Eine sehr dramatische Story für die Taschentuch-Fraktion. Gehört eindeutig zur Rubrik Kai und Flo - Story.
Ein bißchen mehr Zeit
‘Vorbei. Endlich’, dachte Kai und lehnte sich erschöpft gegen die Wand des Mercedes Motorhomes. Er stöhnte, hob die Hände und ließ seinen Kopf in die Handflächen sinken. Florian König, sein Kollege und Freund trat neben ihn. Besorgt sah er Kai an. „Was ist mit dir los?“ „Kopfschmerzen.“ „Schon wieder? Das kommt mir aber langsam ziemlich merkwürdig vor.“ Er stellte sich neben Kai. „Ich weiß auch nicht, woher die kommen. Ich merke nur, dass sie immer schlimmer werden“, stöhnte Kai. „Komm mit“, sagte Florian und legte den Arm um Kais Schulter. „Wohin?“ „Zu Watkins.“ „Ich brauche keinen Arzt“, maulte Kai, ging jedoch mit Florian mit. „Doch, brauchst du.“ Heinz-Harald Frentzen kam an den beiden Männern vorbei und blieb stehen, als er Kais glasigen Blick und dessen bleiches Gesicht sah. „Was ist denn mit dir los? Schon wieder Kopfschmerzen?“ Kai nickte ergeben. „Ja.“ Ihm wurde schwindlig und er hielt sich an Florian fest. „Ich helfe euch wohl besser“, sagte Heinz, hielt Kais linken Arm fest und stützte ihn. „Danke“, sagte Florian leise. Zusammen brachten die beiden Männer den Reporter zu Dr. Sid Watkins, den besten Arzt an der Rennstrecke. Der war gerade damit beschäftigt, seine Sachen zu packen. Das Rennen war vorbei und er wollte nach Hause zu seiner Familie. Als er jedoch Kai zwischen seinen beiden Freunden hängen sah, hielt er inne. Er winkte die drei Männer in einen Untersuchungsraum. Dort setzten Heinz und Florian Kai auf einen Stuhl. Watkins hockte sich vor Kai hin. „Was ist los? Dich habe ich noch nie krank gesehen.“ „Kopfschmerzen“, presste Kai zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Watkins legte seine rechte Hand unter Kais Kinn und zwang diesen, nach oben zu sehen. Mit einer Lampe leuchtete er ihm in die Augen. „Kannst du das Licht sehen?“ „Kaum“, antwortete Kai wahrheitsgemäß. „Versuche, ihm zu folgen.“ Kai versuchte es. Eine Welle des Schmerzes schoss durch seinen Kopf. Er schloss die Augen. „Okay, Kai. Hast du noch andere Symptome? Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen oder so?“ „Ja.“ Kais Stimme klang brüchig. „Meine Nackenmuskeln sind außerdem total verspannt.“ Watkins tastete vorsichtig Kais Nacken ab. „Mmm... stimmt auffallend. Hast du in letzer Zeit mehr gearbeitet als sonst?“ Kai überlegte kurz. „Nein, eigentlich nicht.“ „Wie lange hast du die Kopfschmerzen schon und wie lange dauern die Anfälle?“ „Seit ungefähr sechs Monaten. Normalerweise sind sie spätestens wieder weg, wenn ich eine Nacht geschlafen habe.“ Watkins zog eine Spritze auf und verabreichte sie Kai. „So, das hilft erst einmal gegen die Schmerzen. Du wirst dich bald besser fühlen. Aber die Ursache...“ Er überlegte lange. „Fahr am besten morgen in die Frankfurter Uniklinik und lass dich da einmal gründlich durchchecken. Vielleicht ist es nur eine schwere Migräne, aber es könnte auch etwas dahinter stecken, was ich hier überhaupt nicht vermute.“ Kai wollte etwas sagen, nickte dann jedoch ergeben. „Okay, ich fahre hin.“ „Aber nicht mit dem Auto.“ „Ich bringe ihn hin“, sagte Florian. Watkins nickte. Dann entließ er seinen Patienten. Er machte sich Sorgen um Kai. Die Kopfschmerzen waren zu stark für eine gewöhnliche Migräne. Er ahnte, dass mehr hinter der Krankheit des Reporters steckte, doch er hoffte, sich zu irren.
Kai wurde von der Spritze angenehm müde. Er ließ sich von seinen beiden Freunden führen. „Könntest du uns zu Kais Wohnung fahren?“, fragte Florian Heinz. Der sah ihn fragend an, nickte dann aber. Florian bemerkte den fragenden Blick. „Kais Auto ist kaputt und meins ist bei der Durchsicht. Wir sind mit dem Zug hergekommen“, erklärte er. „Und wie kommst du dann nach Hause?“ Florian wurde ein wenig rot und senkte den Blick. „Ich kann die Bahn nehmen.“ Heinz war von der Reaktion etwas verblüfft, zuckte dann aber mit den Schultern. „Feigling“, nuschelte Kai. Florian sah ihn ärgerlich an. „Sei froh, dass du krank bist, ...“, drohte er leise. Heinz verstand nur Bahnhof, hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie waren bei seinem Wagen angelangt. Er öffnete die Türen und sie legten Kai auf die Rückbank des Autos. Florian überlegte kurz, setzte sich dann mit in den Fond des Wagens und bettete Kais Kopf auf seinem Schoss. Heinz schloss die Türen, schwang sich hinters Steuer und fuhr los.
Nach knapp zwei Stunden kamen sie in Köln an. Heinz fuhr zu Kais Mietshaus und hielt auf einem Parkplatz direkt vor der Tür. Zusammen mit Florian brachte er Kai hoch in dessen Wohnung. Florian zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete die Tür. Dann schob er Kai in die Wohnung und dort direkt ins Schlafzimmer. Heinz folgte den beiden. Auf dem Bett lag ein Trainingsanzug. Achtlos schob Florian ihn zur Seite und Kai sank mit einem dankbaren Seufzen aufs Bett. Florian ging wieder hinaus und schloss die Wohnungstür ab. Er atmete tief durch und ging dann ins Schlafzimmer zurück. Dort saß Heinz auf dem Bett und betrachtete den Trainingsanzug. Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen. „Komm, wir gehen ins Wohnzimmer“, sagte Florian leise. „Kai sollte unbedingt schlafen.“ Heinz nickte und verließ das Zimmer. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Florian sich kurz zu Kai hinunter beugte. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Im Wohnzimmer ließ er sich in einen der grünen Sessel fallen. Die Tür zum Arbeitszimmer stand offen. Heinz sah zwei Computer auf dem Tisch stehen. „Willst du was trinken?“, fragte Florian Heinz und riss diesen damit aus seinen Gedanken. „Ich bin im Moment nur wissensdurstig. Hier stimmt doch Einiges nicht.“ Florian setzte sich auf die Couch, während Heinz anfing, die Ungereimtheiten aufzuzählen, die ihm in Kais Wohnung aufgefallen waren. „Der Trainingsanzug auf dem Bett, der passt Kai niemals. Draußen stehen Schuhe, Herrenschuhe, die Kai viel zu groß sind. Dort drüben stehen zwei Computer. Kai hasst Computer, selbst einer war ihm schon zuviel. Dort im Bücherregal stehen Bücher von Stephen King. Kai kann King nicht leiden.“ Florian hob ergeben die Hände und unterbrach damit Heinz-Haralds Redeschwall. „Der Trainingsanzug, die Schuhe, der zweite Computer und die Bücher gehören mir. Genauso wie einige andere Sachen in dieser Wohnung.“ „Du... du wohnst hier?“ Verstehen keimte in Heinz auf. „Seit wann?“ „Seit zweieinhalb Jahren.“ „So lange schon? Und er hält es nicht für nötig, mir irgend etwas davon zu sagen.“ Gekränkt sah Heinz Florian an. „Er hatte Angst. Wir hatten beide Angst.“ Heinz starrte eine Weile auf den dunklen Tisch vor sich. „Liebst du ihn?“, fragte er plötzlich und sah Florian direkt in die Augen. Der nickte. „Ja. Mehr als alles andere auf dieser Welt.“ Heinz kaute einige Minuten auf einem imaginären Kaugummi herum. „Ich schätze, ich sollte dir gratulieren.“ Florian atmete erleichtert auf, dann lächelte er. „Danke, Heinz.“ „Aber verheiratet seid ihr noch nicht, oder?“ „Nein. Du bist Kais bester Freund. Er hätte es dir sowieso bald erzählt.“ „Das will ich aber hoffen.“ Er stand auf. „Ich lass euch beide dann mal allein. Pass auf Kai auf.“ „Sicher.“ Florian brachte Heinz bis zur Tür. „Soll ich euch morgen ins Krankenhaus fahren?“ „Das wäre vielleicht besser.“ „Ich bin gegen acht Uhr hier, okay?“ Florian gab dem Rennfahrer die Hand. „Okay. Danke.“ „Kein Problem.“ Heinz grinste, drehte sich um und lief die Treppe hinunter. Florian schloss die Tür und ging zu seinem Freund ins Schlafzimmer. Er legte sich neben Kai. Der öffnete die Augen und sah ihn fragend an. „Wie trägt er es?“ „Mit Fassung.“ Florian drehte sich auf die Seite und legte eine Hand auf Kais Brust. „Ich glaube, er freut sich für uns.“ „Das ist gut“, sagte Kai und gähnte. „Was macht dein Kopf?“ „Es geht mir ein wenig besser.“ Florian stand auf und zog seinen Freund bis auf dessen Shorts aus, dann deckte er ihn richtig zu. „Schlaf jetzt, Kai. Du brauchst Ruhe.“ Kai schloss die Augen. Er spitzte die Lippen ein wenig. Florian grinste und küsste ihn kurz. Mit einem Lächeln schlief Kai ein. Florian sah ihn an. „Ich habe wahnsinnige Angst um dich“, flüsterte er.
Am nächsten Morgen wachte Kai mit einem leichten Druck im Kopf auf. Das war normal nach so einem Anfall. Er drehte sich auf die Seite und sah seinen Freund lächelnd an. Florian schlief noch. Er hasste es, früh aufzustehen. Kai hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, stand auf und ging duschen. Er hatte sich gerade einen Trainingsanzug angezogen, als es klingelte. Er ging zur Tür und öffnete. „Guten Morgen, Kai“, sagte Heinz und begrüßte seinen Freund mit einem kurzen Händedruck. „Du siehst ja schon wieder besser aus.“ „Morgen“, erwiderte Kai und schloss die Tür hinter Heinz. „Mir geht es auch wieder besser.“ Die beiden Männer gingen in die Küche. „Kaffee?“ „Gern. Wo...?“ Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment betrat Florian verschlafen die Küche. Er gab Kai einen flüchtigen Kuss, begrüßte Heinz mit einem knappen Nicken und verschwand im Bad. „Was wolltest du fragen?“, fragte Kai, während er den Tisch deckte. „Wo Florian ist.“ „Im Bad“, sagte Kai ernst. Dann jedoch grinste er. Heinz funkelte ihn böse an, dann lachte er ebenfalls. „Was willst du essen?“, fragte Kai. „Was ihr auch esst.“ „Ich bevorzuge Brötchen, Flo dagegen Cornflakes.“ „Da schließe ich mich dir an.“ „Gute Wahl“, sagte Florian. „Bleibt mehr für mich.“ „Seine Cornflakes sind ihm heilig.“ Kai grinste. Florian ebenfalls. Er stand mit nassen Haaren vor dem Kühlschrank und holte eine Tüte Milch heraus. „Die Milch ist fast alle. Ich werde heute noch einkaufen müssen.“ „Bring mir bitte ein paar Rasierklingen mit.“ „Mach ich.“ Florian ließ sich auf seinen Platz fallen. Fragend sah er Heinz an. Kai bemerkte den irritierten Blick seines Freundes und blickte ebenfalls zu dem Rennfahrer hinüber. Der saß mit einem breiten Grinsen am Tisch. Man sah, wie schwer es ihm fiel, sich zusammenzureißen. „Ihr zwei seid irgendwie süß. Entschuldigt, aber ich muss mich mit der Situation erst mal zurechtfinden.“ Er lachte leise und trank einen Schluck Kaffee. „Ihr benehmt euch wie ein altes Ehepaar.“ „So schlimm?“, fragte Kai mit gespieltem Entsetzen. Florian grinste breit.
Nach dem Frühstück stiegen die drei Männer in Heinz-Haralds Wagen und fuhren nach Frankfurt in die Uniklinik. Obwohl Kai mehrere Male sagte, dass das unnötig wäre. „Du hast es Sid versprochen“, mahnte Heinz. „Du weißt doch, wie er reagieren würde, wenn du es nicht tust.“ Kai knurrte etwas vor sich hin. Florian nahm seine Hand. „Bitte, Kai. Tu es für uns.“ „Okay, okay, okay. Ich sag ja gar nichts mehr.“
Im Krankenhaus erhielt Kai ziemlich schnell die Chance mit einem Arzt zu sprechen. Der Mann hieß Dr. Valentin. Er war Brite und arbeitete erst seit einigen Wochen hier, weshalb er auch erleichtert war, als Kai ihm anbot, Englisch mit ihm zu sprechen. „Also, Kai. Es ist gut, dass Sie zu mir gekommen sind. Die Kopfschmerzen können nichts weiter als Kopfschmerzen sein, aber es könnte auch etwas Ernsteres dahinter stecken. Wir werden Sie hier untersuchen. Die Ergebnisse müssten morgen Mittag vorliegen. Schicken Sie Ihre Freunde nach Hause, sie können morgen Nachmittag wieder kommen.“ Kai nickte und gab dem Arzt die Hand. „Danke, Dr. Valentin.“ Dann verließ er das Zimmer und ging zu Heinz und Florian. „Ihr könnt morgen Nachmittag wieder kommen. Bis dahin sollten auch die Ergebnisse vorliegen.“ Eine Schwester kam und brachte Kai zu dessen Zimmer. Es war ein Einzelzimmer. „Hoffentlich langweilst du dich nicht zu sehr“, meinte Heinz grinsend. „Ruh dich etwas aus, während du hier bist.“ Er gab Kai die Hand. Nachdem er ihm noch einmal aufmunternd auf die Schulter geklopft hatte, verließ er das Zimmer und ließ Kai und Florian allein. Kai setzte sich auf das Bett und ließ den Kopf hängen. „Weißt du was?“, sagte er leise. Langsam hob er den Kopf und blickte Florian traurig an. „Ich habe Angst.“ Florian nickte. „Ich auch.“ Er ging zu Kai und zog ihn in seine Arme. „Ich liebe dich, Kai“, flüsterte er. Kai schmiegte sich gegen seinen Freund. „Ich dich auch.“ Die beiden Männer küssten sich. Dann drehte Florian sich um und ging zur Tür. „Flo“, sagte Kai, bevor er die Tür öffnete. „Es wird schon nichts Ernstes sein.“ Florian lächelte, doch Kai sah in den Augen seines Freundes, dass dieser ihm nicht glaubte. Und wenn er ehrlich war, glaubte nicht mal er seinen eigenen Worten. Heinz brachte Florian zu dessen Wohnung. Die beiden Männer tranken noch einen Tee zusammen, bevor Heinz sich verabschiedete. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag, um Kai gemeinsam aus dem Krankenhaus abholen zu können.
Kai musste sich im Krankenhaus einigen Untersuchungen unterziehen, die bei einer Blutuntersuchung anfingen und bis zu einem Gespräch mit einem Psychologen gingen. Sogar auf ein Schädel-CT bestand Dr. Valentin. „Ich wollte schon immer mal wissen, was so in Ihrem Kopf vor sich geht“, meinte der Arzt grinsend. „Das wollen viele.“ Kai sah ihn mit einem leichten Lächeln an. Es war bereits nach 20.00 Uhr und er war müde. Der Doktor merkte es und sagte: „Sie dürfen danach ins Bett. Das ist die letzte Untersuchung für heute.“ „Für heute?“, fragte Kai skeptisch. „Kommt drauf an, was wir bei den Untersuchungen rausfinden.“ Kai verstand, was der Arzt meinte und nickte leicht. Dann überließ er sich den fähigen Händen der Pfleger, Schwestern und Ärzte. Als Kai endlich im Bett lag, war es halb zehn. Er griff zum Telefon und wählte seine eigene Nummer. „Ja?“, hörte er Florians Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ich bin’s, Schatz.“ „Kai.“ Kai lächelte. Er konnte sich Florians erfreutes Gesicht sehr gut vorstellen. „Ich vermisse dich, Flo. Es ist so kalt und einsam hier im Bett.“ Florian seufzte leise. „Wem sagst du das. Ich will mich am liebsten gar nicht hinlegen.“ Er war kurz still. „Weißt du schon was Neues?“, fragte er dann. „Nein“, sagte Kai wahrheitsgemäß. „Ich bin gerade von der letzten Untersuchung zurück.“ „Du Ärmster. Haben sie dich sehr gequält?“ „Und wie.“ Kai lachte leise. „Mir fällt gerade ein, ein Arzt hat mir doch etwas verraten.“ „Ach so? Wer? Und was?“ „Der Urologe, zu dem Valentin mich geschickt hat.“ „Und?“, Florian grinste breit. „Ich bin völlig okay. Zumindest in dem Bereich, der ihn interessiert.“ Kai hörte Florians Lachen und lachte ebenfalls. „Dafür brauche ich keinen Arzt, das wusste ich auch vorher“, meinte sein Freund nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Eine Weile schwiegen die beiden Männer, verbunden durch das Wissen, dass der andere am jeweils anderen Ende der Leitung war. „Ich liebe dich, Florian“, murmelte Kai in den Hörer. „Ich liebe dich über alles.“ Florian hatte Tränen in den Augen. Er schluckte hart. „Ich liebe dich auch, Kai. Hör auf die Ärzte, okay?“ „Sicher. Drück mir die Daumen.“ „Mache ich. Die ganze Zeit schon.“ Kai lächelte. Er hauchte einen Kuss in den Hörer und legte dann schnell auf. Er wischte sich mit der Hand die Tränen aus den Augen, die sich dort gesammelt hatten. Einschlafen konnte er lange nicht. Genauso wie sein Freund in diesen Minuten, dachte Kai über ihre gemeinsame Zeit nach. Kai hatte sich in dem Moment in Florian verliebt, als er ihn vor sieben Jahren im Sender das erste Mal gesehen hatte. Und diese Gefühle hatten sich während der letzen Jahre sehr verstärkt. Vor allem seit dem Moment, als Florian ihm zu verstehen gegeben hatte, dass er Kais Gefühle erwiderte. Kai war damals so glücklich gewesen, wie nie zuvor in seinem Leben. Und er hatte Florian in jeder Minute ihrer gemeinsamen Zeit spüren lassen, wie wichtig der ihm war.
Dr. Valentin betrat das Zimmer von Kai gegen Mittag des nächsten Tages. Der saß auf dem Bett und starrte aus dem Fenster. Er hatte eine miese Vorahnung. „Morgen“, sagte er, ohne den Arzt anzublicken. „Guten Morgen“, erwiderte der, als er einen Stuhl an Kais Bett heranzog und sich mit einem Seufzen darauf fallen ließ. Er hielt einige Blätter, Kais Krankenakte und einige Bilder des CTs in der Hand. Kai sah zu ihm hinab und streckte die Hand nach den Aufnahmen aus. Der Arzt gab sie ihm wortlos. Langsam sah Kai sich die Bilder an indem er sie gegen das Licht hielt, welches durch das große Fenster in das Zimmer fiel. Nach einer Weile ließ er sie sinken. Seine Hände zitterten. Er sah Valentin an. „Mein Großvater und mein Onkel sind beiden an einem Gehirntumor gestorben. Es ist ein genetischer Defekt, nicht?“ Valentin nickte. „Das glaube ich zumindest.“ „Wo sitzt er?“, fragte Kai mit schwacher Stimme. Der Arzt stand auf, trat einen Schritt auf Kai zu und tippte auf einen Punkt genau zwischen Kais Augen. „Es tut mir leid, Kai.“ Der ließ den Kopf auf seine angezogenen Knie sinken. „Kann man etwas tun?“ „Eine OP kommt nicht in Frage. Das würden Sie nicht überleben. Eine Bestrahlung hätte eine Chance von fünf bis zehn Prozent, aber sie würde Ihnen das Augenlicht nehmen.“ „Und eine Chemo?“ Kai sah den Arzt flehend an. „Wir können es versuchen. Aber, es ist ein genetischer Defekt, vergessen Sie das nicht.“ Kai nickte ergeben. „Die Schmerzen sind in letzter Zeit schlimmer geworden.“ „Die Krankheit ist bereits sehr weit fortgeschritten.“ „Hätte man etwas machen können, wenn man es früher entdeckt hätte?“ „Nein, Kai.“ Der Arzt schüttelte betrübt den Kopf. „Man hätte Sie nur von einem Krankenhaus zum nächsten verfrachtet.“ Kai ließ den Kopf hängen. „Ordnen Sie erst einmal Ihre Gedanken. Ich komme in einer Stunde wieder.“ Er klopfte Kai auf die Schulter und verließ dessen Zimmer. ‘Gedanken ordnen?’, dachte Kai. Er dachte im Moment nur an eins. An Florian. Und an die Zeit, die ihnen beiden so plötzlich gestohlen worden war. Er würde sterben. Und bis dahin würde er viel Zeit in diesem Krankenhaus verbringen. Kai schluchzte. ‘Ich bin 37 Jahre alt’, dachte er, während ihm Tränen über die Wangen liefen. ‘Ich will nicht sterben.’ Er rollte sich auf dem Bett zusammen, wie ein schutzsuchendes Kind. So fand ihn eine Stunde später auch sein Arzt. Er legte Kai sanft eine Hand auf die Schulter. Der drehte sich um und sah den Arzt mit nassem Gesicht an. „Wie lange habe ich noch?“ Valentin dachte kurz nach. „Wir haben jetzt Juli. Ohne die Chemo, vielleicht zwei Monate.“ Kai zuckte zusammen. Er hatte es geahnt, aber auf etwas mehr Zeit gehofft. „Und mit der Chemo?“ „Wenn Sie wirkt, erleben Sie vielleicht noch das neue Jahr.“ Damit war für Kai die Entscheidung gefallen. „Ich mache es.“ „Dachte ich mir. Wir fangen nächsten Mittwoch, also übermorgen an. Die Nebenwirkungen werden Sie bis Freitag oder Samstag hier festhalten. Danach können Sie wieder nach Hause.“ „Kann ich arbeiten?“ „Wollen Sie es?“ Kai nickte. „Unbedingt.“ „Das kommt auf Ihre innere Stärke an. Die Chemo wird Sie schwächen, aber wenn Sie kämpfen, können Sie die ganze Saison dabei sein. Wann sind die Rennen im Ausland?“ „Ab Mitte September.“ „Dann werde ich eine detaillierte Krankenakte anlegen, für Dr. Watkins. Er kann Sie dann im Ausland normal weiterbehandeln. Am besten, gleich nach den Rennsonntagen. Sprechen Sie das mit ihm ab.“ „Mach ich.“ Valentin sah Kai aufmunternd an. „Sie können diese Krankheit nicht besiegen, Kai. Also sehen Sie immer der Wahrheit ins Auge. Aber lassen Sie nicht zu, dass sie Ihr Leben bestimmt. Sie machen auf mich einen sehr charakterstarken Eindruck. Behalten Sie das bei.“ „Krieg ich was gegen die Schmerzen?“ „Natürlich. Aber nicht zu viel nehmen.“ Der Arzt zog einige abgepackte Spritzen aus der Tasche. Sie waren mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt. „Morphium?“, fragte Kai erstaunt. „Ja. Was anderes würde nicht mehr helfen.“ Kai nickte ergeben und nahm sie. „Wieviel?“ „Eine Halbe wenn Sie spüren, dass Sie Schmerzen bekommen. Den Rest circa zwölf Stunden später. Solange es geht, nicht mehr als eine Dosis die Woche.“ „Danke. Wie schlimm ist eigentlich die Chemo? Man hört ja eine Menge.“ „Die Wahrheit?“ Kai nickte. „Es ist die Hölle. Sie werden sich sicher öfter fragen, wieso Sie das machen. Jeder Körper reagiert anders auf die Therapie, aber... es sind gefährliche Chemikalien, die da in Ihren Körper gelangen.“ „Ich habe einen guten Grund um jede Minute zu kämpfen, Doc“, sagte Kai. „Dann bestehen gute Chancen, dass Ihr Körper Ihnen hilft. Der innere Wille ist das Wichtigste.“ Der Arzt stand auf. „Ich sage einer Schwester, dass sie Ihnen etwas zu essen bringen soll.“ „Ich habe keinen Hunger.“ „Sie müssen essen, Kai. Mindestens drei Mal am Tag. Unbedingt. Haben Sie mich verstanden? Das ist lebenswichtig für Sie. Gerade während der Chemo.“ Kai nickte. Er vertraute Valentin und hatte beschlossen, alles zu tun, was dieser ihm sagte. Er wollte so viel Zeit wie möglich für sich und Florian rausschlagen. Ein Zittern überkam ihn, wenn er daran dachte, wie er seinem Freund beibringen sollte, dass er das nächste Jahr höchstwahrscheinlich nicht mehr erleben würde.
Nachdem er gegessen hatte, zog Kai sich an und verließ das Krankenhaus. Er setzte sich in den kleinen Park, der den Parkplatz vom Hauptgebäude trennte. Von hier aus konnte er sehen, wenn seine Freunde kommen würden. Bereits nach einer halben Stunde brauste Heinz mit seinem Wagen um die Ecke und hielt mit quietschenden Reifen auf dem Parkplatz. ‘Rennfahrer’, dachte Kai und grinste leicht. Er stand auf und ging quer über den Rasen auf das Auto zu. Florian sah seinen Freund, der sich langsam dem Auto näherte. Er sprang aus dem Wagen und lief Kai entgegen. Der fing ihn auf und drückte ihn an sich. „Was sagen die...?“ Kai schüttelte den Kopf. „Bitte nicht hier, Flo. Ich will nach Hause.“ Florian nickte ernst. Heinz wartete am Wagen. Er begrüßte Kai mit einem Handschlag. Fragend sah er ihn an. „Zu Hause“, sagte Kai und ließ sich auf die Rückbank fallen. Florian setzte sich neben ihn und zog ihn in seine Arme. Er spürte, dass mit Kai etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Doch er wollte ihn nicht drängen. Heinz warf einen besorgten Blick in den Rückspiegel. Dann startete er das Auto und fuhr nach Köln.
Während der ganze Fahrt hatte Kai nicht ein einziges Wort gesprochen. Er hing in Florians Armen und starrte apathisch auf den Boden. In ihrer gemeinsamen Wohnung angekommen gingen Kai und Florian direkt ins Wohnzimmer. Heinz stand etwas unschlüssig in der Tür. Er wollte nicht stören, war jedoch neugierig, wie es um Kai stand. Kai warf ihm über die Schulter hinweg einen kurzen Blick zu. „Komm schon rein“, sagte er. Erschöpft ließ er sich in einen Sessel fallen. Florian setzte sich auf die Couch, Heinz auf einen zweiten Sessel. Nachdenklich blickte der Reporter auf den Boden. „Nicht bloß Kopfschmerzen?“, fragte Florian schließlich, als er das Schweigen nicht mehr ertragen konnte. Langsam schüttelte Kai den Kopf. „Nein. Eine Erbkrankheit.“ „Mein Gott“, hauchte Heinz und starrte Kai mit weit aufgerissenen Augen an. Er und Kai kannten sich seit ihrer frühesten Kindheit und Heinz wusste sehr genau, was Kai meinte. Florian sah die beiden fragend an. Kai nahm die Hand seines Freundes. „Mein Großvater und mein Onkel sind an Gehirntumoren gestorben. Ein genetischer Defekt in unserer Familie.“ Entsetzt und sprachlos starrte Florian seinen Freund an. Tränen bildeten sich in seinen Augen, als ihm schließlich bewusst wurde, was Kai ihm da mitgeteilt hatte. Er schluchzte auf und Kai zog ihn in seine Arme. Florian brauchte lange, bis er sich wieder beruhigt hatte. Als Kai aufblickte, sah er auch in Heinz-Haralds Augen Tränen glitzern. Der schluckte hart. „Und jetzt?“, fragte er mit rauer Stimme. „Ich will arbeiten, so lang ich noch kann.“ Florian sah ihn fragend von unten an. „Ich habe Morphiumspritzen gegen die Schmerzen bekommen. Außerdem mache ich ab Mittwoch eine Chemotherapie.“ „Und da kannst du arbeiten?“, fragte Heinz erstaunt. „Ich hoffe es. Die Therapie mache ich jedes Mal gleich nach dem Rennen.“ „Und was bringt es dir?“ Kai schluckte. „Drei bis vier Monate mehr Zeit.“ „Und ohne die Therapie?“, fragte Florian leise. Angsterfüllt schaute er ihn an. Der küsste ihn zärtlich. „Ohne die Chemo erlebe ich nicht einmal mehr das Ende der Saison.“ Kai seufzte. „Ich hoffe, sie schlägt bei mir überhaupt an.“ Florian schluchzte erneut. „Das ist nicht fair“, murmelte er leise. „Nein, mein Schatz, ist es nicht.“ Heinz ließ den Kopf in die Hände sinken. Auch ihm liefen jetzt Tränen übers Gesicht. Kai sah ihn traurig an und legte das Kinn auf Florians Schulter. Nach einer halben Stunde spürte Kai, wie Florian sich entspannte. Er hatte fast die ganze letzte Nacht wach gelegen und war jetzt in Kais Armen eingeschlafen. Kai hob ihn hoch und trug ihn ins Schlafzimmer. Dort legte er ihn auf ihr Bett und deckte ihn zärtlich zu. Dann ging er wieder ins Wohnzimmer. Heinz saß nach wie vor auf dem Sessel und starrte auf seine Hände, die auf seinen Knien lagen. Kai setzte sich auf die Lehne und blickte auf ihn hinab. Heinz hob den Blick. „Was machst du jetzt?“ „Meinen Chef anrufen und ihn bitten, dass ich meinen Job behalten darf.“ „Sagt er ja?“ „Klar.“ Die beiden lächelten sich an und Kai umarmte Heinz kurz. „Ich würde dich vermissen“, sagte Heinz leise. „Du bist seit ewigen Zeiten mein bester Freund.“ Kai nickte. „Noch bin ich da.“ „Ja.“ Heinz erhob sich. „Ich fahre nach Monaco. Hab da noch einen wichtigen Termin. Ruf mich an, wenn irgendwas ist, okay?“ „Selbstverständlich.“ Kai begleitete ihn bis zur Tür. Bevor er sie öffnete, sagte er leise: „Versprich mir etwas.“ Heinz nickte. „Pass auf Flo auf, wenn...“ „Klar. Ich verspreche es dir.“ Die beiden Männer umarmten sich erneut und Heinz verschwand. Kai ging ins Schlafzimmer und setzte sich eine Weile zu Florian. Der schlief tief und fest. Zärtlich strich Kai ihm eine Haarsträhne von der Stirn. „Ich liebe dich“, flüsterte er. Dann stand er auf, ging ins Wohnzimmer und rief seinen Chef an. Der war schockiert, als Kai ihm von seiner Krankheit berichtete. Er erlaubte Kai, seinen Job so lange weitermachen zu dürfen, wie er es durchhielt. Kai war froh darüber. Er bat ihn noch, dass dieser geheim hielt, was mit ihm los war und legte dann auf. „Darfst du bleiben?“, fragte Florian, der jetzt hinter ihm stand. Der erhob sich aus dem Sessel und zog seinen Freund in seine Arme. „Sicher doch.“ „Gut.“ Florian küßte Kai zärtlich. „Komm mit“, sagte er dann. „Wir haben noch viel zu tun und nicht mehr viel Zeit.“ Er zog Kai ins Schlafzimmer. Kai lächelte. „Da hast du Recht“, murmelte er und schob die Tür hinter sich zu.
Mittwoch früh fuhr Kai mit Florian in die Klinik zu Doktor Valentin. Der erwartete Kai bereits. Er legte ihm einen Zettel vor, den dieser unterschreiben musste und führte ihn dann in ein Zimmer. Es lag in einem ruhigen Trakt des Krankenhauses und war hell und relativ groß. „Wir werden die ersten Chemos hier durchführen.“ Kai nickte und blickte Florian an. Der hatte Tränen in den Augen. Zitternd stand er neben Kai. „Sie müssten sich jetzt umziehen, Kai. Ihr Kollege kann ja draußen warten oder nach Hause fahren.“ Leicht verlegen blickte Kai auf den Boden. Dann sah er den Arzt fest an. „Florian ist nicht nur mein Kollege, sondern mein Grund diese Krankheit zu bekämpfen.“ Dr. Valentin nickte langsam. „Verstehe. Ich habe mir so etwas fast gedacht.“ Er deutete auf das Bett, auf welchem ein weißer Pyjama lag. „Ziehen Sie sich um, ich hole den Tropf.“ Damit ging er. Kai zog sich aus und den Pyjama an. Florian beobachtet ihn dabei. „Du siehst gut aus.“ „Noch“, sagte Kai leise. „Ich fürchte, nicht mehr lange. Wirst du mich trotzdem lieben?“ „Natürlich“, sagte Florian mit tränenerstickter Stimme. Er umarmte Kai und kuschelte sich gegen ihn. So fand Valentin die beiden Männer. Unwillig trennt Florian sich von seinem Freund. Er setzte sich an Kais Bett und blickte ihn an. Er sah die Angst in Kais Augen. Valentin führte Kai eine Kanüle in den Arm ein und schloß daran einen Beutel mit zwei Litern einer harmlos aussehenden Flüssigkeit an. „Es dauert eine halbe Stunde, dann ist das Zeug durch.“ Der Arzt sah Florian an. „Könnte ich bitte einmal kurz mit Ihnen sprechen?“ Der nickte, hauchte Kai einen Kuss auf die Stirn und folgte Valentin nach draußen. Dort sah er ihn fragend an. „Kai wird in den nächsten Stunden wahnsinnige Schmerzen haben. Er braucht unbedingt Hilfe. Meinen Sie, Sie schaffen das?“ „Ja.“ „Gut. Wenn Sie mal jemanden zum Reden brauchen, bin ich jederzeit für Sie da. Okay?“ „Sicher.“ Florian nickte und blickte auf den Boden. „Ist es egoistisch, wenn ich nur daran denken kann, wie ich ohne ihn leben soll?“ „Nein“, sagte Valentin. Er legte Florian eine Hand auf die Schulter. „Es ist normal. So grausam es klingt, Kai wird davon nichts mehr mitkriegen, wenn er tot ist. Aber Sie müssen damit klarkommen. Für den Rest Ihres Lebens.“ Tränen traten in die Augen des Mannes. Er schluckte sie hinter. Er musste jetzt stark sein, für Kai. Nach einigen Minuten betrat Florian wieder das Krankenzimmer. Kai lag auf dem Bett und beobachtete die Tropen, die langsam den Schlauch entlang liefen und schließlich in seinem Arm verschwanden. „Es ist pures Gift.“ Florian nickte und nahm die Hand seines Freundes. „Aber es kann Leben verlängern und retten.“ „Ja“, sagte Kai leise. „Aber um welchen Preis.“ „Wir werden es rausfinden.“ Florian sah ihn ernst an. Der nickte. „Tu mir einen Gefallen, Flo. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber wenn ich dich bitte zu gehen, geh. Du weißt, ich bin lieber allein, wenn ich Schmerzen habe.“ „Ich weiß, Kai. Du bist jemand, der gern Stärke zeigt. Aber vergiss eins nicht. Ich bin immer für dich da, egal wie schlecht es dir geht. Und der Doc genauso. Er ist ein guter Arzt.“ „Ja, das ist er.“
Doktor Valentin kam einige Minuten, nachdem der Tropf leer war ins Zimmer zurück. Er brachte Kai etwas zu Essen mit. Ernst blickte er Florian an. „Er muss alles aufessen, egal wie. Auch wenn er es nicht drin behalten wird. Aber sein Magen braucht etwas zu tun.“ Der Moderator nickte. Nachdem der Arzt verschwunden war, fing er an, Kai zu füttern. Der wurde mit jedem Biss blasser. Schweiß stand auf seiner Stirn. Sein Körper wirkte verkrampft und zitterte. „Schlimm?“ „Ja“, stöhnte Kai. Er lag zusammengekrümmt auf dem Bett. „Aber ich schätze, das Beste kommt erst noch.“ Florian strich sanft über Kais nasses Gesicht. Der zuckte plötzlich zusammen. Tränen traten in seine Augen und liefen über seine Wangen. „Mir ist übel“, keuchte er. „Hilf mir ins Bad.“ Florian stützte Kai und brachte ihn zur Toilette, wo dieser sich übergab. „Warum hab ich überhaupt was gegessen?“, nuschelte er. Er würgte erneut. Sein Freund saß neben ihm, blickte auf seine Schuhspitzen und strich Kai sanft über den Rücken. Nach circa einer Stunde kam Doktor Valentin und brachte Kai eine Tablette. Er schluckte sie mit Mühe. „Sie wird die Nebenwirkungen ein wenig lindern. Ziehen Sie ihm einen Bademantel über“, sagte er an Florian gewandt. „So schnell kann er hier nicht weg.“ „Wird es besser mit der Zeit?“ „Kommt drauf an. Meistens ja. Die Nebenwirkungen werden nicht mehr ganz so schlimm sein. Außerdem kann der Mensch sich an viel gewöhnen, auch an Schmerzen.“
Tanja, die Frau von Heinz-Harald, spürte natürlich, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmte. Sie wollte ihn aber nicht drängen und ließ ihn in Ruhe. In der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag tigerte Heinz die ganze Zeit durch die Wohnung. Irgendwann blieb er vor dem Fenster im Schlafzimmer stehen und starrte in die Nacht hinaus. Tanja stand auf und ging zu ihm. Von hinten legte sie die Arme um seinen Bauch und sagte leise: "Was ist mit dir los?“ Heinz drehte sich um und umarmte seine Frau. Unter Tränen erzählte er ihr, was mit Kai los war und was für Sorgen er sich um seinen besten Freund machte. Auch von Kais und Florians Verhältnis berichtete er ihr. Als er fertig war, fühlte er sich besser. Seine Frau war dafür ziemlich schockiert. „Mein Gott. Ich kann es nicht fassen.“ Sie sah Heinz an. „Armer Florian.“ Heinz nickte leicht. „Wir müssen uns um ihn kümmern, wenn...“ Er schluckte. „Es ist einfacher, sich um ihn zu kümmern, als an das zu denken, was ich verlieren werde.“ „Aber du musst dich damit auseinandersetzen. Du brauchst Zeit um von Kai Abschied zu nehmen und später um zu trauern.“ Heinz nickte traurig und presste seine Frau an sich.
Florian verbrachte fast den ganzen Tag und einen Teil der Nacht neben Kai im Bad. Dem ging es unglaublich dreckig. Doch Valentin zwang ihn auch mittags und abends etwas zu essen. Florian hingegen verzichtete auf Nahrung. Ihm war schlecht vor Angst um seinen Freund. Am Donnerstagmorgen kam Valentin und nahm Kai Blut ab. „Wir wissen in zwei Stunden, ob die Chemo anschlägt, oder ob wir uns weitere Quälereien sparen können.“ „Manchmal...“, begann Kai. Dann sah er zu Florian hinüber, der müde am Fenster stand. „Ich hoffe, dass sie anschlägt.“ „Gut so“, lobte Valentin. Dann gab er Kai Frühstück. „Teilen Sie es mit Florian.“ Zusammen aßen die beiden Männer. Und obwohl Kai wieder schlecht wurde, konnte er es diesmal vermeiden, zur Toilette zu rennen. Als Valentin wieder kam, sah sich Kai mit Florian eine Talkshow im Fernsehen an. Valentin grinste. „Ihnen geht es ja anscheinend ganz gut. Haben Sie etwas von dem Frühstück bei sich behalten?“ „Alles.“ Kai sah ihn stolz an. Valentin nickte anerkennend. „Genauso habe ich Sie eingeschätzt.“ Florian stellte den Fernseher aus und sah Valentin fragend an. Der setzte sich. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“ „Zuerst die schlechte“, sagten Florian und Kai gleichzeitig. „Wir werden mehr Chemotherapien durchführen.“ Er ließ seine Wort wirken. Auf Florians Gesicht legte sich zuerst ein Lächeln. „Das heißt, die Therapie wirkt?“ „Ja. Hervorragend sogar.“ Kai nahm Florians Hand und lächelte ihn überglücklich an. „Wunderbar.“ Innerlich wurde Kai schlecht, wenn er daran dachte, dass er die Schmerzen jetzt noch öfter aushalten musste. Doch als er in Florians Augen sah, wusste er, warum er es schaffen würde. Florian wand sich an den Arzt. „Mich wundert eins die ganze Zeit. So eine Chemotherapie wird doch normalerweise nur über einen kurzen Zeitraum gemacht. Warum bei Kai nicht?“ Valentin nahm sich einen Stuhl und setzte sich. „Kais Tumor ist nicht bekämpfbar. Mit der Chemo zögern wir nur das Unvermeidbare hinaus. Das ist leider Realität.“ Traurig sah der Arzt erst Florian an, dann wand er sich an Kai. „Und wenn Sie die Therapie abbrechen, werden Sie innerhalb weniger Tage sterben.“ Kai nickte. Seine Hand hielt krampfhaft die von Florian fest. „Wie oft machen wir die Therapie?“ „Am Montag machen wir die nächste. Und dann wieder am Sonntag nach dem Rennen. Danach nach jedem Rennen, also aller zwei Wochen.“ „Kann ich zwischendurch nach Hause?“ „Sicher. Sobald Sie sich sicher genug fühlen und aufstehen können.“ Valentin stand auf. „Wie ich Sie einschätze, wollen Sie sicher morgen nach Hause.“ Kai nickte bestätigend. Florian kuschelte sich gegen ihn. „Ich bleibe hier bei dir.“ Valentin nickte. „Deshalb habe ich ihn in ein anderes Zimmer verlegt. Das freie Bett ist für Sie.“ Dankbar lächelten die beiden Männer den Arzt an. Valentin verabschiedete sich bis Montag von Kai. Florian blieb die Nacht über bei Kai und fuhr mit ihm am nächsten Morgen nach Köln zurück. Dort angekommen fuhren die beiden Männer erst einmal zum Sender und meldeten sich bei ihrem Chef. Der war etwas verärgert, dass Florian sich nicht einmal abgemeldet hatte und seit einer halben Wochen der Arbeit ferngeblieben war. Kai schenkte ihm daraufhin reinen Wein ein. Er erzählte ihm von ihrer Beziehung und von ihrer gemeinsamen Wohnung. Hans Mahr war überrascht, akzeptierte es jedoch. Auf seinem Gesicht lag ein bedauernder Ausdruck, der sich vor allem an Florian richtete. „Wie gesagt, Kai“, sagte Mahr am Ende. „Du kannst so lange arbeiten, wie du dazu fähig bist. Genieß die Rennen.“ Florian schluckte leicht. „Kann ich mit zu den Rennen in Indy und Suzuka? Ich möchte mit Kai zusammen sein. Uns läuft die Zeit davon.“ Mahr überlegte kurz. „Meinetwegen. Wir haben ja noch Zeit, um alles vorzubereiten. Vorerst konzentrieren wir uns auf die kommenden vier Rennen hier in Europa.“ Die beiden Männer nickten und verließen das Büro ihres Vorgesetzten. Sie gingen den Gang zu den Konferenzräumen entlang und setzten sich mit den anderen aus ihrem Team zusammen, die gerade das nächste Rennen in Hockenheim besprachen.
Oh man, was für eine Story...Ich bin begeistert und ich finde kaum die Worte, um meiner Begeisterung ausdruck zu verleihen...Ich weiss, dass deine Storys über die F1 dir zum verarbeiten dienen...Doch hab ich noch nie eine gelesen, die SO auf mich passt wie Topf und Deckel...
Danke für dein Kommi und hier das Ende der Geschichte:
Am Sonntag bekamen Kai und Florian Besuch. Tanja und Heinz standen vor der Tür. Heinz hatte es nicht ausgehalten. Er wollte mit Kai reden und einfach noch etwas Zeit mit ihm verbringen. „So oft haben wir uns ja die letzten Jahre nicht privat gesehen“, sagte Kai zur Begrüßung und umarmte Heinz kurz. Tanja begrüßte er mit einem Kuss auf die Wange. Florian kam mit einer Tasche in den Flur und stellte sie unter die Garderobenhaken. „Fertig“, murmelte er. Dann begrüßte er den Besuch. „Willst du verreisen?“, fragte Heinz und deutete auf die Tasche. Er ging Richtung Wohnzimmer. „Die ist für Kai“, sagte Florian. „Er muss am Sonntag zur nächsten Chemo.“ Der Rennfahrer nickte ernst. „Verstehe. Wirkt sie denn so, wie sie soll?“ „Gott sei Dank, ja.“ Kai lächelte glücklich und verschwand in der Küche, während Florian es sich mit den anderen im Wohnzimmer bequem machte. „Ist die Chemo so schlimm?“, fragte Tanja. „Man hört so viel.“ „Es ist die Hölle für Kai. Er hatte so schlimme Schmerzen, wie ich es noch nie gesehen habe.“ Florian schluckte hart. Tanja legte den Arm um seine Schulter. „Du leidest doch noch mehr darunter als er.“ „Ich fühle mich so hilflos.“ „Ich auch“, sagte Heinz. Er atmete tief durch. „Begleitest du Kai eigentlich zu den letzten beiden Rennen?“ „Sicher. Ich lass mir doch keine zwei Wochen mit ihm klauen. Wir haben unserem Chef unsere Beziehung gebeichtet und er gestattet mir den Trip.“ „Mahr ist schon okay“, sagte Kai, der gerade mit einem Tablett ins Zimmer trat. Auf ihm standen Tassen, eine Kanne Kaffee, eine Tasse Tee und Gebäck. Heinz machte große Augen. „Tee?“ „Kaffee darf ich nicht mehr trinken. Hat der Doc mir verboten.“ „Und das schaffst du?“ Kai lächelte. „Sicher doch.“ Er ließ sich neben Florian auf die Couch fallen und nahm dessen Hand. Fast entschuldigend sah er Heinz und Tanja an. „Wir hängen normalerweise nicht so aufeinander, aber...“ Heinz winkte ab. „Schon okay. Genießt eure Zeit.“
Mitten in der Nacht wachte Kai schweißgebadet auf. Er hatte einen schrecklichen Alptraum gehabt. Zitternd setzte er sich im Bett auf und rang nach Luft. Er ließ den Kopf nach vorn sinken und schluchzte auf. Florian wurde von Kais Schluchzen geweckt. Er legte die Arme um ihn und zog ihn zu sich hinüber. Leise redete er auf ihn ein. Kais Verhalten machte ihm Angst. Normalerweise hatte er seine Gefühle sehr gut unter Kontrolle. Und auch in seiner derzeitigen Situation versuchte er, stark zu sein und Florian die Angst zu nehmen. Aber durch diesen Ausbruch zeigte er, wie es in ihm wirklich aussah. Nach einer Weile hatte Kai sich wieder beruhigt. Er schniefte und sah Florian dankbar an. „Ich habe so schreckliche Angst, Flo“, sagte er leise. Erneut liefen Tränen über sein Gesicht. Florian küsste sie weg. „Wovor genau?“ „Vor den Schmerzen, dass ich meine Arbeit nicht mehr machen kann, die Reaktion der anderen, falls sie es erfahren. Ich habe Angst zu sterben.“ Mit tränenverschleiertem Blick schaute er seinen Freund an. „Und am Meisten habe ich Angst davor, dass du irgendwelche Dummheiten machen könntest, wenn ich nicht mehr da bin, um auf dich aufzupassen.“ Jetzt hatte Florian ebenfalls Tränen in den Augen. „Ich habe auch Angst. Vor einem Leben, in dem es dich nicht mehr gibt. Ich kann es mir im Moment nicht einmal vorstellen, auch nur einen einzigen Tag ohne dich zu leben.“ Er schluchzte. „Ich will dich nicht verlieren, Kai.“ Engumschlungen lagen sie da. Schließlich machte Kai das Licht an und sah Florian ernst an. „Versprich mir, dass du weitermachst, wenn ich tot bin.“ Fordernd sah er seinen Freund an. Florian sah kurz nach unten. Dann jedoch blickte er Kai in die Augen. „Ich verspreche es dir, Kai. Aber gönn mir Zeit zu Trauern.“ Kai sah ihn erleichtert an und umarmte ihn. „Sicher, mein Schatz.“ „Ich habe auch eine Bitte an dich, Kai.“ Der sah ihn fragend an. „Wir hatten schon einmal darüber gesprochen... Ich möchte, dass wir heiraten.“ „Ich wollte dir genau denselben Vorschlag unterbreiten. Nur wo?“ „Indy?“ „Gute Idee. In der Nähe von Indianapolis liegt Wishong, ein kleines Nest mitten in der Pampa. Dort gibt es eine Kapelle.“ Florian fiel Kai um den Hals und küsste ihn. Er spürte Kais Hände auf seinem Körper und speicherte diese Gefühle in seinem Kopf ab. Er wollte sich auch noch daran erinnern können, wenn er allein war.
Den Montag und Dienstag verbrachten sie wieder zusammen im Krankenhaus. Bis in die Nacht hinein, litt Kai unter unsagbaren Krämpfen, dann beruhigte sich sein Körper etwas. Er ließ sich von Florian zurück ins Bett bringen. Der stellte einen Eimer neben das Bett und verließ dann das Zimmer. Er ging kurz nach draußen und lief dort Michael Schumacher über den Weg. „Was machst du denn hier?“, fragte der Rennfahrer. Als er Florians müden Blick sah, wurde er stutzig. „Was ist los? Warum bist du hier?“ Florian überlegte eine Weile und sagte dann: „Komm mit, ich zeige es dir.“ Auf dem Weg zu Kais Zimmer erkundigte er sich, warum Michael eigentlich hier war. „Corinna hat sich geschnitten. Aber richtig tief. Sie wird hier behandelt. Die haben hier Spezialisten.“ „Ihr fahrt heute sicher wieder, oder?“ „Klar.“ Inzwischen hatten sie die Tür zu Kais Zimmer erreicht. Florian legte die Hand auf die Klinke. „Erzähle niemandem hiervon. Versprich es mir, Michael.“ Der sah den Journalisten verwirrt an, nickte dann aber. „Versprochen.“ Florian war zufrieden und öffnete leise die Tür. Im Zimmer war es dunkel, aber Michael erkannte den im Bett liegenden Mann sofort. „Kai?“, murmelte er schockiert. Florian hatte die Tür wieder geschlossen. „Was ist mit ihm? Er sah... grauenvoll aus.“ „Hallo, Florian“, sagte Corinna plötzlich. Florian legte den Finger auf die Lippen und winkte Michael und Corinna mit sich mit nach draußen. „Was ist hier los?“, fragte Corinna ihren Mann. „Kai ist hier. Er ist anscheinend sehr krank.“ Florian nickte betrübt. „Kai hat einen Gehirntumor.“ Michaels Kinnlade klappte nach unten. Er starrte Florian entsetzt an, während Corinna seine Hand umklammerte. „Er wird... er wird dieses Jahr wahrscheinlich nicht überleben.“ Mit Tränen in den Augen starrte Florian auf den Boden. „Macht er eine Chemotherapie?“ „Ja.“ „Und was bringt sie ihm?“ „Drei bis vier Monate mehr Zeit.“ Michael nickte leicht. „Wird er weiter arbeiten?“ „Du kennst ihn doch. Solange es sein Körper zuläßt, ganz bestimmt.“ Jetzt mischte sich Corinna ein. Ihr Gesicht war nass von Tränen. Genau wie Michael kannte sie Kai schließlich schon seit ihrer Jugend. „Weiß Heinz davon?“ „Ja. Er hat uns zum Arzt gefahren und Kai hat es ihm und mir dann auch erzählt. Sagt niemandem etwas, bitte. Gebt Kai die Chance, die letzten Rennen zu genießen“, flehend sah Florian die beiden an. Sie nickten leicht. Michael fiel noch etwas anderes auf. „Warum bist du eigentlich hier?“ „Weil ich mit Kai seit langer Zeit zusammenlebe und es nicht ertragen kann, ihn jetzt auch nur für ein paar Stunden allein zu lassen.“ Das Geständnis schockte die beiden ein wenig. Doch sie hatten sich ziemlich schnell wieder gefangen. „Es tut mir leid, Florian“, sagte Michael. „Ich werde mir Anspielungen und Andeutungen verkneifen, versprochen.“ Florian bedankte sich bei den beiden und ging wieder zurück in Kais Zimmer. Als der mal ansprechbar war, erzählte er Kai von seiner Unterredung mit Michael und Corinna. „Die beiden sind verläßlich. Es ist okay, dass du es ihnen gesagt hast.“
Heinz wurde durch ein nervtötendes Läuten geweckt. Er war zu Hause bei seinen Eltern, da das nächste Rennen hier in Deutschland war. Tanja regte sich neben ihm. „Es ist drei Uhr nachts“, murmelte sie verschlafen. „Wer kann das sein?“ „Halt mich nicht für verrückt, aber ich glaube Michael. Der hat das drauf.“ Er stand auf und ging die Treppe hinunter zur Tür. Tanja war ihm gefolgt und stand auf der untersten Stufe. „Hab ich’s doch geahnt“, sagte Heinz, als er die Tür geöffnet hatte. „Kommt rein.“ Michael und Corinna Schumacher traten ein. Sie begrüßten Tanja und folgten Heinz ins Wohnzimmer. „Sucht ihr einen Platz zum Schlafen, oder habt ihr keine Uhr?“ „Weder noch“, sagte Michael ernst. „Wir waren in der Frankfurter Uniklinik, weil Corinna sich geschnitten hatte. Dort bin ich Florian über den Weg gelaufen.“ Leicht verärgert sah er Heinz an. „Mann, warum hast du mir nichts gesagt?“ „Weil ich es selber noch nicht begriffen habe“, sagte Heinz und senkte den Blick. „Es kommt mir alles so unwirklich vor.“ Eine Weile saßen sie schweigend da. Plötzlich lächelte Michael. „Wir haben soviel Mist gebaut, früher. Und meistens war Kai Schuld. Auf wen schieben wir es jetzt?“ Heinz grinste. „Keine Ahnung. Erinnerst du dich noch, als wir einmal die gesamte Kerpener Cartbahn vereist haben?“ Michael und Corinna lachten. Tanja ließ sich die Geschichte von den Dreien erzählen. Sie hatte die Clique damals noch nicht gekannt. Das Gespräch wurde noch sehr lang. Und eine alte, lange vergessene Vertrautheit erwachte zwischen den beiden Rennfahrern wieder zum Leben. Die Erinnerung an alte Zeiten verband sie noch immer. Und auch das Wissen, dass Kai ein Teil ihrer beider Leben war. Sie hatten etwas gemeinsam. Keiner von ihnen konnte sich vorstellen, ohne Kai weiterzumachen.
Das nächste Rennen fand in Hockenheim statt und war für Michael und Ferrari eine riesige Party. Kai zog sein normales Programm durch und es ging ihm dabei recht gut. Nach außen hin bemerkte niemand, dass mit dem Reporter etwas nicht stimmte und Michael und Heinz hielten, wie sie es versprochen hatten, den Mund. Allerdings fiel Kai natürlich auf, dass die beiden Rennfahrer sich plötzlich wieder näher gekommen waren. In einer ruhigen Minuten nahm er die beiden Männer zur Seite und sprach sie darauf an. Sie blickten beide ertappt zu Boden. „Als ich Florian im Krankenhaus in Frankfurt begegnet bin und er mir erzählt hat, was mit dir los ist, hat mir das keine Ruhe gelassen. Ich bin zu Heinz gefahren und wir haben uns sehr lange unterhalten.“ „Über was?“, fragte Kai neugierig. „Über die guten, alten Zeiten.“ Kai lächelte und entließ sie. Er blickte ihnen traurig nach. Wieder einmal wurde ihm bewusst, was er verlieren würde. Das ganze Flair, welches Kai am Anfang seiner Karriere so fasziniert hatte, wurde ihm jetzt wieder deutlich. Er genoss alles in vollen Zügen. Die Scherze mit den Rennfahrern genauso wie die Neckereien und Rangeleien mit den Angestellten der Konkurrenz. Er saugte die Gefühle regelrecht auf.
Am Abend nach dem Rennen waren Kai und Florian wieder in Frankfurt, wo Kai seine nächste Chemo erhielt. Er hing wieder die halbe Nacht über der Toilette, bevor es ihm einigermaßen gut ging und er sich ins Bett legen konnte. Für Florian wurde die Betreuung seines todkranken Freundes fast zur Routine. Als Valentin am nächsten Morgen nach Kai schaute, ging es dem ziemlich schlecht. Er hatte einen schweren Kopfschmerzanfall gehabt. Valentin verabreichte ihm etwas Morphium und dunkelte das Zimmer ab. Dann winkte er Florian zu und verließ den Raum. „Bin gleich zurück“, flüsterte der seinem Freund zu. Kai stöhnte leise auf und schlief dann ein. Florian trat in den Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich. Fragend sah er den Arzt an. „Er hat am vergangenen Wochenende viel gearbeitet, oder?“ „Es war ein Heimrennen. Ja, er hat viel gearbeitet.“ „Das ist nicht gut. Es verschlimmert seinen Zustand extrem.“ Valentin sah Florian ernst an. „Wie wichtig ist der Job für ihn.“ „Sehr wichtig. Fast genauso wichtig wie ich.“ Der Arzt senkte den Blick. „Dann kann ich es ihm nicht verbieten.“ Er seufzte leise. „Passen Sie ein bißchen auf ihn auf, dass er sich nicht übernimmt. Ich möchte ihn erst einmal bis Mittwoch Nachmittag hier behalten. Bleiben Sie auch so lange?“ „Auf jeden Fall.“ Valentin nickte und ging. Florian rief von seinem Handy aus seinen Chef an und unterrichtete ihn kurz über Kais Zustand und seine Entscheidung bei ihm zu bleiben. Der erlaubte es Florian und beendete das Gespräch. Leise ging er wieder ins Zimmer seines Freundes und setzte sich an dessen Bett.
Die nächsten Wochen kamen und vergingen. Die drei letzten Europarennen waren beendet und das Rennen in Indy stand an. Kai hatte mit Doktor Watkins wegen der Chemotherapie alles besprochen und der hatte sich bereit erklärt, sie durchzuführen. Er war sehr betroffen gewesen, als er den wahren Grund für Kais Schmerzen erfahren hatte, obwohl er es fast geahnt hatte. In solchen Fällen hasste es der Arzt, Recht zu haben. Florian und Kai wollten am Dienstag vor dem Rennen nach Indianapolis fliegen. Am Montag saßen sie mit dem Team im Sender zusammen und besprachen die letzten Details. Eigentlich sollte Kai noch im Krankenhaus liegen, aber er hatte sich aus dem Bett gequält um an der Besprechung teilnehmen zu können. Auch Heiko Wasser und Christian Danner, sowie alle anderen Reporterkollegen von Kai waren anwesend. Als die wichtigen Dinge geklärt waren, wand sich Christian an Kai und Florian. „Wir hätten da einmal ein paar Frage an euch. Ihr fehlt in den letzten Wochen auffällig häufig. Außerdem siehst du verdammt schlecht aus, Kai. Und seit wann kommst du eigentlich mit zu den Übersee-Rennen, Florian?“ Kai senkte den Blick. „Ich schätze, es ist an der Zeit euch etwas Wichtiges zu erzählen.“ Er atmete tief durch. „Ich bin schwer krank. Vor ungefähr zwei Monaten hat man bei mir einen Gehirntumor festgestellt. Um überhaupt noch arbeiten zu können, mache ich eine Langzeit-Chemotherapie, immer nach den Rennen. Deshalb bin ich an den ersten zwei Tagen nach den Rennwochenenden nie da. Und Florian begleitet mich jedesmal ins Krankenhaus.“ Das hatte gesessen. Geschockt schauten die Menschen im Raum Kai an. Es dauerte eine ganze Weile, bevor einer von ihnen wieder etwas sagen konnte. Es war Heiko. „Ihr zwei seid zusammen, oder? Deshalb begleitet Flo dich.“ Florian und Kai nickten. „Ja“, sagte Florian. „Wir haben nicht mehr viel Zeit und ich möchte den Rest einfach nutzen.“ Jan Krebs nickte leicht. „Verständlich.“ Er sah Kai traurig an. „Wie lange hast du noch?“ „Ungefähr bis Jahresende.“ Kai sah die anderen an. „Behaltet es bitte für euch.“ Alle nickte und Kai verließ mit Florian den Raum. „Das hat gesessen“, murmelte Felix Görner. In seinen Augen schimmerten Tränen. Er hatte von Anfang an mit Kai zusammen gearbeitet und dementsprechend nahm ihn dessen Geständnis auch mit. „Ich kann mir die Arbeit ohne ihn gar nicht vorstellen.“ „Ich auch nicht“, stimmte Jan zu. „Er ist für mich ein absolutes Idol.“ „Wir haben ihm alle viel zu verdanken. Vor allem der Sender“, sagte Heiko. „Kai hat sich viele Nächte um die Ohren geschlagen und Konzepte ausgearbeitet, um die Formel 1 - Berichterstattung für die Zuschauer attraktiver zu machen.“ Zustimmendes Nicken von einigen der älteren Kollegen. Sie konnten alle nicht wirklich begreifen, was Kai ihnen da eben mitgeteilt hatte.
Das Rennen in Indy stand an und damit ein wichtiger Tag für Kai und Florian. Es war Donnerstag vor dem Rennen und die beiden Journalisten standen zusammen mit einigen Freunden vor der kleinen Kapelle in Wishong. Außer ihnen waren Heinz, Tanja, Michael, Corinna, Heiko, Christian, Felix und Jan da. Keiner von ihnen hatte bis jetzt so eine Trauung miterlebt und dementsprechend gespannt waren alle. Corinna und Michael standen bei Kai und beruhigten ihn etwas. So nervös hatten sie ihren Freund noch nie erlebt. „Ich habe so lange darauf gewartet und jetzt heiraten wir bloß wegen dem Gefühl der Zusammengehörigkeit. Von unserer Ehe werden wir nicht mehr viel haben.“ Kai schaute traurig und nervös auf den Boden. Michael legte seine Hand auf dessen Schulter. „Es kommt ganz darauf an, was ihr aus eurer verbleibenden Zeit macht. Ihr kriegt das schon zusammen hin.“ Heinz und Tanja kümmerten sich um Florian, der ziemlich blass aussah. „Am Liebsten würde ich weglaufen, so viel Angst habe ich.“ „Das ist normal“, sagte Tanja. „Spätestens, wenn Kai ja sagt, wirst du wissen, warum du geblieben bist.“ Sie umarmte Florian, der diese Geste dankend erwiderte. Dann gingen alle zusammen in die Kirche. Jan und Heiko redeten leise miteinander. „Eigentlich sind sie ein süßes Paar“, murmelte Jan. Heiko nickte zustimmend. Die Trauung begann und die beiden Hauptakteure überstanden es tatsächlich. Ihre Eheversprechen hatten Florian und Kai selber verfasst und den Anwesenden ging es sehr nahe, was die beiden Männer sich im Bewusstsein von Kais schwerer Krankheit noch alles zu sagen hatten. Tanja lehnte sich gegen Heinz und schluchzte leise. „Es ist so unfair.“ Der nickte und blinzelte die Tränen weg, die sich in seinen Augen gebildet hatten. Als die Trauung zu Ende war, zog Kai Florian glücklich in seine Arme und küsste ihn unter dem Jubel der anderen. „Ich liebe dich so sehr, Flo. Du hast mich heute zum glücklichsten Menschen auf dieser Welt gemacht“, hauchte er ihm ins Ohr. Zusammen verließen sie die Kirche und fuhren nach Indianapolis etwas Essen. Danach ging es zur Rennstrecke, denn schließlich galt es, ein Rennen vorzubereiten.
Nach dem Sonntag, als Kai bei Doktor Watkins lag und seine Infusion bekam, standen plötzlich Heiko und Christian in der Tür. „Entschuldige, dass wir hier so reinplatzen“, sagte Christian. „Aber wir haben haufenweise Mails von den Zuschauern bekommen, die wissen wollen, was mit dir los ist. Es ist nicht mehr zu übersehen, dass du krank bist.“ „Ich möchte vor der Kamera darüber nicht reden“, sagte Kai entschlossen. „Ignoriert sie bitte.“ „Okay.“ Heiko nickte. „Aber du solltest wissen, dass du da draußen eine Menge Fans hast, die sich wirklich Sorgen um dich machen.“ „Danke“, murmelte Kai. Ein Krampf schüttelte ihn. „Verschwindet jetzt bitte, okay.“ Die beiden Männer nickte und gingen. Schockiert sah Heiko den Ex-Rennfahrer an. „Er sieht grauenvoll aus. Armer Kai.“ Der nickte. „Kai steht im Moment mehr durch, als manch anderer verkraften würde.“ „Zum Glück hat er Flo.“ „Ja, zum Glück.“
Kai ging es in letzter Zeit wirklich bedeutend schlechter. Er wirkte meist kraftlos und müde. Seine Augen hatten einen matten Glanz, sein Gesicht war eingefallen und blass. Seit Beginn der Chemotherapie hatte er enorm an Gewicht verloren. Florian sah die Veränderung an seinem Freund mit großer Sorge. Er bemerkte in Indy oft, dass Kai vor lauter Schwäche kaum das Mikro halten konnte. Jedes Mal, wenn er dass sah, wallte Angst in ihm hoch. Angst, dass Kai ihn schneller verlassen würde, als er es erwartete. Auch Heinz und Michael bemerkten die Negativentwicklungen bei Kai und waren deshalb mehr als besorgt. Ihnen war es nicht Recht, dass Kai jetzt auch noch nach Japan wollte. Der lange Flug und die Umstellung waren ein eigentlich vermeidbarer Stress für ihn. Um zuviel Stress zu vermeiden, waren Kai und Florian in Indy geblieben. Sie flogen erst am Mittwoch vor dem Rennen in Suzuka nach Japan. In der Nacht vor dem Flug, konnte Florian lange nicht einschlafen. Kai schlief sehr unruhig und hatte starke Kopfschmerzen. Er hatte sich bereits eine ganze Spritze Morphium verabreicht, doch es wurde nicht wesentlich besser. Erst gegen Morgen wurde er ruhiger. Vier Stunden vor ihrem Abflug weckte Kai Florian auf. Der sah seinen Freund müde und verwirrt an. „Was ist, Kai?“, fragte er. „Wir haben doch noch Zeit.“ „Sicher“, druckste Kai ein wenig verlegen herum. Er beugte sich zu Florian hinab und küsste ihn. Florian spürte die Herausforderung, die in diesem Kuss lag. Er verstand, was Kai wollte. Mit einem leichten Nicken rollte er sich unter Kais Bettdecke und strich ihm zärtlich mit den Händen über die nackte Haut.
Das Rennen in Suzuka kam und Kai hielt durch. Es ging sogar wieder ein wenig aufwärts, doch Watkins warnte Florian und Kai vor zu viel Optimismus. Es war nur eine vorübergehende Besserung, der Schlimmeres folgen würde. Da Michael das Rennen gewonnen hatte, war er der letzte Interviewpartner von Kai. Nach einigen Fragen und den üblichen Neckereien am Ende einer Saison entließ er ihn. Etwas unschlüssig sah er in die Kamera. Dann atmete er tief durch. „In der letzten Zeit sind bei uns in der Redaktion diverse Mails und Anfragen eingegangen, meine Person betreffend. Und ich glaube, ich bin einigen Menschen, vor allem meinen Fans eine Erklärung schuldig. Es ist sicher nicht zu übersehen, dass meine Gesundheit extrem angeschlagen ist. Das hat einen guten Grund. Vor einem halben Jahr hat man bei mir einen Gehirntumor diagnostiziert. Leider einen sehr bösartigen, der so ungünstig liegt, dass man ihn nicht behandeln kann. Ich mache seit dieser Zeit eine Langzeit-Chemotherapie, damit ich überhaupt noch in der Lage bin, zu arbeiten. Daher auch mein etwas zerknittertes Aussehen. Mit diesem Statement will ich auf keinen Fall Mitleid einheimsen. Ich möchte mich nur von Ihnen, liebe Zuschauer verabschieden. Wer mich kennt, weiss, wieviel mir der Job bedeutet und diese Saison war leider definitiv meine letzte. Danke, für Ihre Treue.“ Florian nickte ergriffen und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. „Das kam jetzt ziemlich überraschend. Nicht die Krankheit, aber das Statement. Ich hoffe, die Kollegen der anderen Sender sind so fair und lassen Kai in Ruhe. Er hat nicht mehr viel Zeit und möchte den Rest davon sicher nicht in Verstecken verbringen, weil irgendwelche Journalisten hinter ihm her sind.“
In den Nachrichten wurde das Thema noch einmal kurz aufgegriffen und Florian gab für Kai eine kurze Erklärung ab. Damit war die Sache erst einmal erledigt. Kai ließ man in Ruhe, was dieser sehr zu würdigen wusste. Die Formel 1 - Fans waren von diesem Geständnis sehr geschockt worden. Immer wieder kamen Briefe und Mails in der Redaktion an, die man ihm zuschickte. Doch noch mehr als die Fans, hatte es die Fahrer und Teamchefs getroffen, die mit Kai ständig zusammengearbeitet hatten.
Nachdem Florian und Kai wieder in Deutschland waren, erlitt Kai einen so schweren Anfall, dass er ins Krankenhaus kam. Valentin kümmerte sich aufopfernd um seinen Patienten, doch er stand auf verlorenem Posten. „Kommen Sie bitte einmal mit raus“, sagte er zu Florian und verließ Kais Zimmer. Der schlief ziemlich unruhig und wälzte sich vor Schmerzen im Bett hin und her. „Ist es wegen der Arbeit?“ „Nein“, sagte Valentin. „Definitiv nicht. Der Tumor ist enorm gewachsen und drückt auf einige wichtige Zentren im Gehirn. Durch die Anspannung bei seinem Job hat Kai es nicht so mitbekommen. Er war abgelenkter und das war auch ganz gut für ihn. Aber irgendwann kann man sich nicht mehr ablenken.“ Der Arzt atmete tief durch und legte dem Journalisten die Hände auf die Schultern. „Florian, Sie müssen sich damit abfinden, dass Kai das Krankenhaus wahrscheinlich nicht mehr verlassen kann.“ Schockiert sah der den Arzt an. „Was? Aber...“ „Diese Art von Tumoren ist unberechenbar. Ich habe immer gesagt, dass Kai höchstens noch bis Jahresende zu leben hat. Leider muss ich mich nach unten korrigieren.“ „Wie lange?“ Florian liefen Tränen übers Gesicht. Valentin zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wenn es ganz schlimm kommt, ist er morgen vielleicht nicht mehr am Leben. Ich gebe ihm höchsten noch drei Wochen, denn, wenn es ihm nicht bald wesentlich besser geht, können wir die Chemo nicht fortsetzen. Und was das bedeuten würde, habe ich Ihnen und Kai ja schon erklärt.“ Schluchzend nickte Florian. Der Arzt zog ihn in seine Arme und tröstete ihn mit leisen Worten. „Versuchen Sie, noch den Rest der Zeit für ihn da zu sein. Und sagen Sie seinen Freunden Bescheid, damit sie sich von ihm verabschieden können.“
Florian tat es und telefonierte noch in der Nacht mit Heinz. Der befand sich gerade in Monaco und war zutiefst schockiert. Er versprach Florian, sofort zu kommen. Und er hielt sein Versprechen. Noch in derselben Nacht stand er in Kais Krankenzimmer. Während Heinz Wache hielt, hatte Florian sich hingelegt und war eingeschlafen. Kai ging es wieder ein bißchen besser. Er schlief ruhiger. Während der nächsten zwei Tage kamen auch Tanja, Michael und Corinna. Es sollte ein normaler Besuch werden, wurde jedoch für die vier Jugendfreunde ein Abschied für immer. Als sie weg waren, schluchzte Kai auf. Florian ging zu ihm und tröstete ihn. Lange saßen sie so beisammen. „Es tut mir so leid, dass ich ihnen so viel Kummer bereite und dir.“ Mit einem unendlich traurigen Lächeln sagte Florian: „Du wärst nicht du, wenn es dir nicht leid tun würde.“ Kai nickte dankbar und schmiegte sich in Florians Arme.
Die nächsten Tage wurden für Florian die Hölle. Er sah, wie Kai mit jedem Tag mehr verfiel. Wie er immer schwächer wurde. Er fühlte sich so unendlich hilflos. Trauer und Wut bemächtigten sich seiner, doch er konnte sie nicht rauslassen. Er musste stark sein, da sein Freund ihn brauchte. Eines Abends saß Florian, wie so oft, an Kais Bett. Eine kleine Nachtischlampe mit einem dunkelbraunen Schirm brannte und verbreitete im Raum ein ganz schwaches Licht. Doktor Valentin war gerade gegangen und seine Miene hatte nichts Gutes verheißen. Kai ging es schon den ganzen Tag sehr schlecht. Er hatte nicht einmal direkt Schmerzen, aber er war zu schwach, um überhaupt aufzustehen. Auch jetzt lag er reglos in seinem Bett und blickte abwechselnd die weiße Decke und Florians traurige Augen an. Sein Gesicht war schweißbedeckt und blass. Seine Lippen hatte Kai fest zusammengepresst. „Es ist soweit“, sagte er schließlich zu seinem Freund. Der sah in Kais Augen. Kleine Lichter funkelten darin, die allerdings immer trüber wurden. Er nickte leicht. „Ja.“ Merkwürdigerweise war er im Moment ganz ruhig. Kai nahm mit einer fast übermenschlichen Kraftanstrengung Florians Hand und drückte sie schwach. „Flo, ich liebe dich. Du warst das Glück in meinem Leben. Ich bin froh, dass ich dich gefunden habe. Ich bin dir unendlich dankbar, dass du mich so liebst, wie ich dich. Ich will nicht gehen, aber ich muss.“ Florian zitterte leicht. Er hauchte Kai einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich auch Kai. Und auch wenn du gehst, werden meine Gefühle für dich so stark bleiben. Ich weiß, dass wir uns irgendwann wiedersehen werden. Und ich freue mich auf diesen Tag.“ Er schluchzte auf. „Du bist das Wichtigste für mich. Wie soll ich ohne dich weitermachen?“ Auch über Kais Gesicht liefen Tränen. „Du bist stark, Flo. Diese Stärke habe ich an dir immer bewundert. Nimm dir Zeit, aber blick dann wieder nach vorn. Du wirst eine neue Aufgabe finden, das verspreche ich dir. Gib nicht auf, ich flehe dich an.“ Kais Stimme wurde beim Reden immer schwächer. „Ich... liebe... dich“, hauchte er. Florian küsste ihn zärtlich. Er spürte wie Kais verkrampfter Körper sich nach und nach entspannte. Seine Hand rutschte nach unten. Als Florian sich von ihm löste, sah er in Kais entspanntes Gesicht, auf welchem ein ganz leichtes Lächeln lag. „Nein, nein, nein...“, murmelte Florian unter Tränen. Mit den Händen strich er über Kais leblosen Körper. „Kaaaaaaiiiiii“, schrie er schließlich und sank schluchzend über dem Leichnam seines Freundes zusammen. Valentin war gerade an der Tür vorbei gegangen und warf einen kurzen Blick in das Zimmer. Er sah sofort, dass Kai den Kampf verloren hatte. Ganz leise schloss er die Tür wieder. Florian brauchte Zeit, um seine angestauten Gefühle rauszulassen. Valentin war froh, dass er das tat. Er hatte sich ernsthaft Sorgen um die Psyche des Mannes gemacht. Florian weinte so lange, bis er schließlich völlig entkräftet zusammenbrach. Valentin fand ihn neben Kais Bett und legte ihn in sein eigenes. Am Morgen gab er ihm eine Beruhigungsspritze. Als Florian aufwachte, saß Valentin neben ihm. Beim Anblick seines toten Freundes, kamen ihm erneut die Tränen. Valentin nahm ihn in den Arm und hielt ihn lange fest. Es war fast Mittag, bis Florian sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Er fühlte sich jetzt wie tot. Eine unendliche, nie gekannte Leere breitete sich in ihm aus. Er konnte nicht einmal mehr weinen. Fast mechanisch griff er zum Telefon und wählte die Nummer von Heinz-Harald. Er erklärte ihm mit stockender Stimme, dass Kai nicht mehr am Leben war. Dann legte er auf. Heinz brauchte lange, bis er begriffen hatte, was Florian ihm da gerade mitgeteilt hatte. Schluchzend ließ er den Hörer fallen. Tanja eilte zu ihm und tröstete ihren Mann, so gut sie konnte. Dann fuhren sie gemeinsam ins Krankenhaus. Vor der Tür trafen sie auf Michael und Corinna, die Florian ebenfalls informiert hatte. Die beiden hatten genauso verweinte Augen, wie Heinz und Tanja. Michael und Heinz umarmten sich kurz und gingen dann hinein. Für die beiden war der Anblick von Kais leblosem Körper ein ziemlicher Schock. Doch ein noch größerer war Florian. Der saß mit leerem Blick auf seinem Bett und starrte Kai an. Sein Gesicht war blass und wirkte angespannt. Er hatte die Männer nicht eines Blickes gewürdigt, seit sie eingetreten waren. Heinz trat an Kais Bett und nahm dessen Hand. „Mach’s gut, alter Freund. Ich werde dich vermissen.“ Eine Träne kullerte über seine Wange. Dann ging er zu Florian und sah ihn eine Weile an. Er stand vor dem Journalisten und versperrte ihm dadurch die Sicht auf Kai. Müde hob Florian den Blick. Tränen schwammen in seinen Augen. Heinz zog ihn in seine Arme und drückte ihn fest an sich. Florian klammerte sich an Heinz fest und weinte hemmungslos. Immer wieder murmelte er Kais Namen. Auch Heinz liefen Tränen übers Gesicht. Später meldete Heinz dem Sender den tragischen Verlust. Peter Kloeppel teilte es in den Nachrichten den Zuschauern mit.
Die Trauerfeier war für Florian die Hölle. Er war mit den Nerven fix und fertig. Heinz und Michael hatten sich um alle wichtigen Dinge gekümmert und Florian so entlastet. Trotz der Trauer und des Schmerzes ließ Florian es sich nicht nehmen, eine ergreifende Rede für Kai zu halten. Er wies noch einmal auf seine Wichtigkeit für den Sender hin, auf seine einzigartige Persönlichkeit. Und vor allem auf sein Engagement für benachteiligte Menschen. Kai leitete nämlich diverse Hilfsprojekte in aller Welt, die sich um Straßenkinder kümmerte. Davon wussten allerdings nicht viele Menschen, da Kai das nie gewollt hatte. „Für viele Menschen auf der ganzen Welt war Kai ein Held. Vor allem für seine Freunde und mich. Er hat gegen eine Krankheit gekämpft, die er nicht besiegen konnte. Er wusste, er konnte nur verlieren und hat doch nie aufgegeben.“ Florian hob den Blick und sah nach oben. „Wo immer du jetzt bist, Kai, ich weiss, dass du uns siehst. In unseren Herzen wirst du immer weiterleben. Ich liebe dich.“ Nach der Trauerfeier und der anschließenden Beerdigung spielten bei Florian die Nerven nicht mehr mit. Er kollabierte im Wagen und Heinz fuhr ihn ins Krankenhaus. Dort blieb er für fast einen Monat auf der Station von Doktor Valentin. Der hatte ihm einen Psychologen besorgt, der jedoch nicht viel für Florian tun konnte. Selbstmordgefährdet war der Journalist nicht. Er hatte Kai versprochen, keinen Unsinn zu machen. Und dieses Versprechen würde er nie im Leben brechen. Er fühlte sich nur ausgelaugt und ohne Perspektive. Bei der Testamentseröffnung kam eine Überraschung heraus, mit der selbst Florian nicht gerechnet hatte. Kai besaß einige prall gefüllte Bankkonten in vielen Ländern der Welt. Weder Heinz noch Michael wussten, wie er an das Geld gekommen war. Er war vielfacher Millionär und hatte fast sein gesamtes Vermögen Florian hinterlassen. Der wusste jetzt auch, was Kai ihm auf dem Sterbebett mitgeteilt hatte. Florian nutzte die Chance und kündigte bei RTL. Er konnte dort nicht mehr arbeiten. Und erst Recht nicht für die Formel 1. Alles erinnerte ihn an Kai. Vorerst verließ Florian Deutschland und ging nach Fuerteventura, um den Kopf frei zu bekommen. Kai hatte dort vor langer Zeit eine riesige Villa gekauft. Hier hatte Florian Zeit, um in Ruhe nachzudenken.
Fast drei Monate nach Kais Tod klingelte eines Abends bei Heinz das Telefon. Der saß gerade mit Michael und einigen anderen der Rennszene zusammen. Er ging ran. „Florian?“, fragte er erstaunt, als der Anrufer sich meldete. Er schaltete den Lautsprecher ein, damit die anderen mithören konnten. „Schön, von dir zu hören.“ „Ich wollte dir und den anderen für die kommende Saison alles Gute wünschen.“ „Und du willst es dir nicht noch einmal überlegen?“ „Nein“, sagte Florian entschlossen. „Ich kann mir keine Rennen mehr ansehen. Die Erinnerungen sind zu übermächtig.“ Er schluckte hart. „Aber über die Ergebnisse könntet ihr mich schon auf dem Laufenden halten.“ „Versprochen“, sagte Heinz. „Was machst du jetzt eigentlich?“ „Ich habe beschlossen, mich voll und ganz Kais Hilfsprojekten zu widmen. Die Kinder brauchen jemanden. Vielleicht kann ich ihr Freund werden, wie Kai es war. Ich kann ihnen zumindest finanzielle Sicherheit geben. Er wollte das so und ich werde ihm seinen letzten Wunsch erfüllen.“ „Viel Glück dafür.“ Sie redeten noch eine ganze Weile, bevor Florian das Gespräch beendete. Heinz und die anderen hörten lange nichts mehr von ihm persönlich. Nur hin und wieder berichtete eine Hilfsorganisation von seiner phantastischen Arbeit. Florian hatte die größte Liebe seines Lebens verloren, also gab er seine tiefen Gefühle an die Kinder weiter, die er betreute. Und damit erlangte er eine gewisse Berühmtheit. Sowohl bei den Kindern als auch bei den Berichterstattern wurde er nur der traurige Engel genannt. Er tat alles Menschenmögliche um den Kindern zu helfen, aber seit Kais Tod hatte ihn niemals jemand wieder lächeln sehen.
Epilog
Florian starb 16 Jahre nach Kai. Ein Zuhälter erschoss ihn, nachdem dieser ihn an die Polizei verpfiffen hatte. Seine Freunde in Deutschland trauerten ihm zwar nach, aber andererseits waren sie auch erleichtert. Er war mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben. Sie wussten, dass Florian jetzt glücklich war. Denn er war endlich wieder mit Kai zusammen.
So, mein Abschlusskommi...Ein trauriger, schöner Abschluss für eine grandiose Story...
Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr mich diese Story berührt hat...Du hast die Gefühle und alles so genial beschrieben, ich hab mich als Teil dieser Story gefühlt und mit Flo und Kai mitgelitten...
Verzeih mir, aber ich bin keine Meisterin großer Worte...Aber für mich ist DIESE Story die beste, genialste und wichtigste...Danke!!