Darm- Infektion hatte. Und dann das. Im ersten Moment konnte es keiner der Beiden fassen. Erst als Sandras Ärztin ihre Worte wiederholte, strahlen sich Sandra und Chris an. „Wir bekommen ein Baby!“ sagte Sandra zu Chris. Er konnte immer noch nichts sagen. Nach einigen Minuten flüsterte er dann: „Wir werden Eltern.“ Sandra wusste in diesem Moment nicht ob er es zu ihr gesagt hatte oder eher zu sich selbst. Beide waren so überaus glücklich. Man konnte es Beiden ansehen, dass sie glücklich waren. Immer noch standen sie in der Praxis von Sandras Hausärztin und umarmten sich einfach nur. Sie hielten sich fest, denn sie konnten ihr Glück immer noch nicht fassen. „Komm lass uns gehen“ flüsterte Sandra Chris ins Ohr. Langsam gingen sie in Richtung Tür. „Warten sie kurz Frau Nitka.“ Überrascht drehten sich die beiden überglücklichen Menschen um. „Ja?“ „Machen sie so bald wie möglich einen Termin bei ihrem Frauenarzt. Dann bekommen sie auch den Mutterpass.“ “In Ordnung werde ich machen.“ Sagte Sandra noch beim Hinausgehen.
Unten angekommen nestelt Sandra an ihrem Schuh herum. „Schatz was ist denn?“ fragte Chris mit einem breiten Grinsen nach. „Ich hab einen Stein im Schuh geh du doch schon mal zum Auto ich komme gleich.“ „Ok, mach ich.“ Sagte er und machte sich auf den Weg zum Wagen, der auf der anderen Seite der Straße stand. Sandra hatte den Stein aus ihrem Schuh entfernt und machte sich auf den Weg zu Chris. Er stand an den Wagen gelehnt und beobachtete sie. `Wie schön sie doch ist. Sie macht mich zum glücklichsten Mann der Welt´ dachte er sich. Sie sah kurz nach links und rechts und als sie registrierte, dass kein Wagen in Sicht war. Sie ging langsam über die Straße und sah aus dem Augenwinkel, dass ein schwarzer Sportwagen um die Kurve kam. Sandra war wie vom Donner gerührt und blieb stehen. Chris schrie ihr noch zu, sie soll weg gehen, aber es hatte keinen Sinn mehr. Sandra riss die Augen auf und schon fing sie an zu schreien. „NEIN!!“ schrie Chris und sah nur noch wie Sandra durch die Luft flog und Meter weit flog. So schnell er konnte lief er zu ihr hin. Der Fahrer des Sportwagens war davon gerauscht aber das war im Moment nicht wichtig. „Sandra, mach die Augen auf. Hörst du? Mach die Augen auf.“ Wiederholte sich Chris immer wieder. Er hatte Sandras Kopf auf seine Knie gebettet. Tränen rollten ihm über die Wangen. Er war wie in Trance. Immer wieder lief die Szene vor seinen Augen ab und er konnte sich nicht dagegen wehren. Er bekam nicht mit wie ein Krankenwagen angefahren kam und er sanft von Sandra weg in den Krankenwagen gezogen wurde. Dann wurde Sandra in den Krankenwagen geschoben. Sie lag auf einer Liege und hatte die Augen immer noch geschlossen. … Piep, piep, piep… Dieses laute Piepen dringt wieder zu ihm durch. Er sieht ihr wieder ins Gesicht. Es ist immer noch weis und sie liegt immer noch regungslos da. „Lass mich nicht alleine, Sandra. Ich brauche dich.“ Flüstert er ihr zu. Plötzlich spürt er einen Druck an seiner Hand. Er schreckt hoch. “Sandra“ sagt er verwundert. „Chris…ich…liebe,…ich…liebe dich“ sagt sie mit leiser, zerbrechlicher und heißerer Stimme. „Ich liebe dich auch mein Schatz. Ich liebe dich auch.“ Bei diesen Worten schließt Sandra ihre Augen wieder und ihr Kopf fällt zur Seite. Von den Maschinen ist nur noch ein gleichmäßiger Ton zu hören. Tränen rennen ihm über seine Wangen. „Das kannst du nicht machen, hörst du? Das kannst du nicht machen. Du kannst mich nicht alleine lassen.“ Schreit er ihren leblosen Körper an. Dass in dieser Zeit Ärzte herein gestürmt waren und mit Widerbelebungsmaßnahmen begonnen haben registriert er nicht. In seinen Ohren hallen nur Sandras letzte Worte nach. Er bekam auch nicht mit als ein Arzt seine Hand auf seine Schulter legt und traurig den Kopf schüttelt. Chris geht verzweifelten, langsamen Schrittes aus dem Krankenhaus. In ein Leben, das von nun an von Traurigkeit bestimmt ist.