Erschöpft betraten Alexandra Rietz und Michael Naseband das Büro des K11's. „Boah, den hätte ich keine Sekunde länger ertragen können“, stöhnte Alex und ließ sich geräuschvoll auf ihren Schreibtischstuhl plumpsen. „Ich auch nicht. Die Vernehmung war echt ätzend“, stimmte ihr Michael zu. „Aber immerhin können wir endlich den Fall abschließen. ...Was hältst du davon, wenn wir den Abschluss dieses Falles bei einem gemeinsamen Essen feiern?" Erwartungsvoll musterte er seine Kollegin, die gerade das Vernehmungsprotokoll fertig machte. Ihr Anblick faszinierte ihn immer wieder. Klar hatte er seit seiner Scheidung ein paar Affären gehabt, aber sein Herz stand für keine dieser Frauen zur Verfügung.Gestört hatte ihn das bisher nie, der Schmerz über die gescheiterte Beziehung saß tief. Nur bei Alex konnte er diesen Schmerz und den Kummer vergessen. Schon wenn sie ihn morgens anlächelte, wusste er, der Tag kann nur noch gut werden, schlechte Laune, die er vielleicht hatte, war wie weggeblasen.
Einige Zeit brauchte Alex, bis sie antwortete. Ihr war nicht entgangen, dass ihr guter Freund und Kollege sie mal wieder musterte und dabei mit seinen Gedanken abschweifte. Gott sei dank, brauchte sie das Protokoll nur noch speichern. Wenn man so eingehend betrachtet wurde, konnte man sich nur schlecht konzentrieren. Es war nicht die erste Einladung zum Essen von ihm, in letzter Zeit häuften sich diese und sie wurde einfach das Gefühl nicht los, dass es nicht mehr ein rein freundschaftliches Interesse seinerseits war. Gerade sein Blick, der wieder einmal verträumt auf ihr ruhte, bestätigte diesen Verdacht. Wann würde er nur endlich einen Schritt weiter gehen, fragte sie sich mal wieder. Sie selbst war in dieser Beziehung ein wenig altmodisch, aber auch unsicher. Niemals würde sie in die Offensive gehen. „Warum nicht“, stimmte sie schließlich grinsend zu. „Aber nur, wenn du mich einlädst.“ Vielleicht wurde dieser Abend ja doch anders, als die vorherigen „Verabredungen“, die Hoffnung stirbt ja bekannterweise zuletzt.
Nachdem sie dem Staatsanwalt noch über alles unterrichtet hatten und das Vernehmungsprotokoll übergeben hatten, hieß es dann endlich Feierabend. Gemeinsam gingen sie hinunter zum Auto und stiegen ein. „Wo würdest du denn gerne hin?“, fragte Michael vorsichtig nach, immerhin wollte er einen schönen Abend mit ihr verbringen und wollte sichergehen, dass es ihr gefiel. „Ich vertraue dir, dass du ein schönes Lokal aussuchst“, antwortete Alex nur. Durch dieses Vertrauen wollte sie seine Selbstsicherheit stärken, in der Hoffnung, dass er endlich etwas Mut aufbringen würde. Sie war sich zwar selbst ihrer Gefühle für ihn noch nicht sicher, aber sie musste zugeben, dass er ihr gefiel und auch seine Bewunderung ihr gegenüber. Zumindest einer Affäre gegenüber war sie nicht abgeneigt, ob es zu mehr reichen würde, würde die Zeit zeigen. Immerhin hatte es bisher noch kein Mann geschafft, sie so zu faszinieren, aus diesem Grund hatte sie auch noch keinem gegenüber so viel Vertrauen entgegen gebracht, dass es für eine längere Beziehung gereicht hätte.
Sie unterhielten sich gut während des Essens und wieder fragte sich Alex, warum Michael ihr gegenüber so schüchtern war. Immerhin war er sonst gerne ein Macho. Mit dem Essen waren sie schon lange fertig, saßen noch gemeinsam bei einem Glas Wein. Schließlich schüttelte sie innerlich den Kopf und beschloss, ihm es vielleicht etwas leichter zu machen und so rutschte sie dichter an ihn heran, legte vorsichtig ihre Hand auf seine. Aber eine wirkliche Reaktion von ihm kam wieder nicht. Sie wusste nicht, ob es ihm gefiel oder nicht. Seit mittlerweile einem halben Jahr ging das so. Nun arbeiteten sie ein gutes Jahr zusammen und waren recht schnell sehr gute Freunde geworden, aber nach einiger Zeit bemerkte Alex dann, dass sich ihr Verhältnis veränderte, Michael immer mehr ihre Nähe suchte, aber dennoch es irgendwie nicht schaffte die Freundschaft zu intensivieren.
Scheu lächelte sie ihm zu, wollte an seinem Gesicht ablesen, wie er sich vielleicht fühlte, aber das Einzige, was sie wahrnahm, dass er schüchtern zurück grinste. Enttäuscht ließ Alex dann von ihm ab. „Micha“, begann sie, die Enttäuschung war klang ein wenig mit in ihrem Tonfall. „Es ist spät, ich bin müde. Könntest du mich noch nach Hause bringen?“ Wieder einmal war es nicht so verlaufen, wie sie es erhofft hatte. Nun wollte sie nur noch nach Hause. „Aber sicher doch“, sagte er, wobei seine Tonlage nicht verriet, ob er nun froh oder enttäuscht über das plötzliche Ende des Abends war. Schnell bezahlte er und nur kurz darauf saßen sie im Auto. Sie waren schon fast vor der Wohnung von Alex angekommen, als Michael auf einmal etwas unsicher begann: „Alex?“ „Was?“, fragte sie nur kurz nach, ihre Gedanken die abgeschweift waren, versuchte sie wieder auf ihn zu konzentrieren. „Nächste Woche ist doch der Polizeiball. ...“, begann er schüchtern, sammelte noch etwas Mut, um seinen Wunsch nun doch zu äußern, nachdem er schon angefangen hatte. „Gerrit und ich hatten überlegt, dass wir uns vielleicht vorher schon treffen und gemeinsam dorthin gehen. Hast du nicht auch Lust?“
„Klar wollte ich auf den Ball gehen“, antwortete Alex ihm, bevor sie endlich begriff, was er genau von ihr wollte. „Oder wolltest du wissen, ob ich mich vorher auch schon mit euch treffe?“ Neugierig musterte sie ihn und nahm sein Nicken war. „Klar, warum nicht. Dann können wir uns ja vorher schon in Feierstimmung bringen“, fügte sie grinsend hinzu. „Wann wolltet ihr euch denn treffen?“ Mittlerweile waren sie bei Alex Wohnung angekommen und Michael hatte sie noch zur Tür begleitet. „Ich kann dich so um sieben abholen, wenn das für dich in Ordnung ist“, antwortete er und näherte sich ein wenig seinem Gegenüber, hielt dann aber doch plötzlich zögerlich inne, traute sich einfach nicht, seinem Bedürfnis sie zu küssen nachzugehen. „Dann wünsche ich dir eine gute Nacht und schöne Träume“, sagte er schließlich und gab ihr schnell einen kurzen, aber eher freundschaftlichen Kuss auf die Wange, ehe er die Treppen schnell herunterlief.
Enttäuscht ließ sie die Wohnungstür hinter sich zufallen. Während sie sich der Abendtoilette widmete, überdachte sie den Abend noch einmal. Vielleicht hatte sie sich doch getäuscht und sein Interesse an ihr war doch nur freundschaftlicher Art. Zwar war es eine sehr enge Freundschaft, aber scheinbar doch nicht mehr. Seufzend lag sie schließlich im Bett und versuchte sich bewusst zu machen, dass es wohl nicht mehr zwischen ihnen sein würde, als die enge Beziehung zweier Freunde, die sie bisher auch hatten. Erst spät schlief sie über ihren Gedanken ein.
Obwohl nur die von den Kommissaren ungeliebte Aktenarbeit anstand, näherte sich die Woche rasch ihrem Ende. Alex war gerade dabei ihren letzten Bericht für den Tag fertig zu machen, als Gerrit breit grinsend das Büro betrat, indem sie sich momentan alleine befand, da Michael schon vor einiger Zeit Feierabend gemacht hatte. Gerrit hatte gesehen, wie sein Kollege das Büro verließ und wollte nun die Situation ausnutzen, um mit Alex unter vier Augen zu sprechen. Die ganze Woche wollte er dies schon machen, aber eine Gelegenheit fand er hierfür nicht.
Immer noch vor sich hin grinsend, setzte er sich auf ihren Schreibtisch, zum Teil auf den vor ihr liegenden Bericht, um sie so in ihrer Arbeit zu unterbrechen. Belustigt sah er ihr in die Augen, als sie empört aufblickte. „Was soll das denn werden?“, fragte sie empört über die Unterbrechung. Immerhin war sie fast fertig und wollte endlich Feierabend machen. Irritiert nahm sie das Glänzen in seinen Augen wahr und konnte sich darauf keinen Reim machen. „Soll das jetzt eine billige Anmache deinerseits werden?“, fragte sie leicht säuerlich nach. „Tut mir leid, aber du bist nicht mein Typ“, erwiderte er in einem Ton, der deutlich zeigte, dass er sich amüsierte. „Aber dafür wohl von jemand anders“, ergänzte er schelmisch und sein Grinsen wurde immer breiter.
„Ah ja“, gab Alex etwas empört von sich. „Heute mal wieder besonders lustig, oder wie? Hast wohl einen Clown gefrühstückt? Es geht dich ja nun mal gar nichts an, wem ich gefalle oder nicht.“ Es war nur zu deutlich zu hören, dass sie keine Lust hatte, dieses Gespräch weiterzuführen und das sie mit ihrer Aussage eigentlich nur vom Thema ablenken wollte. Worauf er allerdings hinaus wollte, war ihr nicht wirklich klar, wollte es aber auch nicht unbedingt wissen. Sie konnte es einfach nicht ertragen, wenn ihr Kollege sie immer wieder auf ihr Liebesleben ansprach. „Nein, jetzt mal im Ernst“, bemühte er sich, einen ernsteren Verlauf des Gespräches anzuregen. „Was läuft da eigentlich zwischen Dir und Michael? Du hast ihm ja scheinbar ganz schön den Kopf verdreht“, fragte er nun neugierig nach. Immerhin war ihm nicht entgangen, wie sein Kollege Alex die ganze Woche immer wieder verträumt betrachtete und oft genug mit seinen Gedanken ganz woanders war, als bei den Akten, die sie zu bearbeiten hatten.
„Zwischen uns läuft gar nichts“, gab Alex genervt von sich. „Was soll da auch schon laufen? Wir sind Kollegen und gut befreundet, mehr aber auch nicht.“ Immer wieder hatte sie sich diese Woche in Erinnerung gerufen, dass Michael es wohl ähnlich sah. Nach einiger Zeit waren ihre Gedanken auch wieder halbwegs geordnet, so dass sie mit ihm wieder freundschaftlich umging und die Enttäuschung über den etwas unglücklichen Verlauf – ihrer Meinung nach – beim letzten gemeinsamen Abendessen verschwunden war.
„So nennst du das also“, gab er etwas sarkastisch von sich. Ihm tat sein Kollege leid, ahnte er doch, dass Michaels Gefühle deutlich anders waren, aber Alex sah das scheinbar anders. „OK, Alex. Dann sag ihm das bitte auch so und spiele nicht mit ihm. Er sieht das scheinbar etwas anders“, versuchte Gerrit ihr nun ins Gewissen zu reden. Erstaunt musterte ihn sein Gegenüber, über die Ernsthaftigkeit, die auf einmal in seiner Stimme mitschwang. „Tu ihm bitte nicht weh. Michael ist seit seiner Scheidung in der Beziehung sehr sensibel und er ist mein bester Freund. Wenn du ihn verletzt, verzeihe ich dir das so schnell nicht“, fügte er schließlich noch hinzu, bevor er sich von ihrem Schreibtisch erhob.
„Gerrit!“, sprach sie ihn deutlich an, wollte sicher gehen, dass er ihr noch zuhörte. „Ich spiele nicht mit Michael und seinen Gefühlen.“ Während sie sprach speicherte sie noch den Bericht und fuhr schließlich den PC herunter. Als sie nun ihre Sachen zusammenpackte, sprach sie in deutlichen Worten weiter. „Aber selbst wenn ich es machen würde, so wäre dies eine Sache, die uns beide betrifft...“, ernst sah sie ihm nun in die Augen, bevor sie weitersprach, „und nicht dich. Ich werde jetzt Feierabend machen und damit ist dieses Thema beendet. Wir sehen uns dann nachher.“ Mit diesen Worten verließ sie das Büro und machte sich auf den Heimweg.