Es war ein milder Abend in Indianapolis an der Rennstrecke. Die Sterne funkelten klar vom Himmel herab und der Vollmond schien. Doch hier, hinter dem Fahrerlager, sah man davon nicht viel. Zu viele Lampen brannten. Einige Fahrer, Teamchefs und Mechaniker saßen vor ihren Wohnwagen, unterhielten sich mit Freunden und genossen die Ruhe vor dem Wochenende. Niemand achtete auf die dunkel gekleidete Person, die vom Eingang in Richtung der Journalistenunterkünfte schlich. "Autsch", murmelte Kai und rieb sich die Schulter. Er hatte sich an einer Hausecke gestoßen, als er sich vor Michael Schumacher verstecken wollte. Der F1-Pilot war gerade auf dem Weg zu einer Besprechung mit Ross Brawn. Er hatte Kai zum Glück nicht bemerkt. Der lief geduckt weiter. Heute war Mittwoch, das heißt, dass noch lange nicht alle Fahrer und Teammitglieder an der Strecke waren. Und hier in Indianapolis war alles ziemlich weitläufig. Kai schaffte es also tatsächlich ungesehen zu den Unterkünften der Journalisten. Vor einer Tür blieb er stehen. Zögernd hob er die Hand und klopfte. Ein leises 'Herein' war zu hören. Er öffnete die Tür, schlüpfte hinein und schloss sie hinter sich ab. Schwer atmend lehnte er sich gegen das Holz und schloss die Augen. Er stand jetzt im Zimmer seines Kollegen und Freundes Florian König. Der stand gerade unter der Dusche. Natürlich wollte er sehen, wer ihn da jetzt störte, also schlang er ein Handtuch um seine Hüfte und verließ das Bad. Im Zimmer war es ziemlich düster. Doch er erkannte die Person, die dort an der Tür lehnte, sofort. "Kai", hauchte er ungläubig. Verschiedene Gefühle machten sich in ihm breit. Vor allem wallte Ärger in ihm hoch. Doch im selben Moment war er erleichtert, dass Kai wieder hier war. Nach dem letzten Rennen in Monza war er plötzlich für drei Wochen verschwunden, hatte weder eine Nachricht hinterlassen, noch sich gemeldet. Beim Klang von Florians Stimme hob Kai langsam den Kopf. Völlig erschöpft sah er ihn an. Tränen liefen über sein Gesicht. Florian ging langsam zu ihm hinüber und schlang die Arme um ihn. Kais Körper versteift sich kurz, als Florian ihn berührte, doch dann ließ er sich gegen seinen Freund fallen. Krampfhaft hielt er sich an ihm fest. Florian spürte das leichte Zittern, welches durch den Körper seines Freundes lief. Er hörte Kai leise schluchzen. Langsam sanken die beiden Männer auf die Knie. Sehr lange saßen sie so da. Nach einer halben Ewigkeit löste Florian sich von Kai und sah ihn an. Er entdeckte dabei etwas, was ihm überhaupt nicht gefiel. Er griff nach oben und schaltete das Licht ein. Kai kniff die Augen zusammen und blinzelte. Florian blickte ihn geschockt an und atmete tief durch. "Wo warst du und was hast du gemacht?", fragte er mit leiser Stimme. Kais Gesicht bot einen wirklich bedauernswerten Anblick. Es war vollkommen geschwollen. Sein linkes Auge war kaum noch als solches zu erkennen. Mit zitternden Fingern strich Florian über die Verletzungen seines Freundes. Kai stemmte sich langsam hoch und setzte sich auf das Bett. Florian setzte sich neben ihn. "Ich war in Afghanistan. Bush hatte mir dort eine Einheit übertragen." Traurig sah er Florian an. "Ich habe Mist gebaut, Flo." Kai war nicht nur F1-Reporter, sondern er hatte noch einen zweiten, weitaus wichtigeren Job. Er war Soldat der amerikanischen Streitkräfte. Florian wusste das seit einigen Jahren und er hasste Kais Job. Er hatte nicht vor, es Kai jemals zu sagen, doch irgendwie war er auf der anderen Seite auch ziemlich stolz auf ihn. Kai war verdammt erfolgreich. Er war ein hervorragender Stratege und bekleidete inzwischen den Rang eines Captains. "Was ist passiert?", fragte er besorgt. Sein Freund war schon öfter deprimiert und verletzt nach Hause gekommen, doch Florian hatte ihn noch nie so geknickt gesehen. "Ich war zu voreilig und bin blindlings in eine Falle getappt. Es war in einer Höhle in den Bergen im Süden. Plötzlich waren wir eingekesselt. Die Taliban schossen blind auf alles, was sich bewegte. Später haben sie uns verarztet, wenn sie meinten, wir hätten eine Chance, zu überleben." Kai sah auf den Boden. "Sie haben uns noch gebraucht." Seine Stimme klang bitter. Während Kai dies erzählt hatte, hatte er sich sein Hemd ausgezogen. Genau wie sein Gesicht war sein gesamter Oberkörper mit Narben, Hämatomen und Striemen übersät. "Ich hab zwei Kugeln abbekommen. In die Schulter und in den Bauch", fuhr er mit seinem Bericht fort. Dabei deutete er auf die Verletzungen, die die Geschosse hinterlassen hatten. Florian sah ihn geschockt an und strich sanft über Kais geschundenen Körper. "Mein Gott", hauchte er erschüttert. "Ich war lange bewusstlos und wachte einige Tage später in einer Zelle wieder auf. Man hatte es irgendwie geschafft, mich zu retten. Acht meiner Männer waren bei mir, der Rest war tot", fuhr Kai fort. "Hast du Bin Laden kennen gelernt?" "Oh ja." "Wow." "Das dachte ich anfangs auch. Der Mann ist ein Teufel in Menschengestalt, Flo. Er hat uns gefoltert, weil er alles rausbekommen wollte, wie man der westlichen Welt schaden könnte. Ihm war egal, welche Information er erhielt, ob militärisch oder zivil. Er wollte Hinweise, wie er mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele Menschen töten konnte." "Du hast nichts gesagt?" "Nein. Keiner von uns hat etwas gesagt." "Wo sind deine Soldaten?" Kai wand den Blick ab und schaute auf den Boden. Florian presste die Lippen zusammen und schluckte hart. Er hatte Kais Geste nur zu gut verstanden. Der griff in seine Tasche, die er neben dem Bett fallen gelassen hatte. Er zog eine Tube Salbe heraus, die ihm ein Militärarzt mitgegeben hatte. Er öffnete sie und wollte seine Wunden versorgen, doch Florian nahm die Salbe und lächelte Kai zu. "Ich mach das", sagte er. Sanft rieb er Kais Oberkörper ein. An dessen Handgelenken entdeckte er kleine Verbände. "Soll ich sie wechseln?" Kai nickte. "Hast du was hier?" "Sicher", sagte Florian und ging ins Bad. Er zog sich erst einmal einen Bademantel an, da er nach wie vor nur mit dem Handtuch um den Hüften herumlief. "Bring vier Binden mit." Florian nickte. Dann setzte er sich wieder auf das Bett und wickelte vorsichtig die alten Verbände an Kais Handgelenken ab. Er schaute die Wunden kurz an, dann rieb er sie vorsichtig ein. "Handfesseln?" "Ja. Stricke, die tief ins Fleisch geschnitten haben und das 15 lange Tage." Florian schüttelte ungläubig den Kopf. Er sah eine weitere Verletzung von Kai. Drei von Kais Fingern der linken Hand waren eingegipst . Er fragte ihn gar nicht erst, was passiert war, er ahnte es. Dann half er Kai aus dessen Hose und rieb auch dessen Beine mit der Salbe ein. Zuletzt wechselte er die Verbände an seinen Fußgelenken. Die Salbe legte er auf den Nachttisch. Zärtlich und gleichzeitig vorsichtig schmiegte er sich gegen seinen Freund. "Ich hätte dich fast verloren", sagte er leise. Er hauchte Kai einige Küsse auf den Hals. Der schlang die Arme um seinen Freund und zog ihn an sich heran. "Ja. Diesmal war es verdammt knapp." Er sah Florian an. Der schaute zu ihm hoch. Ihre Lippen fanden sich und verschmolzen zu einem tiefen, innigen Kuss. Kais Hände öffneten vorsichtig das Band, welches Florians Bademantel zusammenhielt. Er spürte die warme Haut seines Freundes und wusste plötzlich wieder, warum er diese ganze Tortur überlebt hatte. "Ich hab dich so vermisst", flüsterte Florian gegen den Mund seines Freundes. "Ich liebe dich, Kai." "Ich dich doch auch. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Ohne den Gedanken an dein vertrautes Gesicht hätte ich das nicht überstanden." Eine Träne lief über Florians Wange. Dieses Geständnis bewegte ihn zutiefst. Er schmiegte sich gegen Kai und schlief ein. Der zog mit vor Schmerzen verzerrtem Gesicht die Decke hoch und schlief dann ebenfalls ein.
Am nächsten Morgen erwachte Florian schon ziemlich früh. Er stand leise auf und ging duschen. Danach zog er sich einen Jogginganzug an und nahm Kais Tasche. Er wusste, dass Kai nichts dagegen hatte. Florian zog Kais Sachen aus der Tasche und weichte sie in einer Schüssel mit Wasser ein. Sie standen vor Dreck, waren voller Blut. Höchstwahrscheinlich Kais Blut. Florian schüttelte sich. Er brachte die Tasche zurück in das Zimmer und stellte sie auf den Tisch. Er war neugierig und schaute nach, was noch drin war. Er zog einen Revolver heraus. Es wunderte ihn ein wenig, dass Kai ihn durch den Zoll gekriegt hatte, doch andererseits besaß Kai ja eine Vollmacht für Waffen. Neben der Waffe fand Florian noch etwas anderes, was ihn wesentlich mehr interessierte. Ein altes, ziemlich schäbig aussehendes Buch. Er blätterte es auf. Ein Kuli klemmte an einer Seite. Florian erkannte Kais Schrift. Die Seiten waren dreckig und teilweise waren Blutflecken drauf. Florian setzte sich in einen Sessel. Er sah zu Kai hinüber, doch der schlief nach wie vor. Also blätterte er das Buch auf und fing an, es zu lesen.
Heute ist der... ich weiß es nicht... also nenne ich den Tag, Tag eins meiner Gefangenschaft bei den Taliban. Ich weiß nicht, ob ich oder einer der anderen es schaffen werden, das hier durchzustehen. Wenn nicht, wird man dieses Buch vielleicht eines Tages finden. Ich weiß gar nicht, warum ich das aufschreibe, aber ich habe das Gefühl, dass es mir hilft. Es war meine alleinige Schuld, dass wir hier reingeraten sind. Ich heiße Kai Ebel und bin der Captain der Einheit Alpha Fünf und habe die volle Verantwortung für den übereilten Angriff auf die Taliban. Es sah so leicht aus und die Sehnsucht nach Hause war so verdammt stark. Wir sind in eine Falle geraten und ich habe dabei 27 meiner Männer verloren. Außer mir haben acht Soldaten überlebt. Mehr oder weniger. Richard Donaldson, mein erster Offizier, Barry Corwin, Rokko Thomson, Thomas Livingston, Edward Chain, Liu Wu, Charles Bester und Samuel Rocks sind mit mir hier. Die Taliban haben uns abgeschossen und nachher diejenigen wieder zusammengeflickt, die eine Überlebenschance hatten. Ich liege mit den anderen in einer Zelle. Sie ist sehr klein. Es ist staubtrocken, stickig und dunkel. Mir geht es relativ gut. Anscheinend haben unsere Gegner ziemlich gute Ärzte. Ich hatte eine Kugel im Bauch und eine in der Schulter, trotzdem bin ich wieder in der Lage, das hier zu schreiben. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, dass ich noch am Leben bin. Wenn ich daran denke, was uns bevorsteht, habe ich eine Scheißangst. Mich wundert es, dass die Taliban es mir gestatten, dass ich alles aufschreibe. Aber sie werden sicher ihre Gründe dafür haben.
Kai stöhnte auf und regte sich. Er blinzelte Florian zu. Der stand auf und setzte sich neben ihn. "Morgen, Schatz. Wie fühlst du dich?" "Es geht", sagte Kai. Er grinste leicht und deutete auf das aufgeschlagene Buch, welches auf dem Tisch lag. "Du bist fast so neugierig wie ich." "Fast?", gab Florian zurück und schaute Kai fragend an. "Ich hätte es schon gestern Abend gefunden." Die Männer lachten. Dann versorgte Florian wieder Kais Wunden. "Heute ist Donnerstag. Eigentlich müsstest du übermorgen wieder vor der Kamera stehen, aber..." "Ich werde übermorgen auf jeden Fall wieder vor der Kamera stehen." "Bist du dir sicher?" "Ganz sicher." Es klopfte. Kai und Florian sahen sich erschrocken an. "Wer ist da?", fragte Florian. Seine Hand ruhte auf Kais nackter Brust. "Ich bin’s", kam die Stimme von Heinz-Harald. "Macht schon auf. Ich muss mal mit Kai reden." Die Männer atmeten erleichtert auf und Florian öffnete die Tür. Heinz grinste zuerst, als er sah, dass Kai wirklich bei Florian war. Sein Lächeln verschwand allerdings sofort wieder, als er Kais Wunden bemerkte. "Heiliges... Was hast du denn angestellt?" "Gegenfrage: Woher wusstest du, dass ich hier bin?" "Ich hab dich gestern Abend hier reinschleichen sehen. Ich habe auf dich gewartet und deshalb hatte ich die Quartiere der Presse immer im Auge. Was hast du angestellt?" Florian setzte sich zu Kai und nahm dessen Hand. "Taliban, die was von Kai wollte und Kai, der nichts verraten hat. Ganz einfach, ganz schmerzhaft." Heinz nickte. "Du warst also in Afghanistan. Sowas hatte ich mir fast gedacht." Kai nickte. Er sah Heinz dankbar an. "Danke fürs Mundhalten." Heinz nickte grinsend. "Ich bin doch kein Reporter." "Ha...", sagte Kai leicht gereizt, doch Florian küsste ihn einfach auf den Mund. "Sei still. Er will dich doch nur aufziehen", sagte Florian, als er sich von ihm löste. "Genau", sagte Heinz und grinste. Er wusste schon lange von dem Verhältnis der beiden zueinander und er freute sich wahnsinnig für seine Freunde. Er nahm das Buch, welches auf dem Tisch lag und blätterte einige Seiten durch. Er schüttelte sich. "Sei froh, dass du wieder hier bist." "Bin ich auch. Ich habe bereits meinen Abschied eingereicht. Ich verlasse die Armee." Florian sah seinen Freund erleichtert an. "Na endlich." Ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Dann lass ich euch mal wieder allein." Heinz stand auf. "Du siehst ziemlich fertig aus, Kai. Erhole dich noch etwas, du wirst sicher am Sonnabend deinem Job wieder nachgehen wollen." "Sicher will er." Florian lächelte ergeben. "Ist vielleicht auch besser so. Wir beide reden später." Heinz gab den beiden die Hand und verließ das Zimmer. Florian schloss die Tür hinter ihm ab und ging zu Kai zurück. Der gähnte ihn an und schloss zufrieden die Augen. Florian ging zum Tisch zurück, nahm das Buch und las weiter.
Heute ist der zweite Tag meiner Gefangenschaft. Jetzt ist Abend. Ich habe gerade ein stundenlanges Verhör mit dem Meister persönlich hinter mir. Es war Wahnsinn. Ich habe mich eigentlich nie für einen Menschen gehalten, den man als Weichei bezeichnen könnte, aber das war schon heftig. Zwei Soldaten haben mich aus unserer Zelle geholt, in einen separaten, abgetrennten Raum gebracht und dort zusammengeschlagen. Ich wurde bewusstlos und wachte durch die Schmerzensschreie meines ersten Offiziers wieder auf. Es war die Hölle. Ein Taliban rief Bin Laden, als er bemerkte, dass ich wach war. Man zog mich vom Boden hoch und fesselte mich auf einen Metallstuhl, der Armlehnen hatte. Dann kam der Meister. Er lächelt mich finster an, schlug mir ins Gesicht und fragte mich, was ich ihm erzählen könnte. Ich sagte, nichts, er schlug mich erneut. Ich wusste auch gar nicht genau, was er eigentlich hören wollte. Das bekam ich erst nach einigen Stunden raus. Der Meister versuchte, Mittel und Wege zu finden, mit denen er der westlichen Welt schaden konnte. Als ich das erkannt hatte, beschloss ich, überhaupt nichts mehr zu sagen. Ich bin Soldat und Bürger zweier westlicher Staaten. Mir fielen zig Möglichkeiten ein, den Menschen in Amerika, Deutschland und anderswo zu schaden. Mit dem Meister habe ich seit diesem Moment nicht mehr gesprochen. Und wer auch immer behauptet, er wäre am Ende, krank, schwach, der hat keine Ahnung. Der Meister war bei den Verhören immer dabei und hat auch selber oft Hand angelegt. Ich bekam dann auch ziemlich schnell mit, warum der Stuhl, auf dem ich saß, ein Metallstuhl war. Ein Generator war an ihn angeschlossen. Er sendete Stromstöße durch den Stuhl. Ich kam mir vor wie ein Grillhähnchen. Man schlug mich erneut zusammen, fesselte meine Hände und Füße und brachte mich zurück in unsere Zelle. Hier sprach ich kurz mit den anderen. Wir schlossen alle mit unserem Leben ab und schworen, dem Meister nichts zu verraten.
Florian legte das Buch weg. Er zitterte, wenn er daran dachte, was Kai alles durchgemacht hatte. Der lag auf dem Bett. Die Decke war fast auf den Boden gerutscht, da Kai sich hin und her wälzte. Florian sah, dass Kais Körper schweißnass war. Er murmelte etwas vor sich hin. Plötzlich stieß Kai einen leisen Schrei aus und saß im Bett. Erschrocken sah Florian ihn an. Kai hatte Tränen in den Augen. Erschöpft sank er in die Kissen und schluchzte leise. Florian ging zu ihm und zog ihn in seine Arme. Kai brauchte eine ganze Weile, um sich zu beruhigen. "War bloß ein Alptraum, Kai. Ganz ruhig", flüsterte er ihm zärtlich ins Ohr. "Pscht..." "Ich schätze, die Träume bleiben noch eine Weile", sagte Kai unter Tränen. Florian nickte. "Vielleicht solltest du mal mit einem Psychologen reden." Kai zuckte leicht mit den Schultern. Er deutete auf das Buch, welches aufgeschlagen auf dem Tisch lag. "Das ist mein Psychologe. Es hilft mir schon, dass ich es aufschreiben konnte." "Verstehe." Florian nickte. "Willst du erst mal was Essen?" "Gern." "Was? Pizza?" Kais Augen funkelten. Florian stand auf und ging zur Tür. "Ich besorge uns was." Kai schloss die Augen und nickte leicht. "Danke", murmelte er.
Als Florian mit dem Essen wieder im Zimmer war, stand Kai unter der Dusche. Florian stellte die Pizzen auf dem Tisch und ging ins Bad. Er sah die Silhouette von Kai hinter dem Duschvorhang. Nach kurzem Zögern, zog er sich aus und schlüpfte dann zu seinem Freund. Der erschrak etwas, doch dann lächelte er. Er legte die Arme um Florians Hüfte und zog diesen zu sich heran. Zärtlich küsste er ihn. Er spürte Florians Hände, die leicht über seine Brust strichen. Lächelnd sah er ihn an. "Das habe ich am Meisten vermisst." Florian küsste Kai. "Ich auch." Er spürte den stärker werdenden Druck gegen seinen Bauch. Er lächelte Kai frech an. Dann küsste er ihn erneut. Seine Hände glitten an dessen Körper hinab. Sanft legte er sie um Kais erregten Penis. Der stöhnte auf. Er sah Florian an und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Florian sank vor Kai auf die Knie und stimulierte seinen Freund mit dem Mund. Kai hatte die Augen geschlossen, seine Hände ruhten auf Florians Kopf. Es dauerte nicht sehr lange, dann kam Kai mit einem kurzen Aufschrei. Er lehnte sich gegen die Wand und sah zu, wie Florian ihn säuberte. "Danke, Flo", murmelte Kai. "Das habe ich echt gebraucht." Florian stand auf, küsste Kai kurz und sagte: "Ich weiß." Er stellte die Dusche aus, nahm ein Handtuch und trocknete seinen verletzten Freund vorsichtig ab. Dann half er ihm in einen Bademantel. Auch er zog einen an. Zusammen gingen sie in das andere Zimmer und schlüpften unter die Bettdecke. Florian schaltete den Fernseher an und Kai zog die Pizzen zu sich herüber. Zusammen aßen sie und schauten sich die Nachrichten an.
Mitten in der Nacht wachte Florian auf. Er spürte Kais Arm, der auf seiner Hüfte ruhte. Zärtlich schmiegte er sich gegen seinen Freund. Er konnte nicht schlafen. Ständig dachte er darüber nach, was alles hätte geschehen können. Er schauderte leicht. Florian schaltete er die Nachttischlampe ein. Kai regte sich kurz, wachte aber nicht auf. Florian griff nach dem 'Tagebuch' von Kai und las weiter, wo er beim letzten Mal aufgehört hatte.
Es ist weit nach Mitternacht und eigentlich sollte ich jetzt schlafen, aber ich kann nicht. Etwas stimmt mit Edward Chain nicht. Er hustet immerzu und spuckt Blut. Wir wissen nicht, wie wir ihm helfen können, da wir nicht wissen, was man mit ihm gemacht hat. Vielleicht kriege ich aus einer der Wachen etwas raus. Diese Hilflosigkeit meinen Männern gegenüber ist fast schlimmer, als die Folter.
Der Rest der Seite war leer. Erst auf der nächsten hatte Kai weiter geschrieben.
Eine der Wachen hat mir verraten, was mit Chain los ist. Der Meister hat ihn gezwungen, eine Art Senfgas einzuatmen. Er wird diese Nacht nicht überleben. Er hat mich angefleht, ihn zu töten. Aber ich kann es nicht... oder? Ich habe es mit den anderen besprochen und wir haben den gemeinsamen Entschluss gefasst, Chain zu erlösen. Ich habe ihm vor einer halben Stunde das Genick gebrochen. Ihn hätte niemand mehr retten können. Ich empfinde so etwas wie Neid auf Chain. Er hat es geschafft.
Florian schüttelte sich. Er sah zu seinem schlafenden Freund hinüber. Kai hatte mal wieder einen Alptraum. Doch er beruhigte sich sehr schnell wieder, nachdem Florian ihn geweckt hatte. Er wachte nicht einmal richtig auf, sondern schaute Florian nur kurz an. Der nahm das Buch und setzte sich wieder auf seinen Platz.
Der dritte Tag ist vorbei. Es war grausam. Der Meister hat mich viele Stunden gezwungen, zuzusehen, wie man meine Männer gefoltert hat. Ich habe mir mehr als einmal gewünscht, er würde es mit mir machen und sie gehen lassen, aber das liegt nicht mehr in meiner Macht. Ich bin wahnsinnig stolz auf alle und das habe ich ihnen heute Abend auch gesagt. Nicht einer von ihnen hat während der Folter ein Wort gesagt. Auch ich nicht. Der Meister hat mich, wie gewöhnlich, zusammenschlagen lassen. Man gewöhnt sich daran. Allerdings hat er es heute noch gesteigert. Er fesselte mich an zwei Haken, die in die Wand eingelassen waren, zerriss mein Hemd und ließ mich auspeitschen. Mein Rücken brennt wie Feuer, aber ich werde es überleben. Ich wundere mich, wie viel ein Mensch wegstecken kann. Meine Männer und ich wurden verlegt. Wir sind jetzt in einer Zelle, die weiter außerhalb des Bergsystems liegt. Und höher. Es ist erbärmlich kalt hier drin. Ich kann im Moment aber nichts anziehen, da die Verletzungen auf meinem Rücken sich sonst entzünden würden. Barry Corwin geht es extrem schlecht. Der Meister hat ihn mehrere Stunden mit Elektroschocks traktiert. Er scheint gesundheitliche Probleme zu haben. Ich habe mich eine Weile mit Rokko Thompson, meinem medizinischen Offizier unterhalten. Er meinte, es wäre das Herz. Ich hoffe, er schafft es. Der Meister verweigert uns übrigens das Essen, bis einer von uns etwas sagt. Schön, ich wollte sowieso eine Diät machen.
Florian lachte leicht. Kai würde seinen Humor wahrscheinlich nie verlieren. „Was ist so lustig?“, fragte Kai plötzlich. Florian ließ das Buch sinken. „Die Sache mit der Diät.“ Kai lächelte leicht. „Es war der dritte Tag. Chain war die Nacht vorher gestorben.“ „So ähnlich.“ „Ich musste es tun“, rechtfertigte sich Kai. „Der Mann hat bereits Teile seiner Lunge ausgehustet. Er wäre grausam gestorben.“ Florian beugte sich zu Kai hinüber und strich ihm sanft über den Kopf. „Ich weiß es doch, mein Liebster. Es ist nur schwer für mich, dass alles zu verstehen.“ Kai nickte. „Ich hätte mal eine Frage. Wieso nennst du Bin Laden Meister?“ „Wir haben ihn nach unserer Gefangennahme so getauft. Er war ein Meisterschüler des Teufels. Er hat sich immer wieder neue Methoden einfallen lassen, um uns zu quälen.“ Kai sah auf den Boden und schluckte schwer. Florian sah ihn eine Weile an. „Was ist los, Kai?“ „Nichts, ich...“ „Keine Ausreden, bitte. Du hast eben an etwas Spezielles gedacht. Kommt es noch in dem Buch?“ Kai schüttelte den Kopf. „Nein. Ich konnte es nicht aufschreiben.“ „Was hat er mit dir gemacht?“, fragte Florian mit einem leichten Drängen. „Du kannst mir vertrauen.“ „Ich weiß“, hauchte Kai. Er schluckte erneut. „Es war am neunten Tag. Er war am Verzweifeln, weil niemand etwas sagte. Er schrie mich an und schlug mich, doch ich schwieg. Es machte ihn immer wilder. Irgendwann schrie er nach dreien von seinen Helfern. Er wisperte mir ins Ohr, dass er vielleicht einen Weg wüsste, um meinen Stolz zu brechen. Seine Helfer schlugen mich nieder, schnitten mir die Sachen vom Körper und... und vergewaltigten mich.“ Kai schluchzte. Florian sah ihn geschockte an. Er zog ihn in seine Arme. „Es war so demütigend, Flo. Meine Männer mussten zusehen. Bin Ladens Männer feuerten meine Peiniger noch an. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so allein und hilflos gefühlt.“ Florian liefen Tränen über die Wangen. Er konnte nachvollziehen, was das für Kai bedeutete und warum er es nicht aufgeschrieben hatte. Kai brauchte sehr lange, um wieder ruhiger zu werden. Seine Augen waren gerötet und nass. Er schaffte es nicht, Florian in die Augen zu sehen. Der zwang ihn jedoch dazu, indem er ihm die Hände auf die Wangen legte und sein Gesicht ein wenig hochhob. „Du bist daran nicht schuld, Kai. Und ich weiß ganz genau, dass du das auch weisst, also rede dir bitte nichts ein. Bin Laden ist ein kaltblütiges Schwein und du bist trotz allem, was er mit dir gemacht hat, stärker als er. Du hast nämlich nichts gesagt.“ „Nein.“ „Na siehst du. Und deine Männer haben auch geschwiegen, weil du sie so hervorragend trainiert hast.“ Kai lächelte leicht und hauchte Florian einen Kuss auf die Lippen. „Danke. Ich habe dich so vermisst, Flo.“ „Ich dich doch auch.“ Er sah Kai prüfend an. „Was ist los?“ Kai zögerte eine Weile, bevor er mit der Sprache herausrückte. „Schlaf mit mir.“ Florian sah ihn erstaunt an. „Ich muss einfach wissen, dass Sex schön sein kann. So schön wie früher. Ich habe Angst, dass Bin Laden etwas zwischen uns zerstört haben könnte.“ Florian nickte verstehend. „Er hat nicht gewonnen, Kai. Er kann nichts zerstören, was so tief sitzt, wie unsere Gefühle füreinander.“ Er küsste Kai innig und fing an, ihm die Sachen auszuziehen.
„Wahnsinn“, sagte Kai atemlos. Nackt und verschwitzt lag er auf dem Bett. Florian lag neben ihm und atmete ebenfalls hastig. „Und“, brachte er keuchend hervor. „Hat der Kerl etwas zerstört?“ Kai nickte. „Meine Kondition.“ Er sah Florian an und grinste schief. „Warst du schon immer so fordernd oder werde ich alt?“ „Ich habe zwei Wochen auf dich verzichten müssen, mein Liebster.“ Florian rollte sich auf Kai. Der zuckte zusammen. „Und ich will es alles nachholen.“ Er küsste Kai auf den Mund. „Flo, bitte, nicht alles in einer Nacht. Ich muss mich erst mal erholen“, brachte er hervor. Doch sein Widerstand schmolz angesichts von Florians heißen Küssen schnell dahin.
Den Freitag genossen die beiden Männer im Bett. Florian besorgte nur zwei Mal etwas zu essen. Am Abend kam Heinz vorbei und brachte den beiden die neusten News aus der Branche. Natürlich stichelte er ein bisschen herum, da seine beiden Freunde völlig fertig waren. In der nachfolgenden Nacht wachte Florian auf. Er war zu neugierig, wie es in Kais Tagebuch weiterging, also schaltete er das Licht ein und las.
Heute ist der vierte Tag. Corwin ist letzte Nacht gestorben. Wahrscheinlich an Herzversagen, meint zumindest Rokko. Vor einigen Stunden hat man außerdem Liu Wu getötet. Er war nicht in der Zelle, als man uns rein brachte. Eine Stunde später kamen zwei Wachen, die Wu festhielten. Einer von ihnen zog ein Messer aus der Tasche und schnitt ihm damit die Kehle durch. Sie ließen ihn fallen und verschwanden. Mich hat der Meister heute komischerweise ziemlich geschont. Keine Ahnung, warum. Wahrscheinlich spürt er, dass ich mehr leide, wenn ich zusehen muss, was er mit den anderen anstellt.
Florian blätterte um.
Die Einträge werden kürzer werden, wenn es mir möglich ist, da ich beim Schreiben wahnsinnige Schmerzen habe. Meine Hände sind seit dem zweiten Tag mit rauen Stricken gefesselt, so dass ich sie nicht richtig bewegen kann. Die Stricke hatten sich bereits nach wenigen Stunden in die Haut geschnitten. Inzwischen sind meine Hand- und Fußgelenke so entzündet, dass es mit Worten kaum auszudrücken ist. Heute ist jedenfalls der fünfte Tag unserer Gefangenschaft. Wir haben auch wieder etwas zu essen und zu trinken bekommen. Eine echte Wohltat. Rokko meinte, dass wäre unbedingt nötig gewesen. Allerdings verweigert Thomas Livingston, mein Nachrichtenoffizier, jegliche Nahrung. Wenn er nicht bald etwas ist, wird er sterben. Aber ich werde ihn nicht zwingen. Der Meister hat mich heute vier Mal zusammenschlagen lassen. Während der Mittagszeit hat er mich nach draußen gebracht und gefesselt an einem südlichen Berghang liegen gelassen. Außer einem schweren Sonnenbrand im Gesicht und einem mittelschweren Sonnenstich habe ich mir anscheinend nichts geholt.
Tag sechs. Ich kann nicht viel schreiben, nur so viel. Der Meister hat mich wieder auspeitschen lassen und die offenen Wunden dann mit Schmutz abgerieben und bestrichen. Rokko meint, sie haben sich bereits jetzt sehr stark entzündet. Ich hoffe, ich schaffe es.
„Ich weiß auch nicht, woher ich plötzlich meinen Lebenswillen hatte.“ Kai saß neben Florian im Bett und las mit. Florian sah ihn erschrocken an, dann lächelte er. „Wahrscheinlich hat dieser Lebenswille dich gerettet.“ Er legte das Buch weg und küsste Kai sanft. „Ich bin so froh, dass du noch lebst.“ Der Reporter lächelte zufrieden. Er drehte sich auf den Bauch. Sein geschundener vernarbter Rücken kam zum Vorschein. Florian sah ihn entsetzt an. „Die Narben werden bleiben“, sagte Kai leise. „Man könnte sie vielleicht durch plastische Chirurgie minimieren, aber das will ich nicht.“ „Wäre vielleicht auch nicht so gut“, murmelte Florian und strich zärtlich darüber. Dann nahm er sich wieder das Buch vor. Er stutzte. „Tag sieben fehlt.“ „Lies einfach.“
Heute ist Tag acht. Gestern war ich nicht in der Lage zu schreiben. Ich hatte Fieber bekommen und war nicht ansprechbar. Ich hoffe, ich habe nichts ausgeplaudert, denn meine Männer sagten, der Meister hätte mich eine halbe Stunde verhört. Sein Gesicht ließ allerdings auf einen vergeblichen Versuch schließen. Livingston ist vergangene Nacht gestorben. Rokko meint, er wäre schlichtweg verdurstet. Ich könnte vor Wut heulen. Mein Freunde sterben wie die Fliegen und ich kann nichts dagegen tun. Ich mache mir schreckliche Vorwürfe, dass ich den Befehl zum Stürmen gegeben habe, obwohl ich mich bereits mehrmals mit Donaldson darüber unterhalten habe und er mir versicherte, dass er ebenso gehandelt hätte.
Auf der nächsten Seite stand mit zittrigen Buchstaben nur ein Satz. ‘Bin Laden ist ein Schwein.’ Florian schüttelte sich und sah seinen Freund mitfühlend an. Kai war inzwischen wieder eingeschlafen. Eine Träne glitzerte auf seiner Wange. Florian wischte sie vorsichtig weg, bevor er weiterlas.
Heute ist der zehnte Tag unserer Gefangenschaft und ich habe langsam die Hoffnung aufgegeben, dass wir gerettet werden können. Wie auch. Der Meister hatte sich heute mal wieder etwas besonders teuflisches einfallen lassen, um uns alle zu quälen. Er hat Charles Bester und Samuel Rocks gezwungen, mit Messern gegeneinander zu kämpfen. Vorher hatte er den beiden Männern eine Droge gegeben, die sie langsamer und schwächer machen sollte. Bester hat Rocks getötet, wurde aber selber sehr schwer verletzt. Rokko glaubt nicht, dass er es schaffen kann.
Tag elf. Wie grausam kann ein Mensch sein. Letzte Nacht ist Bester an seinen schweren Verletzungen gestorben. Ich bin jetzt allein mit Donaldson und Rokko. Allerdings wird Rokko nicht mehr sehr lange leben, hoffe ich zumindest. Der Meister hat ihm heute morgen bei vollem Bewusstsein die Hände abschlagen lassen. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass Rokko noch lebt. Er hat sehr hohes Fieber und ist aufgrund des starken Blutverlustes bewusstlos geworden. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Menschen so schreien hören. Mich hat es fast wahnsinnig gemacht. Rokko ist seit vielen Jahren einer meiner besten Freunde und engsten Vertrauten. Als der Meister ihm das angetan hat, bin ich ausgerastet. Ich habe ihn niedergeschlagen und dafür natürlich sofort die Strafe erhalten. Man hat mich mit schweren Knüppeln zusammengeschlagen, bis ich bewusstlos geworden bin. Dann hat man mich wieder aufgeweckt und von vorn angefangen. Ich bin kaum fähig zu sitzen und zu schreiben.
Florian liefen Tränen über die Wangen. Soviel Leid auf einmal konnte er kaum ertragen. Kai wachte vom leisen Schluchzen seines Freundes auf. Fragend blickte er in das Buch. Er nahm es ihm aus der Hand und legte die Arme um ihn. „Ganz ruhig, Flo“, murmelte er. „Wie hast du das ausgehalten, Kai? Ich verkrafte es ja kaum, das zu lesen.“ „Warum tust du es dann?“ „Ich muss einfach wissen, was mit dir passiert ist.“ Kai setzte sich im Bett auf. „Ich habe es ausgehalten, weil ich die Hoffnung aufgegeben hatte, so merkwürdig wie das klingt. Ab dem Moment, wo ich mich damit abgefunden hatte, dass ich dort sterben würde, konnte Bin Laden mir nichts mehr antun. Schlimm wurde es nur, wenn ich hin und wieder an dich gedacht habe. Dann kehrt der Lebenswille zurück und mit ihm die grausame Realität. Aber gleichzeitig auch mein unbedingter Wille zu überleben. Und ohne den säße ich jetzt nicht hier.“ Florian schlang vorsichtig die Arme um Kai und presste seinen Körper gegen den seines Freundes. Mit einem leichten Lächeln blickte Kai auf seine Uhr. „Himmel. Es ist bereits acht Uhr. Wir müssen aufstehen.“ Fragend sah er Florian an. „Hast du in den letzten Nächten überhaupt geschlafen?“ „Kaum“, antwortete der ehrlich. „Ich muss erst das Buch fertig lesen, dann kann ich wieder schlafen.“ Kai nickte verständnisvoll. Er konnte auch verstehen, dass Florian nicht einfach alles hintereinander lesen konnte. Er brauchte nach jeder Seite Zeit, um sich zu erholen. „Wir lesen den Rest heute Abend gemeinsam“, sagte Kai. „Es ist nicht mehr viel.“ Florian nickte zustimmend.
Der Tag verging nahezu normal. Kai ging seiner Arbeit nach und blühte dabei regelrecht auf. Seine Verwundungen, vor allem die sichtbaren im Gesicht und an seiner Hand, blieben natürlich den Rennfahrern und Teamchefs nicht verborgen, doch sie hielten sich vor der Kamera mit Kommentaren sehr zurück. War diese jedoch aus, löcherten sie den Reporter mit allerlei Fragen. Die Antworten blieb Kai jedoch meist schuldig. Er versprach, ihnen später alles zu erklären. Irgendwann einmal.
Am Abend saßen Kai und Florian in ihrem Bett und Kai las aus seinem ‘Tagebuch’ vor.
Heute ist der zwölfte Tag. Rokko lebt immer noch und ich halte das fast für die schlimmste Strafe. Er ist ein sehr gläubiger Mensch und deshalb kommt Selbstmord, auch wenn er durch mich oder Donaldson ausgeführt werden würde, für ihn nicht in Frage. Er leidet weiter. Mit mir und Donaldson hat man nicht viel angestellt. Man gibt uns Zeit, Rokko leiden zu sehen.
Tag dreizehn. Rokko ist tot. Er starb am frühen Morgen. Seine letzten Worte waren: ‘Endlich ist es vorbei’. Mich hat der Meister danach zu sich holen lassen. Die Wachen fesselten mich auf einen Stuhl und brachen mir hintereinander drei Finger der linken Hand. Erst als ich aufgrund der Schmerzen das Bewusstsein verloren hatte, brachte man mich in meine Zelle zurück. Am Abend kamen drei Soldaten, schossen Donaldson in den Fuß und gingen wieder. Richard hält sich sehr tapfer, obwohl er wahnsinnige Schmerzen hat. Die Verletzung wird ihn sicher nicht umbringen. Das hoffe ich zumindest, denn die Vorstellung, allein mit dem Meister und seinen Leuten zu sein, bereitet mir unsagbare Angst.
Kai stockte. Florian konnte sich denken, warum. Sanft strich er Kai über die Wange. Kai lächelte leicht und las stockend weiter.
Tag vierzehn. Als der Meister mich und Donaldson heute morgen aus unserer Zelle geholt hat, wusste ich, dass Donaldson sterben würde. Allerdings hatte ich nicht geahnt, auf welche Weise. Eine der Wachen drückte mir meinen Revolver in die Hand, den man mir bei unserer Festnahme abgenommen hatte. Drei andere richteten die Kalaschnikows auf mich. Der Meister sah mich böse an und lachte dann. Er trat Donaldson die Beine weg, so dass der auf dem Boden kniete und befahl mir, ihn zu erschießen. Ich war geschockt. Mir ging die Idee durch den Kopf, die Waffe auf den Meister zur richten, doch ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde. Donaldson sah mich an. Angst glänzte in seinen Augen. ‘Tun Sie es, Captain’, flüsterte er. ‘Und überleben Sie.’ Ich hob die Waffe, richtete sie auf die Stirn des Mannes, den ich während des Krieges gegen den Irak selber ausgebildet hatte und drückte ab.
Kai liefen Tränen übers Gesicht und er wischte sie weg.
Der Meister lachte und ließ mich in meine Zelle zurückbringen. Ich war jetzt allein und er versprach mir, sich gut um mich zu kümmern. Er sagte, ich würde meinen Freunden irgendwann folgen, aber noch nicht so bald, wie ich es mir wünsche.
Tag fünfzehn. Es war ein normaler Tag. Schläge, Elektroschocks, Schläge. Ich bin wie gelähmt, wegen meiner gestrigen Tat und... Irgendwas passiert hier. Ich höre Schüsse und Schreie. Wenn ich mich nicht irre, reden einige der Leute dort draußen Englisch. Sollten es wirklich...
Kai hob den Blick. „In diesem Moment brach ein amerikanischer Offizier die Tür auf. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich da gefühlt habe, Flo?“ „Ja.“ „Ich hab geweint und bin ihm um den Hals gefallen. Er beruhigte mich, nannte mich einen Helden und brachte mich mit einigen anderen nach draußen und dann in ein Krankenhaus.“ „Und zu mir“, sagte Florian leise. Er umarmte Kai und küsste ihn innig. Kai schlief bald ein. Florian nahm das Buch noch einmal und schlug die letzte beschriebene Seite auf. Wieder und wieder las er den Eintrag. Erst als jede Faser seines Körpers verstanden hatte, dass alles vorbei war, legte er es auf seinen Nachttisch und schlief glücklich ein.
Ohman, mir fehlen echt die Worte...Es läuft mir eiskalt den Rücken runter und die Tränen laufen mir runter. Ich leide dermaßen mit Kai und seinen Kollegen...Ich finde keine Worte, um zu beschreiben, was ich fühle...