Kleine Schneeflocken bahnten sich ihren Weg in Richtung Erde und bedeckten das Land unter einer weissen Schneedecke. Ein kühler eisiger Wind wehte durch die Strassen und die Menschen eilten durch die Gassen. Niemand wollte länger als nötig unterwegs sein, sondern die Wärme ihrer Häuser geniessen. Langsam wurde es dunkler, als es ohnehin schon war – die Nacht brach herein und mit ihr die schneidende Kälte des Winters, die den Menschen zu schaffen machte. Doch nicht nur Menschen litten in dieser Jahreszeit, auch andere Bewohner der Erde hatten ihre liebe Mühe mit den Witterungsbedingungen. Daran wollte die junge Frau jedoch im Moment nicht denken, als sie durch die Strassen eilte, um zu ihrem Appartement zu gelangen. Sie zitterte leicht, denn nicht einmal warme Kleidung half mehr gegen die Kälte. Sie hasste den Winter, weil er in ihre Glieder fuhr und dafür sorgte, dass sie ständig Schmerzen in den Gelenken hatte. Schon als kleines Kind war sie anfällig dafür gewesen und nur Wärme war ein wirksames Mittel, um die Schmerzen zu lindern. Die Ärzte stellten keinen Defekt fest, was durchaus erleichternd war. Dennoch war es seltsam, dass sie so auf Kälte reagierte. Mit der Zeit gewöhnte man sich daran, auch wenn es immer wieder nervenaufreibend war.
Hellbraune Strähnen fielen ihr ins Gesicht und sie wischte sie energisch zur Seite. Manchmal konnte sie ihre Haare nicht ausstehen, doch sie brachte es nicht übers Herz, sie kurz schneiden zu lassen. Oft genug hätte sie darüber nachgedacht, aber den entscheidenden Schritt wagte sie nicht. Ihrer Meinung nach war es zu schade, ihre Mähne stutzen zu lassen und daher schlug sie sich lieber damit herum – es spielte keine Rolle, dass sie manchmal einen halben Nervenzusammenbruch hatte deswegen. Wie lautete der Standartspruch? Wer schön sein wollte, musste leiden… Sie ging weiter, begleitet vom fröhlichen Schneetreiben, welches immer dichter wurde. Leise fluchend entschied sie sich für die Abkürzung durch den nahen Park. Sie hatte keine Lust, länger als nötig in der Kälte zu bleiben und das Zittern ihres Körpers bestätigte ihre eigenen Wünsche. Manchmal war sie gerne draussen, besonders wenn sie einen klaren Kopf kriegen musste – in solchen Momenten nahm sie auch die Kälte in Kauf. Doch heute hatte sie keine Lust, länger als nötig frieren zu müssen.
Erst als sie Schritte hinter sich hörte, blieb sie stehen und drehte sich langsam um. Ein Mann stand ein paar Meter von ihr entfernt und sie konnte deutlich spüren, dass er nichts Gutes im Schilde führte. Angst schlich sich in ihre Gedanken und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hätte ihre Kräfte einsetzen können, wenn sie nicht darauf bestanden hätte, als Mensch zu leben. Das erste Mal bereute sie ihre Entscheidung. Hilflos zu sein war schrecklich und sie wusste, dass sie nicht davonlaufen konnte. Langsam kam der Mann nähe und sie erkannte das Messer in seiner Hand. Was danach geschah, wusste sie nicht mehr mit Bestimmtheit. Ihr Verstand verabschiedete sich und sie konnte sich nur noch an den stechenden Schmerz in ihrer Bauchgegend erinnern und daran, dass jemand geschrien hatte. War sie es gewesen? Auch das konnte sie nicht sagen, wenn sie darüber nachdachte. Nach dem Schmerz war nur da nur noch Dunkelheit und Kälte – alles andere war verschwunden.