Eine weitere Kai und Flo - Story. Flo spielt dieses Mal die Hauptrolle. Angelehnt ist die Story an den Film Sleepers, den ich nur ein Mal in meinem Leben gesehen habe und der mich doch sehr beeindruckt hat.
Der Befreiungsschlag
Florian stoppte seinen Wagen und blickte sich suchend nach einem Parkplatz um. Er entdeckte eine Lücke zwischen zwei Escorts und manövrierte seinen Audi hinein. Dann stieg er aus, schloss ab und schlenderte langsam durch das Parkhaus in die riesige Halle des Kölner Hauptbahnhofs. Er ging zu einem Bäcker, holte sich eine Zimtschnecke und einen Kaffee und stellte sich an einen der Tische. Von hier konnte er gut die Haupthalle beobachten, wo Massen von Besuchern eilig hin und her liefen. Florian wartete auf seinen Freund und Kollegen Kai Ebel, der von einer Geschäftsreise aus Frankfurt zurück kam. Kai hatte ihn am Morgen angerufen und ihn gebeten, zum Bahnhof zu kommen. Er hatte sich ein Taxi genommen, als er zum Bahnhof gefahren war und wollte sich das Geld jetzt sparen. Florian grinste leicht. Seinem Chef hatte er erzählt, dass er sich nicht so gut fühlte und deshalb etwas eher gehen wollte. Der hatte zugestimmt und Florian schon am Mittag nach Hause gelassen. „Hey, so in Gedanken?“, fragte plötzlich eine fröhliche Stimme hinter Florian. Der drehte sich erschrocken um und blickte in Kais grinsendes Gesicht. „Kai, schön, dass du wieder da bist.“ Er umarmte ihn kurz. „Ich war doch nur vier Tage weg.“ Florian lächelte und flüsterte leise: „Gefehlt hast du mir trotzdem ganz doll.“ Kai nickte und nahm einen Schluck von Florians Kaffee. „Lass uns irgendwo was essen gehen.“ “Ist okay.“ Zusammen verließen die beiden Männer die Halle und schlenderten zu Florians Auto. Als sie saßen, drehte Florian sich lächelnd zu Kai um. Er beugte sich zu ihm hinüber und hauchte ihm einen Willkommenskuss auf die Lippen. Kai strich Florian zärtlich mit der Hand über die Wange. „Du hast mir auch gefehlt, mein Schatz.“ Florian startete den Wagen und fuhr in Richtung Innenstadt zu ihrem Stammitaliener. Die beiden Männer waren seit über drei Jahren ein Paar, was inzwischen auch im Sender kein Geheimnis mehr war. Ihr Chef hatte ihre Beziehung widerwillig akzeptieren müssen. Und die Fahrer der Formel 1 - Szene störten sich ebenfalls nicht daran. Die Öffentlichkeit wusste jedoch nicht von der sexuellen Orientierung der beiden Journalisten und Kai und Florian wollten, dass das auch so blieb.
Bei einem gemütlichen Abendessen bei Kerzenschein erzählte Kai seinem Freund von seinen Geschäften, die er in Frankfurt zu erledigen gehabt hatte. Seit dem Tod von Kais Vater musste Kai sich um das riesige Firmenimperium kümmern, welches sein alter Herr ihm hinterlassen hatte. Er hatte anfangs darüber nachgedacht, alles zu verkaufen, aber dann war sein Pflichtbewusstsein gegenüber den Angestellten gegenüber durchgebrochen und er hatte sich langsam in die Materie eingearbeitet. So arbeitete er jetzt ein halbes Jahr für RTL und ein halbes Jahr für seine eigene Firma. Florian hörte Kai lächelnd zu. Er bewunderte ihn für seine Arbeit. Und in gewissem Sinne genoss er auch den damit verbundenen Luxus. Weder er noch Kai verdienten schlecht beim Sender. Und das Millionenvermögen welches Kais Vater seinem Sohn hinterlassen hatte, sicherte ihnen beiden ein finanziell sorgenfreies Leben zu. „Was hast du in der letzten Woche so gemacht?“ „Nicht viel“, murmelte Florian. „Ich habe auf dich gewartet.“ Kai lächelte und strich leicht mit dem Finger über Florians Handrücken. Der sah sich in dem Restaurant um, ob das auch niemand gesehen hatte. Er hatte immer noch etwas Angst vor einem ungewollten Coming Out. Florians Blick fiel auf einem Fremden. Der Mann war um die fünfzig, trug einen Anzug und wirkte etwas fremd in dem sonst ziemlich lockeren Etablissement. Mehr war von ihm in dem dunklen Restaurant nicht zu erkennen und doch kam er Florian bekannt vor. „Flo?“ Kai nahm Florians Hand. Der blickte ihn kurz erschrocken an und sah dann zur Tür hinüber. Der Fremde war weg. „Entschuldige, Kai.“ „Kanntest du den Mann?“ Florian zuckte mit den Schultern. Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Nein, ich denke nicht.“ Kai kam Florians Verhalten sonderbar vor, was ihn allerdings nicht sehr kümmerte. Florian reagierte auf diverse Sachen anders als jeder Mensch, den Kai kannte. Er hatte Geheimnisse, die er Kai wohl niemals freiwillig anvertrauen würde. Und gerade das fand Kai an seinem Freund so reizvoll. Er nahm Florians Hand hoch und hauchte ihm einen Kuss auf den Handrücken. „Lass uns nach Hause fahren. Wir haben schließlich vier Nächte nachzuholen.“ Verführerisch grinste er ihm zu. Florian lächelte und ließ sich von seinem Freund mitziehen.
Spät in der Nacht lag Florian wach in seinem Bett und starrte an die Decke. Er fand keine Ruhe. Immer wieder dachte er an den Fremden im Restaurant und sein Kopf formte dazu Bilder, die Florian erschreckten. Kai schlief ruhig neben ihm. Florian hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und stand auf. Er ging in die Küche, machte sich einen Tee und betrat dann leise das Wohnzimmer. Wieder dachte Florian an den Unbekannten vom Abend. Der hatte einem Menschen ähnlich gesehen, den Florian vor vielen Jahren kennen gelernt hatte und der den Journalisten mehr geprägt hat als jeder andere vor und nach ihm. Florian ging zu seinem Schreibtisch und schaltete seinen Computer an. Als dieser hochgefahren war, öffnete er einen versteckten und gut gesicherten Ordner. Einige Dokumente erschienen auf dem Bildschirm. Florian jedoch suchte etwas anderes. Schließlich fand er den Zeitungsartikel, den er sich einmal aus den Archiven des Tübinger Tageblattes heraus kopiert hatte. ‘JUGENDERZIEHUNGSHEIM IN TÜBINGEN GESCHLOSSEN.’ Er las den Teil aus dem Artikel, der ihm am Besten gefiel. ‘Aufgrund uralter baulicher Mängel musste die Besserungsanstalt für jugendliche Straftäter in Tübingen, nahe Stuttgart geschlossen werden. Sämtliche Angestellte wurden entlassen, da es in der näheren Umgebung keine Arbeitsstellen für die gibt. Florian trank seinen Tee aus. Lächelnd schaltete er den Computer ab und ging beruhigt in sein Bett.
Am nächsten Tag saßen Florian und Kai mit einigen Kollegen bei einer Vorbesprechung für die kommende Saison. Sie diskutierten über mögliche Veränderungen, die noch mehr Zuschauer vor die Bildschirme locken sollten. Es klopfte und die Tür wurde geöffnet. Gerhard Zeiler, der Geschäftsführer des Senders trat ein. „Entschuldigt bitte die Unterbrechung.“ Kai, als Leiter des Formel 1 - Teams stand auf und sah seinen Chef fragend an. „Was gibt es?“ „Ihr habt doch sicher von der möglichen Mitbeteiligung einiger großer Unternehmen an finanzschwachen Teams gehört, oder?“ „Klar. Wäre eine gute Sache, wenn das klappt.“ Kai konnte sich ein hintergründiges Lächeln nicht verbergen. Er wusste bereits, was jetzt kam, hatte den anderen die Überraschung allerdings nicht verderben wollen. „Das find ich auch, Kai. Ich habe hier jemanden mitgebracht. Er ist finanzieller Leiter der Union-Corporation, die ihren Hauptsitz zwar in Amerika hat, aber in Stuttgart eine gutgehende Filiale besitzt. Ich möchte, dass ihr ihn etwas besser kennen lernt. Ihr sollt ihn nämlich in einer Sendung mit vorstellen.“ „Das heißt, die Union übernimmt die Teilfinanzierung von Opel?“, fragte Jan Krebs erstaunt. Zeiler nickte und winkte den Mann zu sich, der bis dahin vor der Tür gewartet hatte. „Richtig. Das ist Wilhelm Berger.“ Kai gab dem Mann die Hand und deutete auf einen freien Platz. „Setzen Sie sich, Herr Berger.“ Zeiler nickte zufrieden und verschwand.
‘Berger’, hallte es in Florians Kopf wieder. Bilder seiner Jugend blitzten in seinem Kopf auf und verschwanden wieder. ‘Wilhelm Berger. Das ist nicht möglich. Er kann es nicht sein.’ Aus den Augenwinkeln sah Florian, wie der Mann ihm gegenüber Platz nahm. Seinen Blick hatte er starr nach unten gerichtet. Er hatte Angst, den Mann anzusehen. Kai stellte seine Kollegen vor, zuletzt Florian. „Und das ist mein Stellvertreter und unser Moderator Florian König.“ Jetzt hob Florian doch den Blick. Langsam glitt er an seinem Gegenüber empor. Er sah den Bauchansatz. Das Hemd spannte etwas. Darüber ein offenes schwarzes Jackett. Eine dunkle Krawatte. Schließlich blickte er dem Mann ins Gesicht. Der erwiderte den Blick. Das Erkennen der beiden Männer geschah zur gleichen Zeit. Florian wurde weiß wie eine Wand. Zitternd zuckte er zurück, als stünde der Tisch unter Strom. Stoßweise atmete er durch seine geöffneten Lippen ein und aus. Berger versteckte den Schock, doch auch sein Gesicht war eine Spur blasser geworden. Kai sah die Reaktion der beiden Männer. Er legte seine Hand auf Florians Unterarm. „Flo? Was ist denn los?“ Dann erinnerte er sich. „Na klar. Sie sind der Mann, den wir gestern im Restaurant gesehen haben.“ Er wand sein Gesicht Berger zu. „Kennen Sie Florian?“ Der Mann reagierte nicht auf Kais Frage und starrte weiterhin sein Gegenüber an. Florian antwortete dafür leise für ihn. „Ja, wir kennen uns“, presste er hervor. Aus seiner anfänglichen Angst wurde blanker Hass. Der tiefe Wunsch nach Rache stieg in ihm hoch. „Ich kenne dieses Schwein genauer, als ich es je gewollt habe.“ Florian hatte sich auf den Tisch gestützt und stand jetzt. Berger erhob sich ebenfalls. „Ich sollte wohl besser gehen.“ Kai reagierte jedoch sofort, hielt den Mann fest, der aufgestanden war und Richtung Tür ging und drückte ihn unsanft in seinen Sessel zurück. „Sie bleiben. Ich will jetzt wissen, was hier los ist. Wer ist das, Flo?“ „Er war der Wärter im Erziehungsheim für jugendliche Straftäter in Tübingen. Ich war dort für acht Monate, weil meine Freunde und ich einen dummen Streich ausgeheckt hatten, für den wir bitter bezahlen sollten. Dieses Schwein und seine Kollegen haben uns das Leben dort zur Hölle gemacht.“ Ärgerlich sah Berger Florian an. „Ihr vier wart nichts weiter als kleine Schlappschwänze mit Flausen im Kopf. Ihr brauchtet Regeln. Ich habe aus euch harte Männer gemacht. Ohne mich wärst du jetzt nicht da, wo du bist.“ „Ach ja? Dann habe ich Sie wohl verkannt und muss Ihnen noch danken“, schrie Florian den Mann an. „Das ist mir irgendwie entgangen. Ich hatte den Eindruck, es hat Ihnen Spaß gemacht, uns zu verprügeln, zu foltern und zu vergewaltigen.“ Das letzte Wort war wie ein Kanonenschuss. Danach war Ruhe. Vollkommene Ruhe. Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können. Alle blickten Florian erstaunt und geschockt an. „Oh mein Gott“, flüsterte Kai. „Deshalb also...“ Florian sah ihn an. Tränen rannen über sein Gesicht. „Ja, deshalb schlafe ich immer mit Licht. Seit dieser Zeit kann ich nicht mehr in dunklen Räumen einschlafen. Ich habe Angst vor den Schatten in solchen Räumen und vor dem, was sie mir antun können.“ Schluchzend sackte er zusammen und ließ sich in seinen Sessel fallen. Kai trat zu ihm und zog ihn in seine Arme. Zärtlich strich er ihm über den Kopf und redete auf ihn ein. Er legte den Arm um seine Hüfte und führte ihn in ein kleines Nebenzimmer. Bevor er die Tür schloss, bat er seine Kollegen: „Haltet den Typen fest. Ich muss mit Florian etwas sehr Wichtiges besprechen.“ Felix Görner nickte leicht und baute sich vor Berger auf. „Nur zu gern“, brummte er böse.
Kai braucht einige Minuten, bevor Florian überhaupt in der Lage war, zu reden. „Es tut mir Leid, Kai, dass du alles so erfährst“, schluchzte er. „Das ist doch völlig egal.“ Zärtlich strich er ihm über die Wange. „Du scheinst die Hölle durchlebt zu haben. Dass du das nicht nebenbei beim Abendessen erzählst, ist verständlich.“ „Ich wollte es... vergessen. Aber es geht nicht. Immer wieder sehe ich die Bilder meiner Freund, hilflos unseren Peinigern ausgeliefert. Ich höre nachts immer noch ihre Schmerzensschreie und meine eigenen, wenn mal wieder eine der Wachen betrunken über uns hergefallen ist. Ich spüre immer noch diese unglaublichen Schmerzen.“ Kai spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er umarmte Florian und drückte ihn fest an sich. „Es tut mir so leid, was du erlebt hast, Flo. So unendlich leid.“ Auch ihm liefen jetzt Tränen übers Gesicht. Nach einer Weile fragte er. „Wieso hast du niemandem draußen erzählt, was in dem Gefängnis abging, nachdem du entlassen worden bist?“ „Meine Freunde und ich hatten einen Pakt im Gefängnis geschlossen. Wir wollten niemals wieder darüber reden. Wir wollten vergessen.“ „Was ist aus deinen Freunden geworden?“ „Jan starb im Gefängnis. Die Wärter schlugen ihn so oft zusammen, ihn hätte nicht einmal seine eigene Mutter erkannt. Und das bloß, weil wir ein Fußballspiel gegen sie gewonnen hatten. Niki und Danny sind total auf die schief Bahn geraten. Niki starb mit 28 an einer Flasche Selbstgebranntem. Danny wurde mit fünf Kugeln aus nächster Nähe erschossen. Die beiden hatte eine Gang in Stuttgart geleitet und waren Hauptverdächtige in über acht ungeklärten Mordfällen.“ „Flo, du musst diesen Mann anzeigen.“ „Nein“, sagte Florian. Heftig schüttelte er mit dem Kopf. „Nein, Kai. Das kann ich nicht. Ich will nicht. Er soll einfach verschwinden.“ Kai nahm Florians Hände in seine eigenen. „Ihr wart damals Kinder. Hilflos, allein. Ihr konntet euch nicht wehren. Aber jetzt kannst du es, Flo. Solche Straftaten verjähren doch nicht. Da draußen sitzt dein Peiniger. Ich habe diesen Wunsch nach Rache in deinem Gesicht gesehen. Wenn du in dem Moment eine Waffe in der Hand gehabt hättest, hättest du doch abgedrückt, oder irre ich mich?“ Florian schüttelte leicht mit dem Kopf. „Er ist es nicht wert, dass du dafür alles hinschmeißt. Aber rächen kannst du dich an ihm. Auf ganz legalem Weg. Decke auf, was in diesem Heim geschehen ist. Zwinge die Behörden, die Täter von damals zu jagen und zu verurteilen.“ „Aber...“ „Lass ihn nicht als freien Mann hier rausgehen, Flo. Du würdest es für immer bereuen.“ Florian schluckte. „Ich müsste vor Gericht alles erzählen. Alles, Kai. Jedes widerliche, schmerzhafte Detail. Und ich habe nicht einen einzigen Beweis. Das schaffe ich nicht.“ „Ich bin doch bei dir, Flo.“ Kai hockte sich vor ihn hin und blickte ihm von unten in die Augen. „Ich werde die Staatsanwaltschaft unterstützen. Wir werden Beweise finden, die deine Aussage unterstützen.“ Florian dachte lange nach. Doch er kam nur zu einem einzigen Ergebnis. Kai hatte Recht. Er hatte die Hölle, die er durchlebt hatte, vergessen wollen, aber das war ihm unmöglich. Zuviel war geschehen. Vielleicht konnte er sich von den Geistern seiner Vergangenheit befreien, wenn er Kais Rat befolgte. Er würde es zumindest versuchen. Für Danny, Jan und Niki. Florian zog langsam sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Polizei. Kai sah seinen Freund stolz an. Dieser Blick gab Florian neue Kraft. Vielleicht würde doch noch alles gut werden. Nachdem die beiden Männer die Polizei verständigt hatten, gingen sie nach draußen zu den anderen. Berger versuchte, die Mitarbeiter von Kais Team zu überzeugen, ihn laufen zu lassen, doch die blickten ihn nur verachtend an. Sie glaubten Florian jedes Wort. Warum sollte er lügen. Und für einen Mann, der ihm ausgelieferte Kinder folterte und missbrauchte hatten sie nichts übrig. Einige wünschten sich insgeheim, dass Berger ihnen einen Grund gab, ihm mit Gewalt zu zeigen, was sie von ihm hielten. „Sie können gleich gehen, Herr Berger. Sobald die Polizei hier ist.“ Berger sah Kai erstaunt an. Florian trat neben Kai und blickte seinem Peiniger direkt ins Gesicht. „Ich werde Anzeige gegen Sie erstatten, Berger. Ich werde Ihr Leben zerstören, so wie Sie es mit meiner Kindheit getan haben.“ Berger wurde etwas nervös, doch dann sah er die Angst in Florians Augen und grinste plötzlich wieder siegessicher. „Du musst vor Gericht aussagen. Das schaffst du nie, Florian. Du hattest früher schon keine Kraft. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie du mich und die anderen immer angefleht hast. Gewinselt hast du, wie ein Hund wenn wir dich und deine Freunde etwas härter... angefasst haben.“ Mit vor Zorn geballten Fäusten wollte Florian auf den Mann zu gehen, doch Kai hielt ihn fest. An Berger gewandt sagte er: „Sie sollten nicht mehr so viel ohne Ihren Anwalt sagen, Herr Berger. Es gibt hier nämlich eine Menge Zeugen. Und noch etwas. Florian war ein Kind, als Sie ihn kennen gelernt haben. Ein Kind, genau wie seine Freund. Jetzt ist er erwachsen. Er ist stark geworden, vor allem in der letzten halben Stunde. Und er hat viele neue Freunde gefunden. Sie werden leiden, Berger. Sie werden mehr leiden, als jedes Kind, welches Sie mit Ihren dreckigen Fingern angefasst haben. Das schwöre ich Ihnen.“ „Nichts als Wort. Hinter mir steht eine große Firma.“ Kai lachte auf. „Niemand steht hinter Ihnen. Die Union-Cooperation ist Teil der Transatlantic Trade Company, wie Sie sicher wissen. Und der Chef dieses riesigen Unternehmens bin ich.“ Erstaunt sahen alle in dem Zimmer Kai an. Der grinste Berger schadenfroh ins Gesicht. „Sie sind gefeuert, fristlos.“ Berger sah Kai völlig schockiert an. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er Angst. Wenn irgendein Richter hier in Deutschland Florians Aussagen Glauben schenken würde, würde er das Gefängnis nie wieder verlassen. Und wenn die Insassen heraus bekamen, was er getan hatte... Seine Gedanken wurden von der hereinstürmenden Polizei unterbrochen. Fragend blickten sie die Journalisten an. „Meine Herren“, sagte Kai. Die Beamten sahen ihn an. „Dieser Mann dort ist Wilhelm Berger. Verhaften Sie ihn bitte. Ich setzte mich noch heute mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung, damit alles seinen ordnungsgemäßen Gang hat.“ „Was hat er getan?“ „Körperverletzung, Vergewaltigung, Mord. Reicht das erst einmal?“ „Oh ja.“ Zwei Polizisten nahmen Berger in die Mitte und führten ihn nach draußen. Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um. Sein Blick traf den von Florian. Und dieses Mal verlor er das Duell. Florian ließ sich mit einem Seufzen auf seinen Platz fallen. Kai saß ebenfalls und grübelte. Dann schrieb er etwas auf. Neugierig sah Florian zu ihm hinüber. „Was ist das?“, fragte er und tippte auf das Blatt. „Ein Artikel für Peter für die Nachrichten.“ Florian schluckte. „Du meinst, es ist nötig, den ganzen Prozess an die Öffentlichkeit zu zerren.“ Kai nahm Florians Hand. „Unbedingt. Ich bin schockiert, dass es hier in Deutschland überhaupt möglich ist, dass in einem Jugendgefängnis solche Ungeheuerlichkeiten passieren wie sie dir passiert sind. Wir müssen es der Bevölkerung mitteilen. Stell dir vor, dass vielleicht in diesem Moment irgendwo etwas Ähnliches geschieht, wie du es durchlitten hast.“ „Das will ich nicht“, sagte Florian. Dann nickte er leicht. „Du wirst also versuchen, die Rechte für die Prozessübertragung zu kriegen. Für unseren Sender.“ „Normalerweise sind solche Prozess geheim und keine Journalisten sind gestattet. Nicht einmal als Zuhörer. Aber in diesem Fall hat die breite Öffentlichkeit ein Recht und eine Pflicht, sich anzuhören, was passiert ist.“ „Wirst du mich begleiten?“ „Florian, ich schwöre dir, du wirst diesem Mann niemals wieder allein gegenüber stehen.“ Erleichterung erschien auf Florians Gesicht. Er lehnte sich gegen Kai und genoss die Sicherheit, die sein Freund ausstrahlte. Kai jedoch hatte Angst. Angst zu erfahren, was der Mann, den er so sehr liebte, alles erlebt hatte. Denn Kai sah an Florians Benehmen und hörte an seinen Worten, dass er nicht einmal die Spitze des Eisberges kannte. Er hatte Angst davor, es nicht zu ertragen und Florian nicht die Hilfe zu sein, die der so dringend brauchte.
Am Nachmittag saß Kai Bernd Sänger gegenüber. Der Mann war ein bekannter Staatsanwalt und hörte jetzt Kais Schilderungen zu. Als der fertig war, sagte Sänger leise: „Wenn da auch nur ein Beweis zu finden ist, gibt das einen Riesenskandal. Ist Florian König vertrauenswürdig?“ „Auf jeden Fall. Er hat nichts davon, so eine Geschichte zu erfinden.“ „Wir werden die Privatwohnung und die Geschäftsräume der Firma durchsuchen, in der der Mann seit seiner Entlassung aus dem Polizeidienst gearbeitet hat.“ Sänger grübelte. „Bei der letzten Firma könnte das schwer werden. Die von Ihnen erwähnte Company sitzt in...“ „Das ist kein Problem, Herr Staatsanwalt. Die Firma gehörte meinem Vater und jetzt mir. Sie können mit der vollen Kooperationsbereitschaft aller Angestellten rechnen, dafür sorge ich.“ „Das ist ja hervorragend. Dann sorgen Sie dafür, dass niemand an seinen Computer geht, Herr Ebel.“ „Habe ich schon. Sein Büro ist versiegelt und wird rund um die Uhr bewacht. Niemand außer mir hat Zutritt. Ich hätte noch eine Bitte. Dürfte ich Sie bei Ihren Ermittlungen begleiten?“ Sänger zögerte eine Weile. „Okay. Weil Sie uns geholfen haben, auf diesen Fall aufmerksam zu werden.“ „Und wann kann der Prozess starten?“ „Moment, nicht so schnell. Ich will erst einmal mit Herrn Berger und Herrn König reden und mir selber ein Bild machen. Danach entscheide ich mich.“ „Ich habe hier ein Video von unserer heutigen Konferenz. Vielleicht hilft das.“ Kai überreichte dem Anwalt das Band und der schob es in ein Abspielgerät. Er sah sich das Gespräch zwischen Florian und Berger an. Er hörte den Hohn in der Stimme des ehemaligen Polizisten, sowie das Zittern in der von Florian. Nach einigen Sekunden stellte er es ab. „Ich werde mit dem zuständigen Richter reden. Der Prozess wird so früh wie möglich starten. Ich schätze, in ungefähr zwei Wochen.“ „Bis dahin ist viel zu tun.“ „Sehr viel. Die Aussage ihres Kollegen reicht nämlich nicht für eine Verurteilung. Wenn Berger kein Geständnis ablegt, ist ihm nichts nachzuweisen. Dann steht sein Wort gegen das von Herrn König. Und Berger weiß das, als ehemaliger Polizist.“ „Ich weiß“, murmelte Kai. „Ich werde Ihnen helfen, wo ich kann.“ Bernd Sänger stand auf und reichte Kai die Hand. „Ich wünschte, dies wäre alles nur ein böser Traum. Dieser Fall ist unglaublich brutal.“ Kai nickte. „Ja. Vor allem für die Opfer.“ Am Abend saß Chefmoderator Peter Kloeppel in seinem Studio und las noch einmal die Nachrichtenbeiträge. Es war halb sieben und in 15 Minuten fing seine Nachrichtensendung an. Ulrike von der Groeben betrat das Studio und nahm ihren Platz neben Peter ein. Sie begrüßte den Mann kurz und widmete sich dann ihren Sportmeldungen. Plötzlich kam Kai angelaufen. Er reichte Peter einen Zettel. „Bitte lies diese Meldung als Erste vor. Und nein, unser Chef weiß noch nichts davon. Aber es bringt Zuschauer, also wird er nichts dagegen haben.“ Peter und Ulrike sahen Kai verwirrt an. Peter nahm den Zettel und überflog ihn. Er wurde blass. „Kai, sag mir, dass das ein verdammt schlechter Scherz ist.“ „Ich glaube, Florian kann nicht darüber lachen.“ „Flo? Was hat der damit zu tun?“ „Er ist der im Text erwähnte Kronzeuge.“ Schockiert blickte Peter Kai an. Es kam selten vor, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Dann nickte er ernst. „Ich lese die Meldung vor. Aber jetzt verschwinde bitte. Die Sendung fängt gleich an und ich muss mich erst noch etwas sammeln.“
„Liebe Zuschauer, es ist 18.45 Uhr und hier ist RTL Aktuell. Wir fangen heute mit einer ungeheuerlichen Meldung an, die ich vor wenigen Minuten von einem Kollegen bekommen habe.“ Peter nahm den Zettel und las vor, was Kai ihm aufgeschrieben hatte. „Heute gegen Mittag ist durch einen riesigen Zufall ein ungeheuerlicher Skandal in Deutschland aufgedeckt worden. In einem Jugendgefängnis in Tübingen, welches inzwischen seit geraumer Zeit geschlossen ist, hat es in den vergangenen Jahren stetige Übergriffe auf minderjährige Gefangene gegeben. Die dort inhaftierten jungen Männer waren hilflos einigen barbarischen Wärtern ausgeliefert, die sie zur Befriedigung ihrer eigenen brutalen und sexuellen Phantasien verprügelten, bestialisch folterten und vergewaltigten. Sogar ein Todesfall ist bekannt. Im Moment ist die Staatsanwaltschaft dabei, Spuren und Zeugen zu suchen. Ein Kronzeuge, ein Mitarbeiter unseres Senders, der als Jugendlicher in der Haftanstalt war und Opfer der Grausamkeiten wurde hat heute Anzeige erstattet, als er durch Zufall einem seiner Peiniger über den Weg gelaufen ist. Wir können im Moment aus ermittlungstaktischen Gründen nicht mehr sagen und bitten um Geduld. Wir werden Sie natürlich auf dem Laufenden halten und versuchen, für einen eventuellen Prozess Übertragungsrechte zu bekommen.“ Er atmete tief durch. „Wir kommen jetzt zu weiteren Nachrichten in der Kurzform.“
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Nicht nur in Deutschland schnappte man die Meldung von RTL sofort auf und verbreitete sie weiter sondern in ganz Europa und sogar in Amerika. In jeder Tageszeitung fand man am nächsten Tag die gleiche Schlagzeile. Und jeder rätselte, wer wohl dieser geheimnisvolle Kronzeuge war. Immerhin handelte es sich dabei um einen Mitarbeiter des größten deutschen Senders. Damit hatte die Meldung auch ohne Beweise eine gewissen Glaubhaftigkeit. Die Telefone im Sender liefen heiß und die Chefetage rotierte vor Ärger. Kai musste sich eine ganz schöne Standpauke von Zeiler anhören, bezüglich seines unerlaubten Handelns. Als er genug hatte, stand er auf und schrie Zeiler an. „Sie interessieren sich doch sowieso nur für Einschaltquoten. 18 Millionen Zuschauer bei den Mittagsnachrichten, was wollen Sie noch mehr. Mir geht es um einen Freund. Ein Freund, der so viel erlitten hat, dass ich sogar Angst davor habe Einzelheiten zu erfahren. Ein Freund, der endlich den Mut gefunden hat, sein Schweigen zu brechen. Und außerdem hat die Öffentlichkeit ein Recht, davon zu erfahren. Und wenn Sie mich deshalb rausschmeißen wollen, tun Sie das.“ Zeiler seufzte. „Bist du fertig?“ Kai sah ihn böse an. „Niemand will hier irgendwen rausschmeißen. Aber du kannst nicht einfach einen Artikel, den du geschrieben hast an die Nachrichtenredaktion weitergeben. Und das weißt du. Was soll’s. Es ist passiert. Also. Wer ist der Kronzeuge, gibt es eine Verhandlung... erzähl mir was.“ „Florian ist der Zeuge.“ Zeiler schluckte hart. Jetzt verstand er Kais Aufregung. „Und ich habe die Staatsanwaltschaft informiert. Es wurde ein offizieller Haftbefehl gegen Wilhelm Berger ausgestellt. Zur Zeit werden sein Haus und seine sämtlichen Arbeitsstellen durchsucht. Staatsanwalt Sänger hofft, den Prozess in zwei Wochen eröffnen zu können.“ „Gibt es irgendeinen Beweis für Florians Aussage?“ Kai senkte den Blick. „Nein, noch nicht“, gestand er. „Wir suchen im Moment noch nach den alten Akten, die bestätigen, dass er überhaupt in der Jugendanstalt war.“ „Na himmlisch. Nun gut. Ich kenne Florian seit acht Jahren. Wenn er sagt, es war so, dann glaube ich ihm.“ Er blickte Kai ernst an. „Du bist für die Koordination aller Sendungen, die mit diesem Fall zu tun haben verantwortlich, verstanden. Geht irgendetwas schief, bist du weg vom Fenster.“ Kai nickte. „Ich habe mit Sänger über Übertragungsrechte für den Prozess gesprochen.“ „Einverstanden. Wenn du es hinkriegst. Meine Unterstützung hast du.“ Kai stand auf und wollte gehen. „Kai. Wenn irgendetwas von dem, was Florian dir gesagt hat, gelogen war, kriegt ihr beiden riesige Probleme, klar.“ „Ja, Chef.“ Ärgerlich ging Kai weg. Er wusste nicht viel über Florians Vergangenheit, aber anlügen würde der ihn niemals.
In den Nachrichten der folgenden Tage berichtete Peter Kloeppel täglich über den ungefähren Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft. Florians Name tauchte nicht auf. Kai wollte seinen Freund vor den Journalisten schützen, so lange dies möglich war. Bereits nach einer Woche hatte die Staatsanwaltschaft alle Unterlagen über Florians Inhaftierung zusammen. Es war nicht allzu schwer gewesen, an die alten Daten ran zu kommen. Berger hingegen schaltete auf stur. In den Verhören sagte er gar nichts, oder stritt alles ab. So wartete ganz Deutschland auf den Prozessbeginn.
Florian hatte Angst. Er konnte nachts so gut wie gar nicht mehr schlafen. Immer wieder wachte er von Alpträumen geplagt auf. Zittern und nassgeschwitzt saß er in seinem Bett und weinte oft stundenlang. Er hatte sich nie mit seinen Gefühlen und Ängsten auseinandergesetzt. Jetzt forderte das seinen Tribut. Kai litt mit Florian. Er war überfordert, versuchte aber, cool zu bleiben. Er kümmerte sich um Florian, half der Staatsanwaltschaft, so gut er konnte. Außerdem schrieb er weiterhin die Artikel für die Nachrichtensendungen und koordinierte alle Abläufe, die im Sender mit dem Vorfall zu tun hatten.
Staatsanwalt Sänger verbrachte die Tage und Nächte in seinem Büro oder bei der Polizei. Er half bei der Suche und Auswertung von belastendem Material. Im Moment saß er vor einem beschlagnahmten PC von Berger und stöberte in den Dateien herum. Es war zwei Uhr morgens und er war müde. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass er auf der richtigen Spur war. Aber er fand nichts. Wütend schlug er auf den Tisch, als die Tür geöffnet wurden. Ein junger Polizist trat ein. Er war Computerspezialist und sollt Sänger unterstützen. „Suchen Sie weiter, Winter. Ich habe alle Akten gelöscht, die für uns wertlos sind. Ich weiß einfach nicht mehr weiter.“ Dirk Winter nickte leicht und setzte sich. Eine Weile hackte er auf der Tastatur herum. Dann stutzte er plötzlich. „Mir fehlen zwei Gigabyte.“ „Wie?“, fragte Sänger. „Sehen Sie doch, die Grafik. Sechs Gigabyte hat der Computer, zwei sind frei, zwei belegt. Das macht vier. Also fehlen zwei Gigabyte.“ „Und wo sind sie?“ „In Computerfestplatten kann man Falten einbauen. Kleine Taschen, in denen man leicht große Programme verschwinden lassen kann.“ Sänger wurde stutzig. „Falten, heh? Dann bügeln sie mal.“ Winter grinste und suchte nach den verlorenen Daten. Und er fand sie. „Da.“ Ein zweiseitige Liste mit verschiedenen Dokumenten tauchte auf. Winter öffnete wahllos ein Word-Dokument. Eine Weile lasen er und Sänger darin. „Das ist ein Tagebuch. Berger hat detailgetreu alles aufgeschrieben, was er den Kindern angetan hat.“ „Aber das Programm ist so geschützt, dass ich alles zerstöre, wenn ich auch nur ein Wort kopiere oder ausdrucke. Und schließen kann ich es auch nicht wieder. Dazu brauche ich den Code.“ „Verdammt“, fluchte Sänger. „Da haben wir die Beweise und können Sie nicht nutzen. Versuchen Sie alles, was Sie können. Auch wenn die Daten dadurch verloren gehen. Ich brauche sie in meiner Hand, sonst sind sie wertlos.“
So dann werd ich - als deine Treueste Leserin;) - das erste Kommi schreiben. Ich bin wieder mal hellauf begeistert von dieser Story!!!! Ich seh alles vor mir und leide sowohl mit Flo als auch mit Kai mit. Ich hoffe echt, sie können die Daten doch irgendwie verwenden...Der Kerl braucht seine gerechte Strafe!!!! *grummel*
Ich freu mich jetzt schon auf eine FS...Schreib sobald es Dir möglich ist weiter!!!
Ich bin doch froh, wenn jemand die Stories liest und sie auch noch gut findet. Hier der Rest für dich.
Der Prozess begann drei Wochen nach der ersten Meldung im Fernsehen. Und RTL hatte die exklusiven Übertragungsrechte. Kai war offizieller Beobachter und somit natürlich im Saal anwesend. Der Richter, ein streng dreinblickender Mann namens Erik von Dohnen, eröffnete ihn. „Sehr geehrte Anwesende. Ich eröffne hiermit den Prozess gegen Wilhelm Berger. Herr Berger, setzen Sie sich bitte hier nach vorn, damit ich Ihre Personalien aufnehmen kann.“ Wilhelm Berger stand von seinem Platz neben seinem Anwalt auf und ging zu einem Tisch auf einem Podest, der dem Richtertisch direkt gegenüber stand. Er setzte sich hin und sah den Richter an. „Ihr Name ist Wilhelm Berger. Sie wurden am 19.04.1942 in Dießbach, nahe Stuttgart geboren. Sie sind verheiratet, haben einen erwachsenen Sohn und leben derzeit in Stuttgart mit ihrer Frau.“ „Das ist richtig.“ „Was arbeiten Sie?“ „Ich war bis vor drei Wochen leitender finanzieller Verwalter in ein großen Firma. Im Moment bin ich arbeitslos.“ „Wie hoch war ihr Einkommen?“ „Circa 4000 Euro im Monat.“ Der Richter nickte und machte sich einen Vermerk. Dann wand er sich Bernd Sänger zu. „Herr Staatsanwalt, die Anklageschrift bitte.“ Sänger erhob sich und nahm einige Blätter aus einem dicken Aktenordner. „Wilhelm Berger war vom Januar 1965 bis zum April 1995 in Tübingen in der dortigen Jugendstrafanstalt für Jungs als Aufsichtsperson und später Leiter der Wachtruppen zuständig. Im August 1980 wurde der damals 13jährige Florian König zusammen mit dreien seiner Freunde zu einer achtmonatigen Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung in das Heim eingewiesen. Von Anfang an drangsalierte und terrorisierte der Angeklagte die vier Jungen. Er schlug die ihm unterstellten Jungen und folterte sie auf brutalste Art und Weise. Daran beteiligten sich auch fünf seiner Kollegen. Die Jungen waren anfangs gefesselt und ihren Peinigern damit hilflos ausgeliefert. Am 14. September 1980, dem 14. Geburtstag von Florian König kam es zum ersten Mal zu sexuellen Übergriffen auf den Jungen durch den Angeklagten. Von da an vergingen sich die Wärter oft mehrmals in einer Nacht an ihm und seinen Freunden. Wenn die Kinder versuchten, sich zu wehren, schlug man sie brutal zusammen oder folterte sie durch Schläge, Einzelhaft, Essensentzug oder brutal Sexpraktiken. Am 03. Juni 1981, nach einem Fußballspiel der Gefangenen gegen die Wärter, welches die Gefangenen mit 4:0 aufgrund der überragenden Leistung von Jan Wittig, einem Freund von Florian König, gewannen, schlug man ihn und die anderen so brutal zusammen, dass sie im Lazarett notbehandelt werden mussten. Nur Jan Wittig wurde nicht an die Ärzte herausgegeben. Er starb drei Tage später in einer Dunkelzelle an seinen schweren Verletzungen. Die offizielle Todesursache lautete Lungenentzündung. Wilhelm Berger wird deshalb wegen Körperverletzung in über 400 Fällen, schwer Körperverletzung in ebenfalls über 400 Fällen, sexueller Nötigung Schutzbefohlener in 250 Fällen, sexuellen Missbrauchs in 200 Fällen, sowie des gemeinschaftlichen Mordes an Jan Wittig angeklagt.“ Nicht nur die Menschen im Saal waren schockiert, sondern auch die Millionen vor den Fernsehbildschirmen. Aber vor allem Kai traf die Anklage wie ein Schlag. Bis jetzt hatte er es immer vermieden zu sehr über die Einzelheiten dieses ganzen Falles nachzudenken. Jetzt wurden sie ihm mit brutaler Deutlichkeit vor Augen geführt. Und plötzlich hatte er Angst um Florian, dass der es nicht schaffen würde, oder noch schlimmer, dass der Richter ihm nicht glauben könnte. Richter von Dohnen wand sich an Berger. „Herr Angeklagter. Wollen Sie etwas dazu sagen?“ „Ich habe nichts getan und bin deshalb unschuldig. Mehr werde ich dazu nicht sagen.“ „Das ist Ihr gutes Recht. Nehmen Sie neben Ihrem Anwalt Platz.“ „Wir treten dann in die Beweisaufnahme ein. Ich rufe Florian König in den Zeugenstand.“ Die Tür am Ende des Saales wurde geöffnete und Florian trat ein. Mit langsamen festen Schritten ging er nach vorn. Er blickte Kai kurz an, der ihm zunickte und ging dann zum Zeugenstuhl. Berger würdigte er nicht eines Blickes. „Kommen wir zuerst einmal zu Ihren Personalien. Ihr Name ist Florian König. Sie wurden am 14. 09. 1967 in Tübingen geboren, leben aber seit einigen Jahren hier in Köln.“ „Ja.“ „Ihr Beruf?“ „Ich bin ausgebildete Journalist und Moderator.“ „Herr König, Sie haben diesen Fall nach vielen Jahren ins Rollen gebracht und derzeit der einzigste Belastungszeuge. Gestatten Sie mir deshalb als erstes die Frage, warum erst jetzt?“ „Meine Freunde und ich haben uns in der Haftanstalt geschworen, nie wieder über das dort erlebte zu reden, wenn wir rauskommen würden. Ich habe erst jetzt viele Jahre nach ihrem Tod den Mut und die Kraft gefunden, mich meiner Vergangenheit zu stellen.“ Der Richter nickte verstehend. „Gut. Wie kam es zu Ihrer Inhaftierung?“ „Meine Freunde und ich lieferten uns seit unserer Kindheit einen Wettstreit im aushecken von Streichen. Eines Tages kam und die Idee, dem Würstchenverkäufer seinen stand zu klauen und damit zur U-Bahn zu rennen. Ich lenkte den Mann ab, indem ich ihm ein Würstchen klaute und davonlief. Er verfolgte mich, wie geplant. Meine Freund Danny, Niki und Jan schnappten sich den schweren, fahrbaren Stand und schoben ihn Richtung U-Bahn. Wieso wir uns ausgerechnet dort verabredet hatten, weiß ich bis heute nicht. Ich schaffte es recht schnell, den Verkäufer abzuhängen und rannte dann zu meinen Freunden. Wir standen mit dem Wagen oben an den Stufen zum U-Bahnhof. Jan schlug vor, den Stand über den Rand zu schieben und ihn so lange festzuhalten, bis der Verkäufer da war. Dann wollten wir ihn in dem Moment loslassen, wo der Mann danach griff. Und während er ihn hochzog, wollten wir uns verdrücken. Im Nachhinein finde ich es eine saublöde Idee, aber wir waren jung und so dumm. Der Wagen war zu schwer für uns. Als der Verkäufer kam, schoben wir ihn über die erste Stufe, konnten ihn jedoch nicht halten. Er rutschte uns aus den Händen und rollte die steile Treppe nach unten. Dort kam gerade ein Mann um die Ecke. Wir versuchten, ihn zu warnen, doch es war zu spät. Der Wagen prallte gegen ihn und drückte ihn gegen die Wand. Wir dachten er wäre tot.“ „War er aber nicht.“ „Nein. Gott sei Dank hat er überlebt. Er lag lange im Krankenhaus ist aber wieder vollständig genesen. Ich habe ihn Jahre später einmal besucht und ihn auch im Namen meiner Freunde um Verzeihung gebeten.“ „Hat er Ihnen vergeben?“, fragte Sänger. Florian nickte. „Ja. Er meinte, wir hätten genug gelitten. Er wusste nicht, wie Recht er damit hatte.“ „Sie wurden wegen dieser Tat zu einer achtmonatigen Haftstrafe in der Jugendstrafanstalt verurteilt.“ Von Dohnen sah Florian ernst an. „Finden Sie die Strafe zu hoch?“ „Nein. Sie war eher noch zu niedrig. Allerdings hat die Behandlung der Wärter alles verhundertfacht.“ Florian blickte auf seine Hände. „Herr König, ich kann mir annähernd vorstellen, dass es Ihnen schwer fällt, über die zurückliegenden Ereignisse zu berichten, aber das kann ich Ihnen nicht ersparen.“ Florian nickte. „Erzählen Sie mir von Ihrer Zeit in der Haftanstalt.“ „Am ersten Tag, als wir angekommen waren und unsere Einzelzellen bezogen hatten, stand Berger vor meiner Tür. Er blickte durch das Gitter zu mir hinein und befahl mir, mich nackt auszuziehen. Ich hatte Angst und tat, was er sagte.“ „Passierte noch mehr an dem Tag?“ „Nein, Herr Richter. An dem Tag nicht. Meine Freunde und ich hatten aber ständig Ärger mit Berger und fünf Männern aus seiner Mannschaft. Sie schlugen und bei jeder Kleinigkeit. Oft mit den Fäusten, meist mit ihren Gummiknüppeln. Sie zwangen uns, Essen vom Boden zu essen, sperrten uns oft tagelang in Einzelhaft in die Dunkelzelle oder verweigerten uns die Benutzung der Toilette. Wenn sich einer in die Hosen machte, wurde er zusammengeschlagen.“ „Hatten nur Sie und Ihre Freunde und den sechs Männern zu leiden?“, fragte Sänger. „Nein. Auch viele andere in dem Gefängnis. Nachts hörten wir oft Schreie. Mal aus den Zellen auf unserem Gang, oder in unserem Gebäude. Manchmal jedoch waren die Schreie gedämpft. Sie kamen aus dem Keller, wie wir später erfahren mussten.“ „Was war mit den anderen Wachen.“ „Sie bekamen nichts mit. Und wenn doch ignorierten sie es.“ „Alle?“ „Ja. Berger war ihr Chef und den anderen war ihre Arbeit wichtiger als die Gesundheit und das Leben von ein paar verkommenen Jugendlichen.“ „Erzählen Sie bitte weiter, Herr König.“ „Manchmal kamen die Wachen in unsere Zellen. Sie drückten Zigaretten auf unserer Haut aus, schlugen uns zusammen oder würgten uns bis wir ohnmächtig waren.“ Florian schluckte. „Am 14. September kamen Berger und vier seiner Männer in meine Zelle. Sie holten mich raus und brachten mich, zusammen mit meinen Freunden in den Keller. Dort gab es große Zellen. Auf dem Weg nach unten hielt uns Berger eine Moralpredigt, dass wir ungehorsam seien und jetzt einige wichtige Regeln kennen lernen würden.“ Florian zitterte. Er hatte seine Hände gefaltet und presste sie fest zusammen. Stockend sprach er weiter. „In einer der Zellen im Keller, schlugen sie uns zusammen. Dann zogen sie und aus und vergewaltigten und zum ersten Mal. Danach prügelten sie wieder auf uns ein. Sie tranken dabei. Und je betrunkener sie wurden, desto mehr taten sie uns weh.“ Florian schluchzte. „Ich werde diesen Tag nie vergessen. Es war mein 14. Geburtstag und das Ende meiner Kindheit.“ Schweigen herrschte im Saal. Kai blickte zu Florian vor, der weinend auf dem Tisch lag. Er hätte ihn jetzt so gern in die Arme genommen und getröstet. Nach einigen Minuten fragte der Richter Florian vorsichtig, ob sie die Verhandlung unterbrechen sollten. Der verneinte dies. „Gingen die Vergewaltigungen und die Folter nach diesem Tag weiter.“ „Ja“, sagte Florian schwach. „Von da an kam fast jede Nacht eine der Wachen. Meist hatten sie nicht viel Zeit und wollten nur schnellen Sex. Da konnte man geistig abschalten. Es tat weh, war aber schnell wieder vorbei. Schlimm waren nur die Nächte, in denen die Wachen Sonderschichten hatten. Dann hatten sie die ganze Nacht Zeit und brachten uns immer runter in den Keller.“ Florian sah den Richter an. „Können Sie sich vorstellen, wie hart das ist, in einer Zelle zu liegen und nebenan den besten Freund vor Schmerzen schreien zu hören. Dazu das widerliche Gestöhne von einem dieser Schweine.“ „Nein, das kann ich Gott sei Dank nicht.“ „Die Wärter wurden immer brutaler. Nicht nur mit den Schlägen, sondern auch beim Sex. Ihnen reichte ihre Befriedigung nicht mehr. Sie hatten erst genug, wenn wir vor Schmerzen ohnmächtig waren. Sie benutzten immer wieder ihre Schlagstöcke um...“ Florian liefen erneut Tränen übers Gesicht. „... um sich an unseren Schmerzensschreien zu ergötzen.“ Florian ließ den Kopf hängen. „Ich habe mir so oft gewünscht, zu sterben. Nur um diese Schmerzen und die Angst nicht mehr ertragen zu müssen. Aber noch mehr habe ich mir gewünscht, mal wieder eine Nacht durchschlafen zu können. Nur eine einzige Nacht nicht zitternd im Bett zu liegen und auf die Geräusche des Schlüssels und des Riegels zu warten. Nicht diese Angst vor dem zu spüren, was sie wieder mit mir anstellen würden.“ Florian schluchzte. Auch viele der Anwesenden hatten Tränen in den Augen. Sie glaubten Florian und litten mit ihm. Der Richter atmete tief durch. „Was geschah mit Ihrem Freund Jan Wittig.“ „Jan war in der Schule immer ein Spitzensportler gewesen. Vor allem im Fußball war er ein Meister. Wir mussten im Gefängnis jeden Samstag gegen die Wärter spielen und verlieren. Einmal hatten wir die Idee, zu gewinnen. Wir wollten denen damit zeigen, was es heißt, unterlegen zu sein. Wir wollten uns mal wieder gut fühlen. Also spielten wir normal. Wir spielten sie in Grund und Boden und gewannen haushoch. Nach dem Spiel hatten wir noch nicht einmal den Flur betreten, als sie über uns herfielen. Sie schlugen mit Eisenknüppeln auf uns ein, bis wir bewusstlos waren. Danach sperrten sie uns in die Dunkelzellen. Zwei Tage saßen wir drin, danach brachten sie uns ins Lazarett. Jan blieb in der Zelle. Danny erzählte mir später, dass man Jan immer wieder zusammengeknüppelt hatte, wenn er aufgewacht war. Er starb drei Tage nach dem Spiel. Danny hatten sie die Bein gebrochen. Niki die Arme und mir neun Rippen. Wir lebten noch, hatten aber durch unseren Ehrgeiz unseren Freund auf dem Gewissen.“ „Ich habe hier Ihre Entlassungspapiere, Herr König. Da steht: ‘Der Gefangene ist guter Gesundheit.’ Wieso lagen Sie dann nach Ihrer Entlassung vier Wochen im Krankenhaus?“ Florian schluckte. „Die Untersuchung wurde am vorletzten Tag gemacht. In der letzten Nacht kam sie wieder. Sie wollten sich von jedem einzeln verabschieden. Sie brachten mich runter in den Keller. Was in dieser Nacht dort geschehen ist, weiß ich nicht mehr genau. Ich kann und will mich nicht an Details erinnern. Nur so viel. Jeder von uns hat in dieser Nacht einen Teil seiner Seele in dieser Zelle im Keller gelassen.“ Der Richter nickte. Er wollte Florian nicht weiter quälen. Er sah Berger an, der die gesamten Ausführungen schweigend angehört hatte. „Wollen Sie dazu etwas sagen?“ „Es gibt nicht einen Beweis für diese Geschichten und ich kann mich an sowas nicht erinnern.“ „Berger hat ein Kreuz. Es hängt an einer Kette um seinen Hals. Es ist eine Spezialanfertigung. Die Jesusfigur hängt verkehrt herum und hat die Bein gespreizt.“ „Stimmt das, Herr Berger?“ „Ja, Herr Richter, aber das ist doch kein Beweis. Ich habe dieses Kreuz seit vielen Jahren. Er hat es im Gefängnis gesehen.“ Florian knöpfte die obersten Knöpfe seines Hemdes auf und zeigte dem Richter eine kreuzförmige Narbe. „Es hat das Kreuz heiß gemacht und es mir und meinen Freunden auf die Brust gedrückt. Und zwar in der Nacht, als er uns zum ersten Mal vergewaltigte.“ Der Staatsanwalt blickte Berger herausfordernd an. Der jedoch grinste überlegen. „Es war ein Unfall, in der Küche der Anstalt. Das Kreuz lag auf dem Herd, keine Ahnung, wie es dorthin gekommen ist. Florian ist gestolpert und draufgefallen.“ Der Staatsanwalt und auch der Richter schüttelten die Köpfe. Sie glaubten Florian. Seine Vernehmung dauerte insgesamt drei Tage, denn der Richter brauchte Details und Florian schaffte es nicht, alles hintereinander zu erzählen. Die Verhandlung musste oft unterbrochen werden. Am Nachmittag des dritten Verhandlungstages, nach der Mittagspause kam Staatsanwalt Sänger mit einem siegessicheren Gesicht in den Verhandlungssaal. Florian saß auf einem Stuhl vor den Zuhörern und wartet ab, was nun passieren würde. „Herr Richter“, sagte Sänger gleich zu Beginn. „Ich bitte darum, Dirk Winter zu hören. Er ist Polizeibeamter und einer meiner Helfer bei der Spurensuche. Er hat mich vorhin angerufen und gesagt, er hätte etwas gefunden, was wichtig sein könnte. Der Richter nickte und rief den Mann in den Zeugenstand. Er ließ sich die Personalien geben und fragte dann nach den neuen Beweisen. „Ich bin Computerspezialist bei der Polizei und Herr Sänger hat mich gebeten, ihm bei der Auswertung von den Computerdaten des Angeklagten zu helfen. Wir fanden auch Beweise, allerdings waren die so gesichert, dass sie, einmal geöffnet zerstört wurden, sobald man sie druckte, kopierte oder die Datei schloss. Aber es ist mir gelungen ein fünfzehnminütiges Video aus den Dateien rauszulösen. Es war sehr gut versteckt und ich hätte es fast übersehen.“ Triumphierend hielt er das Video hoch. „Was ist da drauf zu sehen?“ „Ich weiß es nicht. Ich hatte noch keine Zeit, es mir anzuschauen.“ „Also wissen Sie auch nicht, ob es mit dem Fall zu tun hat.“ „Nein, Herr Richter.“ Der Richter seufzte. „Bringen Sie es her.“ Winter übergab das Band und setzte sich wieder. Der Richter orderte ein Videoanlage und übergab das Band an einen Beamten. Der legte es ein und gab dem Richter die Fernbedienung. Der drückte auf den Wiedergabeknopf. Man sah einen langen Gang und dann Berger, der in die Kamera lächelte. Dann richtete er sie auf einen Jungen, der vor ihm herlief. „Nun geh nicht so steif. Sei doch etwas fröhlicher. Diese Party schmeißen wir schließlich nur für dich, weil du morgen nach Hause darfst.“ „Nein“, keuchte Florian und der Richter stoppte das Band. Florian stand vor seinem Stuhl und zitterte am ganzen Körper. Seine Augen waren weit aufgerissen und Tränen liefen über sein Gesicht. „Bitte nicht“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme. „Ist das die Nacht vor ihrer Entlassung?“ Florian nickte schwach. Dann sackten ihm die Beine weg. Kai hielt nichts mehr auf seinem Platz. Er rannte zu Florian und fing ihn auf, bevor der hinfiel. Er setzte sich auf den Stuhl und redete leise auf seinen Freund ein. Der kam langsam wieder zu sich. Er blickte Kai mit tränenverschleiertem Blick an. „Bitte nicht, Kai. Ich kann das nicht noch einmal erleben. Bitte.“ „Florian, es muss sein. Der Richter braucht deine Bestätigung, ob alles so war. Es ist der Beweis nach dem wir so lange gesucht haben. Du musst nur noch die 15 Minuten durchhalten, dann ist alles vorbei. Für immer.“ Langsam beruhigte Florian sich wieder. Der Richter sah die beiden Männer eine Weile an. „Normalerweise dulde ich keine Einmischung aus dem Publikum, Herr Ebel. Aber normalerweise behandele ich auch nicht solche Fälle. Also bleiben Sie dort sitzen.“ Dankbar sah Kai den Richter an. „Herr König, ich werde das Video jetzt wieder starten.“ Florian nickte angsterfüllt. Das Video ging weiter. Florian erreichte den Keller, von dem er immer gesprochen hatte. Die Zelle mit den Folterinstrumenten und Pritschen. Willenlos ging er hinein, obwohl man die Angst in jeder Faser seines Körpers sah. Die anderen Wachen warteten bereits. Sie jubelten und zogen den wehrlosen Jungen in die Zelle hinein. „Zieh dich aus“, befahl Berger. Florian tat es. Den Blick hatte er gesenkt. Die Kamera wurde abgestellt, so dass sie alles filmte. Berger kam ins Bild. Er nahm seinen Knüppel und schlug Florian damit brutal in den Magen. Mit einem Keuchen sackte der Zusammen. Dann schleppten sie den nackten Jungen und fesselten ihn an die Gitter. Zu viert schlugen und traten sie auf ihr wehrloses Opfer ein. Erst als Florian blutüberströmt das Bewusstsein verlor, ließen sie von ihm ab. Sie weckten ihn mit Schlägen ins Gesicht und kaltem Wasser auf. Berger zog seine Hosen runter, schnappte sich Florian und drückte seinen Oberkörper nach vorn auf die Pritsche. „Nein“, flüsterte Florian. Er blickte direkt in die Kamera. Blut lief über sein Gesicht und tropfte auf den Boden. „Bitte nicht“, flehte er seine Peiniger an. Berger lachte. „Doch“, stieß er brutal hervor und schob sein steifes Glied in den Jungen hinein. Voller Brutalität vergewaltigte er ihn. Danach vielen seine Freunde über ihn her. Florian weinte vor Schmerzen. Hin und wieder keuchte er schmerzerfüllt auf. Sein Kopf hin schlaff nach unten. Berger hatte noch nicht genug. Er nahm seinen Knüppel und strich Florian damit über den Rücken. Der zitterte voller Panik. Verzweifelt versuchte er, dem Schrecklichen zu entgehen, was jetzt kam. Er hatte nicht den Hauch einer Chance. Die vier Männer hielten ihn eisern fest, während Berger den Knüppel gegen Florians Po platzierte. Dann holte er aus und stieß mit aller Kraft zu. Obwohl die Männer ihn auf die Pritsche drückten, zuckte Florians Oberkörper nach oben. Mit vor Schmerzen aufgerissenen Augen sah er in die Kamera. Sein Mund war geöffnete und er schrie seine Schmerzen und seine Angst hinaus. Dann wurde er bewusstlos. Die Männer vergingen sich erneut an ihrem Opfer und schleiften ihn dann in seine Zelle. Berger blickte noch einmal in die Kamera und grinste: „Die Entlassung vergisst er nie.“ Die anderen lachten.
Im Saal war es totenstill. Bis auf Florians Schluchzen. Der weinte hemmungslos. Kai liefen ebenfalls Tränen übers Gesicht. Der Film hatte ihm genauso weh getan, wie Florian damals die Misshandlungen. Er schwor Rache. Richter von Dohnen schluckte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er sah seine beisitzenden Kollegen an und sagte dann leise: „Es tut mir unendlich leid, Herr König.“ Dann wand er sich an den Staatsanwalt. „Ihr Plädoyer bitte.“ Auch Sänger hatte Tränen in den Augen. Er schluckte hart und erhob sich. „Wie in der Verhandlung herauskam ist der Angeklagte in vollem Umfang schuldig. Und da es hier in Deutschland leider keine Todesstrafe gibt, fordere ich lebenslängliche Haft, eine Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, sowie eine Sicherungsverwahrung auf Lebenszeit.“ Er setzte sich. „Herr Verteidiger“, sagte der Richter. Angewidert sah der Mann seinen Mandanten an. „Ich schließe mich in vollem Umfang den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an.“ Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen. „Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.“ Damit gingen die Richter. Alle Augen richteten sich auf Florian. Der saß an Kai gelehnt da und weinte nach wie vor. Kai schaffte es nicht mehr, ihn zu beruhigen. Der Staatsanwalt ging zum Richtertisch und rief einen Arzt. Der kam auch sehr schnell. Er verabreichte Florian eine Beruhigungsspritze und verschwand wieder. Das Mittel wirkte. Florian wurde wieder ruhig. Aus glasigem Blick sah er Kai an. „Gewinnen wir?“, fragte er leise. Kai nickte. „So oder so, mein Schatz. Berger wird diesen Gerichtssaal entweder in Richtung Gefängnis verlassen oder in einem Sarg.“ Er schluckte schwer. „Florian, es tut mir so unendlich leid, dass ich dich gedrängt habe, diesen Mann anzuzeigen. Vielleicht wäre vergessen doch besser gewesen. Ich wollte nicht, dass du alles noch einmal durchmachst.“ „Es ist okay, Kai.“ Florian richtete sich auf und sah seine Freund an. „Ich weiß nicht wieso, aber ich habe mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.“ Er blickte Berger an. „Sie hatten Recht, Berger. Ich werde diesen Abschied nie vergessen. Aber Sie werden diesen Tag nie vergessen.“ Berger schluckte und wand den Blick ab. Florian sah Kai an und umarmte ihn. „Danke, dass du hier bist. Ohne dich hätte ich das nie geschafft.“ Kai legte die Arme um seinen Freund. „Ich liebe dich, Florian. Und ich werde versuchen ein bisschen von dem wieder gut zu machen, was man dir angetan hat.“ Er küsste ihn kurz. Das Gericht betrat den Saal. „Sie feiern schon? Warten Sie doch erst einmal das Urteil ab. Danach haben Sie einen echten Grund zu feiern.“ Er wand sich Berger zu. „Herr Berger. Im Namen des Volkes und mit dem größten Persönlichen Vergnügen verurteile ich sie zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.“ Alle setzten sich. „Zur Urteilsbegründung und -erklärung. Sie sind schuldig. Daran gibt es nichts zu rütteln. Und ich persönlich bin froh, dass es in Deutschland keine Todesstrafe gibt. Das wäre viel zu human für Sie. Sie sind der kälteste, perverseste und brutalste Mensch, den ich je kennen gelernt habe. Sie haben Spaß am Quälen anderer Menschen, genießen ihre Angst und ihr Flehen. Aber Sie werden lernen, wie es ist, selber Angst zu haben. Ich habe beschlossen, Sie in den Berliner Kegelknast überführen zu lassen. Da Sie ja große Zellen lieben, wird sie das freuen. Denn im Kegelknast ist die kleinste Zelle für acht Leute. Und dort sitzen eigentlich nur Schwerverbrecher, wie Mörder und so. Da passen Sie hervorragend rein. Und eins können Sie mir glauben, Herr Berger. Wir werden Acht geben, dass jeder Gefangene dort erfährt, was Sie getan haben. Wir werden weiterhin aufpassen, dass Sie nicht versuchen, Ihre Strafzeit selber zu verkürzen. Sie verstehen, was ich meine. Sie werden leiden, Berger. Viel mehr noch, als Florian und die anderen Kinder in ihrem Gefängnis. Denn die hatten den Vorteil zu wissen, dass es die Hölle auf Zeit war, im Jugendknast. Für Sie hingegen wird die Hölle erst mit Ihrem Tod enden. Und ich hoffe, Sie haben ein sehr langes Leben. Die Verhandlung ist geschlossen.“
Es war vorbei. Berger saß im Knast und litt. Seine Kumpane nahmen sich das Leben oder folgten ihrem damaligen Chef in die JVA. Florian machte eine Therapie und gewann so die Kontrolle über sein Leben zurück. Er und Kai heirateten im folgenden Jahr. Und sie versteckten ihre Liebe nun auch nicht mehr. Langsam kam Florian über die traumatischen Erlebnisse hinweg. Nur die Angst vor der Dunkelheit blieb. Egal, wie viel Florian vergaß und verarbeitete, er schlief sein ganzes Leben mit eingeschalteter Nachttischlampe.