Dies ist mein Geburtstagsgeschenk an dich, Gummy. Du bist ja eh die einzigste, die meine Formel 1 - Stories liest. Diese hier ist eine der längsten und wie ich finde, besten, die ich im Laufe der Jahre geschrieben habe. Lies sie, wenn du mal viel Zeit hast. Viel Spaß dabei
deine Kitty
Schicksalsschläge und andere Zufälle
„Hallo, Kai.“ Benny, der Wirt des Lokals, winkte dem neuen Gast zu, der soeben den Raum betreten hatte. „Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen.“ Kai Ebel nickte und ging zur Bar. Ein Bier wurde ihm gereicht und er nahm einen tiefen Zug. „Aaahhh... tat das gut.“ „Kommst du gerade von der Arbeit?“ „Ja.“ „Ihr Fernsehleute habt aber lange Schichten.“ Kai nickte zustimmend. Er arbeitete seit einigen Jahren hier in Köln bei RTL. Hauptsächlich war er für die Boxübertragungen zuständig, dafür hatte man ihn zumindest eingestellt. Neuerdings übertrug der Sender aber auch die Formel 1 - Rennen. Und man hatte Kai damit betraut, die ganze Sache ins Rollen zu bringen. Nun versuchte er, eine vernünftige Truppe zusammen zu stellen, um die Übertragungen für die Zuschauer attraktiver zu machen. Er war sich sicher, dass man aus diesem Bereich mehr herausholen könnte, also schob er regelmäßig Überstunden. Ein schwarzhaariger Mann ließ sich neben Kai auf den Hocker fallen. Er grinste ihn an. Dann wand er sich Benny zu und bestellte sich ein Bier. „Prost, Kai“, sagte er, als er das gewünschte Getränk erhalten hatte. Kai nickte und grinste freudlos. Er mochte diesen Typen nicht. „Wie sieht es aus?“, fragte er mit gesenkter Stimme. „Kommen wir ins Geschäft?“ „Ja. Ich nehme ihn dir ab.“ „Super, Kai. Du wirst es nicht bereuen.“ Der Mann trank aus und erhob sich. „Daniel“, rief Kai ihm nach. Er blieb stehen und drehte sich um. „Versuche nicht, mich übers Ohr zu hauen.“ Er drohte ihm leicht mit der Faust. „Nie“, versicherte der eilig. „Ich hänge an meiner Gesundheit.“ Kai war jetzt 26 Jahre alt. Bis vor einigen Jahren hatte er aktiv geboxt und sich in diesem Bereich einen Namen gemacht. Ihn zu betrügen, war riskant. „Was wollte dieser Schleimer von dir?“, fragte Benny neugierig. „Sei bloß vorsichtig bei dem.“ „Bin ich. Er hat mir angeboten, mir einen alten Mercedes-Sportwagen zu besorgen. Ziemlich günstig sogar.“ „Sportwagen?“ Der Wirt schüttelte den Kopf. „Seit du bei deinem Sender ein Mitspracherecht im Sportbereich hast, neigst du zu Höhenflügen.“ Kai lachte und ließ sich noch ein Bier geben. Er und Benny kannten sich inzwischen seit acht Jahren und sie waren Freunde geworden. Kai war nach seinem Abitur von Mönchengladbach nach Köln gezogen und hatte Sportwissenschaften studiert. Nach seinem Diplom hatte RTL ihn übernommen. Er liebte Köln. Die Stadt war größer und dadurch anonymer als seine Heimatstadt. Und Kai war das ganz recht so. Zu Hause hatte er sich immer verstecken müssen. Kais Eltern waren reich und gehörten zu den sogenannten ‘oberen Zehntausend’ und es passte ihnen nicht sonderlich, dass ihr ältester Sohn schwul war. Kai selber hatte es ziemlich früh gemerkt und auch kein Geheimnis daraus gemacht. Seine Eltern mussten es wohl oder übel akzeptieren. Zum Glück hatte er zu Hause immer noch Rückendeckung von seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Jörg bekommen. Die beiden verstanden sich ausgezeichnet und Jörg hatte sich später auch entschieden, die Firma ihres Vaters zu übernehmen, so dass sein Bruder verschwinden konnte, um seinen Traumberuf zu erlernen. Kai hatte sich ausbezahlen lassen und lebte von dem Geld sehr gut. Hier in Köln hatte Kai seine Ruhe. Er hatte in Benny´s Laden eine Stammkneipe gefunden, in der vor allem Homosexuelle verkehrten. Hier war er nichts Besonderes, sondern nur einer von vielen. Und er hatte hier inzwischen einige gute Freunde gefunden. Benny knabberte einige Nüsse, die auf dem Tresen standen. Eigentlich waren sie für die Gäste bestimmt. „Wie willst du was verkaufen, wenn du selber dein bester Kunde bist?“, fragte Kai grinsend. Benny lachte. „Ich komme schon über die Runden, Kai. Das kannst du mir glauben.“ Der nickte. Benny hatte Recht. Die Kneipe war ein Geheimtipp und lief sehr gut. Auch heute war es wieder richtig voll. Da es Freitag war, waren viele Leute da, die das Wochenende nicht allein verbringen wollten. Auch Kai ließ seinen Blick hin und wieder über die Anwesenden schweifen. Er war alles andere als ein Kostverächter und seine letzte Beziehung war schon etwas her. Allerdings waren heute hauptsächlich Männer da, die er schon kannte, oder die nicht sein Typ waren. Sein Blick fiel auf einen jungen Mann, der allein an einem Tisch in der hinteren Ecke des Ladens saß. Er hatte ein Glas Wasser vor sich stehen und starrte ernst und traurig auf die Tischplatte. Kai hatte ihn noch nie hier gesehen und wand sich an Benny. „Wer ist das?“, fragte er ihn. Der zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Er kommt seit einer Woche regelmäßig her, trinkt sein Wasser und geht wieder.“ „Weißt du sonst nichts über ihn?“, bohrte Kai weiter. „Er ist ein Ausländer. Hat so einen komischen Akzent. Vielleicht ein Russe oder so. Berti hat gesagt, er wäre ein Stricher. Er hat ihn schon ein paar Mal am Bahnhof gesehen.“ Kai nickte leicht. Er blickte wieder zu dem Unbekannten hinüber und betrachtete ihn genauer. Er war groß, über 1, 90m, hatte dunkelblonde, fast braune Haare und er sah sehr mager aus. „Ob der Drogen nimmt?“, fragte Benny leise. „Junkies will ich in meinem Laden nämlich nicht haben. Die machen nur Ärger.“ „Ich glaube schon, dass er welche nimmt.“ Kai zuckte mit den Schultern. „Wenn er wirklich auf der Straße arbeitet, kann ich es verstehen.“ Er sah seinen Kumpel an. „Schau ihn dir an. Der sieht doch nun wirklich nicht aus, als ob er Ärger macht.“ „Du bist der Reporter, du hast die Menschenkenntnis. Ich verlasse mich mal auf deine Meinung, auch wenn die wohl hauptsächlich in deiner Unterhose entsteht.“ Kai sah Benny verärgert an. Allerdings musste er zugeben, dass der in gewisser Weise Recht hatte. Der junge Mann gefiel ihm wirklich. Er war absolut sein Typ. „Mach mir ein Bier und meinen Spezial-Mix zurecht. Ich will mal mit ihm reden.“ Benny gab ihm das gewünschte und Kai ging nach hinten in den ruhigeren Teil der Kneipe. „Darf ich mich zu Ihnen setzten?“, fragte er höflich. Erschrocken sah der Mann ihn an. Er war so sehr in seine Gedanken versunken gewesen, dass er Kai gar nicht bemerkt hatte. „Meinetwegen“, sagte er leise. Er hatte wirklich einen osteuropäischen Akzent. „Ich heiße übrigens Kai“, stellte Kai sich vor und nahm Platz. „Florian“, murmelte sein Gegenüber. „Wollen Sie was trinken?“ Florian sah ihn an. „Lass das Sie bitte, okay? Ich komme mir sonst noch fremder vor.“ Kai lächelte leicht. „Okay. Möchtest du was trinken?“ „Was ist das?“, fragte Florian und deutete auf Kais Spezial-Getränk. „Milch und Fruchtsaft. Mein Spezial-Mix.“ Kai schob ihm das Glas rüber. „Da ist garantiert kein Alkohol drin.“ Florian nippte an dem Getränk und nickte leicht. „Das schmeckt gut.“ „Benny macht es dir, wenn du ihn fragst.“ „Benny ist der Wirt?“ Kai nickte. „Ich glaube, er mag mich nicht. Wahrscheinlich wegen meinem Job.“ „Du arbeitest am Bahnhof?“ „Ja, als Stricher.“ „Er hat keine Probleme damit. Er macht sich nur Gedanken, weil er glaubt, dass du Drogen nimmst und seinen Laden in irgendeiner Weise missbrauchen könntest.“ Florian sah Kai offen an. „Ich nehme Heroin, um den Job aushalten zu können.“ Kai nickte verständnisvoll. „Aber dein Freund braucht sich keine Sorgen zu machen. Ich würde die Drogen niemals mit in eine Kneipe nehmen.“ „Ich sage es ihm, dann wird er beruhigt sein.“ Eine Weile sah Kai Florian schweigend an. „Wo kommst du eigentlich her?“ „Zagreb.“ „Dann lag ich ja ganz richtig.“ Florian blickte ihn jetzt erstaunt an. „Du warst schon einmal in Kroatien?“ „Ja, vor zwei Jahren. Ich habe dort Urlaub gemacht.“ „Was machst du beruflich? Bist du Reporter?“ Kai lachte. „Um Himmels Willen, merkt man das so deutlich?“ „Deine Fragen sind sehr ausgewählt.“ „Ich arbeite hier bei RTL. Als Reporter und Moderator.“ „RTL.“ Florian zog eine Augenbraue hoch. „Da kenn ich einige Leute.“ „Kunden von dir?“ „Ja.“ Florian nickte. Er sah auf die Uhr, die an der Wand hing. „Ich muss los. Einer meiner Stammkunden wartet.“ Er erhob sich und nahm seine Jacke. „Danke für den Drink, Kai.“ Kai zögerte kurz. „Sehe ich dich mal wieder?“ Florian war schon in Richtung Tür gegangen und blieb jetzt stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Ich bin morgen wieder hier, wenn dein Freund mich lässt. Um dieselbe Zeit wie heute.“ Damit verschwand er. Kai schluckte, nahm die zwei Gläser und ging in Richtung Bar. Benny wartete schon neugierig. „Was ist mit dir los, Kai? Du lässt ihn gehen? Nicht dein Typ?“ „Er hatte einen Kunden.“ Benny nickte verstehend. „Also, was ist das für ein Mensch?“ „Ruhig, traurig. Er kommt aus Kroatien.“ „Nimmt er Drogen?“ Kai nickte ernst. „Er fixt.“ „Ach du Scheiße. Armer Kerl. Der ist doch höchstens 25.“ Benny sah Kai ernst an. „Du weißt, dass ich ihm normalerweise Hausverbot erteilen würde.“ „Er bringt dir keine Drogen in den Laden. Er hätte viel zu viel Angst, erwischt zu werden.“ „Na wenn du meinst.“ „Wenn er morgen kommt und ich bin noch nicht da, mach ihm meinen Spezi-Mix, okay? Ich zahle es dann schon.“ Jetzt wurde der Wirt hellhörig. „Du hast dich mit ihm verabredet? Kai, so kenne ich dich ja gar nicht.“ Kai zuckte mit den Schultern und legte etwas Geld auf den Tresen. „Er ist ein interessanter und sehr netter Mensch.“ Er stand auf und verließ die Bar. Benny sah ihm eine ganze Weile nach.
Am nächsten Abend ging Kai wieder ins Benny´s. Er hoffte, dass Florian wirklich dort sein würde. Als er den Laden betrat, sah er ihn in der Ecke sitzen. Vor ihm stand ein Glas mit einer milchigen Flüssigkeit. Zufrieden lächelte er Benny zu und trat an den Tresen. „Gib mir eine Flasche Bier.“ Er erhielt das Getränk und ging damit zu Florian hinüber. Der sah ihn an und lächelte schwach. Er sah unglaublich müde aus. „Hallo, Kai.“ „Hallo.“ Er setzte sich auf seinen Platz. „Du siehst ja nicht sonderlich gut aus.“ „Wie auch. Ich habe die ganze Zeit gearbeitet.“ „Seit gestern?“, fragte Kai erstaunt. „Hast du überhaupt mal was gegessen?“ „Nein. Aber das ist nicht weiter schlimm, ich vertrage sowieso nichts.“ Er nahm einen Schluck von dem Drink. „Danke übrigens.“ „Wofür?“, fragte Kai. Er deutete auf sein Glas. „Hierfür. Und Benny war heute ganz nett zu mir.“ Kai lächelte leicht. „Keine Ursache.“ Ihm fiel etwas ein und er winkte Benny zu sich. Er flüsterte kurz mit ihm und der Barkeeper verschwand wieder. Sekunden später war er mit einem Joghurt zurück und stellte ihn vor Florian hin. „Danke“, sagte der lächelnd und Benny verschwand. Langsam aß Florian den Joghurt. Kai beugte sich zu ihm rüber. „Ich habe mal eine persönliche Frage, die deinen Job betrifft. Ist mir etwas peinlich...“ Florian lächelte traurig. „Frag ruhig. Glaube mir, Kai, mir ist nichts fremd.“ „Du hast gesagt, du hast die ganze Nacht und den ganzen Tag gearbeitet. Nun... mich würde mal interessieren, wie du das durchhältst... körperlich, meine ich.“ Als Florian verstanden hatte, was Kai von ihm wollte, lachte er. „Du meinst, wie ich es schaffe, jedes Mal einen hochzukriegen.“ „Ja.“ „Es ist Training und jahrelange Übung. Außerdem... ich weiß nicht, wie du dir meinen Job vorstellst. Ich renne nicht von einem Kunden zum nächsten, springe mit ihm in die Kiste und kassiere. Jeder Kunde hat individuelle Wünsche.“ Er senkte leicht den Kopf. „Und den Meisten ist es scheißegal, ob ich dabei irgend etwas empfinde, oder nicht. Es gibt nur sehr wenige, die von mir einen Orgasmus verlangen. Und den müssen sie extra zahlen.“ Kai schwieg eine Weile. „Ich gebe zu, ich habe wirklich nicht viel Ahnung von deinem Job.“ Florian trank einen Schluck. „Sei froh.“ „Benny hat mir erzählt, dass du öfters hierher kommst.“ „Ich habe die Kneipe durch Zufall entdeckt. Sie gefiel mir. Und sie liegt auf dem Weg zwischen zwei Kunden. Ich habe jeden Tag mit den beiden zu tun und mir bleibt immer eine dreiviertel Stunde Zeit zwischen dem einen und dem anderen. Also bin ich vor einer Woche mal hier eingekehrt und bis jetzt dabei geblieben.“ „Verstehe.“ Kai schüttelte leicht den Kopf. „Mir fällt es immer noch schwer, Sex als Beruf zu sehen.“ „Kann ich mir vorstellen. Aber es ist meine einzige Verdienstmöglichkeit.“ „Was nimmst du so? Falls die Frage gestattet ist.“ „Sicher ist sie. Oral 30 DM. Direkter Sex 100 DM. Ein Orgasmus von mir kostet nochmal 50 DM extra. Sonderwünsche lass ich mir grundsätzlich extra bezahlen. Das sind allerdings nur meine Preise, wenn ich am Bahnhof stehe.“ „Hast du Stundenpreise?“ „Ich arbeite in letzter Zeit fast nur mit noch mit Stammkunden. Die zahlen mir 200 DM die Stunde. 1000 DM für die ganze Nacht. 2500 DM für ein Wochenende.“ Kai zog die Augenbrauen hoch. „Für mich hört sich das eine ganze Menge an.“ „Ist es auch. Genauso wie es Edelnutten gibt, gibt es auch Edelstricher und ich bin so einer.“ „Warum stehst du dann manchmal am Bahnhof rum?“ Florian senkte den Blick. „Das mache ich nur, wenn ich frei habe und dringend Geld brauche.“ „Für Drogen zum Beispiel?“ „Nicht zum Beispiel. Ausschließlich.“ „Ich will jetzt nicht den Moralapostel spielen, aber hast du mal darüber nachgedacht, aufzuhören? Mit allem, meine ich.“ Florian atmete tief ein und aus. „Ich kann nichts anderes, Kai. Ich wurde früher gezwungen auf den Strich zu gehen, jetzt mache ich es freiwillig, um Geld zu verdienen. Ich möchte schon weg, aber im Moment...“ Kai nickte. „Ist okay. Du musst nicht darüber reden, wenn du es nicht möchtest. Benutzt du eigentlich Kondome?“ „Früher in Kroatien nie. Ich hätte nichts verdient. Hier in Köln kann ich es meistens durchsetzen. Leider nicht immer.“ Florian trank sein Glas leer. „Kennst du die Hundewiese im Rheinpark?“ „Ja, klar.“ „Dort steht doch eine riesige Eiche, um die herum eine Bank angebracht ist.“ Kai nickte. „Ich bin morgen nachmittag dort.“ Damit stand Florian auf und verließ die Bar. Vorher bedankte er sich noch einmal bei Kai für den Drink. Der versprach, Florian am nächsten Tag zu treffen.
Gegen zwei Uhr nachmittags traf Kai am verabredeten Treffpunkt ein. Er sah Florian schon von weitem. Der lag ausgestreckt auf der Bank und schlief fest. Kai setzte sich neben ihn und beobachtete ihn eine ganze Weile. Florian wachte circa eine Stunde später auf und blinzelte Kai verwirrt an. Dann jedoch stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Hallo, Kai“, sagte er und streckte sich ausgiebig. Dann setzte er sich hin. „Schön, dass du gekommen bist.“ „Was soll ich denn sonst den ganzen Tag machen. Außerdem ist so ein herrliches Wetter.“ „Da hast du Recht. Es ist wirklich phantastisch. Allein vom Wetter her, ist es hier in Köln besser, als in Zagreb.“ Er blickte Kai kurz an. „Wie lange bist du schon hier?“ Kai lächelte. „Ungefähr eine Stunde. Ich wollte dich nicht wecken.“ „Danke.“ Kai nahm seinen Rucksack ab und reichte Florian einen Joghurt und einen Plastelöffel. „Mahlzeit.“ „Du bist ein Engel“, sagte Florian erfreut und nahm das ihm angebotene Essen dankbar an. „Lecker. Richtig teurer Joghurt. Sowas leiste ich mir sonst nie.“ „Aber bei dem Stoff, den du dir spritzt, bist du hoffentlich wählerischer.“ Florian nickte sofort. „Auf jeden Fall. Ich habe mir einmal was Dreckiges gespritzt. Es war die Hölle.“ Als Florian mit dem Essen fertig war, standen die beiden Männer auf und gingen in Richtung Rheinufer. Dort spazierten sie, bis es dunkel wurde, herum. Gegen acht Uhr verabschiedete sich Florian von Kai, da ein Kunde auf ihn wartete.
In den folgenden Tagen, trafen Florian und Kai sich regelmäßig in Benny´s Bar. Am Wochenende, wenn Florians Terminkalender es zuließ, trafen sie sich auch hin und wieder im Park, oder im Zoo. Kai lud Florian oft in den Zoo ein, da dieser Tiere liebte, das Geld für Besuche jedoch nicht über hatte. Während ihrer Treffen redeten sie viel über Florians Job. Der beantwortete Kai gern seine Fragen. Kai war unvoreingenommen und gab Florian die Möglichkeit, über die Dinge zu sprechen, die ihn bedrückten. Kai erfuhr auch, dass Florian 24 Jahre alt war, also genauso alt wie sein Bruder. Ansonsten erzählte er nicht viel über sich selber. Auch über seine Zeit in Kroatien redete er so gut wie gar nicht. Allerdings entwickelte Florian ein reges Interesse an Kais Job und Kai fand heraus, dass Florian sich sehr für den Rennsport interessierte. Vor allem über die Formel 1 war er hervorragend informiert und Kai musste zugeben, dass er weniger wusste, als Florian. Vor allem was bestimmte Details anging, wusste der genaustens Bescheid. „Woher weißt du das alles?“, fragte Kai Florian einmal, als sie mal wieder bei Benny saßen. „Ich bin hin und wieder bei einem Freier, der mich die Rennen sehen lässt. Seit er herausgefunden hat, dass ich verrückt danach bin, nutzt er das aus, um den Preis zu drücken, aber das ist mir egal. Ich bin meistens die Rennwochenenden bei ihm.“ „Mein Sender hat mir angeboten, mir ein paar der Rennen live anzusehen und mir ein Bild vor Ort zu machen. Ich überlege, ob ich das machen soll.“ „Unbedingt“, sagte Florian begeistert. „So eine Chance kannst du dir doch nicht entgehen lassen. Du könntest live von der Strecke berichten. Aus der Boxengasse, oder so. Ich bin mir sicher, die Zuschauer würden es mögen.“ Kai nickte nachdenklich. „Du könntest Recht haben.“ Er sah Florian an. „Ich werde es machen. Leider bin ich dann am nächsten Wochenende nicht da.“ „Ja, leider. Ich werde dann wieder zu meinem Kunden gehen und sehen, ob er mich bei sich bleiben lässt. Dann kann ich dich vielleicht mal bei der Arbeit beobachten.“ „Würde mich freuen. Du hast nämlich mehr Verständnis für meine Arbeit und ihre Wirkung auf die Zuschauer, als viele meiner Kollegen.“ „Danke für die Blumen. Könnte daran liegen, dass ich ein Zuschauer bin.“ Kai dachte angestrengt nach. Nach einer Weile nickte er. „Ja. Das wäre durchaus möglich.“ Florian lachte. „Du bist herrlich.“ Er sah auf seine Uhr und sprang auf. „Verdammt. Ich muss los, sonst komme ich zu spät. Wir sehen uns morgen, Kai.“ Der winkte Florian hinterher und ging dann wieder an die Bar zu Benny. „Na, Kai. Du verbringst in letzter Zeit sehr viel Zeit mit unserem Neuen“, sagte der Wirt grinsend. „Er ist ein sehr interessanter Mensch. Und er hat richtig Interesse an meinem Job.“ „Stell ihn doch mal deinem Chef vor.“ Kai schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Mahr ist ein zu guter Menschenkenner. Der sieht sofort, dass Florian an der Nadel hängt. Und mit Junkies hat der nichts am Hut, auch wenn er Florians derzeitigen Job vielleicht noch akzeptieren würde.“ „Florian steckt ziemlich tief drin. Meinst du, der hört freiwillig auf?“ „Ich hoffe, ich kann ihn überzeugen, es zu tun.“ Kai sah Benny ernst an. Benny lachte. „Ich glaube es nicht. Du hast dich in den Kleinen verliebt.“ „Blödsinn. Wir sind nur Freunde. Ich will ihm helfen.“
Die Wochen vergingen. Kai fuhr jede zweite Woche zu den Rennen. Ende des Jahres flog er sogar mit zu den Rennen, die in Übersee stattfanden. Er schoss jedes Mal unglaublich viele Fotos und traf sich, wenn er zurück war, mit Florian. Er zeigt ihm die Fotos und erzählte ihm haarklein, was er erlebt hatte. Florian gab Kai hin und wieder Tips und Hinweise, wenn ihm bei den Übertragungen etwas auffiel. Kai selber arbeitete zu 90 Prozent hinter der Kamera und überließ seinen Leuten die Interviews. Das letzte Rennen fand wie gewöhnlich im Oktober statt. Als Kai zurück in Köln war, ging er sofort zu Benny. Sein Flieger hatte Verspätung gehabt und Kai wollte versuchen, Florian noch zu erwischen, bevor der zu seinem Stammkunden verschwand. Er gab es nicht gern zu, aber er vermisste seinen neuen Freund. Florian war jedoch noch nicht da, als Kai eintrat. Benny winkte Kai zu sich. „Hat Florian heute was anderes vor?“, fragte er ihn sofort. „Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht hat er noch einen Kunden, keine Ahnung.“ Kai machte sich Sorgen. Er ließ sich von Benny ein Bier geben und wartete an der Theke, ob Florian noch kommen würde. Plötzlich öffnete sich die Tür und Florian taumelte in die Bar. Kai war sofort bei ihm und brachte ihn zu ihrem Tisch in die Ecke. Einige der Gäste schauten die beiden Männer neugierig an. Kai war ziemlich schockiert, als er Florian genauer betrachtete. Dessen Gesicht war aufgeschürft und blutete. Eine Augenbraue war aufgeplatzt und ein dickes Veilchen zierte sein rechtes Auge. Außerdem saß Florian zusammengekrümmt auf seinem Platz und hielt die Arme gegen seinen Bauch gepresst. „Was ist passiert?“, fragte Kai leise. Florian schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt nicht darüber reden. „Soll ich dich zu einem Arzt bringen? Ich kenne einen, der keine Fragen stellt.“ Florian überlegte kurz, schüttelte dann jedoch erneut den Kopf. „Geht schon“, murmelte er. Blut lief aus seinem Mundwinkel. Benny kam mit einer Schüssel voll Wasser und einem Lappen an den Tisch. „Hier.“ „Danke, Benny.“ Kai nahm den Lappen, machte ihn nass und säuberte vorsichtig Florians Wunden. Mit Erleichterung stellte er fest, dass diese anscheinend nur oberflächlich waren und nicht so schlimm, wie sie auf den ersten Blick ausgesehen hatte. Benny kam erneut und brachte Florian einen Beutel Eis für sein Auge und einen Drink. Der nahm die Sachen mit einem dankbaren Nicken. Vorsichtig drückte er den Beutel gegen sein Auge. „Komm schon, Florian. Wer hat dich zusammengeschlagen?“, drängte Kai. „Ein Kunde?“ „Nein.“ Florian schluckte leicht. „Es war ein Zuhälter. Er wollte, dass ich für ihn arbeite. Ich kenne den Typen nicht.“ „Wie sah er aus?“, fragte Benny. „Circa 1, 75 m groß, schlank. Schwarze, fettige Haare, fieses Gesicht.“ Florian dachte nach. „Er hatte so eine komische ringförmige Narbe über der rechten Augenbraue.“ Benny und Kai sahen sich wissend an. „Daniel“, sagte sie gleichzeitig. Kai erhob sich, schnappte sich seine Jacke und sagte: „Keine Sorge, Florian. Der tut dir nie wieder etwas.“ Damit verschwand er. Florian sah Kai besorgt nach. „Hoffentlich passt er auf. Der Kerl ist sehr stark.“ „Keine Sorge.“ Benny legte seine Hand beruhigend auf Florians Unterarm. „Kai hat jahrelang geboxt. Er ist sehr wendig und hat einen verdammt harten rechten Haken.“ Florian blickte den Wirt erleichtert an und nippt an seinem Drink.
Kai war in seinen Wagen gestiegen und fuhr zu einem Lokal, welches Daniel oft besuchte. Er hielt direkt vor dem Eingang und ging rein. Er entdeckte Daniel sofort. Der sah Kais wütendes Gesicht. Er wusste zwar nicht, warum der sauer war, aber er sah deutlich, dass seine Wut ihm galt. Er sprang auf, warf zwei Stühle um und rannte zum Hinterausgang. Kai folgte ihm fluchend. Daniel war zwar schnell, doch nicht sehr ausdauernd. Nach einigen Minuten hatte Kai ihn eingeholt und stellte ihn in einer dunklen Gasse. „Bleib stehen, du feiger Hund“, brüllte Kai und warf sich gegen den fliehenden. Der konnte sich nicht mehr halten, bekam die Überkippe und fiel auf die Straße. „Lass mich los, Kai. Ich habe dir doch nichts getan.“ Daniel drehte sich unter Kai um und wollte aufstehen. „Bleib schön liegen, mein Freund.“ Der gehorchte. „Was willst du von mir?“ „Du hattest heute einen jungen Stricher namens Florian beim Wickel.“ Daniel dämmerte es. „Du kennst ihn?“ „Ja.“ Kai näherte sein Gesicht dem zitternden Mann. Angst flackerte in seinen Augen, was Kai ein wenig irritierte. „Fass ihn nie wieder an, Daniel, sonst drehe ich dir den Hals um, verstanden?“ Er hieb ihm die Faust gegen das Kinn. „Ja, verdammt“, wimmerte der. „Ich sage meinen Leuten, dass er ein freier Arbeiter ist, versprochen.“ Freie Arbeiter sind Stricher, die nur für sich arbeiten, aber unter dem Schutz einer einflussreichen Person oder Gruppe stehen. So jemanden zu ärgern, war gefährlich und jeder wusste das. Wer den Status als freien Arbeiter erst einmal hatte, konnte in Köln sehr gut von seinem Einkommen leben. „Braver Daniel.“ Kai stand auf und zog ihn auf die Beine. „Ich wusste doch, wir verstehen uns.“ Daniel spuckte auf den Boden, da er Blut im Mund hatte. „Sag mir nächstes Mal gleich Bescheid, wenn du dich um einen dieser Jungs kümmerst.“ „Abgemacht.“ Kai drehte sich um und ging. Daniel sah ihm ärgerlich nach. Er hatte Macht, Geld und genügend Leute, um Kai fertig zu machen. Aber er wollte es nicht riskieren. Kai hatte ihm hin und wieder geholfen. Daniel schuldete ihm noch einige Gefallen. Außerdem hatte er gehört, dass Kai eine ziemlich gefährliche Gang in Mönchengladbach geleitete hatte und er brauchte hier wirklich keinen Ärger mit irgendwelchen Leuten von außerhalb. Also entschloss er sich, Florian in Ruhe zu lassen, wie Kai es verlangte.
Eine Stunde nachdem er die Kneipe verlassen hatte, war Kai wieder zurück. Benny hatte sich in der Zwischenzeit um Florian gekümmert. Auch einige der anderen Gäste hatten sich mit ihm bekannt gemacht. Man fing langsam an, ihn hier zu akzeptieren. „Wie geht es dir?“, fragte Kai besorgt, als er sich neben Florian auf das Ecksofa fallen ließ. „Besser. Benny hat sich rührend um mich gekümmert.“ Der Wirt kam und brachte Kai ein Bier. „Hast du Daniel gefunden?“ „Sicher doch.“ Kai wand sich an Florian, während Benny sich wieder seiner Arbeit widmete. „Du hast den Status ‘freier Arbeiter’. Es dauert nicht lange, dann weiß das jeder Zuhälter hier. Niemand wird dich mehr belästigen.“ Florian seufzte erleichtert. „Danke, Kai.“ Er blickte auf seine Uhr. „Ach verflucht. Ich müsste zu einem Kunden, aber ich bin fix und alle.“ „Ein Stammkunde?“ „Kein regelmäßiger.“ Kai zog seine Brieftasche hervor. „Ich gebe dir 500 DM, wenn du mit mir nach Hause kommst. 500 plus eine warme Dusche, einen Tee und ein weiches Bett.“ „Leg noch einen Joghurt drauf und ich sage ja.“ „Wir fahren zum Hauptbahnhof und gehen einkaufen. Du kannst essen, was du willst.“ „Einverstanden.“ Florian tat es nicht sehr gern und versetzte einen seiner Kunden, aber er war viel zu K.O., um vernünftig arbeiten zu können. Außerdem war er neugierig, wie weit Kai in seiner Wohnung gehen würde und ob er wirklich nur der Freund war, der er vorgab zu sein. Die beiden Männer verließen das Lokal und fuhren mit Kais Wagen zum Bahnhof. Dort gab es einen Laden, der rund um die Uhr geöffnet hatte. „Hier war ich schon öfters drin. Allerdings wusste ich nie, dass es hier so viel gibt.“ Florian sah sich um. „Ich habe immer nur die Sonderangebote angesehen.“ „Nimm mit, was du willst.“ Kai kaufte auch noch ein paar Dinge, die er unbedingt brauchte. Eine ganze Weile stand Florian vor den Tütensuppen herum. Kai trat neben ihn. „Ich habe seit Wochen nichts Warmes mehr gegessen“, gestand Florian. „Ich koche dir zu Hause eine Hühnersuppe mit Reis, wenn du möchtest.“ „Das wäre... Wahnsinn.“ Kai lachte. „Kleinigkeit.“ Florian schnappte sich noch zwei Joghurts und drei Puddings und verließ mit Kai den Laden. Im Wagen zog er grinsend eine Stange Kaugummi aus der Tasche, die er geklaut hatte. Empört sah Kai ihn an. „Musste das sein?“ „Sicher. Ich darf es nicht verlernen.“ Kai schüttelte den Kopf. „Na, wenn du meinst.“ Er stieg in sein Auto. „Hast du eigentlich irgendwo andere Sachen zum Wechseln?“ „Ja. In einem Schließfach hier.“ „Sollen wir sie mitnehmen? Du könntest sie bei mir waschen.“ Florian nickte begeistert. „Die Waschsalons sind so teuer.“ Er sprang aus dem Wagen und rannte in die Bahnhofshalle. Zwei Minuten später war er mit einem alten Rucksack wieder da. „Woher hast du den denn? Auch geklaut.“ „Ja. Von einem Touristen, den ich in Zagreb mal ausgenommen habe.“ Kai fuhr los. „Hast du das öfter gemacht?“ „Ziemlich oft sogar. Wenn man mich geschnappt hat, habe ich dem Polizisten einen geblasen und er hat mich laufen lassen. Das war dort so üblich. Einmal habe ich zwei Monate gesessen.“ „War’s schlimm im Knast?“ „Nein. Ich habe kein Geheimnis aus meinem Job gemacht und die Jungs dort waren ziemlich großzügig mit den Mäusen. Ich habe richtig gut verdient.“ „Wie alt warst du da?“ Florian überlegte. „Fünfzehn.“ „So jung?“ Kai war erstaunt, obwohl er eigentlich damit gerechnet hatte, dass Florian diesem Job schon seit langer Zeit nachging. „Mit wieviel Jahren hast du angefangen?“ „Mit acht“, sagte Florian leise. Kai spürte, wie weh Florian die Erinnerung tat und er ließ ihn in Ruhe. Vor seinem Mietshaus hielt er an. Florian stieg unsicher aus dem Wagen, während Kai die Einkaufstüte aus dem Kofferraum holte. Zusammen gingen sie hinein. Sie fuhren mit dem Lift nach oben und blieben schließlich vor Kais Wohnungstür stehen. Kai öffnete sie und schob Florian in seine Wohnung. Er sah die Angst, die plötzlich in Florians Augen aufflackerte. Er trat vor ihn und sah ihm direkt in die Augen. „Ganz ruhig, Florian. Ich würde dir nie weh tun.“ Florian senkte beschämt den Kopf. Kai war immer so nett zu ihm und er schaffte es nicht, ihm zu vertrauen. „Es tut mir leid“, murmelte er leise. „Es ist in Ordnung, okay? Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich auch keinem vertrauen. Aber ich verspreche dir eins. Ich werde versuchen, mir dein Vertrauen zu erarbeiten.“ Er hing seine Jacke an einen Garderobenhaken und verschwand hinter einer Tür in der Küche. „Sieh dich ruhig um.“ Florian zog seine Jacke aus und öffnete neugierig die erste Tür auf der rechten Seite. Er knipste das Licht an und sah das Bad vor sich liegen. Dann ging er weiter. Hinter der nächsten Tür lag die Küche. Dort stand Kai und verstaute die Einkäufe im Kühlschrank. Er lächelte, als er Florians analytischen Blick sah. Der ging weiter zur nächsten Tür. Dahinter lag Kais Schlafzimmer. Das Bett war nicht gemacht. Florian lächelte und schloss die Tür wieder. Die nächste Tür lag am Ende des Flures und somit der Wohnungstür genau gegenüber. Dahinter war eine Abstellkammer, wo diverse Schuhe und Konservendosen standen. Auch eine Skiausrüstung sah Florian. Kai trat hinter Florian. „Kannst du auch Skifahren?“ „Ich habe es gelernt, als ich fünf war. Aber ob ich es noch kann, weiß ich nicht.“ Florian blickte nach links. Hier lag das Wohnzimmer. Es war stilvoll eingerichtet und sah richtig gemütlich aus. Die nächste und letzte Tür führte zu einem Arbeitszimmer, welches durch eine Schiebetür mit dem Wohnzimmer verbunden war. „Meine Wohnung“, sagte Kai abschließend. Er ging ins Bad, Florian folgte ihm. Er gab Kai seine Sachen und der stopfte sie in seine Waschmaschine. Dann gab er Florian ein Handtuch und ließ ihn allein. „Ich mache uns etwas zu Essen“, sagte er, bevor er die Tür schloss. Zwei Minuten später klopfte es vorsichtig. Kai steckte den Kopf zur Tür herein. Florian stand nach wie vor im Bad und sah ihn verwundert an. „Hier ist ein Trainingsanzug von mir. Er wird dir nicht ganz passen, aber er ist besser, als deine Sachen. Ich wasche sie nachher mit durch.“ Florian nickte. Kai sah ihn fragend an. „Was ist mit dir?“ „Entschuldige. Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand anklopft, geschweige denn, so höflich und nett zu mir ist.“ Kai lächelte. „Wenn du willst, schließ die Tür ab. Dann hast du deine Ruhe.“ Florian schüttelte hastig mit dem Kopf. Angst leuchtete in seinen Augen. Kai zuckte mit den Schultern und ging. Florian schloss nicht ab. Er zog sich langsam aus und stieg in die Wanne. Eine halbe Ewigkeit stand er unter der Dusche. Irgendwann kam er widerwillig hervor. Er rasierte sich mit dem neuen Rasierer, den Kai ihm gekauft hatte und schlüpfte in dessen Trainingsanzug. Kai saß im Wohnzimmer und schaute die Spätausgabe der Nachrichten. Florian trat hinter ihn. „Ich bin fertig“, sagte er und Kai drehte sich um. Er lächelte Florian an und ging in die Küche, um das Essen zu holen. Als er zurückkam, stand Florian immer noch hinter dem Sessel. Kai lächelte leicht. „Nun setz dich schon hin, Florian. Das Sofa beißt nicht.“ Der nickte leicht und ließ sich seufzend auf die Polster sinken. Gemeinsam aßen sie etwas. Florian war so erschöpft, dass er kaum den Löffel festhalten konnte, aber er wollte nicht ins Bett. Schlafen bedeutete für ihn, hilflos zu sein. Irgendwann fielen ihm jedoch die Augen zu. Kai trug ihn in sein Schlafzimmer und legte ihn in das große Doppelbett. Er selber nahm seine Decke und quartierte sich im Wohnzimmer ein. Als Kai am nächsten Morgen in sein Schlafzimmer sah, war Florian nicht dort. Kai erschrak leicht, sah jedoch im Flur die Schuhe seines Besuchers. Also war Florian noch in der Wohnung. Sein Rucksack, der im Flur gestanden hatte, war weg. Kai schluckte und öffnete vorsichtig die Badezimmertür. Florian hockte auf dem Boden und hatte sein Rauschgift und die dazugehörigen Utensilien auf dem Boden ausgebreitet. Erschrocken sah er auf, als Kai den Raum betrat. Er zitterte am ganzen Leib. Seine Pupillen waren geweitet und sein Gesicht war käseweiß. Schweiß lag wie ein Film darauf. Er war bereits auf Entzug. Kai atmete tief durch. „Mach schon. Ich sehe ja ein, dass du es brauchst.“ Florian sah Kai dankbar an. „Hast du Zitronensaft hier?“ Der nickte, ging in die Küche und holte Florian eine halbe Zitrone. Dann setzte er sich auf den Deckel der Toilette und sah Florian neugierig zu. Es interessierte ihn schon, wie die Einnahme von Heroin funktionierte. Mit einem Schlauch band sich Florian den Arm ab. Dann mischte er auf einem Löffel etwas Zitronensaft unter das Heroin. „Warum machst du das?“, fragte Kai. „Es löst sich besser auf.“ Florian erhitzte das Rauschgift, bis es flüssig war. Dann zog er es in eine Spritze und drückte vorsichtig die Luft raus. Er strich über seinen Arm und drückte die Nadel in eine Vene. Vorsichtig zog er etwas Blut in die Spritze. Dann atmete er tief durch und verpasste sich den Schuss. Er zog sich die Nadel aus dem Arm und sank mit geschlossenen Augen gegen die Wand. Blut sickerte aus der kleinen Wunde. Kai nahm einen Schnipsel Toilettenpapier und klebte es auf Florians Arm. Dann nahm er ihm die Spritze aus der Hand und reinigte sie unter dem Wasserhahn. Als er sich wieder zu Florian umdrehte, sah der wieder relativ normal aus. Langsam stand er auf. „Danke für dein Verständnis, Kai.“ Der nickte und gab ihm die Spritze zurück. Florian nahm sie und packte alles sorgfältig weg. „Wie lange reicht der Stoff noch?“ „Zwei Tage.“ „Wie oft am Tag machst du das?“ „Ein Mal. Nur gewöhnlich früher als heute. Deshalb auch die leichten Entzugserscheinungen.“ „Leicht?“, fragte Kai erstaunt. „Leicht. Du hast noch nie einen Abhängigen auf Turkey gesehen, oder?“ Kai schüttelte den Kopf. „Ist auch besser so. Da wird man unfähig, sich zu kontrollieren.“ Sie gingen in die Küche und aßen gemütlich. Als Kai den Tisch abgeräumt hatte, nahm er seine Brieftasche und legte Florian die versprochenen 500 DM hin. Der nahm das Geld zögernd. Kai sah Florian in die Augen. „Bleib heute noch hier, Florian. Bitte. Ich zahle dir 2500 DM dafür.“ Der sah ihn verblüfft an. „Ich kann das nicht annehmen, Kai. Du bist so nett zu mir, ohne etwas dafür zu verlangen. Du bietest mir einen Haufen Geld für nichts.“ „Ich weiß, dass du viel mehr verdienst, wenn du arbeitest.“ „Sicher.“ Florian senkte den Blick. „Aber ich fühle mich lange nicht so wohl, wenn ich arbeite.“ Kai lächelte und legte seine Hand auf die von Florian. „Bitte bleib hier.“ Der nickte langsam. „Okay. Aber sag mir bitte eins. Woher hast du so viel Geld, um mich zu bezahlen? Verdienst du so viel?“ „Meine Eltern sind sehr reich. Das Geld ist ein Vorschuss auf mein Erbe. Auf meinem Konto merke ich es nicht einmal, dass es fehlt. Du kannst es also ohne schlechtes Gewissen nehmen.“ Florian lächelte erleichtert. Er steckte das Geld in seinen Rucksack. „Bewahrst du deine Einnahmen immer da auf“, fragte Kai verwundert. Florian nickte. „Das ist aber ziemlich unsicher.“ „Ja. Aber was soll ich sonst machen?“ Kai nickte leicht, doch in seinem Kopf arbeitete es. Den Vormittag über saßen die beiden Männer in Kais Wohnzimmer und redeten. Hin und wieder aß Florian etwas. Er vertrug keine großen Portionen, dafür fragte er Kai fast jede halbe Stunde nach einer Tasse von der Suppe. Und Kai gab sie ihm nur zu gern. Nach dem Mittagessen gingen sie zusammen einkaufen. Kai kleidete Florian völlig neu ein. Der wollte das zwar nicht, konnte aber auch nicht wirklich ablehnen. Als sie zurück waren, kochte Kai Florian einen Topf Vanillepudding. Der aß genüsslich, während Kai ein wenig fern sah. Nachdem Florian satt war, stand er auf und stellte sich vor Kai hin. Er sah ihn von oben an. Kai hob den Blick und sah Florian fragend an. Er sah die Zweifel in dessen Blick. „Ich möchte dir danken, weiß aber nicht wie“, sagte Florian leise, während er zwischen Kais Beinen auf die Knie sank. „Ich kenne nur eine Methode.“ Seine Hände lagen auf Kais Knien und glitten langsam nach oben. Kai biss sich leicht auf die Unterlippe. „Florian, du...“ Er sah dem jungen Mann in die Augen. Verzweiflung leuchtete darin. „Verflucht“, murmelte Kai. Er strich ihm zärtlich über die Wange. „Du brauchst das nicht tun, aber wenn du dich dann besser fühlst, mach weiter.“ Florian lächelte erleichtert. „Wie süß, dass du dich sträubst, obwohl du es willst.“ „Ich will nicht einer deiner Freier sein, deshalb sträube ich mich. Aber andererseits hatte ich lange keinen Freund mehr und einen Profi wie dich zurück zu weisen, ist schwer.“ Stolz sah Florian Kai an. Als Profi hatte ihn noch nie jemand bezeichnet. Er öffnete vorsichtig Kais Hose. Der hob seine Hüfte ein wenig hoch und ließ sie sich von Florian ausziehen. Dasselbe tat der mit Kais Slip. Ganz zärtlich streichelte Florian seinen Wohltäter. Kai gab seinen Widerstand ganz auf und schloss die Augen. Florian befriedigte Kai mit dem Mund. Nachdem der gekommen war, zog er sich wieder an. Er wollte Florian nicht weitergehen lassen. Mit einem zufriedenen Lächeln setzte er sich auf seinen Sessel. „Wie ich gesagt habe: Profi.“ Florian kniete nach wie vor vor Kai. „Es hat dir gefallen?“ „Man kann sich daran gewöhnen und genau das wollte ich verhindern. Ich habe Angst, dich auszunutzen.“ Ungläubig schaute Florian Kai an. „Du mich ausnutzen? Umgekehrt wird ein Schuh draus.“ Er erhob sich und setzte sich auf die Couch. „Hattest du eigentlich jemals einen festen Freund oder eine Freundin?“ „Freundin, nie. Ich bin schwul. Und den Freund hat Alex mir kaputt gemacht.“ Kai erschrak über den Hass, der in Florians Stimme lag, als er den Namen sagte. „Wer ist Alex?“ „Er war mein Zuhälter in Zagreb. Ich bin mit 14 zu ihm gekommen. Damals habe ich einen anderen Stricher kennen gelernt und mich in ihn verliebt. Alex hat ihn von seinen Männern zusammenschlagen und vergewaltigen lassen. Ich habe ihn nie wieder gesehen.“ „Das tut mir leid.“ Kai sah Florian ernst an. Es war das erste Mal, dass der so offen über seine Vergangenheit sprach. Bis jetzt war er Kai immer ausgewichen, wenn dieser ihn nach Details gefragt hatte. „Was meintest du damit, du bist mit 14 zu ihm gekommen?“ Florian zögerte. „Ich habe noch nie darüber gesprochen.“ Er sah Kai an. „Na gut. Mein Vater hat meine Mutter verlassen, als ich sechs Jahre alt war. Danach fing sie an zu trinken. Sie schlug mich oft. Hin und wieder brachte sie fremde Männer mit ins Haus. Einer dieser Kerle erstach sie mit einem Messer und raubte sie aus. Da war ich gerade sieben Jahre alt.“ Florian schluckte schwer. „Man steckte mich in ein Heim, doch ich bin abgehauen. Das war vielleicht der schlimmste Fehler, den ich je in meinem Leben gemacht habe.“ „Lieber Himmel.“ Kai schauderte. „Wo bist du aufgewachsen? In Zagreb?“ „Nein. In einer kleinen Stadt namens Osijek, 50 km östlich von Zagreb.“ „Was hast du dann gemacht?“ „Ich lungerte auf der Straße rum, stahl und versuchte einfach, zu überleben. Irgendwann schlug mich jemand nieder. Als ich wieder zu mir kam, wusste ich nicht, wo ich war. Ich lag in einem dunklen, abgeschlossenen Raum. Man hatte mir meine Kleidung weggenommen. Ich war nackt und hilflos. Stunden später kam ein Mann in den Raum. Er befahl mir, zu gehorchen und zwang mich, mich auf das Bett zu knien, welches in dem Raum stand.“ Florian stockte. Tränen liefen über sein Gesicht. „Er fiel über mich her und vergewaltigte mich. Es tat so unglaublich weh.“ Kai setzte sich neben Florian und legte die Arme um ihn. Der klammerte sich schutzsuchend an ihm fest. „Er kam viele Wochen lang jeden Tag zwei Mal. Immer wieder fiel er über mich her, schlug mich, wenn ich mich wehrt. Irgendwann gab ich meinen Widerstand auf. Nach einiger Zeit kamen eines Tages ein Mann und eine Frau in mein Gefängnis. Der Mann vergewaltigte mich, während seine Frau ihm dabei zusah. Danach musste ich sie mit dem Mund befriedigen. Es war so eklig. Anschließend schliefen die beiden miteinander. Ich musste ihnen zusehen. Von da an kamen immer wieder Erwachsene, die mich missbrauchten. Als ich acht wurde, ließ man mich das erste Mal nach fast einem Jahr aus dem Keller. Ich bekam ein Zimmer zugewiesen, welches aber stets verschlossen war. Man holte mich nur hin und wieder raus, wenn es Arbeit für mich gab. Immer wieder mussten ich und andere Kinder an Orgien teilnehmen, die meist sehr brutal und schmerzhaft waren. Der Hausherr fand blutende Kinder erotischer als jedes Porno. Er schlug mich mehr als einmal krankenhausreif und vergewaltigte mich dann, wenn ich völlig wehrlos war.“ Florian schluchzte. Kai saß völlig geschockt neben ihm. Dass Florian keine schöne Kindheit gehabt hatte, hatte er sich auch vorher denken können. Dass der aber die Hölle durchlebt hatte, war für ihn unsagbar erschreckend. Er hielt Florian fest und strich ihm immer wieder sanft über den Kopf. „Als ich zehn Jahre alt wurde, musste ich hin und wieder zu anderen Häusern gehen und dort mit fremden Männern schlafen. Man gewöhnte mich langsam an den Beruf als Stricher. Mit zwölf musste ich dann raus auf die Straße.“ Florian sah Kai an. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft mich größere Kinder verprügelt haben, weil ich ein Konkurrent war. Je jünger man war, desto eher bekam man einen Freier. Und nur wer genug Geld mitbrachte, wurde nicht verprügelt. Ich habe es später mit den jüngeren genauso gemacht. Als ich 14 geworden war, kam eines Tages ein Mann zu uns. Er begutachtete alle Jungs und zeigte dann auf mich. Ich musste mit ihm schlafen und er kaufte mich und nahm mich mit nach Zagreb. Irgendwie war ich damals froh, aus Osijek wegzukommen. Alex war zwar genauso brutal, wie mein früherer Zuhälter, aber ich merkte schnell, dass er mich mochte. Ich arbeitete gut, brachte viel Geld mit und schlief hin und wieder mit ihm. Dafür ließ er mir gewisse Freiheiten. Irgendwann fing ich an, Drogen zu nehmen, weil ich den psychischen Druck nicht mehr ausgehalten habe. Alex duldete es so lange, bis er merkte, dass ich mir Heroin spritzte. Er schlug mich zusammen und setzte mich auf kalten Entzug. Viermal hat er den kalten Entzug mit mir durchgeführt und ich habe es nie länger als eine Woche ohne den Stoff ausgehalten.“ „Warum bist du jedes Mal rückfällig geworden?“ „Immer, wenn ich einigermaßen von dem Mist weg war, passierte etwas, was mich aus der Bahn warf. Meist war es ein Freier, der mich vergewaltigte und zusammenschlug. Es reichte aus, um mich wieder an die Nadel zurück zu bringen.“ „Verstehe. Wie bist du nach Deutschland gekommen?“ „Als ich 23 war, sah ich eines nachts, wie ein Mann in einem Park über ein kleines Mädchen herfiel. Sie war vielleicht vier Jahre alt. Ich rammte ihm ein Messer ins Bein und lief mit der Kleinen weg. Der Mann schrie meinen Namen, da merkte ich, dass es einer meiner Kunden war. Er brüllte mir hinterher, dass er mich an Alex verraten würde.“ Florian schluckte. „Alex hätte mich an irgendwelche Psychopaten verkauft, die mich zu Tode gefoltert hätten. Also bin ich zum Bahnhof, habe mir einen ausländischen Freier gesucht und ihn so lange bearbeitet, bis er mich mitgenommen hat. Es war ein Deutscher. Er kam aus Köln und so bin ich hier gelandet.“ Kai sah Florian mitfühlend an. Er gab ihm ein Taschentuch. „Wie fühlst du dich jetzt?“ „Irgendwie besser.“ Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah Kai dankbar an. „Es tat gut, es mal rauszulassen.“ „Du warst lange eingesperrt. Hast du deshalb die Badezimmertür nicht abgeschlossen?“ Florian nickte. „Ich würde mich nie freiwillig selber einschließen.“ „Verständlich.“ Kai schüttelte den Kopf. „Das ist grauenhaft, was du erlebt hast.“ „Du ahnst gar nicht, wie viele Kinder es allein in Kroatien gibt, die dasselbe durchmachen. Und nicht alle finden einen Freund wie dich.“ Kai lächelte traurig. „Eine furchtbare Vorstellung.“ Er zog einen Schlüssel aus der Tasche. „Ich habe mir etwas überlegt, Florian. Das hier ist der Schlüssel für die Haustür und der ist für meine Wohnungstür.“ Kai schob sie zu Florian hinüber. „Der Winter steht vor der Tür und ich finde die Vorstellung, dass du irgendwo frierend in einer Ecke sitzt, unerträglich. Wenn du Hunger hast, schlafen willst oder jemanden zum Reden brauchst, komm her. Nimm den Schlüssel und fühl dich wie zu Hause. Du kannst auch dein Geld hier liegen lassen. Hier ist es sicher.“ Völlig verblüfft sah Florian Kai an. „Weißt du eigentlich, was du mir hier anbietest? Was ist, wenn du mal jemanden mit nach Hause bringst, oder Besuch bekommst?“ „Egal. Bedenke die Vorteile. Wenn die neue Rennsaison anfängt, bin ich oft nicht zu Hause. Du hättest die Wohnung ganz für dich allein. Das einzige, was ich nicht möchte, ist, dass du Freier mit hierher bringst.“ Florian schüttelte sprachlos den Kopf. „Ich sorge auch dafür, dass immer etwas zu Essen für dich da ist. Und ich bezahle dir auch eine Karte für die Bahnen und Busse, damit du nicht bis hierher laufen musst.“ Jetzt sah der junge Mann Kai durchdringend an. „Ich habe das Gefühl, du willst mich resozialisieren.“ „Wenn das nebenbei rauskommt, ist es doch auch nicht so übel.“ Kai sah Florian bittend an. Florian streckte langsam die Hand nach dem Schlüssel aus. Er nahm ihn in die Hand. „Ich hatte noch nie einen eigenen Schlüssel.“ Mit Tränen in den Augen sah er Kai an. „Ich bin dir so unendlich dankbar für die Chance, die du mir gibst. Was willst du dafür?“ Kai schluckte leicht. „Ich habe tatsächlich einen Hintergedanken. Vielleicht könntest du dich mit dem Gedanken anfreunden, eine Drogentherapie zu machen.“ „Aha“, murmelte Florian. Kai kniete sich vor ihn hin und nahm seine Hände. „Florian, ich mag dich. Das hast du sicher schon gemerkt. Ich mache mir Sorgen um dich und würde es gern sehen, wenn du von diesem Teufelszeug wegkommst.“ „Vielleicht wäre es eine Überlegung wert.“ Lächelnd erhob sich Kai. „Das reicht mir. Sei mein Gast, wann immer du willst.“ Florian stand auf und schlang die Arme um Kais Hals. „Danke“, wisperte er ihm ins Ohr. „Ich danke dir von ganzem Herzen.“ Kai legte die Arme um Florian. „Ich weiß“, sagte er leise. Florian hatte somit plötzlich ein Zuhause. Und nicht nur das. In Kai hatte er einen Freund gefunden, der seine Arbeit und die damit verbundenen Probleme akzeptierte, mit dem er über alles und jederzeit reden konnte. Außerdem sorgte Kai dafür, dass Florian regelmäßig aß und langsam auch wieder etwas zunahm. Und Kai war froh, jemanden wie Florian gefunden zu haben. Er war ihm ein Freund geworden und ein Berater, was seinen Beruf anging. Kai war sich sicher, dass Florian an einem Job als Journalist Spaß haben könnte und sehr erfolgreich sein würde. Aber das lag momentan noch in ferner Zukunft. Vorerst war es für ihn wichtig, dass Florian, trotz seines Jobs, ein einigermaßen normales Leben führen konnte. Florian gewöhnte sich nach anfänglicher Unsicherheit sehr schnell an sein neues geregelteres Leben. Kai ließ ihm alle Freiheiten, die er brauchte. Er engte ihn nicht ein, versuchte nicht, ihn zu verändern. Florian kam und ging, wann er wollte. Wenn er einen lukrativen Kunden hatte, blieb er manchmal die ganze Nacht weg. Allerdings sah man ihn jetzt nicht mehr am Bahnhof. Kai hatte ihn gebeten nicht dorthin zu gehen. Wenn Florian mal knapp bei Kasse war, gab Kai ihm das Geld, was er brauchte und meist noch etwas mehr. Anfangs war Florian das unangenehm, aber er spürte immer wieder, wie schön es für Kai war, ihm helfen zu können und ihn um sich zu haben. „Du bist wie eine Droge, Kai“, warf er ihm einmal nicht ganz ernst gemeint vor. „Ich bin bereits psychisch und physisch von dir abhängig.“ „Dann empfehle ich dringend einen Entzug“, erwiderte der grinsend. Florian schüttelte den Kopf. „Nein. Du hast keine Nebenwirkungen, zumindest habe ich noch keine bemerkt.“
Mitte November bekam Kai Besuch von seinem besten Freund und engsten Vertrauten. Heinz-Harald Frentzen wollte sehen, was sein Freund so trieb und warum er sich in letzter Zeit kaum noch meldete. Also stand er eines morgens unangemeldet vor dessen Wohnungstür. Florian war bereits wach und öffnete dem Rennfahrer. Das Erstaunen war auf beiden Seiten groß. Florian konnte es gar nicht fassen, einen Rennfahrer vor sich zu haben und Heinz war irritiert, in Kais Wohnung auf einen ihm unbekannten Mann zu stoßen. „Guten Morgen“, stotterte Florian leicht nervös. „Morgen“, sagte Heinz mit einem leichten Grinsen. „Wohnt Kai noch hier, oder ist der umgezogen?“ Florian trat zur Seite und ließ den Rennfahrer herein. „Der wohnt durchaus noch hier. Er schläft noch.“ „Kann ich mir denken.“ Er stellte sich bei Florian vor. „Ich bin mit Kai befreundet.“ Florian stellte sich ebenfalls vor. „Ich auch“, murmelte er grinsend. „Wundert mich, dass Kai mir gar nicht erzählt hat, dass er einen neuen Freund hat. Seit wann kennen Sie ihn?“ Strahlend sah Florian ihn an. „Seit März.“ Er ging zum Schlafzimmer und klopfte vorsichtig. Dann steckte er den Kopf zur Tür herein. „Du hast Besuch, Kai.“ Der nickte und schwang sich träge aus dem Bett. Er schlüpfte in seine Sachen und trat in den Flur. Dort sah er Heinz stehen und irritiert ins Wohnzimmer blicken. Florian stand dort nämlich und räumte sein Bett zusammen. „Hallo, Heinz, alter Rennfahrer“, begrüßte Kai ihn und umarmte ihn kurz. „Was treibt dich denn nach Köln.“ „Die Sorge um meinen besten Freund, der sich in den letzten Monaten sehr selten meldet.“ „Entschuldige, aber ich hatte viel um die Ohren.“ Heinz deutete auf Florian. „Das sehe ich.“ Kai ging in die Küche und setzte Kaffee an. Heinz folgte ihm und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Florian stand in der Tür und musterte Heinz prüfend. Kai sah den analytischen Blick und meinte grinsend: „Er ist hetero.“ Florian nickte. „Und er ist mein bester Freund. Ich habe nicht gern Geheimnisse vor ihm.“ Florian verstand Kais versteckte Bitte. Er nickte erneut. „Geheimnisse sind nicht gut.“ Heinz verstand nur Bahnhof. Kai sah den irritierten Blick und sagte: „Ich erkläre es dir gleich.“ Er blickte zu Florian hinüber und deutete auf ein Bündel, welches neben dem Kühlschrank auf der Ablage lag. „Ist schon ziemlich spät heute.“ „Ja“, sagte Florian und nahm es. Er wollte ins Bad gehen, doch Kai schüttelte den Kopf. „Bleib hier. Wir haben doch gerade beschlossen, dass wir vor Heinz keine Geheimnisse haben brauchen.“ Florian zuckte leicht mit den Schultern und setzte sich an den Tisch. Er rollte das Bündel auf. „Ich brauche aber nicht jedes Mal Publikum beim Fixen“, murmelte er. Heinz hatte geschockt die Augen aufgerissen, als er die Spritze und das Rauschgift sah. „Ich hoffe, du hast dafür eine verdammt gute Erklärung, Kai.“ „Später.“ Florian setzte sich seinen Schuss und wusch die Spritze ab. Sorgfältig verpackte er alles wieder. „Du nimmst in letzter Zeit viel weniger als sonst, oder irre ich mich da?“ „Ich habe auch nicht mehr so viele Probleme wie sonst.“ Florian lächelte Kai dankbar an. Kai nickte und deckte den Tisch. Für Florian wärmte er etwas Suppe vom Vortag auf. Der saß am Tisch und versuchte, Heinz-Haralds analytischen Blicken zu entgehen. Als Kai sich mit hingesetzt hatte, verlangte Heinz eine Erklärung. Kai gab ihm diese. Er erzählte ihm grob von Florians früherer Kindheit, wie er auf die schiefe Bahn geraten war und später nach Deutschland flüchten musste. Auch über Benny´s Kneipe sprach er und wie er Florian kennen gelernt hatte. „Verstehe“, sagte Heinz am Ende. „Und dann hast du ihm angeboten, hier zu wohnen.“ „Richtig.“ Heinz sah Florian eine Weile schweigend an. „Du hast echt schon eine Menge hinter dir.“ Er war zum vertraulichen Du übergegangen und Florian war das ganz Recht so. Der nickte. „Ja. Aber es gab auch gute Momente. Zum Beispiel der, in dem ich Kai kennen gelernt habe.“ „Ja ja. Mein lieber Freund hatte schon immer ein sehr großes Herz. Und eine Schwäche für Männer wie dich.“ Florian horchte auf. „Männer wie mich?“ „Ich meine, vom Aussehen her, bist du genau sein Typ.“ Jetzt ging dem Mann ein Licht auf. „Deshalb hast dich an diesem Abend zu mir gesetzt. Du wolltest die Lage checken, schauen, ob ich noch zu haben bin. Warum bist du nicht weiter gegangen?“ „Ich habe deine Augen gesehen. Sie waren so unendlich traurig. Ich war mir sicher, dass du keinen weiteren Kunden, sondern einen Freund brauchst.“ Florian lächelte leicht. „Wie ich schon einmal gesagt habe, du bist ein Engel.“ Ganz sanft strich er Kai mit der Hand über die Wange. Dann stand er auf und verschwand im Bad. Heinz grinste leicht. „Läuft da etwas zwischen euch, von dem ich wissen sollte?“ „Nein. Ganz eindeutiges Nein. Florian hat mir einmal einen geblasen, als Dank praktisch. Ich wollte es eigentlich nicht, aber... ich konnte der Versuchung nicht widerstehen.“ „Du bist schwach“, rügte Heinz. Kai lachte. „Ja, bin ich. Vor allem, wenn es um ihn geht. Seitdem ist nichts wieder passiert in sexueller Hinsicht.“ „So kenne ich dich ja gar nicht. Du scheinst dich ja wirklich in ihn verliebt zu haben.“ „Sei bloß still. Ich will nicht, dass Florian sich durch meine Gefühle für ihn unter Druck gesetzt fühlt. Er soll sich erst einmal von allem erholen, was er hinter sich hat.“ „Ich glaube, dass hat er schon recht gut. Als ich vorhin reinkam und mich beschwert habe, dass du mir nichts von deinem neuen Freund erzählt hast, hat er mich regelrecht angestrahlt.“ „So?“ „Ja“, sagte Florian, der gerade wieder in die Küche zurück kam. „Ich war froh, dass Heinz mir meinen Beruf nicht gleich angesehen hat. Das ist ein riesiger Fortschritt für mich.“ Die drei Männer unterhielten sich noch eine ganze Weile und Heinz verstand langsam, was Kai an Florian so anziehend fand. Er war wirklich ein umgänglicher Mensch, wenn er seine anfängliche Scheu abgelegt hatte. „Warum bist du eigentlich hergekommen?“, fragte Kai, als Heinz wieder gehen wollt. „Nur um zu hören, wie es mir geht? Da hättest du auch anrufen können.“ Heinz schlug sich leicht mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Mann, das hätte ich ja fast vergessen. Ich fahre vielleicht ab kommendem Jahr für ein Formel 1-Team.“ „Was? Das ist ja genial. Bei wem?“ „Eddie Jordan hat mich angerufen und sich nach meinem Interesse erkundigt.“ Kai lachte. „Da hast du gute Chancen. Und Eddie hat schon oft einen guten Riecher bewiesen.“ „Eben.“ Heinz reichte Kai die Hand, winkte Florian zu und lief die Treppe hinab. „Wir sehen uns“, rief er von unten.
Anfang Dezember, Florian wohnte jetzt seit einem Monat bei Kai, vollzog sich ein entscheidender Wandel in dessen Leben. Er traf für sich eine Entscheidung, die allerdings nicht nur ihn, sondern auch Kai betraf. Er wusste jedoch, dass Kai ihn auf jeden Fall unterstützen würde. Eines Morgens, als er aufwachte, fühlte er sich ziemlich schlecht. Kai sah es, als Florian von Krämpfen geschüttelt durch die Wohnung schlich. „Du siehst ja grauenhaft aus“, sagte er. „Hängst du mit dem Spritzen so hinterher?“ „Ich habe gestern Morgen nur noch die Hälfte meiner üblichen Dosis genommen. Ich habe auch keinen Stoff mehr hier.“ „Soll ich dir was besorgen?“ In Kais Gesicht stand deutlich dessen Sorge. Florian sah ihn ernst an. „Nein, Kai. Ich will nichts mehr.“ Damit wankte er ins Bad, wo er sich über die Kloschüssel hing und sich übergab. Kai war mehr als erstaunt, als er begriff, was Florian da versuchte. Er ging ins Wohnzimmer und rief seinen Hausarzt an. Er bat ihn, sofort zu kommen. Dann ging er zu Florian ins Bad. Der wand sich vor Schmerzen auf dem Boden. Kai sah hilflos zu ihm hinab. Er war mit dieser Situation völlig überfordert. Eine Viertel Stunde später klingelte es. Doktor Schneider, Kais Hausarzt stand vor der Tür. „Gut, dass Sie da sind“, seufzte Kai erleichtert. Er zeigte ins Bad, wo Florian auf dem Boden lag. Der Arzt gab Kai seinen Mantel und ließ sich neben seinen Patienten auf den Boden sinken. „Was geht hier vor?“ „Das ist Florian. Er ist heroinabhängig und versucht anscheinend gerade einen kalten Entzug.“ Schneider sah Kai verblüfft an. „Freiwillig?“ Der nickte. „Wie lange ist er schon abhängig?“ „Zehn Jahre ungefähr.“ Doktor Schneider beugte sich zu Florian hinab. „Können Sie mich verstehen?“ „Ja“, keuchte der leise. „Sie wollen das wirklich durchziehen?“ „Unbedingt. Es ist mein Weihnachtsgeschenk an mich.“ Florian stöhnte auf, als ein neuer Krampf ihn schüttelte. „Ich gebe Ihnen etwas, das die Schmerzen ein wenig lindert.“ Er zog eine Spritze auf. „Haben Sie schon mal einen kalten Entzug gemacht?“ Florian wollte antworten, konnte aber nicht. Kai tat es für ihn. „Er wurde bereits vier Mal dazu gezwungen, aber er wollte es nie. Deshalb hat er jedes Mal wieder angefangen zu fixen.“ „Woher kommt er?“ „Ursprünglich Kroatien.“ „Und als was arbeitet er? Als Stricher?“ „Ja.“ Doktor Schneider sah Kai fragend an. „Was macht er dann bei dir? Ich wusste gar nicht, dass du sowas nötig hast.“ Er grinste leicht. „Ich habe mich mit ihm angefreundet und er wohnt seit einem Monat hier. Ich hatte irgendwie gehofft, dass er das Heroin aufgeben würde. Allerdings, wenn ich ihn jetzt so sehe...“ Der Arzt stand auf. „Florian weiß anscheinend sehr genau, worauf er sich da einläßt und er rechnet mit deiner Hilfe, sonst hätte er es woanders gemacht. Aber ich sage dir gleich, das wird alles andere als angenehm.“ Kai schluckte leicht. „Ich will ihm helfen, aber ich weiß nicht, wie.“ „Komm mit ins Wohnzimmer. Florian bleibt am besten die ersten Tage hier im Bad. Du hast doch Fußbodenheizung, nicht wahr?“ „Ja.“ „Lege ihm eine alte Decke hin, mehr braucht er nicht.“ „Aber das ist doch hart und unbequem.“ „Glaube mir, er hat andere Probleme. Er wird sich die ersten drei bis vier Tage überhaupt nicht unter Kontrolle haben. Weder physisch, noch psychisch. Du musst unbedingt regelmäßig nach ihm sehen. Er wird sich heute und morgen ständig übergeben, solange er noch etwas im Magen hat. Das ist normal. Das Gift von den Drogen muss raus aus dem Körper. Pass auf, dass er nicht an seinem Erbrochenen erstickt. Sorge am besten dafür, dass er immer auf der Seite liegt.“ Der Arzt drückte Kai einige Spritzen in die Hand. „Das ist eine leichte Valium-Mischung. Sie enthält auch etwas Metadon, eine Art Ersatzdroge. Gib ihm jeden Morgen eine davon. Wie man das macht, weißt du, oder?“ „Ich habe Florian öfter beobachtet, wie er sich das Heroin gespritzt hat.“ „Genauso gibst du ihm das Valium. Öffnen, Luft rausdrücken und einfach in den Arm oder Oberschenkel spritzen. Du kannst nichts verkehrt machen, da es nicht in die Vene gespritzt werden muss. Ich lasse dir meine Karte hier. Wenn was ist, oder du Fragen hast, ruf mich an. Jederzeit.“ „Danke für Ihre Hilfe.“ „Er ist doch nicht älter als du, oder?“ „Zwei Jahre jünger.“ „Na siehst du. Er hat eine Chance verdient.“ Der Arzt erhob sich. „Rede mit ihm, solange er noch ansprechbar ist. Er hat garantiert mordsmäßige Angst.“ Kai nickte und schloss die Tür hinter dem Arzt. Dann ging er in sein Schlafzimmer, holte eine Decke und brachte sie zu Florian ins Bad. Vorsichtig breitete er sie auf dem Boden aus und legte Florian darauf. Der sah ihn mit glasigem Blick an. Tränen liefen über seine Wangen. Deutlich sah Kai die Angst in seinen Augen. Die Angst, es nicht zu schaffen. “Keine Sorge, Florian. Du schaffst das schon. Ich werde dir helfen, so gut ich kann.“ „Dann tu mir einen Gefallen“, nuschelte er. Kai nickte. „Ich werde irgendwann anfangen, nach neuem Stoff zu betteln. Wenn es zu schlimm wird, hau mir eine runter.“ Schockiert sah Kai Florian an. „Aber ich kann dich doch nicht schlagen.“ „Es wird die einzigste Möglichkeit sein, mich in die Wirklichkeit zurück zu holen.“ Er keuchte schmerzerfüllt. Sein Körper verkrampfte sich. Seine Beine zuckten unkontrolliert vor und zurück. Kai zog ihn in seine Arme, schlang die Decke um ihn und hielt ihn einfach fest. Einige Stunden später verlor Florian aufgrund der Schmerzen das Bewusstsein. Kai war erleichtert darüber. Er litt genauso wie Florian. Florian hatte sich einige Male übergeben und Kai machte es jetzt notdürftig sauber. Danach ging er in das Wohnzimmer, nahm sein Handy und rief bei Doktor Schneider in der Praxis an. Die Schwester stellte ihn sofort durch. „Wie geht es dem jungen Mann?“, fragte Schneider sofort. „Er ist bewusstlos.“ „Die Schmerzen. Was er im Moment durchmacht ist die Hölle. Armer Kerl.“ „Was passiert, wenn er den Entzug hinter sich hat?“ „Ich habe ihm einen Platz in einem Krankenhaus besorgt. Er kann Mitte nächster Woche dorthin, wenn er bis dahin durchhält. Je nachdem, wie es ihm geht, wird er zwischen einigen Tagen und zwei Wochen dort bleiben und überwacht. Danach fängt seine Arbeit an. Sein Körper ist dann erst einmal weg von den Drogen, aber sein Geist... Es wird verdammt schwer.“ „Glauben Sie, er kann es schaffen.“ Schneider atmete tief durch. „Ich habe ehrlich gesagt noch nie jemanden kennen gelernt, der seit zehn Jahren heroinabhängig ist und dann freiwillig eine Therapie anfängt. Wenn er einen guten Grund hat, clean zu bleiben, kann er es eventuell schaffen. Aber die Chance ist sehr, sehr gering. Tut mir leid, Kai, aber ich denke, ich kann dir die Wahrheit sagen.“ „Danke, Doktor.“ Kai schwieg kurz. „Kann ich ihm irgendwie helfen?“ „Geh ehrlich mit ihm um. Versuche nicht, ihn zu doll zu schonen. Er würde sich bevormundet vorkommen.“ „Ich bin wahnsinnig stolz auf ihn.“ „Dann sag es ihm. Er scheint dir zu vertrauen und dich zu respektieren, sonst hätte er die Therapie nicht bei dir angefangen. Sag ihm, dass er das Richtige getan hat und dass du ihm helfen wirst. Es ist gut, wenn er jetzt nicht allein ist.“ Er machte eine Pause. „Und achte bitte darauf, ob seine Haut sich gelblich verfärbt und er Fieber bekommt. Das könnte auf eine Gelbsucht hindeuten. Ruf mich an, falls dir Symptome auffallen. Sie könnte ansteckend sein und du musst dich nicht unbedingt damit infizieren.“ „Danke nochmal, Doktor Schneider.“ „Keine Ursache. Das sind doch die Augenblicke, für dich ich jahrelang studiert habe. Es ist schön, einen Menschen zu finden, der so für ein normales Leben kämpft.“ Kai legte auf und saß eine Weile grübeln auf dem Sofa. Der letzte Satz hatte ihm zu denken gegeben. Vielleicht hatte er es wirklich geschafft und Florian die Hoffnung wieder gegeben. Die Hoffnung auf ein langweiliges, stinknormales Leben hier in Köln. Vielleicht sogar ein Leben, welches sie zusammen genießen könnten. Mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht ging Kai ins Bad zurück und setzte sich neben Florian auf die Decke.
Die nächsten zwei Tage war Florian überhaupt nicht ansprechbar. Er lag die meiste Zeit in einem unruhigen Schlaf oder weinte vor Schmerzen. Kai versuchte ihn zu trösten, so gut es ging und ließ ihn sonst in Ruhe. Er versuchte sich ein wenig auf seine Arbeit zu konzentrieren, was ihm jedoch nicht gelang. In Gedanken war er immer bei seinem kranken Freund. Die meiste Zeit saß er neben ihm. Am dritten Tag fing Florian an, Kai um Drogen anzubetteln. Dem fiel es verdammt schwer, hart zu bleiben. Florian setzte all seine Tricks ein, um Kai dazu zu bringen, ihm wenigstens ein wenig Stoff zu besorgen. „Komm schon, Kai. Ich habe wahnsinnige Schmerzen“, flehte er mit Tränen in den Augen. Er saß vor Kai auf den Knien und fuhr mit den Händen an dessen Oberschenkeln aufwärts. „Ich kann auch ganz toll danke sagen.“ Der saß auf dem Rand der Wanne und versucht Florian zu ignorieren. Er schob dessen Hände von sich weg. „Nein, Florian. Von mir bekommst du nichts.“ Das machte den jedoch so wütend, dass er sich aufrappelte und auf Kai los ging. Der schaffte es gerade so unter Florians Schlag wegzutauchen. Er packte dessen Arme und hielt ihn fest. Florian stieß wüste Drohungen und Verwünschungen aus. Blanker Hass funkelte in seinen Augen. Er versuchte sich zu befreien und erneut nach Kai zu schlagen. Er war zwar zu schwach, um sich überhaupt vernünftig auf den Beinen halten zu können, aber die Gier in ihm machte ihn zu einem gefährlichen Gegner. Irgendwann wurde es Kai zu bunt und auch zu gefährlich. Als Florian ihn mit der Faust über dem Auge erwischte, holte er aus und verpasste ihm eine Ohrfeige. Der hielt mitten in der Bewegung inne und starrte Kai erschrocken an. Der Schleier, der bis jetzt über seinen Augen gelegen hatte, war verschwunden. Tränen glitzerten darin. Florian schluchzte auf und sank auf den Boden zurück. Kai tat es unsagbar leid, was er getan hatte. Er kniete sich neben Florian und zog ihn in seine Arme. Er hielt den schluchzenden Mann fest an sich gepresst. Auch ihm liefen Tränen übers Gesicht. Die letzten Tage waren sehr hart gewesen. Kai war in dieser Nacht mit Florian im Arm eingeschlafen. Als er am Morgen aufwachte, fühlte er sich wesentlich erholter. Florian blinzelt ihn von unten an. „Wie geht es dir?“, fragte Kai vorsichtig. Er war auf alles gefasst. Florian schluckte leicht und antwortete mit kratziger Stimme. „Ich habe Durst.“ Überrascht sah Kai ihn an. Dann erhob er sich und füllte etwas Wasser in ein Glas. Er reichte es Florian. Der trank ein paar kleine Schlucke. „Danke“, sagte er und gab es Kai zurück. Der setzte sich wieder neben ihn und nahm eine Spritze in die Hand. Florian schüttelte jedoch den Kopf. „Du willst nicht?“ „Nein. Ich versuche gerade von einer Droge loszukommen. Valium ist genauso gefährlich.“ Kai lächelte. „Ich bin wahnsinnig stolz auf dich, Florian.“ Der sah ihn schüchtern an. „Wirklich?“ „Ja.“ Mit der Hand strich Florian vorsichtig über Kais Augenbraue, unter der sich die Haut blau verfärbte. Kai zuckte leicht zurück. „War ich das?“ „Ja. Es ist nicht so schlimm.“ „Es tut mir leid, Kai“, hauchte Florian. Dann fielen die Augen zu. Er war einfach zu erschöpft. Kai ließ ihn sanft auf die Decke gleiten. Er stand auf und ging in die Küche, um erst einmal etwas zu essen. Danach setzte er sich mit Doktor Schneider in Verbindung und erzählte ihm von der letzten Nacht. „Hervorragend. Damit dürfte Florian das Gröbste hinter sich haben. Wenn er die Spritzen nicht will, lass es. Zwing ihn nicht dazu. Er hat schon Recht, mit seinen Sorgen. Valium ist sehr gefährlich. Und das Metadon sowieso. Ich komme später mal kurz vorbei und schau ihn mir an.“ „Okay.“ Kai legte auf. Mit einer müden Geste strich er sich durch die Haare. „Ich brauche eine Dusche“, murmelte er, trottete ins Bad und zog sich aus. Florian lag auf seiner Decke und schlief fest. Einige Tropfen Wasser trafen Florian im Gesicht. Er öffnete die Augen und blinzelte leicht. Verwirrt blickte er nach oben zur Decke. Er hörte das Rauschen von Wasser, drehte sich langsam um und sah nach oben. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er Kai dort stehen sah. Vorsichtig erhob er sich und setzte sich gegen die Heizung. Kai ließ er dabei nicht aus den Augen. Der spürte nach einer Weile die Blicke, die Florian ihm zuwarf. Er sah zu ihm hinab und war etwas erstaunt, dass der wach war und ihn anstarrte. Dann jedoch lächelte er. „Gibt’s hier was zu sehen?“, fragte er unschuldig, wären er sich die Seifenreste vom Körper wusch. Florian nickte leicht. Er stand langsam aus, schälte sich aus seinen Sachen und kletterte zu Kai in die Wanne. Der war über Florians Initiative ein wenig erstaunt. Dann jedoch lächelte er und duschte ihn sanft ab. Er verrieb langsam das Duschbad auf Florians Körper und spülte es wieder ab. Florian genoss die sanften Berührungen mit geschlossenen Augen. Vor Kai hatte er keine Angst. Er wusste, dass der nichts tun würde, was er nicht wollte. Er lehnte sich gegen Kai, da er sich vor Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnte. Der nahm ihn in den Arm. „Ich bin so stolz auf dich“, murmelte er leise. Er nahm ein Handtuch und wickelte Florian darin ein. Florian sah ihn müde an. Die ganze Aktion hatte ihn wahnsinnig viel Kraft gekostet. „Findest du mich attraktiv, Kai?“, fragte er plötzlich. Kai war total überrascht von der Frage. Er nickte. „Ja“, stotterte er. „Ich finde dich sogar sehr attraktiv.“ Ein zufriedenes Lächeln legte sich über Florians Gesicht. Er schloss die Augen und schlief in Kais Armen ein. Der schüttelte ungläubig den Kopf, hob Florian hoch und trug ihn in sein Bett. Dort legte er ihn vorsichtig hin und deckte ihn zu. Lange stand er neben dem Bett und betrachtete Florian. Leider wurde er durch die Klingel aus seinen Gedanken gerissen. Er öffnete die Tür und Doktor Schneider betrat die Wohnung. „Wie geht es meinem Sorgenkind?“ „Ganz gut, schätze ich. Er liegt im Bett und schläft. Vorher hat er noch geduscht.“ „Wie hat er das allein hingekriegt?“, fragte der Arzt mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nicht allein, aber mit meiner Hilfe.“ Doktor Schneider nickte verstehend und folgte Kai in dessen Schlafzimmer. „Er hat aber nichts an“, meint Kai leicht verlegen. „Ist schon okay. Dann kann ich ihn mal grob durchchecken.“ Kai nickte. Florian war durch das Gespräch wach geworden und sah die beiden Männer fragend an. „Erinnerst du dich an Doktor Schneider?“, fragte Kai ihn. Florian nickte leicht. Der Arzt setzte sich an Florians Bett und sah sich dessen Augen an. „Wie geht es Ihnen?“ „Ganz gut. Ich habe nur wahnsinnige Halsschmerzen.“ Schneider wand sich an Kai. „Hat er sich viel übergeben müssen.“ Der nickte. „Dann ist das normal. Ich empfehle Milch mit Honig. Das macht den Hals wieder geschmeidig. Auf Medikamente würde ich verzichten, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Ich weiß nicht, wie Ihr Magen auf Chemikalien reagiert.“ „Es geht auch so.“ „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie mir mal genauer ansehe?“ Florian schluckte leicht. Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Wenn Kai hier bleibt, ist es okay.“ Kai nickte und setzte sich auf die andere Seite des Bettes. „Natürlich bleibe ich, wenn du das möchtest.“ Vorsichtig zog Doktor Schneider die Decke von Florians Körper. Der sah den Arzt starr an. Er hatte Angst. Durch die Krankheit fühlte er sich geschwächt und dadurch dem Arzt ausgeliefert. Er griff nach Kais Hand und hielt sie fest. Der lehnte sich zu ihm hinüber und strich ihm behutsam über den Kopf. Schneider sah sich Florians Oberkörper genau an. Vorsichtig tastete er ihn ab. „Sie haben etliche schwere Verletzungen gehabt, die aber alle ganz gut abgeheilt sind.“ Er machte weiter. „Ihnen geht es den Umständen entsprechen ganz gut, aber sie müssen schnellstens an Gewicht zulegen. Normalerweise müssten sie das Doppelte von dem wiegen, was sie jetzt wiegen.“ „Und wie, wenn er nichts drin behält?“ „Das wird schon wieder. Vielleicht kann er zu Weihnachten schon wieder normale Nahrung zu sich nehmen.“ Er sah Florian an. „Ihr Körper wird Ihnen sagen, was er will. Hören Sie auf ihn.“ Damit deckte er Florian wieder zu. „Ruhen Sie sich aus. Kai kann Sie am Dienstagabend ins Krankenhaus bringen. Aber ich glaube nicht, dass wir Sie lange dort behalten müssen. Sie erholen sich erstaunlich schnell.“ „Es wundert mich, dass meine Leber mitspielt.“ „Hatten sie schon mal Gelbsucht?“ „Einige Male. Durch Dope, welches nicht so gut war.“ Doktor Schneider nickte leicht. „Sie haben wieder Abwehrkräfte entwickelt. Wahrscheinlich durch regelmäßiges und gesundes Essen. Sie haben echt Glück gehabt.“ Florian nickte lächelnd. Nachdem der Arzt die Wohnung verlassen hatte, ging Kai zurück zu Florian ins Schlafzimmer. Er hatte ihm eine Tasse Milch heiß gemacht und Honig hinein getan. Der löffelte seine Medizin langsam. Kai sah ihm dabei zu. „Was hast du?“, fragte Florian nach einer Weile. Kai rutschte weiter nach oben. „Mir geht deine Frage von vorhin nicht aus dem Kopf. Warum wolltest du wissen, ob ich dich attraktiv finde? Merkst du das denn nicht?“ „Doch, eigentlich schon.“ Florian senkte leicht den Blick. „Aber ich habe es nicht geglaubt. Ich wollte, dass du es mir sagst. Schau mich doch an. Ich sehe ausgelaugt aus und total dürr.“ Ganz leicht strich Kai mit den Fingerspitzen über Florians Gesicht. Seine Wangenknochen traten deutlich und spitz hervor. „Vielleicht empfinden das andere Menschen so. Aber für mich bist du mein absoluter Traummann. Ich finde dich unsagbar attraktiv. Ich genieße es, mich mit dir zu unterhalten oder einfach nur bei dir zu sein.“ Der ließ langsam die Tasse sinken und stellte sie auf den Nachttisch. Ungläubig schaute er Kai an. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Er sah Kai tief in die Augen. „Ich habe mich in dich verliebt, Kai. Und ich kann es nicht begreifen, dass du meine Gefühle erwiderst.“ Kai schluckte die Tränen hinunter, die sich in seinen Augen gebildet hatten. „Hör doch endlich mit deinen Selbstzweifeln auf. Du bist so ein einzigartiger, liebenswerter Mensch. Ich habe mich unsterblich in dich verliebt. Und zwar in dem Moment, als ich das erste Mal in deine Augen gesehen habe.“ Er beugte sich zu ihm hinab und haucht ihm ganz zärtlich einen Kuss auf den Mund. Mit zitternden Fingern strich Florian über seine Lippen. „Wow.“ Er sah Kai an. „Ich muss dir etwas gestehen. Ich habe noch nie zuvor einen Menschen geküsst.“ Erstaunt sah Kai ihn an. Dann jedoch lächelte er. „Wir können das gern noch üben.“ Florian nickte, schlang die Arme um Kais Hals und zog ihn zu sich hinunter. Ihr Lippen fanden sich erneut. Kai ließ sich von Florian ausziehen und kroch zu ihm unter die Decke. Er spürte dessen nackte Haut auf seiner eigenen. Es erregte ihn, aber er wollte dem nicht nachgeben. Er wollte Florians derzeitigen geschwächten Zustand einfach nicht ausnutzen. Allerdings hatte Florian dazu eine andere Meinung. Der wollte nämlich schon ausgenutzt werden. Er streichelt Kai zärtlich, küsste ihn, verführte ihn nach allen Regeln der Kunst. Als er ihm zuletzt auch noch ins Ohr hauchte: ‘Schlaf mit mir’, konnte Kai nicht mehr widerstehen. Am nächsten Morgen verspürte Kai so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Florian lag zusammengerollt in seinem Arm und schlief. Ganz zärtlich strich Kai ihm über den nackten Rücken. Er spürte Florians Knochen, dachte darüber nach, wie er ihm helfen könnte. Florian wurde durch Kais sanfte Berührungen wach. Er rollte zur Seite und sah Kai erst ein wenig erschrocken, dann jedoch unendlich erleichtert an. Er küsste ihn. „Ich bin dir so dankbar, Kai“, flüsterte er in Kais Ohr. „Ich habe noch nie freiwillig mit einem anderen Menschen geschlafen. Ich hatte noch nie einen Orgasmus, weil ich Spaß beim Sex hatte. Ich hatte noch nie das Gefühl, etwas wert zu sein und von jemandem geliebt zu werden. Ich liebe dich, Kai. Ich liebe dich.“ Erneut küsste er ihn. Kai strich Florian über die Wangen über die Tränen liefen. Er zog ihn in seine Arme und fühlte sich unsagbar hilflos. Er hatte noch nie jemanden kennen gelernt, der sich so nach Wärme und Zuneigung sehnte. Florian war ein Kind, welches viel zu schnell erwachsen geworden war und jetzt Zeit brauchte, um viele Dinge aufzuarbeiten.
So vergingen die Tage und Wochen. Florian kam ins Krankenhaus, wurde grob untersucht. Man bescheinigte ihm eine starke psychische Abhängigkeit von Kai. Doktor Schneider verbürgte sich für Kais Seriosität und man entließ Florian auf eigenen Wunsch wieder. Er bekam einen Essensplan mit, nach welchem er sich ein wenig richten konnte. Meist aß er jedoch das, was Kai ihm vorsetzte. Und er vertrug es ausgezeichnet. Seinen alten Job als Stricher hatte Florian aufgegeben. Zusammen mit Kai hatte er sich von einigen Freiern verabschiedet, die nett zu ihm gewesen waren. Auch zu den Leuten auf der Straße waren sie gegangen. Sie hatten Florian alles Gute gewünscht und ihn für, hoffentlich immer, verabschiedet. In ihrer Beziehung zueinander waren Kai und Florian auch ein wenig voran gekommen. Kai bestand darauf, dass Florian erst einmal zu sich selber finden sollte, bevor er sich zu sehr an ihn band. Florian verstand das anfangs nicht ganz, akzeptierte es aber doch. Er schlief immer bei Kai, da er sich nachts in seinen Armen einfach am Sichersten fühlte. Kai verscheuchte seine Alpträume und tröstete ihn, wenn er zitternd aufwachte. Den Sex schränkte Kai ziemlich ein, obwohl ihm das verdammt schwer fiel. Und Florian bestand unbedingt darauf, dass sie Kondome benutzten.
Nun stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Es war der 22. Dezember, als Florian Kai einen riesigen Schrecken einjagte. Er hatte sich nämlich am Morgen still und heimlich aus der Wohnung verkrümelt. Er hatte Kai einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen. Als Kai aufwachte und ihn las, rann ihm ein Schauer über den Rücken. Er las ihn erneut. „Bin kurz in der Stadt und spätestens Mittag zurück. Mach dir bitte keine Sorgen, ich mache keine Dummheiten. In Liebe, Florian.“ Kai schüttelte den Kopf. Er machte sich natürlich Sorgen. Immer wieder fragte er sich, was Florian wohl in der Stadt wollte. Wie ein Tiger im Käfig lief er immer wieder zwischen Wohnzimmerfenster und Tür hin und her. Mehr als einmal war er drauf und dran, seinen Mantel zu nehmen und Florian zu suchen, doch er unterließ dies. Er verlangte von Florian, dass der ihm vertrauen sollte, aber er war dazu selber nicht fähig. Irgendwann hörte er den Schlüssel in der Wohnungstür. Er lief zur Tür und öffnete sie. Florian stand draußen und schaute Kai etwas scheu an. Er sah ziemlich durchgefroren und sehr erschöpft aus. Kai zog ihn wortlos in seine Wohnung und dort in seine Arme. „Mensch, Flo, da bist du ja endlich wieder.“ Florian lachte. An die Abkürzung seines Namens musste er sich erst einmal gewöhnen. „Ich habe doch geschrieben, dass ich zum Mittag wieder zurück bin.“ „Wo warst du? Warum hast du deinen alten Rucksack mitgenommen?“ „Das sage ich dir noch nicht. Tut mir leid.“ Florian zog seine Jacke aus. Er sah Kai an und erkannte die Zweifel in dessen Augen. Er schob die Ärmel seines Pullovers nach oben. „Ich habe keine Drogen genommen. Schau hin.“ Kai tat es. Er fand keine neuen Einstiche. „Und ich war auch nicht bei einem Freier. Dafür habe ich leider keine Beweise, da musst du mir so glauben.“ „Tue ich doch“, murmelte Kai leicht verlegen. „Ich habe mir eben nur wahnsinnige Sorgen um dich gemacht.“ „Das tut mir leid, Kai. Aber ich verspreche dir, du wirst bald verstehen, warum ich weg war. Jetzt brauche ich erst einmal ein Bad.“ Er ging ins Badezimmer. „Hilfst du mir beim Ausziehen?“, rief er von dort. Kai lachte und folgte seinem Freund. „Kannst du das nicht allein?“ „Ich will es nicht können.“ Erneut huschte ein Lachen über Kais Gesicht. Er zog Florian den Pullover aus, den er trug. Dann sein Hemd, seine Hose und die Unterwäsche, bis der schließlich völlig nackt vor ihm stand. Dann ließ er ihm Wasser in die Wanne und setzte sich auf den Toilettendeckel, während Florian sich aufwärmte. „Ich bin mit der S-Bahn gefahren und habe einen riesigen Weihnachtsmarkt gesehen. Können wir dort nicht einmal hingehen?“ „Wollte ich sowieso mit dir machen. Morgen.“ Kai lächelte. „Warst du schon einmal auf einem solchen Markt?“ „Im letzten Jahr. Aber da war ich auf der Suche nach Freiern, weil ich dringend einen Schuss brauchte. Ich hatte echt keine Zeit, mir irgendetwas anzusehen.“ „Wir haben morgen den ganzen Tag Zeit.“ Florian lächelte glücklich. „Wie schön.“ Nach dem Essen legte Florian sich ins Bett und schlief bis zum späten Abend. Er brauchte noch sehr viel Schlaf, da sein Körper nach wie vor extrem angegriffen war. Allerdings nahm er langsam zu und baute auch Muskeln auf. Kai war über diese kleinen Fortschritte extrem glücklich. Florians Rucksack stand in einer Ecke des Schlafzimmers. Und Kai hatte es sich sogar verkneifen können, hinein zu sehen. Am nächsten Morgen standen die beiden erst ziemlich spät auf. Sie aßen gemütlich und gingen dann, wie Kai es versprochen hatte, auf den Weihnachtsmarkt. Hand in Hand schlenderten sie durch die Menschenmassen, die sich vor den Verkaufsständen und Karussells stauten. Hin und wieder sah sie jemand komisch an, aber ein böser Blick von Kai sorgte jedes Mal dafür, dass die Gaffer sich schnell wieder um sich selber kümmerten. Florian war wie aufgedreht. Er kaufte so ziemlich von allem Essbarem, was es hier gab, etwas. Als sie nach einigen Stunden den einen Weihnachtsmarkt abgeklappert hatten, fuhren sie noch zu Benny. Der begrüßte Kai fröhlich. „Ihr beiden habt euch in letzter Zeit ja ziemlich rar gemacht. Alles in Ordnung?“ „Sicher doch“, Kai grinste ihn breit an. „Bring uns mal zwei Spezies.“ Die beiden Männer gingen an ihren Tisch und warteten dort auf die Getränke. Benny kam und stellte sie auf den Tisch. Dann musterte er Florian eingehend. „Du siehst richtig gut aus. Zwar etwas müde, aber gut. Kais Pflege scheint dir zu bekommen.“ „Nicht nur seine Pflege“, murmelte Florian und kuschelte sich gegen Kai. Benny starrte die beiden an. „Ihr seid richtig zusammen? Seit wann?“ „Seit zwei Wochen. Flo hat übrigens eine Therapie gemacht.“ Florian nickte zustimmend. „Super“, sagte Benny anerkennend. „War sicher verdammt schwer?“ „Ja, war es. Aber es war es wert.“ Der Wirt wurde von zwei anderen Gästen gerufen und verließ seine Freunde. Die saßen noch eine ganze Weile in der Kneipe und unterhielten sich. Vor allem über die Zeit, als sie sich kennen gelernt hatten. Spät in der Nacht fuhren sie nach Hause. Der nächste Tag war Heilig Abend. Kai fuhr früh kurz weg, um einen Tannenbaum zu holen, den er bei einem Freund bestellt hatte. Eine Stunde später war er damit wieder zurück. Er stellte ihn im Wohnzimmer auf, wo Florian inzwischen den Tisch gedeckt hatte. Zusammen aßen sie. Dann holte Kai die Kugeln, Lichterketten und anderen Weihnachtsutensilien hervor und fing an, die Wohnung festlich zu schmücken. Florian saß mit traurigem Gesicht auf dem Sofa und schaute Kai dabei zu. Dem fiel die trübe Stimmung seines Freundes auf. Er holte eine große Schüssel hervor und legte dort die ganzen Sachen hinein, die sie gestern gekauft hatten. Dann setzte er sich auf das Sofa zu Florian und sah ihn fragend an. „Was ist mit dir, Flo?“ „Ich muss die ganze Zeit an früher denken, als mein Vater noch bei uns war. Das war das letzte Mal, dass ich Weihnachten richtig gefeiert habe. Danach wurde dieses Fest zum blanken Horror für mich.“ „Wie habt ihr es früher gefeiert?“ Florian lächelte. „Meine Mutter hat uns etwas Tolles gekocht. Mein Vater und ich saßen bei ihr in der Küche und Vati hat uns Weihnachtsgeschichten erzählt. Abends am 24. Dezember sind wir dann gemeinsam in die Kirche gegangen. Und am nächsten Morgen gab es die Geschenke. Als meine Großeltern noch lebten, sind wir am 25. immer zur Mutter meines Vaters gefahren und am 26. zu meiner anderen Oma.“ „Ihr seid in die Kirche gegangen? Bist du Katholik?“ Florian nickte. „Ja. Ich hatte früher eine kleine Kette mit einem goldenen Kreuz. Meine Uroma hat es mir geschenkt, als ich geboren wurde.“ Schmerz flackerte in Florians Augen. „Alex hat sie mir weggenommen und verkauft.“ Kai legte zärtlich den Arm um die Schulter seines Freundes. Er spürte, dass der in Gedanken nicht wirklich bei den Weihnachtsfesten war, die er noch zu Hause erlebt hatte. Zu viel Angst war in seinen Augen. „Wie war es später, als du nicht mehr zu Hause warst“, hakte er vorsichtig nach. „Als ich... als ich bei den anderen war, hat der Hausherr mich und die anderen Kinder früh morgens aus den Betten geholt und nackt an ein Holzkreuz gebunden. Die Kreuze lagen auf dem Boden. Jedes Mal, wenn ein Gast kam, musste einer von uns ihn befriedigen. Am Abend gab es dann immer eine Orgie, bei der uns der Hausherr grün und blau schlug und uns dann nacheinander vergewaltigte, während seine Freunde zusahen. Dann fielen die anderen über und her.“ Florian schluchzte. Er zitterte am ganzen Körper. Kai hatte Mühe ihn wieder zu beruhigen. „Bei Alex wurde es dann etwas ertragbarer. Dort musste ich morgens einige Freier abarbeiten. Abend tanzte ich meist in einer Bar, in der er sich mit Freunden getroffen hat. Nachts schlief ich jedes Mal bei Alex. Er wollte meist ein paar Mal in der Nacht mit mir schlafen, aber er war Gott sei Dank nie so brutal wie der alte Hausherr es gewesen war. Obwohl auch er mich hin und wieder schlug, wenn er einen schlechten Tag gehabt hatte.“ Florian kuschelte sich schutzsuchend gegen Kai. Der hielt ihn sanft fest. Er hatte vor Wut Tränen in den Augen. Was Florian in seinem Leben schon alles ertragen hatte, war unfassbar. „Ich schwöre dir, dass das nie wieder jemand mit dir machen wird.“ Florian sah ihn dankbar an. Kai stutzte plötzlich. „Du hast getanzt?“ Florian nickte mit einem leichten Lächeln. „Ja. Striptease. Ich habe es zwar nicht freiwillig gemacht, aber es war eine schöne Art, seine Gefühle raus zu lassen. Ich liebe Musik.“ „Mmm... schade, dass ich das nie gesehen habe. Du warst sicher ganz großartig.“ Der nickte und stand auf. Langsam bewegte er sich vor Kais Gesicht. „Ja, war ich. Alex hat oft gesagt, ich bin der beste Tänzer, den er je hatte.“ Damit verschwand er im Bad. Den Rest des Tages genossen die beiden mit etwas typisch Weihnachtlichem. Nämlich mit Märchenfilmen im Fernsehen. Sie saßen zusammengekuschelt unter einer Decke und knabberten ein paar der Leckereien, die sie gestern mitgebracht hatten. Florian vertrug alles. Sogar das Glas Glühwein, welches Kai ihm vorsetzte. Natürlich war sehr wenig Alkohol in dem Glas, dafür hatte Kai schon gesorgt. Gegen sechs Uhr klingelte das Telefon. „Das ist Heinz“, sagte Kai und ging ran. Er schaltete auch den Lautsprecher ein, damit Florian mithören konnte. „Hi, du rasender Reporter. Was macht das Fest? Und dein Gast?“ Kai lachte. „Mein Gast macht mich sehr glücklich. Flo hat eine Drogentherapie gemacht und kommt jetzt ohne seine Spritzen aus.“ „Glückwunsch. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht ganz leicht war.“ „War es nicht“, sagte Florian. „Und sonst?“, bohrte Heinz weiter. Florian und Kai lachten sich an. „Wir sind jetzt richtig zusammen“, sagte Kai lächelnd und küsste Florian kurz auf die Lippen. „Das freut mich für euch.“ Eine Weile plauderten sie noch mit dem Rennfahrer, dann legte der auf. Kai stand nach dem Telefonat auf und nahm seinen und Florians Mantel. Er half seinem Freund beim Anziehen und schob ihn dann nach draußen. Es war bitterkalt in diesem Jahr und Kai schaltete im Auto sofort die Heizung ein. „Wohin willst du mit mir?“, fragte Florian verwirrt. Kai schwieg und fuhr los. Er fuhr in die Stadt und hielt irgendwann vor einer kleinen Kirche. „Ich dachte, du solltest vielleicht mal wieder hallo zu jemandem sagen.“ „Meinst du, er will mich noch sehen?“ „Natürlich, Flo. Komm, wir gehen rein.“ Florian hakte sich bei Kai ein und ging mit ihm langsam ins Innere der kleinen Kirche. Hier war es relativ warm und menschenleer. Florian war das ganz Recht. Er löste sich von Kai und schritt auf den Altar zu. Kai hatte mit der Kirche nicht viel am Hut. Er glaubte an sich und daran, dass er fast alles beeinflussen könnte, was seinem Leben in die Quere kam. „Obwohl ich dir schon einen Dank schulde, weil ich Florian kennen gelernt habe“, murmelte er kaum hörbar in Richtung des gekreuzigten Jesus, der über dem Altar hing. Florian stand vor dem Altar. Er bekreuzigte sich und sank vor dem Heiligen auf die Knie. „Ich weiß, dass ich sehr lange nicht hier war“, sagte er leise. „Aber ich hatte Angst, dass du mich nicht mehr willst.“ Eine Hand legte sich auf Florians Schulter. „Er verstößt keines seiner Kinder, egal, was es getan hat.“ Ein grauhaariger Mönch mit gütigen Augen stand hinter Florian. Der hatte sich sehr erschreckt und war aufgesprungen. „Ich bin Pater Johann“, stellte der Mann sich vor. „Florian. Kann ich vielleicht mit Ihnen reden, Vater?“ Der nickte. „Aber sicher. Komm mit, mein Sohn.“ Er führte Florian zu einem Beichtstuhl, damit der in Ruhe seine Sorgen loswerden konnte. „Woher kommst du, mein Sohn?“ „Aus Zagreb.“ „Kroatien. Ein wunderschönes Land. Das Bildnis unseres Herren stammt aus Dubrovnik, von einem sehr begabten Schreiner.“ Florian sah zu dem gekreuzigten Jesus. „Ja“, murmelte er hasserfüllt. „Leute an ein Kreuz hängen, kann man bei mir zu Hause sehr gut.“ Pater Johann sah Florian verwundert an. Er führt ihn in den Beichtstuhl und setzte sich dann ebenfalls. „Sprich aus, mein Sohn, was dich so bedrückt.“ Und Florian erzählte. Er fasste grob zusammen, was in seinem Leben alles schief gelaufen war und berichtete dem Geistlichen auch von seinen Selbstzweifeln. Genauso erzählte er ihm von Kai und von der Therapie. Als er geendet hatte, war der Pater ziemlich blass. Er hatte in seiner Laufbahn schon viel gehört, aber solche Abscheulichkeiten waren selbst ihm fremd. Er trat neben Florian. „Hör mir jetzt gut zu, mein Sohn. Du bist an deinem Schicksal völlig unschuldig. Man hat dich dein Leben lang ausgenutzt und es ist ein Fehler, wenn du dir dafür die Schuld gibst. Du warst ein Kind, unfähig dich zu wehren. Sei dankbar, dass Gott dir einen Engel gesandt hat, dich zu retten und nutze die Gunst der Stunde.“ Er lächelte und deutete auf Kai, der auf einer der hinteren Bänke saß und auf Florian wartete. Florian nickte. „Er ist wirklich ein Engel. Und ich bin unfähig, ihm zu danken.“ „Für ihn ist ein Lächeln in deinen Augen Dank genug, da bin ich mir sicher. Du solltest nicht versuchen, mehr von dir zu geben, als er braucht.“ „Danke, Pater Johann. Es hat gut getan, mal wieder mit einem Boten Gottes auf Erden zu sprechen. Manchmal dachte ich, er hätte mich vergessen.“ Florian kniete wieder vor dem Altar nieder. Pater Johann sah ihn eine Weile an. ‘Ich habe immer gedacht, er achtet auf alle seine Schäfchen, aber bei dir hat er wohl viel zu lange weggesehen’, dachte der Mann und ging auf Kai zu. Der erhob sich und sah den Pfarrer erwartungsvoll an. Der stellte sich bei Kai vor. „Sie haben eine große Pflicht übernommen. Passen Sie gut auf ihn auf, er hat genug gelitten.“ „Ich weiß, Pfarrer Johann. Ich wünschte, ich könnte etwas von dem, was mit ihm geschehen ist, wieder gut machen.“ „Sie sollten hören, wie er über Sie spricht. Dann wüssten Sie, dass Sie das bereits tun.“ Er blickte Kai ernst an. „Ich habe noch nie so etwas Furchtbares gehört, wie von Florian. Es ist ein Wunder, dass er seinen Lebenswillen wiedergefunden hat.“ „Es ist doch Weihnachten“, sagte Kai lächelnd. „Zeit für Wunder.“ Prüfend sah er den Pater an. „Sie scheinen keine Probleme, damit zu haben, dass Florian und ich uns lieben.“ „Ich bin nicht Rom. Ich sehe, was aus dieser Liebe entsteht. Genießen Sie sie.“ Florian trat zu den beiden. Kai legte den Arm um dessen Hüfte, verabschiedete sich von Pater Johann und ging mit Florian zu seinem Wagen. „Wie fühlst du dich?“, fragte er, als sie wieder in Kais Wohnung waren. „Erleichtert.“ Florian sah Kai ernst an. „Ich habe das Gefühl, ganz langsam die Kontrolle über mein Leben wiederzubekommen.“ „Das ist gut.“ Kai druckste eine Weile herum. „Ich habe eine Anliegen an dich.“ „Raus damit.“ Die beiden Männer gingen ins Wohnzimmer und setzten sich auf die Couch. „Ich habe eine Art Tradition. Ich fahre normalerweise jedes Jahr am ersten Weihnachtsfeiertag zu meinen Eltern. Ich sehe sie oft das ganze Jahr nicht. Würdest du mich begleiten? Ich möchte dich ihnen vorstellen.“ Florian schluckte nervös. „Wenn es dir zu schnell geht, bleiben wir hier.“ „Nein, nein, das ist es nicht. Ich bin ja schon neugierig, sie kennen zu lernen und auch mal zu sehen, wo und wie du aufgewachsen bist. Aber ich habe Angst. Willst du ihnen sagen, was ich früher gemacht habe?“ „Auf jeden Fall. Ich kann meine Mutter nicht anlügen. Sie würde es sofort merken.“ „Was werden sie sagen.“ Kai zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Wirklich. Ich denke nicht, dass sie uns rausschmeißen, aber für alles andere kann ich nicht garantieren.“ „Und du willst es trotzdem riskieren?“ „Unbedingt.“ Er kniete sich vor Florian auf den Boden. „Florian, ich liebe dich. Ich bin nicht bereit, diese Gefühle vor irgendjemandem zu verstecken. Sie sind einfach zu stark.“ Florian blinzelte die Tränen weg, die sich in seinen Augen gesammelt hatten. „Ich liebe dich“, hauchte er leise und küsste Kai. „Womit habe ich dich nur verdient?“ Den Rest des Abends verbrachten die beiden auf der Couch. Sie sahen sich im Fernsehen eine Weihnachtsansprache des Bundeskanzlers an und schalteten den Kasten dann wieder aus. Statt dessen legte Kai eine Schallplatte auf und sie genossen einfach ihre Zweisamkeit. Kurz nach Mitternacht erhob sich Florian und ging ins Schlafzimmer. Er kam mit einem kleinen Päckchen wieder raus und überreichte es Kai feierlich. „Das ist für dich. Deshalb war ich auch am 22. in der Stadt.“ Kai lächelte und packte es aus. Eine Kette kam zum Vorschein. Als Anhänger hing dort ein kleiner goldener Buddha mit grünen Augen. Kai blieb der Mund offen stehen. „Ich habe sie bei einem Trödler gekauft“, sagte Florian. „Meine Oma hatte so eine ähnliche. Der Buddha symbolisiert Freundschaft und Harmonie. Die Augen stehen für Glück und Hoffnung. Die Kettenglieder sind Hände, die einander festhalten. Angeblich soll sie eine Geschichte haben, aber die kenne ich nicht. Ich will dir damit einfach zeigen, was ich mir für unsere Zukunft wünsche.“ Kai starrte die Kette sprachlos an. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er lehnte sich zu Florian hinüber und küsste ihn sanft. „Danke.“ Er legte sie sich um und legte ein Versprechen ab. „Ich werde sie nie wieder abnehmen, solange ich lebe.“ Florian lächelte zufrieden. Kai hatte den Sinn seines Geschenks also verstanden. Dann erhielt er von Kai sein Geschenk. Er wickelte das schmale Päckchen aus. Eine Karte kam zum Vorschein, die an einem Band hing. Ungläubig schaute Florian sie an. Seine Augen leuchteten. „Das... das ist eine VIP-Karte für die Formel 1 - Strecken.“ Kai nickte lächelnd. „Genau. Ich finde, du brauchst Urlaub. Und ich möchte dich immer bei mir haben. Und da ich im nächsten Jahr bei allen Rennen live dabei bin, dachte ich mir, wenn du willst, kannst du mich begleiten.“ „Das ist genial.“ Florian fiel Kai freudestrahlend um den Hals. „Du bist der größte, Kai. Das habe ich mir immer gewünscht, mal live bei einem Rennen dabei sein zu können. Und du schenkst mir die Eintrittskarte in diesen Zirkus und dann noch für alle Strecken.“ „Freut mich, dass es dir gefällt. Heißt das, du begleitest mich?“ „Natürlich. Mit dir gehe ich überall hin... sogar zu deinen Eltern.“ Kai lachte. „Das ist gut.“
Am nächsten Morgen fuhren die beiden Männer mit Kais Wagen nach Mönchengladbach. „Ich warne dich noch mal vor. Wie schon gesagt, meine Familie ist ziemlich reich. Aber, wie du an mir siehst, man kann trotzdem normal bleiben.“ „Nun sei doch nicht so nervös“, sagte Florian grinsend. „So habe ich dich ja noch nie erlebt.“ Als Kai auf das Grundstück seiner Eltern einbog, verstand Florian, was Kai so nervös machte. Ein hoher eiserner Zaun umgab einen wunderschönen Park. Ein breiter Kiesweg führte hindurch und endete schließlich vor einer riesigen Villa. „Ich bleibe im Auto“, sagte Florian, der mit weit geöffnete Augen und einem starren Blick auf das Haus auf dem Beifahrersitz saß. „Nein, bleibst du nicht.“ Kai stieg aus. In dem Moment öffnete sich die Tür und ein junger Mann trat heraus. Er winkte Kai zu und kam die Treppe herunter gerannt. „Mein Bruder“, sagte Kai in den Wagen. „Schön, dich zu sehen“, rief Jörg Kai zu. Er umarmte ihn kurz und blickte dann in den Wagen. „Will dein Freund nicht aussteigen?“ Florian öffnete die Tür und stieg langsam aus. Schüchtern blickte er Jörg an. „Jörg, das ist Florian. Flo, mein Bruder“, stellte er die beiden einander vor. Jörg gab Florian die Hand und schüttelte sie. „Schön, dich kennen zu lernen.“ An seinen Bruder gewandt fragte er: „Ist das was Ernstes, dass du ihn zu Weihnachten hierher mitbringst.“ Kai sah ihn empört an. Dann jedoch lächelte er. „Flo wohnt bei mir.“ Der sah ihn erstaunt an. „Oh. Na dann.“ Er blickte Florian schräg von der Seite an. „Kannst du sprechen?“ Jetzt musste Florian lachen. „Ja, kann ich.“ „Woher kommst du? Ich meine, deinem Akzent nach bist du kein gebürtiger Kölner.“ „Ich stamme aus Kroatien.“ „Kroatien. Na ja, Kai ist schon immer für Überraschungen gut gewesen.“ Jörg tauchte gerade so unter dem Schlüssel weg, den Kai in seine Richtung geworfen hatte. Er lachte und schnappte sich die Tasche seines Bruders. „Kommt rein. Mum und Dad erwarten euch schon.“ „Hat der immer so ein loses Mundwerk?“, fragte Florian Kai. Der nickte. „Du hast ihn gerade bei der Aufwärmrunde erlebt. Aber er ist wirklich ein guter Mensch. Nur halt sehr direkt.“ „Damit kann ich umgehen.“ Florian mochte Kais Bruder. Er hoffte, dass dessen Eltern ihn auch akzeptieren konnten. In der Eingangshalle wurden Kai, Jörg und Florian von einem Butler empfangen, der ihre Mäntel entgegen nahm . „Das ist Hans. Er arbeitet schon seit über vierzig Jahren für unsere Familie.“ Danach brachte Jörg Kai und seinen Freund in ein stilvoll und sehr teuer eingerichtetes Wohnzimmer. Dort stand ein Mann an einem Fenster. Eine Frau saß vor dem Kamin in einem Sessel. Ihre Augen strahlten, als sie Kai sah. Sie stand auf und kam ihm entgegen. „Mein Junge“, sagte sie und drückte ihn an sich. „Wie schön, dass du gekommen bist.“ „Ich freu mich auch, Mama.“ „Du siehst gut aus.“ Kai Mutter sah ihren Sohn prüfend an. Dann fiel ihr Blick auf Florian. Kai begrüßte indessen seinen Vater mit einer kurzen Umarmung. Auch er war froh, Kai mal wieder zu sehen. Dann trat Kai neben Florian. „Ma, Pa, ich möchte euch Florian vorstellen.“ „Ein neuer Freund von dir?“, fragte Kais Vater. Bevor Kai antworten konnte, sagte seine Mutter leise: „Nein, Peter. Sieh dir die beiden an. Er ist die große Liebe deines Sohnes.“ Florian und Kai sahen sich überrascht an. Kai räusperte sich leicht. „Siehst du? Was habe ich dir gesagt? Man kann ihr nichts vormachen.“ „Setzt euch bitte hin, Kinder.“ Sie setzte sich auf den Sessel, auf dem sie auch vorher schon gesessen hatte und klingelte nach dem Butler. „Bring uns bitte eine Kanne Tee und fünf Tassen.“ „Sehr wohl“, sagte der mit einer angedeuteten Verbeugung und verschwand. Minuten später war er mit dem Gewünschten wieder da. Jörg schenkte für alle ein und setzte sich dann ebenfalls. Auch Florian und Kai hatten Platz genommen. Kais Vater stand nach wie vor am Fenster. „Keine Angst, Florian, das wird nur ein kleines Verhör. Mich interessiert es natürlich, was für ein Mensch Sie sind. Sie haben meinen Sohn nämlich ziemlich verändert.“ Florian nickte. „Wieso habe ich bei Ihnen das Gefühl, einen Roman vor mir sitzen zu haben? Einen jungen Menschen, der bereits viel erlebt und gesehen hat. Einen jungen Mann in dessen Augen ich die Sehnsucht nach einem Zuhause sehen kann.“ Florian sah Kai verblüfft an. Der nickte seiner Mutter zu. „Du hast es mal wieder erraten. Florian stammt ursprünglich aus Kroatien. Er hat sehr früh seine Familie verloren und wurde dann von Leuten groß gezogen, die ihn ausgenutzt, geschlagen und missbraucht haben. Sie haben ihn auf die Straße geschickt. Ich will jetzt nicht näher darauf eingehen. Florian ist irgendwann aus Kroatien geflüchtet und nach Köln gekommen. Er hat auf der Straße gearbeitet und ich habe ihn vor fast einem Jahr in einer Szenekneipe kennen gelernt.“ Kais Mutter nickte verständnisvoll. Sein Vater trat ein paar Schritte auf Florian zu. „Nehmen Sie Drogen?“ Er sah ihn durchdringend an. „Ich habe jahrelang Heroin gespritzt, um die Arbeit ertragen zu können.“ Florian zitterte. Kai nahm seine Hand und streichelte sie beruhigend. „Wie lange?“ „Zehn Jahre ungefähr.“ „Und jetzt?“ „Ich habe gerade eine Entziehungskur hinter mir.“ „Warum haben Sie aufgehört?“ „Kai hat mir angeboten, bei ihm zu wohnen. Er hat mir Stück für Stück die Kontrolle über mein Leben zurück gegeben. Ich gehe nicht mehr auf den Strich, also brauche ich auch die Drogen nicht mehr.“ Eine ganze Weile sah Kais Vater den Freund seines Sohnes an. Dann glitt sein Blick hinüber zu Kai. „Schön, dass du dir endlich jemanden gesucht hast, der Mut und innere Stärke besitzt.“ Er wand sich wieder Florian zu. „Es war sicher nicht leicht, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Respekt, junger Mann.“ Über Kais Gesicht legte sich ein erleichtertes Lächeln. Er und Florian hatten gewonnen. Kais Vater mochte ihn. „Danke, Pa“, murmelte Kai. Der nickte und reichte Florian die Hand. „Ich heiße Peter. Meine Frau heißt Elisabeth, aber die Familie nennt sie Lizzy.“ Florian nickte leicht. „Danke, Peter.“ Der nickte und verließ das Zimmer. Kai zog Florian in seine Arme und küsste ihn. „Du hast es geschafft, Flo.“ Der lehnte sich gegen Kai. „Anscheinend.“ „Sie sind so dünn, Florian. Lässt Kai Sie so hungern?“ „Nein, das tut er nicht. Während ich die Drogen genommen habe, habe ich kein vernünftiges Essen vertragen. Ich habe mich fast neun Jahre nur von Joghurt und Quark ernährt.“ „Um Himmels Willen. Haben Sie Hunger, Florian?“ Der nickte schüchtern. „Irgendwie schon.“ „Was möchten Sie?“ Florian sah Kai fragend an. Der sagte nach einigen Überlegungen. „Lass den Koch eine Hühnersuppe mit Reis kochen. Das ist für ihn im Moment das Beste.“ Elisabeth Ebel ging nach draußen und gab dem Koch die entsprechenden Anweisungen. Jörg wand sich an Florian. „Du hast Dad beeindruckt. Das schaffen nicht viele.“ „Da hat er Recht“, sagte Lizzy, als sie den Raum wieder betrat. Glücklich sah sie ihren Sohn an. „Ich freue mich, dich so zu sehen, Kai. Du siehst so unendlich zufrieden aus.“ Der nahm die Hand seines Freundes. „Bin ich auch, Ma. Das bin ich.“ „Madam“, sagte Hans und trat in den Raum. „Besuch für Ihren älteren Sohn.“ Kai zog die Augenbrauen hoch. In diesem Moment betraten Heinz-Harald Frentzen und Michael Schumacher das Wohnzimmer. Sie begrüßten Kais Mutter und wanden sich dann Kai zu. „Frohe Weihnachten, Alter“, begrüßte Heinz Kai. Er grinste Jörg zu. Auch Michael wünschte ein frohes Weihnachtsfest. „Was treibt euch denn hierher?“, fragte Kai überrascht. „Ich hatte gehofft, dass du Florian mitbringst. Michael wollte ihn gern mal kennen lernen. Außerdem wollte ich euch beistehen, falls deine Eltern mit Florian Probleme haben sollten. Aber das ist ja anscheinend nicht so.“ Er stellte den Rennfahrer und Kais Freund einander vor. Michael Schumacher war, genau wie Heinz, ein alter Freund von Kai. Obwohl zwischen Heinz und Michael beruflich eine enorme Konkurrenz bestand, waren sie privat sehr enge Freunde. „Dann sind ja genau die richtigen Leute hier“, sagte plötzlich Kais Vater. „Kommt mal mit raus, Jungs.“ Er begrüßte Heinz und Michael mit einem festen Händedruck und ging dann raus auf den Hof der Villa. Die beiden Rennfahrer, Jörg, Kai und Florian folgten ihm neugierig. „Ich habe für euch beide eine kleine Überraschung“, wand sich Peter Ebel an seine Söhne. „Die Firma hat zwei Autos geschenkt bekommen. Ich kann damit aber nicht viel anfangen. Deshalb wollte ich sie euch schenken, wenn ihr sie wollt.“ Auf dem Hof standen zwei nagelneue Sportwagen. Den fünf Männern blieb der Mund offen stehen. „Das sind Maserati“, sagte Florian leise. Kai nickte. „Der schwarze gehört mir“, sagte er, als er sich wieder gefangen hatte. „Ist okay“, stimmte sein Bruder zu. Zusammen nahmen sie die Wagen genaustens unter die Lupe. Kai sah Florian an. „Na, was denkst du? Wieviel sind die wert?“ Florian sah sich den Wagen an und rechnete. „Ungefähr 280 000 Dollar.“ „Beide?“, fragte Jörg. „Einer.“ „Oh“, sagte Kais Vater erstaunt. „Sind Sie sich sicher?“ „Pa. Wenn sich einer hier mit Autos auskennt, ist das Florian.“ „Danke, Dad“, rief Jörg aufgeregt. „Du bist toll.“ Er sprang in den Wagen und fuhr los. Auch Kai bedankte sich artig bei seinem Vater. „Steigt ein“, sagte er dann zu Florian, Heinz und Michael. „Wollen wir doch mal sehen, was der so kann.“ Kai donnerte zu einer Renn- und Teststrecke, die auf dem Gelände lag, welches zur Villa gehörte. Dort zog Jörg bereits seine Runden. Kai setzte sich hinter ihn und lieferte sich mit seinem Bruder ein kleines Rennen. Irgendwann hielt er an. „Wahnsinn.“ Er sah Florian an. „Willst du mal fahren?“ Verblüfft starrte der auf den Schlüssel, den Kai ihm hinhielt. „Ich habe nicht einmal einen Führerschein.“ „Aber fahren kannst
Nach dem Essen gingen die Männer nach oben in Kais Zimmer und ließen Kais Eltern im Wohnzimmer allein. Kai öffnete die Tür und wollte in sein Zimmer treten, als plötzlich eine kleine grau getigerte Katze auf den Flur lief. Die Männer sahen sie verwundert an. „Du hast übrigens einen Gast in deinem Zimmer“, rief Kais Mutter von unten. „Sie heißt Susi.“ Die Katze sah nach unten und miaute bestätigend. Dann lief sie auf Florian zu und schlich um dessen Beine. Der hob sie hoch und streichelte sie lächelnd. „Ich hatte früher einen Kater. Er hieß Mikosch.“ „Darum ist sie gleich zu dir gelaufen“, sagte Jörg. „Sie spürt, dass du Katzen magst. Nicht wahr, Susi?“ Die Katze stieß ein langes Knauen aus. „Bei dem Namen würde ich auch knauen, Susi. Das kannst du mir glauben“, sagte Florian leise. Die Katze sah ihn an und knaute wieder. Alle lachten und verschwanden mit dem Tier in Kais altem Zimmer. Florian sah sich alles genau an. Der Tür gegenüber stand ein Bett direkt unter dem Fenster. Gegenüber dem Bett, auf der rechten Seite sah Florian einen Schreibtisch und darüber ein Regal, auf welchem diverse Pokale und Gürtel standen. „Du warst ziemlich erfolgreich als Boxer“, bemerkte er. „Ja.“ „Warum hast du aufgehört?“ „In meiner Gewichtsklasse als Amateur hatte ich alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Für mich gab es keine Herausforderung mehr. Und als Profi hätte ich viel mehr trainieren müssen und dazu hat mir die Lust und das Durchhaltevermögen gefehlt.“ Florian nickte und trat an den Schreibtisch heran. Dort stand ein Foto, welches einen ziemlich jungen Kai zeigte. Er saß auf einem Cart. Neben ihm saß Heinz und grinste in die Kamera. Beide trugen Mechanikeroveralls und sahen ziemlich schmutzig aus. „Ist schon einige Jahre her“, murmelte Heinz grinsend. Florian entdeckte auf dem Schreibtisch ein weiteres Foto. Ein junger Mann von etwa 18 Jahren war darauf zu sehen. Er war sehr schmächtig, aber ansonsten sah er verdammt gut aus. Er lächelte, aber seine Augen waren merkwürdig stumpf. „Wer ist das?“, fragte Florian Kai, der neben ihn getreten war. Der schluckte hart. „Das war Maik. Er war fast zwei Jahre mein Freund.“ „War?“ „Er starb kurz vor seinem 18. Geburtstag.“ „Er hat gedrückt.“ „Ja. Er starb an einer Überdosis Heroin. Ich fand ihn in unserem Strandhaus. Wir wollten das Wochenende dort verbringen und in seinen Geburtstag reinfeiern.“ Florian sah Kai entsetzt und verstehend an. „Jetzt verstehe ich deine Abneigung gegen Drogen. Es tut mir leid, Kai.“ Der atmete tief durch. „Du hast ihn sehr geliebt, oder?“ Kai nickte. Tränen standen in seinen Augen. Florian zog ihn in seine Arme. „Ich hatte nicht mal die Chance, mich von ihm zu verabschieden. Ich habe dieses verdammte Heroin einfach unterschätzt.“ „Ich weiß, wie du dich fühlst. Bei uns auf der Straße gab es nicht solche engen Freundschaften, aber es war jedes Mal ein Schock für alle, wenn einer gestorben war. Ich habe das so oft erlebt.“ Langsam löste sich Kai von Florian. Tränen glitzerten auf seinen Wangen. Florian küsste sie sanft weg. „Es ist schön, dich zu haben“, sagte Kai leise. „Du verstehst mich.“ „Zu gut. Leider viel zu gut.“ Heinz, Michael und Jörg standen am Fenster und beobachteten das Pärchen. Heinz lächelte. Er freute sich für Kai, dass der endlich jemanden gefunden hatte. Florian und Kai setzten sich auf das Bett. Die kleine Katze kuschelte sich gegen Florians Bauch und schloss zufrieden die Augen. „Was ist los?“, fragte Florian Michael. Der sah ihn ertappt an. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anstarren.“ „Schon okay. Aber das beantwortet meine Frage nicht.“ „Ich hab ja von Heinz gehört, wie dein Leben bis jetzt so verlaufen ist. Aber richtig vorstellen kann ich es mir nicht. Es hört sich so unwahrscheinlich an.“ „Es war leider sehr wahrscheinlich. Ich bin froh, dass ich von der Straße weg bin.“ „Hast du denn keine Wohnung in Köln gehabt?“ „Wovon sollte ich die denn bezahlen? Ich habe nicht so viel verdient. Mein gesamtes Geld ging für das Heroin drauf. Ich hatte meine Stammkunden und deshalb auch nie wirklich Sorgen, dass ich nicht genug Stoff hatte, aber es blieb mir auch nie wirklich Geld über. Ich habe, gerade im Winter, oft bei Freiern übernachtet.“ „Aber das heißt doch automatisch...“ Florian nickte leicht. „Das heißt automatisch, dass ich mit ihnen schlafen musste. Ich habe es gehasst.“ „Welche Art Freier war dir am Liebsten?“, fragte Heinz, der dem Gespräch bis jetzt schweigend zugehört hatte. „Die Familienväter. Familienkutsche, Kindersitz auf der Rückbank und immer in Sorge, dass ihre Frauen sie erwischen könnten. Die haben relativ gut gezahlt, nicht rumgezickt und haben es höchstens französisch verlangt. Die hatten mehr Angst vor mir, als umgekehrt. Der Job war ertragbar, solange sie mich nicht angefasst haben.“ „Was für Arten von Freiern gab es noch?“, fragte Jörg. „Da waren junge Schwule. Die waren meist auch okay. Sie wollten nur probieren, ob es ihnen mit einem Mann gefällt, oder nicht. Meist sahen sie auch noch ganz nett aus. Leider haben einige von ihnen nicht zahlen wollen. Normalerweise habe ich mir das Geld vorher geben lassen, aber das war nicht immer möglich. Dann gab es Freier, die einen Prügelknaben brauchten. Sie waren immer sehr brutal, wollten richtigen Sex und haben nur gezahlt, wenn ich auch gekommen bin. Es war furchtbar für mich. Wie soll man sich entspannen, wenn man mit jemandem im Bett liegt, der einen vorher zusammengeschlagen hat. Am meisten Angst hatte ich immer vor Zuhältern. Es war gefährlich, an sie zu geraten. Sie haben einen zusammengeschlagen und ausgenommen. Immer mit der Drohung, an sie Abgaben zu leisten oder aus ihrem Bezirk zu verschwinden.“ Florian zitterte. Kai sah ihn fragend an. „Was ist passiert?“ „Ich war noch neu hier in Köln. Da hat dieser Daniel mich in seine Wohnung gelockt. Er hat mich von seinen Bodyguards zusammenschlagen lassen und mich danach vergewaltigt. Drei Tage hat er mich festgehalten. Schläge, Tritte, Sex. Und ich war voll auf Turkey.“ Wut blitzte in Kais Augen. „Dieses Schwein. Warum hast du mir das nicht schon vorher erzählt? Als er dich das letzte Mal beim Wickel hatte, zum Beispiel.“ „Weil ich das Gefühl hatte, du würdest dann etwas sehr Schlechtes tun.“ „Darauf kannst du Gift nehmen. Jetzt weiß ich auch, warum er mich so panisch angesehen hat, als ich deinen Namen fallen ließ. Aber den erwische ich noch.“ Kai ballte seine Hände zu Fäusten. Florian legte seine Hände sanft auf Kais Wangen. „Lass es sein, Kai. Das war vor über einem Jahr. Es ist vorbei.“ Kais Gesicht wurde weicher, als er in Florians Augen sah. „Wenn dich nochmal ein Kerl anfäßt, bringe ich ihn um.“ Florian lehnte sich gegen Kai. Die Drohung war nicht so ernst gemeint, dass wusste er, aber er fühlte sich bei seinem Freund einfach sicher. Kai würde ihn in Zukunft beschützen. „Wie hast du das alles ertragen?“, fragte Michael geschockt. „Die Vergewaltigungen?“ Der Fahrer nickte leicht. „Ich war daran gewöhnt, dass man meinen Körper nicht respektierte. Ich habe es ja selber nicht einmal getan. Sonst hätte ich kaum gefixt. Es war schlimm. Jedes Mal. Aber ich habe es immer wieder über mich ergehen lassen, weil ich das verdammte Geld gebraucht habe. Heute würde es mir sehr viel mehr ausmachen.“ „Du kennst Kai doch schon eine Weile“, sagte Heinz nachdenklich. „Hast du von Anfang an gemerkt, dass er sich in dich verliebt hatte?“ „Ja. Irgendwie habe ich es sofort gespürt. Aber ich konnte es einfach nicht glauben.“ „Hat es sich auf deine Einstellung zu deiner Arbeit ausgewirkt?“ „Am Anfang überhaupt nicht. Aber als ich im Oktober zu ihm gezogen bin... Es war schon komisch, jeden Morgen aus dem Haus zu gehen, die Freier abzuarbeiten, Drogen zu kaufen und dann zu ihm zurückzukehren.“ „Wie war es für dich?“, fragte Jörg seinen Bruder. „Ich war schrecklich eifersüchtig. Und mir hat Florian jeden Tag mehr leid getan, dass er zu diesen Männern zärtlich sein musste. Ich habe ja erlebt, wieviel Angst er vor körperlicher Nähe hatte.“ „Angst vor körperlicher Nähe? So sieht das aber nicht aus“, meinte er und deutete auf Florian, der dicht an Kai gekuschelt dalag. „Jetzt nicht mehr“, sagte Florian. „Am Anfang haben mich allein Kais Blicke schon gestört. Aber er hat sich mein Vertrauen ganz langsam erarbeitet.“ „Warum hast du ihm das Geld für Drogen nicht gegeben?“, fragte Heinz seinen Freund. „Du hast es doch.“ „Ich hätte es nie genommen“, sagte Florian. „Ich wollte nicht schon wieder von jemandem abhängig sein. Kai hat mir die Freiheit gelassen, meinen Job zu machen oder ihn zu bitten, mir die Drogen zu bezahlen. Ich habe es hin und wieder genutzt.“ „Es ist gut, dass du die Therapie gemacht hast.“ Kai sah Florian stolz an. „Dadurch bist du viele Probleme losgeworden.“ Der nickte und schloss erschöpft die Augen. Heinz gähnte und erhob sich. Er verabschiedete sich von den anderen und ging in eines der Gästezimmer, welches er immer bewohnte, wenn er hier war. Auch Michael verschwand recht schnell. Jörg sah seinen Bruder an. „Schlaft ihr hier oder soll ich für Florian das Gästezimmer vorbereiten lassen?“ Kai sah seinen Freund an. Der murmelte: „Ich bleibe hier. Wir haben schon Platz.“ „Okay. Gute Nacht dann, ihr beiden.“ Er verschwand. Florian sah Kai von unten an. „Wir haben etwas vergessen.“ Er grinste. „Ich würde gern mit dir schlafen, wo ich jetzt so viel über Sex geredet habe, aber wir haben keine Kondome hier.“ Kai grübelte. „Warte mal.“ Er stand auf und verließ das Zimmer. Er lief über den Flur zu einer Tür und klopfte. Sein Bruder steckte den Kopf heraus und schaute ihn fragend an. „Was ist? Hat Florian dich rausgeschmissen?“ Kai schüttelte etwas verlegen mit dem Kopf und schob seinen Bruder in dessen Zimmer. „Hast du Kondome hier?“ Jetzt lachte Jörg laut auf. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich fass es nicht.“ Er ging zu seinem Nachttisch, zog die oberste Schublade auf. „Zwei?“, fragte er. Kai nickte leicht. Jörg warf Kai die Gummis zu. „Hier. Könnt ihr behalten.“ „Ha ha“, sagte Kai. Er war ziemlich rot im Gesicht. „Danke.“ „Keine Ursache.“ Jörg klopfte Kai leicht auf die Schulter. „Viel Spaß.“ Der verschwand wieder in sein Zimmer. Florian sah ihn fragend an. „Von wem hast du die dir geborgt?“ „Von Jörg. Er meinte, wir können sie behalten.“ Florian lachte und nahm sie Kai aus der Hand. Er zog sich langsam aus. Kai machte das unheimlich an und Florian wusste es genau. In dieser Nacht schliefen sie erst sehr spät ein. Die Katze lag in einem Körbchen neben der Tür und hatte die beiden Männer beobachtet, was Kai anfangs ziemlich gestört hatte. Am Morgen stichelte Jörg am Frühstückstisch eine Weile rum, weil die beiden Männer nicht sehr ausgeschlafen aussahen. Kais Eltern waren noch am Abend zu Freunden gefahren, so dass er kein Blatt vor den Mund nehmen musste. Das ging so lange, bis Kai ihm einen Tritt gegen das Schienbein versetzte. Florian grinste. „Was ist?“, fragte Kai verwirrt. „Ich habe nur gerade an gestern Nacht gedacht. An Susi.“ Er lachte. Kai verdrehte die Augen. „Ich hasse es nun mal, wenn mir jemand zusieht.“ Dann lachte auch er. Heinz zog die Augenbrauen hoch. „Du hattest Probleme, weil dich eine Katze beim Sex beobachtet hat?“ Er grinste breit. Kai nickte ernst und senkte verschwörerisch die Stimme. „Du hättest mal ihre großen Augen sehen sollen. Sie hat uns die ganze Zeit angestarrt.“ Jetzt lachten alle. Nach dem Essen fuhren Michael und Heinz zu sich nach Hause und holten ihre Sachen. Florian zog sich in die Bibliothek zurück und gab Kai und Jörg somit Zeit, auch mal allein miteinander zu reden. Die beiden Brüder gingen raus zu ihren neuen Autos und schauten sie sich noch einmal in Ruhe an. Gegen Mittag kamen Lizzy und Peter Ebel nach Hause zurück. Lizzy sah nach dem Koch, der das Essen zubereitete, während Peter in die Bibliothek ging. Dort sah er Florian vor einem Stapel Bücher sitzen und lesen. Er sah sich die Bücher genauer an. Es waren historische Romane und Biographien, die allerdings ausschließlich in Latein geschrieben waren. Auch drei Wörterbücher lagen aufgeschlagen auf dem Tisch. „Wie geht es, Florian?“, fragte Peter seinen Gast in Latein. „Sehr gut, danke der Nachfrage“, antwortete der mit einem leichten Akzent. Erstaunt sah Peter ihn an. „Hervorragend. Seit wann lernst du die Sprache?“ Florian sah auf seine Uhr. „Seit... seit drei Stunden.“ „Das ist ein Scherz, oder?“ Er sah in Florians Augen. „Kein Scherz. Das ist unglaublich. Du hast wirklich eine Menge Grips. Schade, dass das nie gefördert wurde.“ Er setzte sich zu ihm und erklärte ihm noch einige Dinge über die Grammatik und die Aussprache bestimmter Wörter und Wendungen. Eine Stunde später gab es Essen und die beiden gingen ins Esszimmer. Florian unterhielt sich angeregt mit Peter. Und zwar in der neuerworbenen Sprache. Kai sah ihn überrascht an. „Ich habe diese blöde Sprache sechs Jahre in der Schule gelernt und verstehe nicht die Hälfte von dem, was ihr da redet.“ Jörg nickte zustimmend. „Florian hat das alles innerhalb von vier Stunden gelernt. Die Vokabeln hat er sich alle allein erarbeitet. Er hat ein fotografisches Gedächtnis.“ Florian war ein wenig rot geworden. Er war diese Anerkennung einfach nicht gewöhnt. Kai sah ihn stolz an. „Mein Freund“, sagte er. „Ist er nicht schlau. Und gut aussehen tut er auch noch. Hab ich ein Glück.“ Die anderen lachten. „Jetzt mach aber mal halblang“, sagte Florian leicht empört und setzte sich neben ihn. Kai küsste ihn kurz und lächelte ihn an. Florian erwiderte das Lächeln. Am Nachmittag saßen Florian und Peter erneut in der Bibliothek und Peter erklärte Florian einige Dinge, die in den Bereich der Wirtschaft gingen. Der saugte die Informationen auf, wie ein Schwamm. Peter Ebel kam gar nicht so schnell mit dem Erklären hinterher. „Ich wünschte, meine beiden hätten nur halb so viel Interesse am Lernen gezeigt, wie du.“ Stolz sah Florian den Vater seines Freundes an. „Mir macht es Spaß. Ich möchte einfach einige Dinge lernen, jetzt, wo ich dazu Zeit habe.“ Er senkte leicht den Blick. „Ich brauche schließlich einen Job. Ich kann Kai nicht ewig auf der Tasche liegen.“ Peter legte Florian leicht die Hand auf den Arm. „Du wirst das kommende Jahr erst einmal nutzen, um alles zu vergessen, was du erlebt hast. Zumindest insoweit das überhaupt möglich ist. Kai hat mehr Geld, als du dir vorstellen kannst. Es macht seinem Konto nichts aus, wenn er sich um dich kümmert. Und einen Job kriegst du überall. Das Wissen kannst du dir so schnell anlernen, das habe ich ja jetzt gesehen.“ „Aber ich habe nie eine Schule besucht.“ „Egal. Wenn du willst, mach doch den Abschluss in der Volkshochschule nach. Die einfachen Sachen kann dir Kai beibringen. Wenn es etwas länger dauert, kommst du her und wir setzen uns zusammen. Ich arbeite nur noch sehr selten in der Firma. Jörg macht das hervorragend. Und für die Bewerbungen später kann ich dir ein Schreiben mitgeben. Mein Wort zählt eine Menge.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ Florian sah beschämt zu Boden. „Alle sind so nett zu mir. Das habe ich gar nicht verdient.“ Peter lachte leise. „Kai hat mich schon vor deinen Minderwertigkeitsattacken gewarnt. Florian, sieh mich bitte an. Kai ist mein Sohn. Für mich zählt am Meisten, dass er und sein Bruder glücklich sind. Und wenn du die Person bist, die ihn glücklich machen kann, werde ich euch beide mit allem unterstützen, was ich besitze. Und zwar in jeder Hinsicht. Verstanden?“ „Ja.“ Florian blinzelte die Tränen weg, die sich in seinen Augen gebildet hatten. „Wir können dir keine Familie ersetzen, Florian. Aber wir werden versuchen, es dir hier so angenehm wie möglich zu machen. Also komm zu uns, wenn du Probleme hast. Wir sind auf jeden Fall für dich da.“ Er legte den Arm um Florians Schulter. „Ich bin froh, dass Kai sich endlich einen Freund gesucht hat, der Grips und Gefühl besitzt. Es tut mir leid, was du alles hinter dir hast, aber du solltest versuchen, nach vorn zu schauen. Vergiss das Vergangene. Du hast Fähigkeiten, baue sie aus. Mach was aus dir.“ Der Mann stand auf und ging in Richtung der Tür. „Ich wäre sehr stolz, wenn ich einen Sohn wie dich hätte.“ Er sah Kai an, der im Türrahmen stand und das ganze Gespräch beobachtet hatte. Mit einem leichten Lächeln klopfte er ihm auf die Schulter. „Danke, Pa“, sagte der leise und lächelte seinem Vater zu. Der nickte und zwinkerte seinem Sohn zu. Kai ging zu Florian, der am Tisch saß und auf den Boden starrte. Als er den Blick hob, war sein Gesicht nass von Tränen. Kai zog ihn in seine Arme. Florian schluchzte und klammerte sich an ihm fest. Die beiden Männer saßen noch eine ganze Weile in der Bibliothek und redeten. Florian zeigte Kai auch noch, was dessen Vater ihm alles beigebracht hatte. „Ich werde meinen Abschluss hier in Deutschland nachmachen“, sagte Florian entschlossen. „Meinst du, ich könnte mein Abitur auch nachholen?“ „Mit Leichtigkeit.“ Kai war sich ganz sicher, denn die Rechnungen, die Florian ihm hier vorgelegt hatte, gehörten zum vierten Semester BWL und Florian hatte sie ohne jegliche Schwierigkeiten verstanden und konnte sie auch richtig anwenden. Am Abend fuhren Florian, Kai, Heinz, Michael und Jörg zum Shoppen in eine riesige Einkaufspassage. Sie hatte bis Mitternacht geöffnet und die Männer amüsierten sich köstlich. Kai nutzte die Zeit und deckte Florian mal wieder mit neuen Sachen ein, die dieser noch brauchte. Der hörte auch auf, ein schlechtes Gewissen zu haben und ließ Kai die Freude. Heinz und Michael spielten die Modeberater während Jörg auf der Suche nach Zubehör für seinen Computer war. Natürlich erhielt Florian auch eine komplette Skiausrüstung. Da sie so viel gekauft hatten, nahmen sie die Sachen nicht mit, sondern ließen sie zu Kai nach Hause schicken.
Gegen Mittag des nächsten Tages hatten sie alles im Pick-Up von Kais Vater verstaut und waren jetzt auf dem Weg zur Skihütte. Sie fuhren circa vier Stunden, dann erreichten sie einen Supermarkt. Dort kauften sie Lebensmittel für eine Woche, beluden den Wagen und fuhren in die Berge. Kai fuhr, da er die Strecke am besten kannte. Und er brauchte sein gesamtes fahrerisches Können, um die letzten Kilometer bis zur Hütte zu kommen. Das Wetter war zwar gut, aber hier oben hatte es tagelang geschneit und die Wege waren so gut wie gar nicht zu erkennen. Florian saß auf dem Beifahrersitz und betrachtete den Wald um sich herum, während Kai weiter mit dem Wagen kämpfte. Hin und wieder stieß er einen nicht ganz jugendfreien Fluch aus. Es war bereits dunkel, als sie die Hütte erreichten. Kai hielt auf dem Vorplatz an und alle stiegen aus. „Endlich da“, sagte Michael gedehnt und streckte sich. Florian sprang aus dem Wagen und versank bis zu den Knöcheln im Schnee. Er sah die Hütte mit offenem Mund an. „Mann, ist die groß.“ Kai zuckte etwas verlegen mit den Schultern. Er fing an, die Sachen auszuladen. Die anderen halfen ihm. Als der Wagen leer war, fuhr Kai ihn in eine Garage, die neben dem Haus angelegt worden war. Jörg schloss in der Zwischenzeit die Tür auf und ließ die anderen ins Haus. Sie brachten ihre Sachen und das Essen ins Wohnzimmer und in die Küche. Jörg stellte alles weg. Michael machte ein Feuer im Kamin, während Heinz die Heizungen in allen Räumen andrehte. „So, der Ofen läuft. Es wird ganz schnell warm hier drin.“ Kai betrat den Flur und zog erst einmal seine Jacke und seine Stiefel aus. Er schlüpfte in ein dickes Paar Socken und ging dann ins Wohnzimmer. Florian saß auf dem Sofa und unterhielt sich mit Heinz. Die beiden hatte sich in den letzten Tagen sehr angefreundet, was Kai mit großer Freude sah. Heinz winkte ihm zu. „Alles klar?“ „Sicher“, sagte Kai und ging in die Küche zu seinem Bruder. Der hatte eine Flasche Whiskey in der Hand und fünf Gläser. Kai trug alles ins Wohnzimmer und rief Michael noch dazu. Zusammen tranken sie einen Willkommensschluck. Auch Florian nippte einmal kurz an seinem Glas. Den Rest überließ er Kai. Alkohol war nicht sein Ding. Es war ihm zu scharf. Nachdem sich die fünf Männer etwas zu essen gemacht hatten und zusammen Abendbrot gegessen hatten, zog sich jeder in eines der oberen Zimmer zurück. Florian und Kai quartierten sich in dem Zimmer ein, in welchem sonst eigentlich nur Kais Eltern schliefen. „Es hat das größte Bett“, hatte Kai grinsend gesagt. Florian hatte geduscht und saß jetzt an Kai gekuschelt vor dem Kamin, der auch in diesem Zimmer angelegt war. Schweigend beobachteten die beiden Männer, wie die Holzscheite langsam verbrannten. Plötzlich klopfte es zaghaft. „Herein“, rief Kai und sah fragend zur Tür. Heinz steckte den Kopf ins Zimmer und fragte vorsichtig: „Darf ich mal kurz stören?“ „Du darfst auch lange stören“, sagte Kai mit einem leichten Lächeln. Er sah, dass Heinz etwas auf dem Herzen hatte und dringend mit jemandem reden wollte. „Setz dich.“ Er deutete auf einen freien Sessel, der neben dem Sofa stand, auf welchem er mit Florian saß. „Ich muss mal mit dir reden“, sagte Heinz und ließ sich in den Sessel fallen. „Wenn es dir nichts ausmacht, dass Flo mit zuhört.“ Heinz druckste eine Weile herum. „Eigentlich... ist er sogar besser geeignet, um mir zu helfen. Aber ich weiß nicht, ob... du das so gut findest.“ Kai wurde neugierig. „Erzähl schon. Was hast du auf dem Herzen?“ „Du kennst doch Heike?“ „Die Kleine, mit der du zusammen warst?“ „Genau die. Ich habe mich von ihr getrennt, weil es im Bett nicht mehr richtig geklappt hat.“ Kai zog eine Augenbraue hoch. „Und das bei dir?“ „Ja. Und vor allem, es lag an mir. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Jedes Mal, wenn ich mit einer Frau ins Bett gehe, fühle ich mich hinterher unbefriedigt. Das hält keine Beziehung lange aus.“ Kai und Florian nickte verständnisvoll. „Was ist dein Problem?“, fragte Florian. „Kannst du dich nicht richtig entspannen? Bist du zu verkrampft?“ „Nein, nicht wirklich. Aber... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ich habe immer das Gefühl, dass ich nicht auf meine Kosten komme.“ „Du hast also spezielle Wünsche. Dann sag den Frauen doch einfach, was du magst.“ Heinz sah ihn verzweifelt an. „Das ist es ja. Ich weiß es nicht genau, was ich vermisse.“ Kai ging ein Licht auf. „Und jetzt hoffst du, dass Flo dir aus seinem großen Wissensarchiv einen Tip geben kann.“ „So ungefähr. Ich wüsste auch nicht, mit wem ich sonst darüber reden könnte.“ Er blickte auf den Boden. Kai legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir sind deine Freunde. Es ist schon okay, dass du zu uns gekommen bist.“ Florian nickte leicht. Er erhob sich von der Couch und hockte sich vor Heinz hin. Eine Weile sah er ihn von unten an. „Hast du eigentlich schon mal mit einem Mann geschlafen?“ „Nein“, sagte Heinz kopfschüttelnd. „Ich bin hetero.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher.“ Florian sah Kai an. „Ich habe ein sehr feines Gespür für Menschen entwickelt. Gerade wenn es um intime Probleme geht. Heinz, ich glaube, du bist bisexuell veranlagt. Und was dir fehlt, ist der Sex mit einem Mann. Du sehnst dich innerlich danach, hast aber Angst, es zuzugeben. Und durch Kais offenen Umgang mit seiner Homosexualität sind dir Zweifel gekommen. Tip von mir: Versuche rauszufinden, ob du mehr auf Männer oder auf Frauen stehst und schlaf einfach mal mit einem Mann.“ Heinz und Kai sahen sich an. Kai lächelte leicht. „Sprechstunde beendet. Höre auf Flo, vielleicht hat er Recht. Er bestätigt nämlich meine leise Ahnung.“ „Aber... wie soll ich jemanden kennen lernen, der einfach mal so mit mir schläft? Außerdem habe ich überhaupt keine Erfahrung mit Männern.“ „Wir kennen genug Leute. Oder du gehst zu einem meiner früheren Kollegen.“ Florian sah ihn ernst an. „Und wenn das jemand ausplaudert, kann ich meine Karriere beenden.“ Verzweifelt sah der Rennfahrer seine Freunde an. „Da hast du Recht. Es wäre nicht so gut, wenn das publik wird. Wenn du dir sicher bist, ist das was anderes, aber so...“ Kai grübelte eine Weile. Florian schluckte leicht. „Es gäbe noch eine Möglichkeit zumindest mal zu testen, ob du irgend etwas empfindest, wenn es um Homo-Sex geht.“ Kai sah Florian fragend an. Plötzlich wusste er, was sein Freund meinte. „Flo, ich weiß nicht...“ „Ist er nun dein bester Freund, oder nicht.“ „Sicher...“ „Und er hat dolle Probleme.“ Kai nickte leicht. Florian lehnte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: „Kai, ich weiß, dass du damit Probleme hast, aber genieß es doch einfach als einmalige Erfahrung.“ Kai schluckte. „Und du hast keine Probleme damit?“ „Nein. Erstens habe ich es schon unzählige Male gemacht und zweitens vertraue ich euch blind.“ „Okay.“ Kai sah Heinz an. „Ich habe zwar immer noch leichte Bedenken, aber Florian hat Recht. Sieh uns einfach mal zu.“ Verwirrt sah Heinz zu den beiden hinüber. „Zusehen? Wobei?“ „Dabei“, sagte Florian lächelnd und küsste Kai innig. Der erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Er schob seine Zunge in den Mund seines Freundes und spielte mit ihm. Florians Hände lagen auf Kais Brust und glitten jetzt langsam nach unten. Heinz sah die beiden erst überrascht an, dann jedoch lehnte er sich in seinem Sessel zurück und akzeptierte die etwas ungewöhnliche Hilfe. Vielleicht würde es ihm helfen. Und er musste zugeben, dass er die zärtlichen Liebkosungen, die Kai und Florian austauschten, irgendwie genoss. Er sah Kais Zunge im Mund seines Freundes verschwinden, beobachtete Florians Hände, die langsam an Kais Körper nach unten wanderten und schließlich seine Hose öffneten. Er hatte immer gedacht, sowas zu sehen, wäre ihm unangenehm, aber das Gegenteil war der Fall. Es erregte ihn ungemein. Florian öffnete Kais Hose und zog sie ihm runter. Dann kam dessen Slip. Zärtlich strich er mit den Fingern über Kais erregtes Glied. Dann fing er an, seinen Freund mit dem Mund zu befriedigend. Er tat dies betont langsam und warf Heinz hin und wieder einen Blick zu. Kai hatte fast völlig vergessen, dass Heinz noch im Zimmer war. Er ließ sich einfach fallen. Mit einem leisen Aufschrei kam er schließlich. Florian schluckte das Sperma seines Freundes hinter. Zärtlich küsste er Kai. „Du bist wahnsinnig gut“, lobte Kai. Florian lächelte zufrieden. Kai sah Heinz an. Er zog eine Augenbraue hoch. „Anscheinend stehst du wirklich drauf“, meinte er. Er und Florian sahen sich eine Weile an und Kai nickte schließlich. „Einmal. Weil er seit Jahren mein bester Freund ist. Und nur, wenn du willst.“ „Ich habe keine Probleme damit.“ Florian ging zu Heinz und ließ sich vor ihm auf die Knie sinken. „Entspann dich“, sagte er zärtlich. Heinz war wahnsinnig nervös. Er schluckte, versuchte etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Florians Hände ruhten auf der Brust des Rennfahrers, die sich hastig hob und senkte. Sie glitten weiter nach unten. „Willst du zusehen?“, fragte Florian Kai. „Denkst du, ich lass dich mit einem so gutaussehenden Mann allein?“ Florian lächelte und widmete sich wieder seiner Arbeit. Seine Hände lagen inzwischen auf Heinz-Haralds steifem Glied. Langsam öffnete er die Hose des Mannes. Heinz warf Kai einen scheuen Blick zu. Der lächelte leicht. „Genieß es. Florian hat eine Menge Erfahrung. So jemanden kriegst du wahrscheinlich nie wieder.“ Florian senkte den Kopf und strich leicht mit der Zunge über Heinz-Haralds sensibelstes Körperteil. Der stöhnte leise auf. Er schloss die Augen und versuchte einfach, die Gefühle zu genießen, die Florian in ihm wachrief. Der zog ihm ein Kondom über und stimulierte ihn weiter. Heinz kam ziemlich schnell aufgrund seiner ungewöhnlich starken Erregung. Florian zog das Kondom ab und beseitigte es. Dann machte er Heinz sauber. Als dem bewusst wurde, was er hier gerade getan hatte, wurde er ziemlich rot. Verlegen sah er von Kai, der nach wie vor auf der Couch saß, zu Florian, der ihn vorsichtig mit einem Lappen abwusch. „Ich kann langsam verstehen, dass du so begehrt warst“, sagte er. Florian nickte lächelnd. „Wie war es für dich?“ „Ein sagenhaftes Erlebnis. Ich glaube, jetzt könnte ich ohne Komplexe mit einer Frau schlafen.“ Er dachte kurz nach. „Was würdet ihr jetzt machen, wenn ich nicht hier wäre?“ „Wir würden uns lieben bis zum Umfallen“, sagte Kai trocken. Er sah Heinz durchdringend an. „Was ist?“ „Wie sieht Sex bei Männern aus?“ Florian setzte sich zu Kai während Heinz sich langsam wieder anzog. „Eigentlich auch nicht so viel anders als bei Hetero-Paaren. Männer haben nicht ganz so viele Spielmöglichkeiten, aber mit etwas Phantasie kann man eine Menge daraus machen.“ Er grinste Kai an. „Und wir haben in letzter Zeit viel Phantasie entwickelt.“ Heinz stand auf und zog sich richtig an. „Ich danke euch beiden“, sagte er. „Ich weiß, dass das, was ihr für mich getan habt, über alles hinaus geht, was man normalerweise für einen Freund tut.“ „Kein Problem“, sagte Kai grinsend. „Ich muss zugeben, ich fand es sogar irgendwie erregend, beobachtet zu werden.“ „Ach so“, meinte Florian grinsend. „So kommt’s raus.“ Er sah Heinz an. „Gib’s doch zu, Heinz. Du würdest doch gern Mäuschen spielen und uns noch eine Weile beobachten.“ „Sicher. Ich bin jetzt neugierig geworden. Aber ich schätze, damit würde ich meine Freundschaft zu Kai etwas überstrapazieren.“ Der grübelte eine Weile, dann grinste er. Er löste langsam das Band, welches Florians Bademantel zusammenhielt. Sanft streifte er ihn von dessen Schultern und ließ ihn auf den Boden gleiten. Florian ließ es kommentarlos geschehen. Er stand auf, der Bademantel glitt zu Boden und Florian stand völlig nackt vor seinen Freunden. Kai sah Heinz an, der das Geschehen mit offenem Mund verfolgte. „Sieht er nicht gut aus?“ Seine Hände strichen zärtlich über Florians Körper. Heinz nickte. „Wahnsinnig attraktiv.“ Er setzte sich wieder auf seinen Sessel. Florian zog Kai von der Couch hoch und fing an, ihn auszuziehen. Als der ebenfalls nackt vor ihm stand, fing er an, ihn zu küssen. Seine Hände glitten über Kais Rücken hinab zu dessen Po. Er presste dessen Unterleib dichter an seinen eigenen. Vor dem Kamin lag ein Tigerfell, auf welches die beiden Männer sich gleiten ließen. Florian lag unter Kai, der ihn zärtlich auf den Hals küsste. Seine Zunge wanderte weiter hinab über seine Brust, seinen Bauch, bis zu seinem inzwischen steifen Penis. Ganz zärtlich küsste er ihn. Seine Hände umfassten Florians sensibelstes Körperteil und massierten ihn sanft. Er griff zur Seite und nahm ein Kondom aus der Packung, die immer noch auf dem Sofa lag. „Willst du?“, fragte er ihn unendlich sanft. Florian nickte. Kai streifte ihm das Kondom über und legte sich neben seinem Freund auf den Bauch, nachdem er ihn noch einmal geküsst hatte. Florian legte sich leicht auf Kai. Der hob die Hüfte ein wenig an und Florian drang in ihn ein. Kai verzog kurz das Gesicht und stieß ein leises Keuchen aus. Ganz langsam bewegte Florian sich gegen seinen Freund. Heinz beobachtete die beiden Männer inzwischen völlig ungeniert, wie sie sich ihrer körperlichen Zuneigung hingaben. Er stand zwar auf Frauen, aber er wusste jetzt, dass er auch das hin und wieder brauchen würde. Er sah Florian, der seine Hände auf die von Kai legte. Ihre Finger umschlangen einander. Schweiß glänzte auf den Körpern der beiden Männer. Er spiegelte das Feuer wieder und ließ die Haut der beiden fast golden aussehen. Kais Kette strahlte im Schein der Flammen und Heinz kam wieder die Geschichte von Kais Mutter in den Sinn. Er fing an, an das Schicksal zu glauben. Kai und Florian kamen fast zur selben Zeit. Erschöpft sanken sie auf den Boden. Florian stemmte sich ein wenig hoch und Kai drehte sich unter ihm um. Sie sahen sich eine Ewigkeit in die Augen und küssten sich schließlich voller Zärtlichkeit und Hingabe. Erst einige Minuten später dachte Kai wieder daran, dass sie einen Zuschauer hatten. Er blickte zu Heinz hinüber, der mit einem leicht verklärten Lächeln auf seinem Sessel saß. Langsam erhob sich der Rennfahrer. „Ihr gehört einfach zusammen“, sagte er leise. „Danke für alles.“ Kai sagte leise. „Vergiss diesen Abend nicht. Er wird für immer unser Geheimnis bleiben.“ Heinz nickte und verließ das Zimmer. Florian und Kai gaben sich noch einige Stunden ihrer Liebe hin und schliefen irgendwann erschöpft in ihrem Bett ein. Am nächsten Morgen standen alle ziemlich spät auf. Sie trafen sich zum Frühstück in der Küche. Jörg hatte Speck und Eier gebraten und alle genossen das Essen. Danach gingen sie mit ihrer Skiausrüstung nach draußen. Gleich hinter der Hütte gab es einen Hang mit einem Lift. Es gab verschiedene Abfahrten und Michael, Heinz und Jörg sausten sofort in Richtung Tal. Kai half Florian dabei, dessen Skier anzuziehen und zeigte ihm dann noch einmal die Grundlagen dieses Sports. Florian erinnerte sich schwach an das, was ihm sein Vater vor vielen Jahren beigebracht hatte. Er kam sehr schnell wieder mit allem klar. Vorsichtig fuhr er los. Kai fuhr neben ihm her und beobachtete ihn. „Du machst das Klasse, Flo. Aber bleib etwas lockerer.“ Er grinste. „Spätestens in einer Stunde fährst du genauso gut wie wir.“ Florian lachte. Aber Kai hatte Recht. Die erste Abfahrt war schwierig, doch Florian wurde mit jedem Meter mutiger und sicherer. Unten warteten die anderen auf die beiden Nachzügler. „Sieht doch schon ganz gut aus“, meinte Jörg. „Anscheinend bist du nicht nur hier ein Talent“, er tippte gegen seinen Kopf, „sondern auch im sportlichen Bereich.“ Zusammen fuhren sie wieder nach oben. Michael und Heinz fuhren sofort wieder los. Sie lieferten sich ein kleines Rennen auf einer relativ einfachen Piste. Florian sah ihnen nach. Kai sah das Funkeln in den Augen seines Freundes. „Na los, Flo. Die Strecke ist nicht schwer. Die kriegen wir noch.“ Der nickte, stieß sich ab und saust hinter den beiden Rennfahrern her. Kai hatte Mühe, ihm zu folgen. Florian stand auf seinen Skiern so sicher, als hätte er das schon seit Jahren gemacht. Er kam den beiden Rennfahrern immer näher. Schließlich bretterte er mitten zwischen ihnen hindurch. Die beiden hatten sich wahnsinnig erschrocken und hielten verwirrt an. Kai schoss nun ebenfalls an ihnen vorbei. Jörg hielt neben ihnen. „Der ist gut, ne?“ Er grinste die beiden an. „Zu gut“, murmelte Heinz. „Das ist ja fast beängstigend.“ Die drei lachten und nahmen die Verfolgung auf. Florian gewann dieses kleine Rennen. Kai fuhr mit ihm danach noch einige Abfahrten ab, die auch Schanzen hatten. Und auch hier stellte sein Freund sich sehr gut an. Seine Sprünge waren regelrechte akrobatische Einlagen. „Der kann morgen nicht mehr laufen“, sagte Michael. Die anderen nickten. Am Abend schon merkte Florian, dass er sich ziemlich übernommen hatte. Kai verpasste ihm abends in der Sauna, welche im Keller war, noch eine Massage. Das rettete Florian davor, den nächsten Tag im Liegen verbringen zu müssen. Dank Kais Behandlung konnte er sich aber aus dem Bett quälen. Er hatte wahnsinnige Schmerzen, doch er war sogar der Erste, der auf war und für die anderen Frühstück machte. Danach gingen sie zusammen auf die Piste. „Er kann ganz schön was wegstecken“, sagte Michael zu Kai. Der nickte. „Er hat schon weitaus schlimmere Sachen ertragen müssen als diesen Muskelkater.“
So verging ein Tag nach dem anderen. Kai und Florian setzten sich hin und wieder von den anderen ab und genossen ihre Zweisamkeit bei langen Spaziergängen durch den verschneiten Wald. Irgendwann war die Sylvesternacht da. Florian war den ganzen Vormittag draußen gewesen und hatte Schneemänner gebaut, während die anderen die Hütte geschmückt und dekoriert hatten und sich um das Essen kümmerten. Als Kai jetzt vor die Tür trat, um Florian zum Essen zu rufen, blieb ihm vor Staunen der Mund offen stehen. Fünf Schneemänner standen in einem Halbkreis auf dem Platz vor der Hütte. „Kommt mal raus“, rief er nach drinnen. „Das müsst ihr sehen.“ Heinz, Michael und Jörg kamen nach draußen gelaufen. „Meine Güte, war der fleißig“, meinte Heinz anerkennend. „Irgendwie kommen mir die Schneemänner bekannt vor.“ Kai nickt langsam. Florian hatte es mit viel Geduld und Geschick geschafft, bestimmte Züge der hier anwesenden Personen herauszuarbeiten und jeder erkannte sich in seinem Schneemann wieder. Florian war damit beschäftigt seinen eigenen zu vollenden, als er die Zuschauer bemerkte. Grinsend sah er sie an. „Sehen die fünf nicht gut aus?“ „Fast so gut wie wir“, erwiderte Kai lächelnd. Mit einem hinterhältigen Grinsen kratzte Florian an dem Schneemann herum, formte einen Schneeball in seinen Händen und warf ihn in einer blitzschnellen Drehung auf Kai zu. Der konnte dem Geschoss nicht so schnell ausweichen und kassierte ihn voll. „Na warte“, drohte er Florian grinsend. „Den kriegst du zurück.“ Eine wilde Schneeballschlacht entbrannte, da auch die anderen sich daran beteiligten. Die Schneemänner bekamen zum Glück nichts ab. Florian nahm später von seinem den Kopf ab und stellte sich dahinter. „Das sieht klasse aus. Ma würde es gefallen. Jetzt siehst du nicht mehr so dünn aus.“ Kai holte den Fotoapparat und schoss ein Foto. Die anderen machten es natürlich nach. So hatte jeder ein Foto von sich als Schneemann. Danach gingen sie rein und aßen zu Abend. Schließlich war es längst dunkel. Vorher mussten sie sich allerdings noch umziehen, da sie durch die Schneeballschlacht völlig durchnässt waren. Der Abend wurde sehr feucht und fröhlich. Florian hielt sich mit dem Alkohol zurück. Kai hatte ihm seinen Spezi-Drink gemischt. Um Mitternacht stießen sie mit Champagner an und gingen dann nach draußen um einige Sylvesterraketen und Böller zu zünden. Sie hatten eine Menge Spaß und lachten viel. Danach saßen sie noch einige Stunden zusammen und plauderten. Am nächsten Nachmittag fuhren sie zurück zur Villa von Kais und Jörgs Eltern. Hier verbrachten alle noch eine weitere Woche. Michael fuhr am folgenden Wochenende nach Hause nach Kerpen, um seine Familie zu besuchen. Er verabschiedete sich herzlich von Kai und Florian. Heinz fuhr zwei Tage später. Während Jörg und Kai seine Sachen nach draußen brachten, redete er kurz mit Florian. „Denk an meinen Rat“, sagte Florian und legte Heinz eine Hand auf die Schulter. „Du hast gegen die Natur keine Chance. Gönn dir ab und zu eine Abwechslung und du wirst keine Probleme mehr haben.“ „Danke für alles.“ Heinz umarmte Florian. „Vor allem für die eine Nacht. Kai hat wirklich Glück mit dir gehabt.“ Florian lächelte und sah ihm nach, als er zu Kai ging und sich auch von ihm verabschiedete. Am nächsten Tag fuhren auch Florian und Kai nach Köln zurück. Kais Vater hatte Florian noch einige Nachschlagewerke mitgegeben und wünschte ihm alles Gute. „Nie aufgeben“, sagte er. „Das ist das Wichtigste. Aber ich glaube, das weißt du am besten.“ Florian nickte und gab ihm die Hand. „Danke für deine Unterstützung. Ich hatte echt Angst, herzukommen.“ „So schlimm war es doch nicht. Ich hoffe, wir sehen uns spätestens im nächsten Jahr wieder.“ Florian sah zu Kai hinüber, der noch seinen Bruder ärgerte. „Ich denke schon. Bei Kai habe ich ein ziemlich gutes Gefühl.“ Dann ging er zu Lizzy und umarmte sie kurz. Kai breitete die Arme aus und hielt ihn kurz fest. Die beiden winkten noch einmal zur Treppe hoch, wo die anderen standen und stiegen dann in Kais neuen Wagen. Den alten ließ Kai bei seinen Eltern. Florian sollte ihn später bekommen, wenn er seinen Führerschein gemacht hatte.
Als die beiden Männer nach einer circa zweistündigen Fahrt ihre Wohnung betraten, blieb Florian lange in der Diele stehen. Kai hatte die Bücher, die sein Vater ihm mitgegeben hatte, ins Wohnzimmer gebracht und blickte jetzt verwundert zu seinem Freund hinaus. „Was ist mit dir?“ Langsam ging er auf ihn zu. „Ich weiß nicht. Ich fühle mich total verändert. Als ich hier weggefahren bin, war ich nur dein Freund. Und das war mehr als ich mir je erträumt habe. Aber jetzt habe ich plötzlich Freunde, wie Michael und deinen Bruder, Menschen die mir wirklich vertrauen, wie Heinz und eine Familie, die mich unterstützt. Und alles wegen diesem einen Abend, als es geregnet hat und ich bei Benny Unterschlupf gesucht habe.“ Kai lächelte leicht und schloss Florian in seine Arme. „So kann ein Zufall das ganze Leben verändern. Ich bin sehr glücklich, dass alles so gekommen ist, Florian. Ich kann mir mein Leben gar nicht mehr ohne dich vorstellen.“ Zärtlich küsste er ihn. Florian lächelte zufrieden und umarmte Kai. Dann zog er seine Jacke aus und ging ins Wohnzimmer. „Kannst du mir zeigen, wie man mit dem Computer umgeht?“ „Sicher“, sagte Kai. „Aber warum willst du das unbedingt lernen?“ „Dein Vater hat mir eine CD-Rom mitgegeben, damit ich für die Fahrprüfung lernen kann. Und außerdem bin ich mir sicher, dass ich unbedingt mit diesen Dingern umgehen lernen muss.“ Kai lächelte. „Pa hat Recht. Dein Lerneifer ist wirklich außergewöhnlich.“ „Ist das schlimm?“, fragte Florian vorsichtig. „Natürlich nicht. Ich kann dich ja verstehen, dass du lernen willst, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich... wir werden dich gleich morgen in einer Fahrschule anmelden. Ein Führerschein ist wichtig. Du bist dadurch unabhängiger von mir.“ „Vielleicht will ich das gar nicht.“ „Doch“, sagte Kai. „Genau das willst du.“ Ein trauriges Lächeln lag auf seinen Lippen. „Kai?“ Florian sah seinen Freund entsetzt an. „Du hast doch nicht etwa Angst, dass du mich verlierst?“ „Doch, ein wenig schon. Ich habe mich noch nie in meinem Leben gefühlsmäßig so an jemanden gebunden. Und es war natürlich sicherer, als du noch Angst vor allem und jedem hattest. Aber ich bin so glücklich, wenn ich sehe, dass du aufblühst. Ich bin verwirrt.“ Florian legte zärtlich die Hände auf Kais Wangen und küsste ihn. „Egal, was passiert. Du wirst mich nie verlieren. Ich habe mich unsterblich in dich verliebt. Wenn du jemals daran zweifeln solltest, schau dir die Kette an. Ich glaube einfach nicht, dass es Zufall war, dass ich sie bekommen und dir geschenkt habe.“ „Wieso nicht?“ „Wir sind vorhin an dem Laden vorbei gefahren. Er sah heruntergekommen aus, so dass ich ihn fast gar nicht erkannt hätte. Er war geschlossen. Als ich drin war, sah er richtig neu aus.“ „Vielleicht irrst du dich.“ „Nein.“ Florian schüttelte ernst mit dem Kopf. „Ich habe mich nicht geirrt. Er war geschlossen und das erst nachdem ich drin war. Es war Schicksal, dass wir diese Kette in die Hände bekommen haben. Ich habe mir Bücher mitgenommen, von deiner Mutter. Ich will mehr über die Kette herausfinden. Sie ist im Laufe der Jahrhunderte noch mehrmals aufgetaucht.“ Kai lachte auf. „Du bist wirklich ein Unikat. So viele Sachen, für die du dich interessierst.“ Der Computer war inzwischen hochgefahren und Kai erklärte Florian, wie man damit umging. Und auch er machte dieselbe Erfahrung wie sein Vater. Er konnte gar nicht so schnell erklären, wie Florian begriff.
Einige Wochen später, es war kurz vor Beginn der neuen Saison, saß Florian im Bett und las in einem Buch, welches Kais Mutter ihm mitgegeben hatte. In der Zwischenzeit besaß er einen Führerschein und vor der Haustür stand Kais Mercedes, den dieser inzwischen auf seinen Freund hatte umschreiben lassen. Außerdem besuchte Florian seit zwei Wochen die Volkshochschule, um dort seinen Schulabschluss zu machen. Die Lehrer hatten sehr schnell bemerkt, dass Florian hochintelligent war und hatten ihn sofort in die Abiturklasse gesetzt, obwohl ihm sämtliche Grundlagen fehlten. Er hatte Bücher mitbekommen, die er zu Hause aufarbeitete. Nur eine kleine Schwäche hatte sich bei ihm herauskristallisiert. Ihm fehlte ein bißchen das Verständnis für Chemie. Zum Glück war Kai in diesem Fach immer sehr gut gewesen und konnte Florian somit helfen. Kai kam aus dem Bad und schlüpfte unter seine Decke. Er drehte sich auf die Seite und sah Florian an. „Mach Schluss für heute. Du kannst ja kaum noch die Augen offen halten. Was liest du da überhaupt?“ „Das Buch ist von Lizzy. Es ist eine altgriechische Abhandlung über die Kette. Hier steht drin, dass sie mit einem Fluch belegt wurde. Der Frau des jungen Königs fand nämlich heraus, von wem der sie hatte. Sie war eifersüchtig und gekränkt. Also ging sie zu einer Magierin und ließ die Kette für alle Zeiten verfluchen. Jeder, der die Kette verschenkte, sollte innerhalb einer Dekade sterben. Also innerhalb von zehn Jahren.“ Kai sah die Angst in Florians Augen. „Flo, was wissen denn die alten Griechen von den Azteken? Damals gab es doch noch nicht mal eine Verbindung zwischen diesen beiden Kontinenten.“ „Wer sagt dir das? Vielleicht sind die Aufzeichnungen verloren gegangen. Schau dir an, was ich heraus gefunden habe.“ Florian zog einen Block hervor. „Es gibt Aufzeichnung, dass Paare die Kette hatten von 1418, 1667, 1856 und 1914. Und jedes Mal ist der Schenker innerhalb von neun Jahren gestorben.“ „Neun? Ich denke zehn?“ „Der Kalender der Azteken lief etwas anders als unser heutiger. Eine Dekade sind heute genau acht Jahre und fünfeinhalb Monate.“ Florian schwieg eine Weile. „Das wäre um den 11. Juni 2002.“ „Jetzt ist aber genug“, schimpfte Kai. „Ich wusste ja nie, dass du so abergläubisch bist. Sonst hätte ich Mama nie erlaubt, dir die Bücher zu geben.“ „Du machst dir Sorgen?“ „Natürlich mache ich mir Sorgen. Ich habe ständig Angst, dich zu verlieren und wenn du sowas erzählst...“ Florian unterbrach Kai mit einem sanften Kuss. Er umarmte ihn und presste seinen Körper fest gegen den seines Freundes. „Vielleicht ist es nur Zufall oder die Aufzeichnungen stimmen nicht. Lass uns unsere Zeit einfach genießen, Kai, egal wie lang sie ist.“ Kai atmete tief durch und nickte dann. Seine Hand ruhte auf der kleinen goldenen Figur. „Für mich wird er immer ein Zeichen unserer Liebe bleiben.“ „Für mich auch.“ Florian legte den Kopf auf Kais nackte Brust und schlief erschöpft ein. Kai fand eine ganze Weile keine Ruhe. Er nahm das Buch und klappte es zu. Dann schob er es in seinen Schrank.
Die Rennen fingen an und Florian flog mit Kai zusammen an die Strecken. Seine Schule musste er nicht jedes Mal besuchen. Das wäre viel zu langweilig für ihn geworden. Er war den anderen viel zu weit voraus. Da Kai nicht die ganze Zeit mit Florian zusammen sein konnte, er musste schließlich auch arbeiten, unternahm dieser öfter Spaziergänge und freundete sich hier mit dem einen oder anderen an. Er lernte durch Heinz und Michael die ganzen Teamchefs, Mechaniker und andere wichtige Leute kennen. Sie mochten Florian aufgrund seines fachlichen Wissens und seiner kindlichen Neugier. Im Gegensatz zu Kai warf ihn niemand raus, wenn er hin und wieder in den Garagen der Teams herumlief. Und er nutzte das aus und spielt Kai wichtige Informationen zu. Die beiden wurden ein richtig gutes Team. Kai erwähnte nie, woher er sein oft zu gutes Wissen hatte und wurde von seinem Chef vor dem Rennen in Imola angerufen. „Willst du nicht mal selber ein bißchen moderieren?“, fragte der ihn. „Du würdest dich vor der Kamera sicher ganz gut machen.“ Kai beriet sich mit Florian und der ermunterte ihn sofort. Der Reporter entschied sich also dafür, es zu machen. Leider wurde sein erster Auftritt von einem spektakulären Unfall überschattet. Ayrton Senna wurde dabei sehr schwer verletzt und erlag einige Stunden später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Rennen wurde nach dem Unfall weiter gefahren und Michael Schumacher gewann zum ersten Mal einen Grand Prix. Kai schaffte die Übertragung nach dem Rennen sehr professionell. Als er jedoch in seinem Hotelzimmer ankam, übermannten ihn die Gefühle. Schluchzend ließ er sich in die Arme seines Freundes fallen. Florian hatte bereits auf ihn gewartet. Er hatte natürlich sofort gesehen, wie sehr Kai das Ganze an die Nieren ging. Er hatte Senna gemocht, obwohl der nie sonderlich nett zu ihm oder einem seiner Kollegen gewesen war. Außerdem war es das erste Mal, dass Kai einen so schweren Unfall gesehen hatte. Als die beiden Männer am Abend erfuhren, dass Senna im Krankenhaus gestorben war, wollte Kai am liebsten alles hinschmeißen. Florian schaffte es mit viel Geduld und gutem Zureden, seinen Freund von diesem Entschluss abzubringen. Kai blieb natürlich bei seinem Job und erarbeitete sich im Laufe des Jahres einen gewissen Kultstatus. Er war anders, als andere Reporter und das zog die Zuschauer irgendwie an.
So verging das Jahr und der September rückte näher. Kai und Florian befanden sich zwischen zwei Rennen mal wieder in Köln und genossen ein wunderschönes freies Wochenende. Es war Sonntagmorgen und Florian schlief noch tief und fest. Kai wachte gegen neun Uhr morgens auf und ging erst einmal duschen. Danach stellte er ein leichtes Frühstück zusammen und brachte es seinem Freund ans Bett. Florian wachte von dem leichten Teegeruch auf, der durch die Wohnung zog. Kai stellte das Tablett auf den Boden und setzte sich neben ihn. „Guten Morgen, Flo“, sagte er leise und beugte sich zu ihm hinunter. „Alles Liebe zum Geburtstag.“ Er hauchte ihm ganz sanft einen Kuss auf die Lippen. Florian strahlte ihn an. „Dass du daran gedacht hast.“ „Natürlich habe ich daran gedacht. Im letzten Jahr hast du es mir ja erst hinterher gesagt.“ Kai zog eine Schachtel hervor, die auf dem Nachttisch gelegen hatte und überreichte sie Florian. Der packte sein Geschenk natürlich sofort aus. Ein eingewickeltes Buch und eine Schachtel lagen darin. Er wickelte zuerst das Buch aus. Es war eine Bibel, die auch noch auf kroatisch geschrieben war. Das Buch war in teures schwarzes Leder gebunden und die Seiten waren am Rand vergoldet. „Wahnsinn“, hauchte Florian. „Sie ist wundervoll.“ Er blätterte sie vorsichtig auf. Auf der ersten Seite hatte Kai mit Kuli eine Widmung hinein geschrieben. ‘Auch wenn er mal keine Zeit für dich hat; ich bin immer für dich da.’ Florian lächelte und legte das Buch zur Seite. Er umarmte Kai und küsste ihn zärtlich. „Danke, mein Schatz.“ Kai lächelte. „Pack doch erst einmal alles aus.“ Das Kästchen war mit einem Seidenband zugebunden. Als Florian es öffnete, sah er auf dunklem Samt ein kleines goldenes Kettchen, an welchem ein Kreuz hing. Mit zitternden Finger nahm Florian die Kette und hielt sie ungläubig in den Händen. Er hatte Kai einmal beschrieben, wie die Kette ausgesehen hatte, die er von seiner Großmutter bekommen hatte und Kai hatte versucht, eine Kopie davon anfertigen zu lassen. Es war ihm verblüffenderweise hervorragend gelungen. Kai nahm die Kette, öffnete den Verschluss und legte sie Florian um den Hals. „Sie steht dir hervorragend.“ Florian schluckte die Tränen hinter, die in seinen Augen schimmerten und küsste Kai leidenschaftlich. „Du bist unglaublich. Danke, danke, danke, Kai. Ich freue mich so sehr.“ Erneut küsste er ihn und Kai war froh, dass sein Geschenk so gut angekommen war. Die beiden Männer aßen danach und verbrachten fast den gesamten Tag im Bett. Im Verlauf des Nachmittags riefen einige Leute an und gratulierten Florian zu dessen Geburtstag. Der schimpfte Kai aus, weil der überall herumerzählt hatte, wann Florians Ehrentag war, doch in seinem Innersten freute er sich. Zu den Gratulanten gehörten natürlich Heinz und Michael. Außerdem Niki Lauda und Norbert Haug, mit denen Florian sich an den Rennstrecken besonders angefreundet hatte. Und natürlich Kais Familie. Die gratulierten Florian auch noch zu seinem Abitur. Florian hatte es im Juni abgelegt und natürlich mit Auszeichnung bestanden. Kai war damals wahnsinnig stolz auf ihn gewesen.
Nun standen noch zwei Rennen auf dem Programm, zu welchen Kai allerdings allein flog, da Florian erst einmal genug vom Reisen hatte. Natürlich fiel es ihm schwer, seinen Freund allein zu lassen, aber es war ertragbar. Am Dienstag nach dem letzten Rennen musste Kai noch einmal zum Sender fahren, um ein paar Unterlagen abzugeben. Er nahm Florian mit, da die beiden anschließend noch ins Kino wollten. Einige der Mitarbeiter kannte Florian ja bereits von den Rennen. Sie begrüßten ihn herzlich und fragten natürlich, wo er so lange gewesen war. Dass Florian und Kai eine private Beziehung pflegten, fanden sie ziemlich schnell heraus, doch niemand hatte Probleme damit. Dass Kai schwul war, hatte er schließlich nie verheimlicht, also fand es auch niemand merkwürdig, dass er jetzt mit einem Freund ankam. Es verblüffte nur einige der Journalisten, dass Kai an den Rennstrecken nichts gesagt hatte. „Ich wollte euch eben eine Chance geben, es selber heraus zu finden“, sagte er grinsend. Auf dem Flur vor Kais Büro begegneten den beiden Männern einigen von Kais Kollegen, die ständig bei den Rennen dabei waren. Die fingen an, mit Florian über die letzten zwei Rennen zu diskutieren, die der ja nur vom Bildschirm aus verfolgt hatte. Kai verschwand in seinem Büro, um noch schnell einen Bericht fertig zu schreiben, der noch zu seinem Vorgesetzten musste. Der kam gerade den Gang entlang und wunderte sich über den Auflauf vor Kais Büro. Eine Weile lauschte er dem Gespräch der Journalisten mit Florian. Der stellte noch einige hintergründige Fragen zu Dingen, die er als Fernsehzuschauer nicht mitbekommen hatte. Als die Angestellten des Senders ihren Chef bemerkten, stellten sie Florian vor. Der musterte ihn kurz. „Sie sind ja nun ein Zuschauer. Ich würde deshalb gern einmal ihre Meinung hören.“ Florian nickte leicht. „Meinen Sie, dass wir zu den Rennen so eine Art von Vor- und Nachberichten senden sollten? Ich meine, würde das jemanden interessieren?“ Florian dachte kurz nach. „Mich würde es schon interessieren. Ich denke, das würde funktionieren. Kai hat schon einmal so eine Idee erwähnt.“ Hans Mahr, der Programmchef, nickte. „Sie kennen Kai?“ „Ja, tut er“, sagte Kai grinsend. „Flo und ich sind ein Paar. Er wohnt seit einem Jahr bei mir und war auch fast das ganze Jahr mit mir bei den Rennen.“ „Ach so ist das. Könnte ich dich mal in meinem Büro sprechen, Kai. Und Sie bitte auch“, sagte er zu Florian und ging. Kai und Florian folgten ihm neugierig. In Mahrs Büro angekommen, ließen sie sich auf eine gemütliche Ledercouch nieder. Kai gab Mahr noch kurz seinen Bericht und erklärte ihm einige Dinge. Dann lehnte er sich zurück und wartete, was sein Chef noch von ihm wollte. Der hatte Florian schon die ganze Zeit gemustert. „Was machen Sie beruflich?“ „Bis ich zu Kai gezogen bin, habe ich als Stricher gearbeitet.“ Mahr war erstaunt über die direkte Antwort. „Sie sind kein gebürtiger Deutscher, oder?“ „Nein. Ich bin Kroate.“ „Meinen Sie, Sie könnten Ihren Akzent noch wegkriegen?“ „Ich denke schon“, sagte Florian ein wenig verwirrt. „Haben Sie eigentlich mal Drogen genommen?“ „Ja. Aber ich bin seit einem Jahr clean.“ Mahr sah Kai fragend an, der nickte bestätigend. „Kann ich das auch schriftlich haben?“ „Sicher. Aber gestatten Sie mir eine Frage. Was soll das?“ „Ich habe Sie draußen mit den anderen diskutieren hören und ihre Art gefällt mir. Sie zeigen nie, wie viel sie in Wirklichkeit wissen und lassen die anderen ausreden. Sie stellen interessante Fragen und kommen auch mit Antworten weiter, die für Sie überraschend kommen. Ich suche nach einem geeignete Moderator für die Vor- und Nachberichte der Formel 1 - Rennen im nächsten Jahr. Hätten Sie nicht Lust, das zu machen?“ Völlig verblüfft sah Florian den Mann an. Kai grinste siegessicher. „Ich weiß es nicht“, sagte Florian schließlich wahrheitsgemäß. „Ich habe mit solcher Arbeit keinerlei Erfahrung.“ „Das kann man lernen. Was für eine Schulbildung haben Sie eigentlich?“ „Florian hat nie eine Schule besucht“, antwortete Kai. „Aber er hat in einem halben Jahr sein Abitur an der Volkshochschule gemacht. Mit Auszeichnung.“ Anerkennung spiegelte sich auf dem Gesicht des Programmchefs. Florian war noch sehr skeptisch. „Und was ist mit meiner Beziehung zu Kai?“ „Wenn es rauskommt, kommt es eben raus. Ich habe keine Probleme damit.“ „Und meine Vergangenheit?“ „Damit halte ich es genau so. Ehrlichkeit währt am Längsten. Wenn jemand danach fragt, sagen Sie ihm die Wahrheit. Wenn nicht, auch gut. Man muss es ja nicht jedem auf die Nase binden.“ Florian sah Kai fragend an. „Das musst du allein entscheiden“, sagte er. „Ich unterstütze dich in jedem Fall.“ „Okay, ich versuche es. Das ist einfach ein absoluter Traumjob.“ „Sehr gut“, sagte Hans Mahr und gab Florian die Hand. „Sie fangen am siebten Januar hier an.“ Kai und Florian gingen hinaus. Überglücklich fiel Florian seinem Freund auf dem Flur in die Arme. „Das ist der helle Wahnsinn.“ Prüfend sah er Kai an. „Wenn ich nur nicht das dumpfe Gefühl hätte, dass du alles geplant hast.“ „Geplant nicht, gehofft schon.“ Kai küsste ihn sanft. Dann sah er den Flur hinunter. Hinter einer Ecke warteten bereits die anderen. Sie wollten natürlich wissen, was Florian beim Chef gewollt hatte. Kai erzählte es ihnen überglücklich und Florians neue Kollegen hießen ihn in der RTL-Familie herzlich willkommen. Das einzig negative an der ganzen Sache war, dass Florian Kai nun nicht mehr zu den Rennen begleiten konnte. Kai hoffte, dass dieser Zustand nur vorübergehend war. Er konnte sich gar nicht vorstellen, jede zweite Woche von seinem Freund getrennt zu sein.
Weihnachten feierten Kai und Florian in diesem Jahr zusammen in der Karibik. Kai hatte seinen Freund eingeladen und der hatte natürlich gern akzeptiert. Sie genossen ihre gemeinsame Zeit unter Palmen, auch wenn Florian hin und wieder besorgt in seine alte Heimat schaute, weil es dort politisch gewaltig brodelte. Die Tage nach Weihnachten verbrachten sie bei Kais Eltern. Die freuten sich riesig, Florian mal wieder zu sehen. Florian hatte die ganzen Bücher mitgebracht, die Kais Vater ihm gegeben hatte und brauchte eine ganze Weile, um sie alle in der Bibliothek einzusortieren. Die kleine Katze lag in der Zwischenzeit auf einem Teppich vor dem Kamin und schlief. Sie war Florian, seit seiner Ankunft nicht mehr von der Seite gewichen. Am 27. Dezember kamen Heinz und Michael zum Anwesen der Ebels und statteten ihnen einen Besuch ab. Heinz hatte eine alte Freundin aus der Schule dabei. Sie hieß Tanja Nigge und Kai ließ die beiden nur sehr selten aus den Augen. Michael war ebenfalls in Begleitung. Seine neue Freundin hieß Corinna und war eine Ex von Heinz. Die beiden hatten trotzdem keine Probleme miteinander und auch Michaels Freundschaft zu Heinz belastete es nicht sonderlich. Über Florian waren die beiden Frauen im Vorfeld informiert worden. Sie standen ihm sehr offen gegenüber und lernten ihn aufgrund seiner netten, unkomplizierten Art sehr schnell kennen. Probleme mit Kais und Florians Beziehung hatte sie nicht, da sie beide Kai schon seit Jahren kannten. Einige kleine Neckereien blieben natürlich trotzdem nicht aus. Nach einigem Hin und Her entschlossen sich alle, wieder zum Skifahren auf die Hütte von Kais Eltern zu fahren. Jörg konnte dieses Mal leider nicht mit, da er zu einem wichtigen Geschäftstermin nach New York musste und sein Flieger bereit am 28. Dezember um neun Uhr ging. Kai fuhr ihn zum Flughafen nach Köln. Florian war in der Villa geblieben und verbrachte den Vormittag mit den beiden Freundinnen von Heinz und Michael, während die Männer sich mit Jörgs Wagen beschäftigten. Tanja und Corinna ließen sich von Florian ein bißchen über die Beziehung eines homosexuellen Pärchens aufklären und stellten am Ende erstaunt fest, dass die Unterschiede zu ihren Beziehungen zu ihren Freunden nicht so riesig groß waren. „Die größten Unterschiede gibt es also doch im Bett“, meinte Tanja grinsend und nippte an ihrem Tee. Corinna und Florian lachten. „Eins stimmt aber“, sagte Corinna und sah Florian an. „Mit einem Schwulen kann sich eine Frau eindeutig genauso gut unterhalten wie mit ihrer besten Freundin.“ „Ich sehe das Mal als Kompliment.“ Florian grinste breit. In diesem Moment kam Peter Ebel mit einem unbekannten Mann ins Wohnzimmer und deutete auf Florian. „Das ist er.“ Florian stand auf und trat auf den Fremden zu. Der deutete eine leichte Verbeugung an. „Ich bin Miroslav Kosnic“, sagte er mit einem sehr starken kroatischen Akzent. „Was wollen Sie von mir?“, fragte Florian ihn auf Kroatisch. Der Mann schien erleichtert. „Ich bin ein privater Nachlassverwalter. Ihr Vater ist bei einem Flugzeugabsturz vor zwei Monaten ums Leben gekommen.“ Er sah Florians schockiertes Gesicht. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es ihnen so nahe geht.“ „Er ist mein Vater“, knurrte Florian böse. „Auch wenn ich ihn seit 20 Jahren nicht gesehen habe.“ In diesem Moment betrat Kai das Wohnzimmer. Er fragte seinen Vater leise, wer der Fremde sei, doch der zuckte nur mit den Schultern. „Nun, es tut mir leid, wie gesagt. Aber, weswegen ich hier bin, ist sehr wichtig. Ihr Vater hat Sie als Alleinerben eingesetzt, vorausgesetzt, sie leben noch. Er wusste, dass sie in schlechte Kreise geraten waren. Aber, wie ich sehe, geht es Ihnen recht gut.“ „Das können Sie nicht beurteilen“, schnauzte Florian den Mann an. Er mochte den Typen nicht. Er war ein arroganter Schnösel. „Natürlich nicht.“ „Was hat er besessen, was er mir vererben könnte?“ „Seine Firma, die weiterhin von den Angestellten in Zagreb geleitet wird und von der sie ausbezahlt werden, wenn Sie sie nicht selber leiten wollen. Ein Haus in Zagreb, sowie sein Privatvermögen von 130 Millionen Dollar.“ Er drückte Florian einen Hefter in die Hand, verabschiedete sich von ihm und verließ mit einem knappen Nicken zu den anderen Anwesenden das Haus. Florian stand mit offenem Mund im Wohnzimmer und starrte auf die Stelle, wo der Mann eben noch gestanden hatte. Kai ging auf ihn zu und redete auf ihn ein. „Wer war der Typ? Was wollte er von dir? Nun sag schon, Flo.“ Mit einem ungläubigen Kopfschütteln, sank Florian auf den Sessel hinter sich. Auch Michael und Heinz waren jetzt wieder im Wohnzimmer. Lizzy Ebel war neben ihren Mann getreten. Besorgt schaute sie Florian an, der leichenblass auf dem Sessel hockte und den Hefter durchblätterte. „Ich glaube es nicht“, murmelte er immer wieder. „Das ist nicht möglich.“ Plötzlich schaute er Kai an. „Dieser Dreckskerl hat sich bis jetzt nicht um mich gekümmert und jetzt schockt er mich noch aus dem Grab heraus.“ „Wer?“ „Mein Vater.“ „Grab? Ist er...?“ Florian nickte. „Ja. Er starb vor zwei Monaten bei einem Flugzeugabsturz.“ Ein Funke von Trauer erschien in seinen Augen. Kai nahm Florians Hand. „Es tut mir leid.“ Dann sah er ihn an. „Aber wer war dieser komische Kerl.“ „Ein Testamentsvollstrecker. Mein Vater hat mich als Alleinerben eingesetzt.“ „Glückwunsch“, sagte Michael. „Was hast du denn geerbt?“ „Die größte Computerfirma von Kroatien, die mich allerdings auf meinen Wunsch hin auszahlen wird, ein Haus und das Vermögen, welches er angesammelt hatte.“ „Wieviel?“, fragte Kai. „Von der Firma stehen mir circa 200 Millionen Dollar zu und Vater Privatvermögen sind noch einmal 130 Millionen.“ Erstaunt rissen die anderen die Augen auf. Kai grinste. „Schätze, damit kannst du dir deine Klamotten demnächst selber kaufen.“ Florian lachte. „Ich glaube es auch.“ Er legte den Hefter zur Seite. Ein Briefumschlag rutschte heraus. Mit zitternden Fingern nahm Florian ihn. „Er ist von meinem Vater. Es ist seine Schrift, da bin ich mir ganz sicher.“ „Was steht auf dem Umschlag. Doch nicht dein Name.“ „Da steht Reisender. Vater hat mich immer so genannt, weil ich so neugierig auf den Rest der Welt war und immer alles wissen wollte.“ „Sehr passend.“ Florian öffnete den Brief. Ein Blatt kam zum Vorschein. „Lieber Florian“, las der laut vor. „Ich weiß, dass in deinem Herzen nur noch eine schwache Erinnerung an mich übrig ist und ich bin nicht einmal die wert. Es ist mir fast peinlich, dir zu schreiben und dich mit meinen Gefühlen zu belästigen, aber es gibt einige Dinge, die du wissen solltest. Als mich deine Mutter damals verlassen hat, wollte ich dich eigentlich bei mir behalten. Wirklich darum gekämpft habe ich aber nicht, da ich nicht wusste, wie. Ich war zu jung, um zu verstehen, wie sehr ich dich... euch im Stich gelassen habe. Mein verletzter Stolz hat es mir verboten, deiner Mutter das Geld aufzuzwingen, das sie gebraucht hätte, um wenigstens dich vernünftig erziehen zu können. Viele Jahre habe ich euch aus den Augen verloren. Erst als du bereits 16 warst, habe ich dich am Zagreber Bahnhof stehen sehen. Und wieder war ich zu feige. Zu feige auf dich zuzugehen, dich anzusprechen und deinem Leiden ein Ende zu bereiten. Von einigen Kollegen habe ich Jahre später etwas über dich erfahren und ich schäme mich, dass du so ein Leid erfahren musstest. Ich entschied mich nach zu langem Zögern, dir zu helfen, aber da warst du bereits nicht mehr in der Stadt. Mit Hilfe eines Privatdetektivs habe ich herausgefunden, dass du nach Deutschland geflüchtet bist. Ich wusste nicht, wie ich dir helfen konnte, also fing ich an, Ermittlungen einzuleiten. Sowohl gegen deine ‘Familie’ in Osijek, als auch gegen Sergej Wolkov, den du wahrscheinlich nur als ‘Alex’ kennst. Der Hausherr der Familie, die dich mit sieben Jahren gefangen hat, wurde von einer aufgebrachten Menge getötet, als herauskam, was er getan hatte. Seine Frau nahm sich später im Gefängnis das Leben. Alex wurde von Mithäftlingen zu Tode gefoltert, als irgendwie durchgesickert ist, dass er ein Kinderschänder ist. Niemand weiß, wer diese Informationen an die Mitgefangenen ausgegeben hat... Ich kann nichts ungeschehen machen, was dir widerfahren ist, aber ich habe meinen treusten Freund gebeten, dir diese Unterlagen zu übergeben, falls mir etwas zustoßen sollte. Ich will dir einfach helfen, falls das noch möglich ist. Ich bitte dich nicht um Vergebung, Florian, das wäre zuviel verlangt. Aber bitte, nimm mein Vermögen als Starthilfe für einen selbständigen Neuanfang. Mit den besten Wünschen Antonov König.“ Florian ließ den Brief sinken. Tränen liefen über sein Gesicht. Auch in Kais Augen glänzte es verräterisch. Florian schluchzte auf und klammerte sich verzweifelt an Kai. Der hielt ihn fest und redete beruhigend auf ihn ein. Es dauerte sehr lange, bis Florian sich ein wenig beruhigt hatte. „Er hat es gewusst, die ganze Zeit“, schniefte er leise. „Und er hat seinen Arsch nicht hoch gekriegt, um mir zu helfen. Er will sich damit von seiner Schuld freikaufen. Ich hasse ihn.“ Den letzten Satz hatte er nur geflüstert. „Nein, Flo“, sagte Kai. „Das tust du nicht. Er war nicht fähig, dir zu helfen. Seine Persönlichkeit war einfach nicht stark genug.“ Florian schüttelte leicht mit dem Kopf. Dann sah er Kai plötzlich mit großen Augen an. „Alex ist tot“, murmelte er. „Und die Pflegeeltern auch.“ Ein böses Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Sie sind tot. Sie können mir nie wieder etwas tun. Und sie sind auf ziemlich brutale Art gestorben. Ob sie sehr gelitten haben?“ Kai nickte leicht. „Alex auf jeden Fall. Und dein Ziehvater auch.“ Florian atmete hastig. Er sah Kai an. Plötzlich stieß er einen Jubelschrei aus. Die kleine Katze schreckte hoch und rannte hinter einen Schrank. Scheu blickte sie um eine Ecke, was Florian und die anderen zum Lachen brachte. „Es ist vorbei“, murmelte Kai und sah Florian ernst an. Der nickte und küsste Kai leicht. „Ja, es ist endlich alles vorbei.“ An diesem Abend feierten sie gemeinsam Florians Abschied von seiner Vergangenheit. Florian wollte sie ein für alle Mal vergessen. Er trank mit den anderen und zum ersten Mal war er an diesem Abend richtig betrunken. Kai trug seinen schlafenden Freund irgendwann weit nach Mitternacht in sein Bett. Einmal wachte Florian noch kurz auf. Er sah zu Kai hinüber, der schlafend neben ihm lag. „Nie wieder daran erinnern“, nuschelte er leise und schlief wieder ein. Doch leider geht das Schicksal manchmal andere Wege, als man hofft. Am nächsten Mittag waren alle wieder einigermaßen hergestellt und fuhren zur Skihütte. Kais Eltern blieben in der Villa. Florian ließ sich von Kai zu einem der Autos führen und schlief dort weiter. Er hatte wahnsinnige Kopfschmerzen und ihm war fürchterlich schlecht. Er vertrug einfach keinen Alkohol und er schwor sich, nie wieder etwas zu trinken, denn auch seine angekratzte Leber machte ihm jetzt ziemliche Probleme. Florian versicherte den anderen jedoch glaubhaft, dass das normal war und ganz allein wieder verschwinden würde. Die nächsten Tag verbrachten alle mit Skifahren, wandern und erholen. Florian und Kai erzählten von Florians neuem Job bei Kais Sender und Heinz und Michael freuten sich, dass sie jetzt auch beruflich mit ihm zu tun haben würden. Um Florians Erbe wollten er und Kai sich im neuen Jahr kümmern. Und obwohl Florian es jetzt eigentlich nicht mehr nötig hatte, wollte er doch arbeiten, genau wie sein Freund es auch tat. Nach der Sylvesternacht blieben sie noch einige Tage auf der Hütte, bevor sie wieder nach Mönchengladbach fuhren. Dort trennten sich dann ihre Wege. Michael fuhr mit Corinna, Heinz und Tanja nach Spanien, wo sie sich mit ihren Teams zu Vorbesprechungen trafen, während Florian und Kai nach Köln zurück mussten.
Der erste Arbeitstag war für Florian mehr als stressig. Nicht unbedingt, weil er so viel zu tun hatte, sondern weil er mit jedem neuen Kollegen eine Runde schwatzte. Kai stichelte hin und wieder, aber Florian musste mit die anderen erst einmal kennen lernen. Während der Rennen hatte er ja nur mit dem Journalistenstab um Kai zu tun gehabt. Jetzt merkte er, dass die Sportredaktion bei RTL sehr eng mit der Nachrichtenredaktion zusammen arbeitete. In diesem Jahr wurde auch ein neuer Nachrichtenmoderator eingestellt. Peter Kloeppel hatte bisher mehr hinter den Kulissen gearbeitet und war hier sehr erfolgreich gewesen. Er und Florian verstanden sich auf Anhieb. „Ich habe bis jetzt als Auslandskorrespondent in New York gearbeitet. Die Arbeit war interessant, aber mich hat es dann doch wieder hierher gezogen“, sagte Peter. Er saß auf der Kante von Florians neuem Schreibtisch. „Und da man mir auch noch die Moderation der Abendnachrichten angeboten hatte, konnte ich nicht ablehnen.“ „Kann ich verstehen.“ „Woher kommst du eigentlich?“ „Aus Kroatien.“ Erstaunt sah Peter Florian an. „Was? Aber du sprichst doch völlig akzentfrei Deutsch.“ „Kai hat es mit mir trainiert. Es fällt mir noch etwas schwer, aber Herr Mahr hat darauf bestanden.“ Kai betrat das Büro. „Da hat Kai ja gute Arbeit geleistet“, sagte Peter und verschwand. „Womit?“, fragte der skeptisch. „Mit dem Sprachtraining.“ Florian lächelte leicht. „Hier könnte es mir gefallen. Tolles Büro, morgen kriege ich meinen eigenen Computer. Es ist absolut genial.“ „Du warst noch nicht in der Kantine. Komm, lass uns Essen gehen.“ Die beiden Männer gingen in die Kantine des Senders. Dort trafen sie auf einige Leute, die Florian von den Rennen her kannte. Sie setzten sich zu ihnen und diskutierten schon einmal die neue Saison. Hauptgesprächsthema war vor allem Michael Schumachers Wechsel zu Ferrari. Alle waren gespannt, ob Michael es schaffen würde, dieses angeschlagene Team wieder nach vorn zu bringen. „Er ist sehr motiviert“, sagte Kai. „Woher weißt du das?“, hakte Felix Görner nach. „Ich war mit ihm Skifahren. Ich meine, wir waren mit ihm Skifahren.“ Kai grinste Florian an. Der nickte leicht. „Mit ihm, seiner Freundin, Heinz und dessen Freundin.“ „Ich wusste ja gar nicht, dass du so dick mit den beiden befreundet bist.“ „Doch, schon seit Jahren.“ „Aber die beiden waren doch früher die Konkurrenten überhaupt.“ „Auf der Strecke. Aber hinter den Kulissen waren sie schon immer die besten Freunde. Deshalb konnten sie ja so wunderbar auf der Strecke kämpfen. Sie kannten sich.“ Felix schüttelte leicht den Kopf. „Und ich dachte immer, Freundschaften zwischen Fahrern und Journalisten funktionieren nicht.“ „Doch. Wenn sie vorher schon existiert haben und man bestimmte Regeln zu ihrer Erhaltung achtet.“ Peter Kloeppel betrat den Raum und sah sich ein wenig verloren um. Kai winkte ihm zu. Er nickte, holte sich etwas zu Essen und setzte sich zu ihnen. „Gut, dass ihr noch hier seid. Ich würde gern mal mit dir reden, Florian.“ „Worum geht es?“ „Deine Heimat, Serbien, Bosnien-Herzegowina. Der ganze Kosovo-Konflikt eigentlich. Mir fehlen die Hintergründe und ich würde gern verstehen, worum es geht.“ „Ich weiß nicht, ob ich dafür der Richtige bin. Meine Meinung ist sehr einseitig geprägt. Mit Kroatien habe ich zwar kaum noch eine Verbindung, geschweige denn eine positive Erinnerung an dieses Land, aber es ist meine Heimat.“ „Erzähl doch einfach mal, worum es geht und was deiner Meinung nach noch passieren könnte.“ Florian nickte leicht. Er unterrichtete Peter über die geschichtlichen Probleme der Länder und woher die Konflikte kamen. Er sprach auch ein bißchen über die Mentalität der einzelnen Völkergruppen. Kai und die anderen hörten gespannt zu. Außenpolitisch war der Kosovo-Konflikt das aktuellste Thema. Jeder redete darüber, aber niemand wusste, woher die Krise wirklich kam. Von Florian bekamen sie jetzt einen Einblick in die Gefühle und Gedanken einer beteiligten Partei. „So ist das“, sagte Florian am Ende. „Meiner Meinung nach, steht Kroatien zwischen den Fronten. Entweder mischen wir uns ein und geraten in den Krieg oder wir halten uns raus und werden von beiden Seiten ausgebeutet.“ „Was sollte man deiner Meinung nach tun.“ „Ich wäre für eine Lossagung von Jugoslawien. Aber das wird viele Menschenleben kosten. Die Serben würden versuchen, das zu verhindern. Wenn das Ausland nicht dazwischen geht und uns unterstützt, wird es ein Massaker geben und Kroatien wird von der Landkarte verschwinden.“ „Würdest du zurückgehen und für dein Land kämpfen?“ „Nein. Dieses Land hat nie etwas für mich getan. Ich wäre nicht bereit, mich dafür zu opfern.“ „Danke, für die Erklärungen. Du hast mir echt geholfen. Kann ich wieder zu dir kommen, wenn ich noch Fragen habe?“ Peter erhob sich und reichte Florian die Hand. Der ergriff sie. „Immer. Du weißt, wo mein Büro ist.“ „Danke.“ Peter verschwand, um sich auf den Abend vorzubereiten. Auch die anderen verschwanden nach und nach. Florian ging wieder in sein Büro und sah zu, wie sein Telefon angeschlossen wurde. Danach telefonierte er eine Weile... mit Kai natürlich. Irgendwann gegen drei Uhr gingen die beiden Männer nach Hause. Allerdings schauten sie noch einmal bei Benny vorbei und tranken ein Bier mit dem Wirt. Der war immer froh, wenn die beiden kamen, denn sie hatten jedesmal viele Neuigkeiten dabei und konnten ihm gute Geschichten erzählen, die er dann unter seinen Gästen weiterverbreiten konnte.
So vergingen die ersten zwei Monate und die Zeit rückte näher, in der das erste Rennen anfing. Florian war wahnsinnig nervös deswegen. Er hatte Angst, zu versagen, obwohl er den Verlauf der ersten Sendung schon im Kopf hatte. Kai hatte viel damit zu tun, seinen Freund zu beruhigen und ihm Mut zuzusprechen. In der letzten Nacht, bevor Kai nach Australien fliegen musste, lag Florian lange wach. Für ihn begann jetzt ein normales Leben und davor hatte er Angst. Er müsste ohne Kai auf Arbeit. Fast traurig schaute er ihn an. Er hatte Angst um ihre Beziehung. Das sie etwas Alltägliches werden würde. „Starr mich doch nicht so an“, murmelte Kai verschlafen. Er blinzelte und schlug die Augen auf. Florian schob einen Arm unter Kais Körper und legte den anderen über dessen Brust. „Ich bin mir in allem so unsicher.“ „Ich nicht. Es wird alles ganz wunderbar.“ Kai zog Florian dichter an sich heran. Er genoss das Gefühl von dessen Haut auf seiner eigenen. Am Morgen stand Kai unter der Dusche, als Florian das Bad betrat. Er musste in zwei Stunden am Flughafen sein und stand deshalb etwas unter Zeitdruck. Florian kletterte zu Kai in die Wanne und küsste ihn zärtlich. Dann sank er vor ihm auf die Knie. „Damit du etwas hast, woran du dich erinnern kannst“, sagte er grinsend und liebkoste Kai zärtlich. Der vergaß für einen Moment die Zeit und gab sich völlig seinem Freund hin. Irgendwie schaffe Kai dann doch noch seinen Flieger. Mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht saß er am Fenster und schaute auf die Wolkenfelder, die unter ihm langzogen. In Australien rief er sofort Florian an und es wurde ein sehr langes Gespräch. Es blieb an diesem Wochenende auch nicht das einzige und Kai war echt gespannt auf seine Handyrechnung. Hin und wieder musste er auch arbeiten. Heinz stichelte einmal, weil Kai nicht ganz bei der Sache war. Am Sonntag hatte Florian seinen großen Auftritt. Und es lief alles glatt. Die Zuschauer im Studio amüsierten sich über seine nicht immer ganz ernste Art und auch die Live-Schalten zu Kai und seinen Kollegen klappten hervorragend. Florian und Kai schafften es sogar seriös miteinander zu reden, obwohl ihre Blicke oft Bände sprachen. Den Zuschauern fiel allerdings nichts auf. Florians Chef äußerte sich sehr lobend über dessen Show. Kai entschied sich schweren Herzens gleich nach Brasilien zu fliegen und nicht nach Köln. Florian akzeptierte die Entscheidung, obwohl er seinen Freund bereits jetzt schwer vermisste. Seine Kollegen versuchten, ihn aufzumuntern und abzulenken, was ihnen jedoch nicht wirklich gelang. Erst nach dem Rennen in Brasilien flog Kai nach Hause. Florian empfing ihn hocherfreut in ihrer Wohnung und die beiden Männer kamen zwei Tage nicht aus dem Bett raus. „So lange habe ich noch nie ohne Sex auskommen müssen“, seufzte Florian und strich über Kais schweißnassen Körper. „Und ich hätte nie gedacht, dass das mal ein Problem für mich sein würde.“ „Wieso habe ich das Gefühl, dass du noch nicht genug hast?“, fragte Kai und grinste ihn an. „Weil es eine Tatsache ist.“ Florian küsste ihn innig. „Moment, mein Schatz. Ich brauche eine kleine Pause und was zu Essen. Und eine Dusche.“ „Ja. Lass uns duschen gehen“, sagte Florian mit einer seidenweichen Stimme. Kais Widerstand schmolz wie Schnee im März. Er hob Florian hoch und trug ihn ins Bad. Als die beiden Männer wieder im Sender erschienen, schaute ihr Chef sie leicht verärgert an. „Ich weiß ja, dass ihr euch lange nicht gesehen habt und kann auch verstehen, dass ihr etwas Zeit für euch haben wollt, aber könntet ihr nicht wenigstens vernünftig Urlaub nehmen, wie jeder andere auch.“ „Tut uns leid“, murmelte Kai und sah Mahr treu von unten an. Florian lachte leise. „Du bist kein Dackel“, murmelte er Kai in Ohr. Der lachte auf. „Lest mal“, sagte Mahr grisend und schob Kai und Florian einen Artikel aus der Bild zu. „Neue Sportshow bei RTL“, las Kai laut vor. „Seit dem ersten Formel 1 - Rennen in dieser Saison hat RTL zu den einzelnen Rennen Vor- und Nachberichte gesendet. Moderiert wurden diese Sendungen vom Neuzugang Florian König. Der Moderator wurde extra dafür eingestellt. Er hat bis jetzt noch keine nennenswerten Erfahrungen in diesem Sektor, was man allerdings an seinem Stil nicht gemerkt hat. Kühle, professionelle Berichte, verständliche Fragen und kleine Scherze erklärten den Sport und unterhielten die Zuschauer auf angenehme Art und Weise. Florian König gelang es, die Menschen aufzuwecken, die früh am Morgen das Rennen in Australien geschaut haben und ganze Familien beim Rennen in Brasilien vor die Bildschirme zu locken. Er benutzt eine einfache Sprache, die weder echte Fans langweilte, noch neue Interessenten verschreckte. Man merkt deutlich, dass er sehr viel Ahnung vom Sport hat und ihm der Job Spaß macht. Wir hoffen auf mehr Sendungen mit diesem jungen, dynamischen Mann und gratulieren RTL zu der Idee und ihrer Umsetzung.“ „Wow“, sagte Florian. „Und das in der Bild.“ „Genau. Herzlichen Glückwunsch, Florian. Du warst phänomenal.“ Mahr sah seinen neuen Angestellten stolz an. Kai küsste ihn kurz. „Wie ich es dir gesagt habe.“ Diesen Artikel hob Florian sich auf. Er lag in einer Schublade seines Schreibtisches und der Moderator las ihn immer dann, wenn er Selbstzweifel bekam. Doch nicht nur die Bild war begeistert von Florian, sondern vor allem die Fans. Die Menschen mochten ihn aufgrund seiner offenen Art. Er war nicht überheblich, sondern hatte genauso viel Spaß an den Rennen wie jeder andere Zuschauer. Er machte auch keinen Hehl aus seiner Meinung und traf damit meist genau den Nerv der Zuschauer. Mit Zuschauerzahlen um die fünf bis sechs Millionen hatte die Sendung sich bereits nach einigen Rennen voll etabliert. Das Jahr ging weiter, die Rennen ebenso. Während des Grand Prix in Canada passierte ein schwerer Unfall, den Mika Häkkinen nur haarscharf überlebte. Er lag lange im Krankenhaus im Koma und kämpfte dort um sein Überleben. Kai ging die ganze Sache sehr an die Nieren. Florian wusste, dass Mika und Kai enge Freunde geworden waren und Kai Angst um ihn hatte. Um so erleichterter waren alle, als Mika beim letzten Rennen mitten in der Sendung bei Kai anrief und ihm berichtete, dass er wieder in Ordnung sei und im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder fahren würde.
Florian machte seine Arbeit zwar Spaß, aber er war froh, als die Saison vorbei war. Am Abend, nachdem Kai aus Suzuka zurück war, gingen die beiden Männer richtig nobel essen. Sie genossen ihre Zweisamkeit und redeten anfangs über den Job. Allerdings wurden die Themen sehr schnell privater. Kai spürte, wie sehr er die Zeit mit Florian vermisst hatte. Glücklich strahlte er ihn an. Seine Hand lag auf der seines Freundes. „Was ist los?“, fragte Florian und sah seinen Freund direkt an. „Ich habe dich wahnsinnig vermisst.“ „Ich dich auch.“ Florian strich mit den Fingern über Kais Handrücken. „Was machen wir den Rest des Jahres?“ Kai zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht.“ „Ich würde gern nach Afrika fliegen und mir die Sahara anschauen.“ „Sahara? Was soll an Tonnen von Sand so interessant sein?“ Florian lachte. „Fliegen wir?“ „Sicher. Wenn du möchtest. Ich buche uns morgen den Flug und du suchst das Hotel aus.“ „Hab ich schon.“ Kai lachte. „Die Reiseroute steht also auch schon fest.“ Sein Freund nickte. „Aber Weihnachten...“ „...sind wir bei deinen Eltern. Ich freue mich doch auch, sie zu sehen.“ Die beiden gingen nach Hause und genossen dort noch den Rest des Abends und die Nacht. Am nächsten Morgen buchte Kai, wie versprochen, zwei Flüge nach Marokko. Fast zwei Monate blieben sie in Afrika und schauten sich Land und Leute an. Sie fuhren mit einem Mietwagen bis runter nach Johannesburg und dann am Nil entlang in Richtung Norden, bis nach Ägypten. Schließlich kamen sie nach einem kleinen Badeurlaub in Tunesien wieder in Marokko an. Pünktlich zum ersten Weihnachtsfeiertag waren sie bei Kais Eltern. Die freuten sich, die beiden wieder zu sehen. „Ihr seht selber so braun aus, wie Neger“, spöttelte Jörg. Kai und Florian sahen sich an und lachten. Wie in den vergangenen Jahren fuhren die beiden wieder mit Heinz, Michael, Tanja und Corinna zur Skihütte. Florian konnte inzwischen besser Ski fahren als sie alle zusammen. Kai schlug ihm vor, doch einen Skilehrerlehrgang zu besuchen. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung, doch Kai entging nicht, dass Florian sich verändert hatte. Er war zurückhaltender als vorher. Vor allem mied er unnötigen Körperkontakt mit anderen. Kai sprach ihn einmal darauf an, doch Florian meinte, es sei nichts. Er sah, dass sein Freund log, ließ ihn aber in Ruhe. Er hoffte, dass Florian sich ihm anvertrauen würde, wenn er die Zeit für reif hielt. Florian und Kai blieben auch nach Sylvester noch bei Kais Eltern. Der Sender hatte zugestimmt, da sie im Moment nicht wirklich etwas zu tun hatten. Und Lizzy und Peter freuten sich, die beiden noch etwas bei sich haben zu können. Eines Abends kam Kai in die Bibliothek und suchte Florian. Der saß auf einem der Sessel und hatte Bücher um sich herum gestapelt. Florian selber schlief. Ein Buch lag aufgeschlagen auf seinem Schoß. Kai wollte Florian wecken und warf einen kurzen Blick in das Buch. Er erstarrte förmlich. Vorsichtig nahm er es seinem Freund aus den Händen und setzte sich in den anderen Sessel. Das Buch war ein wissenschaftliches Lexikon über hochansteckende Epidemien und Florian war beim Thema Aids. Schockiert blickte Kai immer wieder auf dieses eine Wort. Was wollte Florian nachschlagen? War er vielleicht nur neugierig gewesen? Kai sah sich auch die anderen Bücher an. Alles medizinische Werke. Zettel steckten in einigen von ihnen. Es ging immer um Aids. Krankheitsverlauf, Behandlungsmethoden und so weiter. Florian wachte auf und sah Kai verschlafen an. Sein Freund saß leichenblass neben ihm auf einem der Sessel und starrte die Bücher an, in denen er... Florian schluckte. „Kai, ich...“, er stockte und sah ihn an. „Glaubst du, dass du dich infiziert hast?“ „Ich hatte letzte Nacht einen Alptraum, wie so oft in den letzten Wochen. Es ist immer derselbe. Ich hatte mal eine ganz kurze Affäre mit einem anderen Stricher. Damals war ich 15. Ich sah zwar, dass er krank war, aber ich hatte keine Ahnung, dass er Aids hatte. Wir hatten Sex und ich habe Angst, dass ich mich angesteckt habe. Er starb nämlich einige Wochen später.“ „Mein Gott.“ Kai ging ein Licht auf. „Deshalb hast du immer darauf bestanden, dass wir ein Kondom benutzen.“ Florian nickte leicht. „Warum bist du nicht zum Arzt gegangen?“ „Vielleicht aus Angst, dass ich wirklich infiziert bin. Es wäre mein Todesurteil, Kai.“ Florian schluchzte auf. Kai nahm ihn in den Arm und beruhigte ihn wieder. „Ich verstehe dich ja, Flo. Aber so geht das nicht weiter, Schatz. Ich verstehe jetzt endlich, warum du dich so zurückgezogen hast. Du musst einen Test machen lassen.“ Ganz langsam nickte Florian. „Aber, wenn... Was ist, wenn ich dich angesteckt habe?“ „Bis jetzt brauchst du dir deshalb noch keine Gedanken zu machen. Wir wollen ja morgen wieder nach Köln zurück. Am besten ist, wir gehen gleich früh zu Doktor Schneider. Wir lassen uns beide testen, dann wissen wir genau Bescheid.“ Florian nickte erleichtert. Kai war überhaupt nicht wohl bei dem Gespräch und dem Gedanken an Aids. Er hatte sich auch öfter gefragt, ob Florian sich eventuell irgendwie infiziert haben könnte, aber er hatte den Gedanken immer schnell wieder verworfen. Jetzt war seine Sorge wieder da. Und er hatte natürlich Angst, sich bei seinem Freund angesteckt zu haben. Am nächsten Mittag saßen sie dann auch wirklich bei Doktor Schneider. „Warum seid ihr nicht schon früher gekommen?“ Er hatte ihnen Blut abgenommen und verpackte es jetzt. „Naja, egal. Es dauert drei Wochen, bis ich die Ergebnisse habe. Ich weiß, dass ist lange, aber es geht leider nicht anders.“ Er wand sich an Florian. „Hattest du irgendwann, nachdem du mit diesem Mann geschlafen hast, grippeähnliche Symptome?“ Florian dachte eine ganze Weile nach. Langsam nickte er. „Ja. Circa zwei Wochen danach bin ich ziemlich krank geworden. Ich habe mich ständig übergeben, hatte Durchfall, dabei habe ich kaum etwas gegessen. Außerdem hatte ich wahnsinnige Kopf- und Gelenkschmerzen. Ich konnte damals nicht arbeiten und habe ganz schön Prügel bezogen von Alex.“ Kai sah die Sorge in den Augen des Arztes. „Was heißt das?“ „Ich will euch nichts vormachen. Aids gliedert sich in vier Phasen. Die erste ist die HIV-Infektion. Danach bekommt der Infizierte grippeähnliche Symptome, wie Florian sie beschrieben hat. Die verschwinden meist nach einigen Tagen oder Wochen von allein wieder. Danach folgt eine symptomfreie Phase, die über 10 Jahre anhalten kann. Danach zeigen sich wieder die bekannten Symptome aus Phase Eine. Nur diesmal verschwinden sie nicht, sondern werden eher schlimmer. Aber egal. Es muss nichts heißen. Ich hoffe es für dich, Florian.“ Doktor Schneider verabschiedete sich von Kai und Florian und versprach, sie sofort zu informieren, sobald er die Ergebnisse hatte. Für die beiden Männer begann damit eine Zeit des Wartens. Für Florian wurde es besonders schlimm. Er litt unter Angstzuständen und regelrechten Panikattacken. Es kam immer häufiger zum Streit zwischen ihm und Kai, welchen Florian sehr häufig mutwillig provozierte. Er liebte Kai und es war die einzigste Möglichkeit, körperlichen Kontakt mit Kai zu vermeiden. Es tat ihm selber weh, aber er wusste sich nicht anders zu helfen. Kai ahnte, warum Florian ihn jedesmal so auf die Palme brachte. Doch irgendwann war auch er mit den Nerven am Ende. Er mied seinen Freund, nur um sich nicht wieder mit ihm zu zoffen. Er schlief sogar auf der Couch und überließ Florian das Schlafzimmer. Eines Nachts stand er davor und hörte Florian drinnen schluchzen. Der war, genauso wie er selber, mit den Nerven völlig am Ende. Kai tat es weh, dass er sich nicht helfen ließ. Seine Hand lag auf der Klinke, doch er zog sie langsam zurück. Leise schlich er ins Bad. Auch in seinen Augen schimmerten Tränen. Er war wirklich verzweifelt. Am nächsten Morgen saßen die beiden Männer schweigend am Frühstückstisch, als das Telefon klingelte. Kai ging ran. „Ja, wir kommen“, sagte er leise. Er blickte Florian an. „Doktor Schneider. Die Ergebnisse sind da. Wir sollen in die Praxis kommen.“ Florian nickte schweigend. Er stand auf und nahm seine Jacke. Wartend stand er an der Tür. Kai sah ihn eine Weile an. „Florian, ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe. Egal, was dieser dämliche Test ergibt. Ich würde mich lieber mit diesem verdammten Virus infizieren, als noch länger auf dich zu verzichten.“ Mit Tränen in den Augen blickte Florian seinen Freund an. „Es tut mir leid“, hauchte er. „Schon okay. Lass uns fahren. Ich will endlich Gewissheit.“ Eine halbe Stunde später saßen sie im Sprechzimmer des Arztes. Der hatte zwei Blätter vor sich liegen. Sein Gesicht war ernst und traurig. „Mein Test ist positiv, nicht wahr?“ Florian sah den Mann an. Der nickte langsam. „Ja. Es tut mir leid. Ich muss noch einen Test machen, aber es ist zu 95 % sicher.“ Florians Kopf sank nach vorn. Tränen liefen über sein Gesicht. Kai zog ihn in seine Arme und diesmal wehrte Florian ihn nicht ab. Er sah den Arzt an. „Meiner?“ „Negativ. Aber ich muss dich mindestens jedes halbe Jahr kontrollieren, wenn ihr weiterhin sexuellen Kontakt habt. Ihr habt immer Kondome benutzt, oder?“ „Ja.“ Florian schluchzte. „Dachte ich mir schon. Sonst hätte Kai sich auf jeden Fall angesteckt.“ „Ist es nicht besser, wenn ich mich von Kai trenne?“, sprach Florian jetzt den Gedanken aus, den er schon seit Wochen mit sich herumschleppte. Der sah ihn entsetzt an. „Normalerweise wäre es sicherer für Kai, aber Gefühle lassen sich nicht so einfach abstellen. Und du brauchst deine ganze Kraft im Kampf gegen dieses Virus. Lass dir von Kai helfen. Du weißt doch, wie das Virus übertragen wird. Es ist völlig ungefährlich, wenn ihr zusammen lebt. Aber seid im Bett vorsichtig. Nur mit Kondom, auch beim Oralverkehr. Kleine Wunden im Mund reichen leider aus, um das Virus zu übertragen.“ Florian und Kai sahen sich an und nickten. „Sonst noch etwas, was wir beachten müssen?“ „Ihr braucht Gummihandschuhe. Wenn einer von euch sich verletzt hat und der andere will helfen, nur mit den Handschuhen. Ansonsten ist nichts weiter, was ihr beachten müsst.“ „Kriege ich Tabletten?“, fragte Florian leise. „Sicher. Und ich fürchte, eine ganze Menge. Deine Gesundheit ist sehr angeschlagen aufgrund deiner Vorgeschichte. Wir müssen die Ausbreitung des Virus eindämmen.“ „Deshalb der zweite Test?“ „Ja.“ Doktor Schneider holte einige Packungen Tabletten aus seinem Schreibtisch hervor. Florian machte große Augen. „Das hier ist das Wichtigste“, erklärte der Arzt. „Das ist ein Proteasehemmer und das sind Nukleorid-Analoga. Die beiden stoppen in Kombination die Vermehrung des Virus. Das ist AZT und das Dideoxycytidin oder auch DDC. Sie verzögern ebenfalls die Vermehrung des Virus und AZT bewirkt außerdem ein verzögertes Auftreten der Symptome. Und das ist Interleukin-2 zur Stärkung des Immunsystems.“ „Warum so viel?“, fragte Florian entsetzt. „Das Virus ist in den letzten Jahren immer resistenter geworden. Wir müssen diese Kombinationen geben.“ „Das heißt, ich muss die Dinger jetzt für immer nehmen?“ „Bis du das vierte Stadium erreicht hast. Danach sind sie unnütze. Von jeder Sorte früh, mittags und abends eine.“ Kai riss die Augen auf. „Drei? Das sind 15 Tabletten am Tag.“ Der Arzt nickte. „Es ist absolut notwendig.“ „Welche Nebenwirkungen haben die Dinger?“, fragte Florian. „Eigentlich gewöhnt sich der Körper schnell daran. Allerdings kann das AZT zu einer Unverträglichkeit führen. Dann setzen wir es ab und ersetzten es durch DDI. Es könnte sein, dass du Bauchschmerzen bekommst, was auf eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse hindeuten würde. Komm dann unbedingt zu mir.“ Ergeben nickte Florian. „Kann ich arbeiten?“ „Bis die Saison anfängt, dürftest du dich an die Tabletten gewöhnt haben. Aber immer regelmäßig nehmen.“ Florian nickte langsam. „Wie lange habe ich noch?“ Doktor Schneider schwieg lange. „Ich schätze sechs Jahre, plusminus zwei Jahre. Aber du musst dich an einige wichtige Regeln halten. Regelmäßiges Essen, gesunde Ernährung. Sport ist ganz wichtig. Du brauchst viel Schlaf und nicht zuviel Stress. Und nochmal, lass dir helfen, Florian. Allein schaffst du es nicht.“ „Okay.“ Florian sah Kai an und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Kai lächelte überglücklich. „Danke, Doktor Schneider.“ Der Arzt stand auf und gab Florian und Kai die Hand. „Ihr kommt in einem Viertel Jahr zum nächsten Test. Florian muss sowieso alle drei Monate und bei dir schadet es auch nicht, Kai.“ Mit den Tabletten in der Tasche marschierten die beiden los. Kai nahm Florians Hand und drückte sie leicht. Der sah ihn erleichtert und zugleich unendlich traurig an. „Du fühlst dich besser, oder?“ „Ja. Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin.“ Er kuschelte sich gegen Kai. „Hast du das eigentlich ernst gemeint, was du in deiner Wohnung gesagt hast? Dass du es lieber akzeptieren würdest, dich zu infizieren, als mich aufzugeben?“ „Florian, ich liebe dich. Du bist mein Leben. Es war ernst gemeint.“ Traurig sah er ihn an. „Dann erfüllt sich der Fluch der Kette wieder einmal.“ Florian nickte leicht. „Anscheinend. Aber sie beweist etwas. Nämlich, dass wir zusammen gehören.“ „Das tun wir.“ Kai atmete tief durch. Ihm ging ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf. Er würde Florian wieder verlieren, über kurz oder lang. Und dieser Gedanke bereitete ihm fast körperliche Schmerzen. Am Abend, als Florian schlief, rief Kai bei Heinz an. Eine Weile plauderte über belanglose Sachen. Heinz spürte jedoch, dass seinen Freund etwas sehr Ernstes belastete. „Kai, komm schon“, sagte er schließlich. „Wieso hast du mich angerufen? Doch nicht zum Plaudern. Ich merke doch, dass dich etwas bedrückt.“ „Florian ist krank.“ „Oh. Was hat er denn?“ Kai sammelte seine ganze Kraft und sagte dann: „Flo ist HIV positiv.“ Eine Weile schwieg Heinz erschüttert. Schließlich sagte er: „Das tut mir leid, Kai.“ Aufgeregt fügte er hinzu: „Hast du dich testen lassen?“ „Ja. Negativ.“ Er hörte, wie Heinz aufatmete. „Ich möchte dich bitten, dich auch testen zu lassen.“ „Das ist Quatsch. Florian hat mir nur einen geblasen und dann noch mit Kondom.“ „Wahrscheinlich hast du Recht. Gott, ich habe solche Angst, ihn zu verlieren.“ „Na, na, na. Nun mach aber mal langsam. Ich weiß nicht so viel über Aids, aber bloss weil Florian HIV positiv ist, heißt das doch nicht, dass er gleich sterben wird.“ „Der Doc meint, er hätte noch ungefähr sechs Jahre. Das ist nicht viel.“ „Nein, ist es nicht.“ Heinz schlug leicht auf den Tisch. „Es ist so unfair. Als hätte Flo nicht schon genug hinter sich.“ „Ja.“ Kai schluchzte leise. „Ich habe solche Angst vor der Zukunft. Aber ich kann es ihm nicht zeigen. Er ist selber völlig am Ende. Er braucht jetzt einen starken Freund.“ „Nein, Kai. Er braucht dich, sonst niemanden. Du weißt, wie sehr er dich liebt. Sei du selber. Und genießt einfach die Zeit, die euch noch bleibt.“ „Danke, Heinz. Aber tu mir einen Gefallen und behalte es für dich. Sprich mit niemandem.“ „Selbstverständlich. Aber eurem Chef müsst ihr es sagen.“ „Ich weiß. Wir werden es am Montag machen, wenn wir wieder arbeiten gehen.“ Sie redeten noch eine Weile über allgemeine Sachen. Heinz versuchte, seinen Freund aufzumuntern, obwohl ihm selber erst langsam klar wurde, was das überhaupt bedeutete, was Kai ihm mitgeteilt hatte. Und je klarer es ihm wurde, desto trauriger wurde er. Heinz bat Kai, dass er mit Tanja darüber reden durfte und der willigte ein. Nach dem Telefonat fühlte Kai sich völlig ausgepowert. Er ging leise ins Schlafzimmer. Florian tat so, als schliefe er, aber Kai sah es sofort. „Du kannst auch nicht schlafen, hmm?“ Sein Freund öffnete die Augen. Deutlich sah Kai, dass er geweint hatte. „Nein. Mir gehen so viele Dinge durch den Kopf. Am meisten habe ich Angst, dass ich irgend jemanden angesteckt haben könnte. Es ist ein Scheiß-Gefühl.“ „Darf ich zu dir ins Bett kommen?“ Florian lächelte leicht. „Sicher doch. Komm schon her.“ Kai kroch unter Florians Decke und zog ihn in seine Arme. Der brauchte einige Sekunden, um sich zu entspannen. Er kuschelte sich gegen seinen Freund und schloss für einen Moment die Augen. Kai spürte, die Tränen, die über Florians Wangen rannen und auf seine Brust tropften. „Ich will dich nicht verlieren, Florian“, hauchte er verzweifelt. Florian schluchzte auf und klammerte sich nur noch fester an seinen Freund. „Und ich will nicht sterben.“
Am folgenden Montag gingen sie sofort zu ihrem Chef. Der war über die Nachricht sehr schockiert. Nach einigen Minuten des Nachdenkens sah er Florian durchdringend an. „Ich bin nicht bereit, dich jetzt schon gehen zu lassen. Meinst du, du kriegst das mit deinen Tabletten hin und kannst arbeiten?“ Erleichtert nickte Florian. „Ja, ich denke schon. Das Problem ist nur, dass ich die Pillen immer zur selben Zeit nehmen muss. Und bei dem Rennen in Australien ist das genau während der Sendung.“ „Sag mir wann und wir legen die Werbepause so, dass du dich kurz verdrücken kannst.“ Kai lächelte erleichtert. „Danke, Chef.“ „Schon okay. Aber ich will über den Verlauf der Krankheit informiert werden.“ Florian nickte. „Auch bei dir, Kai. Du lässt dich doch sicher regelmäßig testen?“ Der nickte ebenfalls. Damit war dieses Thema erst einmal geklärt. Die Tage und Wochen vergingen und Florian lernte, mit den Medikamenten zu leben. Mitte Februar trat das ein, was Doktor Schneider schon angedeutet hatte. Florian bekam eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse und musste das AZT absetzten. Das DDI vertrug er hervorragend. Nachdem er eine Woche im Bett gelegen hatte, ging es wieder aufwärts. Kai fiel es diesmal besonders schwer, seinen Freund allein zu lassen. Am liebsten hätte er Florian mitgenommen, aber das war leider unmöglich. Hatten die beiden im vergangen Jahr schon viel telefoniert, so war es diesmal noch wesentlich mehr. Aber das zählte nicht, Hauptsache, Kai war genau über Florians Gesundheitszustand informiert. Die beiden hatten unabhängig voneinander neue Tests durchführen lassen. Bei Kai war alles in Ordnung und bei Florian war die Vermehrung der Viren nahezu zum Stillstand gekommen, was selbst Doktor Schneider erleichtert zur Kenntnis nahm. Hans Mahr hatte noch eine Überraschung für die beiden Männer, als Kai aus Brasilien zurück war. „Ich habe mir gedacht, dass Florians Sendung auch von Rennstrecken ganz gut kommen würde. Ich würde gern einmal probieren, wie es funktioniert und von den Zuschauern aufgenommen wird.“ Kai war total begeistert. „Wo wollen Sie es testen?“ „Ich dachte, vielleicht hier in Deutschland. In Hockenheim und am Nürburgring.“ Er wand sich Florian zu. „Ich würde dir für die Rennen gern einen Experten zur Seite stellen.“ „Und wen?“ „Niki Lauda hat sich angeboten.“ Florian und Kai grinsten sich breit an. „Ist okay.“ „Kommst du mit ihm klar?“ „Sehr gut sogar.“ So wurde es dann auch gemacht. Florian moderierte vom Studio aus, bis zum Rennen in Hockenheim. Er freute sich wahnsinnig darauf, mal wieder ein Rennen live sehen zu können. Und die Fahrer und anderen Bekannten von Florian freute sich, endlich mal wieder mit ihm zu schwatzen und Geschichten auszutauschen. Florians Sendung lief hervorragend. Sein Chef rief ihn in der ersten Werbepause an und bestätigte ihm, wie gut er war und das die Zuschauer es anscheinend akzeptierten. Niki und Florian stichelten vor der Kamera in einer Tour herum und das interessierte nicht nur die Zuschauer, sondern vor allem auch die Teamchefs, die sich die Sendung ebenfalls ansahen, wenn Kai sie nicht gerade vor dem Mikrofon hatte. Danach kamen vier Rennen, bei de
Erleichtert sah Florian seinen Co-Moderator an. „Schön, dass du es so locker hinnimmst.“ „Kein Problem.“ Kai wand sich an Mahr. „Wissen Sie eigentlich, wer die journalistischen Kollegen bei PW sein werden?“ „Das wird dir nicht gefallen. Der Chefreporter heißt Marc Surer.“ „Surer?“, presste Kai verärgert hervor. „Oh oh“, machte Niki leise. „Diese Pfeife hat mir gerade noch gefehlt.“ „Wer ist das?“, fragte Florian. „Der ehemalige Fahrer?“ „Genau der. Marc und Kai können sich absolut nicht riechen. Die sind wie Hund und Katze.“ „Dieser Surer ist gefährlich“, murmelte Kai. Besorgt sah er Florian an. „Wenn der spitzkriegt, was zwischen uns läuft, schlachtet der das gnadenlos aus.“ „Daran habe ich gar nicht gedacht“, murmelte Mahr. Er sah Niki an. „Übertreibt Kai? Sie kennen Surer doch.“ „Er übertreibt keineswegs. Surer wollte die Karriereleiter schon immer ganz schnell nach oben. Menschen sind dem völlig egal.“ Florian sah Kai ängstlich an. „Aber uns kann er doch nicht schaden, oder?“ „Natürlich nicht. Niemand kann das.“ Er legte die Arme leicht um Florian. „Niemand.“ Niki zog eine Augenbraue hoch. „Ihr seid schon ein komisches Pärchen. Sowas wie euch habe ich noch nie gesehen.“ Sein Blick fiel auf Florians Ring. „Hat der was zu bedeuten?“ Florian nickte. „Kai und ich sind seit einigen Monaten verlobt.“ „Glückwunsch. Ist schon unfair, dass es hier noch nicht erlaubt ist, dass Paare wie ihr heiraten dürft.“ „Noch nicht“, seufzte Kai. „Ich hoffe, das ändert sich irgendwann.“ „Herzlichen Glückwunsch auch von mir“, sagte Mahr. Er sah Niki an. „Wollen Sie sonst noch irgendwas wissen?“ Der schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich denke, das wäre alles.“ Er sah zu Kai und Florian hinüber. „Oder sollte ich noch was wissen?“ Florian presste die Lippen zusammen. Dann sagte er leise: „Solltest du. Nur für den Notfall. Ich habe Aids. Also fass mich nicht an, wenn ich mich mal verletzt habe und blute, verstanden?“ Überrascht sah der Ex-Rennfahrer Florian an. „Aids? Woher? Ich meine, das ist ja nun eine Krankheit, die man sich nicht holt, bloß weil ein Infizierter einen anniest.“ „Ich habe früher als Stricher gearbeitet und habe mir die Krankheit beim Sex geholt.“ „Stricher? Das wird ja immer besser. Die Geschichte möchte ich mal komplett hören. Aber nicht jetzt. Ich habe nämlich leider einen sehr wichtigen Termin.“ Er reichte Florian die Hand. Der ergriff sie zögernd. „Keine Angst, Florian. Ich weiß über die Krankheit Bescheid. Mein Neffe hat sich beim Fixen infiziert und ich musste mich wohl oder übel damit auseinandersetzen.“ „Ich habe früher auch Heroin genommen.“ „Wie bist du davon weggekommen? Charly, mein Neffe, versucht es auch.“ „Kai hat mich von der Straße weggeholt, als ich ganz unten war. Er hat mir gezeigt, dass es noch was Anderes gibt. Ich habe dann auch mit dem Drücken aufgehört, als ich meinen Job nicht mehr gemacht habe.“ „Dann habt ihr ja schon Einiges hinter euch. Kein Wunder, dass ihr so ein besonderes Vertrauensverhältnis habt.“ Kai nickte. „Hart erarbeitet.“ „Also dann, ich verschwinde jetzt. Halt die Ohren steif, Florian. Ich würde gern noch einige Jahre mit dir die Sendung machen. Dann fühle ich mich wenigstens nicht so alt.“ Florian lächelte und nickte. Als Niki raus war, sah er Kai erleichtert an. „Ich habe dir immer gesagt, er ist ein cooler Typ.“ „Und du hattest Recht. Hätte ich nicht gedacht. So lange, wie ich Niki schon kenne, so viel habe ich mich nie mit ihm unterhalten wie hier. Naja, ich schätze, das ändert sich noch.“ „Wenn er mit mir zusammen arbeitet, auf jeden Fall.“
Das neue Jahr fing an und Florian war, wie abgesprochen, ab dem dritten Rennen live dabei. Marc Surer und sein Team von Premiere World brauchten diese Rennen, um sich einzuarbeiten. Danach fing Surer an, zu sticheln. Er zog mit Vorliebe über Kai und die anderen RTL-Mitarbeiter her. Und die Scherze wurden immer grober. Kai hätte Surer am liebsten schon lange gezeigt, was eine Harke ist, aber er hatte Florian versprochen, diesen Typen einfach zu ignorieren. Florian hatte Angst vor diesem Mann. Jedes Mal, wenn der ihm über den Weg lief, sah er ihn mit seinen durchdringenden Augen an. Manchmal hatte der Moderator das Gefühl, Surer würde ins Innerste seiner Seele blicken. Surer hasste Kai. Er war zu gut für seinen Geschmack. Außerdem war er mit einigen der Fahrer eng befreundet. Und die schusterten ihm die guten Sachen zu. Gerade wenn es um private Dinge ging, wusste Kai immer vor allen Anderen, was Sache war. Aber dem Premiere-Reporter war eins nicht entgangen. Kai verband eine tiefe Freundschaft mit Florian. Wenn er über den Moderator an Kai ran kam, war ihm das auch Recht. Und Florian schien eine Menge zu verbergen zu haben. Es war beim Rennen in Ungarn, als Marc Surer nach dem Qualifying durch die Boxengassenanlage lief und sich nach einer guten Story umsah. Er entdeckte einige Geschäftsleute, die sich unterhielten. Florian und Kai standen neben der Ferrari-Box und scherzten mit Michael Schumacher. Einer der Geschäftsmänner deutete auf Florian und flüsterte seinem Kollegen etwas zu. Surer trat neben den Mann. „Na, genießen Sie das Rennen?“ „Danke der Nachfrage“, antwortete der Mann höflich. „Es ist wirklich beeindruckend.“ „Sie haben eben so interessiert zu meinem Kollegen rüber gesehen. Kennen Sie ihn?“ „Ich glaube nicht. Er sieht nur einem jungen Mann ähnlich, den ich in Zagreb kennen gelernt habe. Ein Stricher, den ein Kollege von mir manchmal bei sich hatte.“ Surer glaubte, sich verhört zu haben. „Sie sind Kroate?“ „Ja.“ „Können Sie mir vielleicht helfen? Ich habe einen Freund in Kroatien. Ich würde ihn gern mal ärgern. Aber ich kann die Sprache nicht.“ „Gern. Was wollen Sie denn wissen?“ Mit einem bösen Grinsen sah Surer zu Florian hinüber. Wenn das kein Irrtum war, hatte er gerade die Story seines Lebens gehört. Und wenn es doch eine Verwechslung war, war es ziemlich unwahrscheinlich, dass Florian Kroatisch sprach. Surers Risiko sich zu blamieren, war also nahezu null. Kai winkte einem Kameramann zu und holte ihn zu sich. Der schaltete die Kamera ein. „Sag das noch mal, Michael. Für die Nachrichten.“ „Corinna ist schwanger. Ich werde Papa.“ Er strahlte in die Kamera. „Herzlichen Glückwunsch.“ Leicht verärgert sah Michael Kai an. „Du weißt es doch schon so lange. Wieso hast du mich nicht eher gefragt?“ „Dann wäre die Konkurrenz wieder so geknickt gewesen“, stichelte Kai in Richtung von Marc Surer, der gerade an Florian vorbeilief. „Ich wollte den Kollegen eine Chance geben, ein Mal schneller zu sein.“ Der grinste schief und sagte dann etwas auf Kroatisch zu Florian. Der wurde leichenblass. Geschockt sah er den Reporter an, der ihn siegessicher angrinste. Er wankte einen Schritt zurück und lehnte sich gegen einen Reifenstapel. Kai hatte in den Jahren, die er mit Florian zusammen war, auch ein bißchen Kroatisch gelernt. Und was Surer gesagt hatte, hatte er sehr wohl verstanden. Wütend ballte er die Fäuste. „Dich mach ich fertig“, murmelte er. Er packte Surer an der Schulter und riss ihn brutal herum. Bevor der begriff, was passiert war, hieb Kai ihm die Faust ins Gesicht. Danach riss er den Fuß hoch und trat Surer in den Magen. Der krümmte sich vor Schmerzen. Kai war es in diesem Moment völlig egal, ob er durch diese Aktion seinen Job verlor. Er blickte zu Florian hinüber, der geschockt auf Surer starrte. Tränen liefen über sein Gesicht. Sie machten Kai noch wütender. Er trat seinem wimmernden Opfer in die Nieren. Surer schrie gequält auf. Heinz-Harald Frentzen stürzte auf Kai zu und hielt ihn fest. Jetzt griff auch Michael ein. Zusammen gelang es ihnen, Kai von Surer wegzuziehen. „Ganz ruhig, Kai“, sagte Heinz leise. „Lasst mich los“, knurrte Kai. „Ich mach dieses Schwein fertig.“ „Das hast du bereits.“ Heinz sah seinen Freund ernst an. „Du hast Wichtigeres zu tun.“ Er deutete auf Florian. Kais Gesicht wurde milder. Er ging zu seinem Freund und nahm ihn in den Arm. Florian vergrub sein Gesicht in Kais Shirt und schluchzte hemmungslos. Inzwischen waren einige Leute, auch Fernsehteams, auf die Schlägerei aufmerksam geworden. Surer hatte sich aufgerappelt und blickte mit blutverschmierten Gesicht in die Kamera. „So einen gefährlichen Schläger darf man nicht frei rumlaufen lassen“, keifte er. „Das ist lebensgefährlich, wenn so ein Typ einfach Leute anfällt, die nur einen kleinen Scherz...“ „Jetzt hören Sie aber auf, Surer“, ging Michael dazwischen. „Ich kenne Kai seit über zwanzig Jahren. Der rastet wegen keinem Scherz so aus. Was haben Sie zu Florian gesagt?“ Surer sah den Rennfahrer erschrocken an. Er schluckte. „Nichts weiter. Ich habe ihn nur gefragt, was er verlangt, um mir einen runterzuholen.“ Schockiert sah Michael ihn an. „Er müsste als ehemaliger Stricher solche Fragen ja gewöhnt sein. Und Kai doch eigentlich auch, wenn er mit so einem Mann befreundet ist. Wahrscheinlich ist er noch ein Kunde von ihm.“ Heinz packte Surer am Kragen. „Es tut mir leid, dass ich Kai aufgehalten habe“, zischte er. „Sie sind wirklich das letzte Stück Dreck.“ Aufgeregtes Gemurmel war zu hören. Florian und Kai waren auf Surer zugetreten. Wütend sah Kai den Mann an. Florian blickte scheu in die Kamera. „Es stimmt, was Marc Surer gesagt hat. Ich war früher ein Stricher. Und es ist noch nicht einmal allzu lange her, seit ich aus diesem Milieu raus bin.“ Trotz der vielen Leute war es plötzlich mucksmäuschenstill. Alle hörten Florians Statement zu. „Ich komme ursprünglich aus Kroatien. Nach dem Tod meiner Mutter bin ich in ein Haus gekommen, in welchem man mich mit Vergewaltigungen und Schlägen zum Stricher ausgebildet hat. Damals war ich sieben Jahre alt und hatte keine Chance, mich zu wehren. Als ich mit 14 nach Zagreb zu einem neuen Zuhälter kam, fing ich an, Drogen zu nehmen, um die Arbeit ertragen zu können. Einmal rettete ich ein kleines Mädchen aus den Händen eines Stammfreiers. Er hätte mich an meinen Zuhälter verraten und ich wäre dafür auf sehr brutale Art und Weise ermordet worden. Das war so üblich. Ich floh nach Köln und arbeitete hier weiter auf dem Strich, da ich von dem Heroin nicht loskam und das Geld für den Stoff brauchte. Kai half mir, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“ Florian sah Surer böse an. „Ich bin inzwischen mit Kai zusammen, wir sind sogar verlobt. Denn er ist, im Gegensatz zu Ihnen ein Mensch, der gibt, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Er hat mir mein Leben zurückgegeben, ohne auch nur einen schmutzigen Gedanken zu haben. Und dafür werde ich ihm auf ewig dankbar sein.“ Die Menschen schwiegen betroffen. Heinz klopfte Florian auf die Schulter. „Gut, dass du es endlich gesagt hast.“ „Genau. Jetzt braucht ihr euch nicht mehr zu verstecken.“ Michael lächelte ihm zu. Auch Niki Lauda nickte zustimmend und gab damit zu verstehen, dass auch er von Florians und Kais Geheimnis bereits gewusst hatte. Ein Reporter von der ARD trat auf Florian zu. „Weiß Ihr Chef von Ihrer Vergangenheit?“ „Sicher.“ Kai legte den Arm um Florians Hüfte. „Mein Ausraster tut mir leid. Aber Florian hat in seinem Leben schon genug gelitten. Es waren Schweine wie Surer, die ihn ausgenutzt haben. Ich habe einfach die Kontrolle über mich verloren, als ich den Schmerz in Flos Augen gesehen habe, den diese Anspielung und die Erinnerung an sein früheres Leben ihm bereitet haben.“ „Wenn das jemand zu meiner Frau sagen würde, hätte der meine Faust auch schneller im Gesicht, als er Mercedes rauskriegen würde“, sagte Norbert Haug. Einige nickten zustimmend. Den Vergleich verstanden alle. Einige der anderen Journalisten fragten Florian noch etwas aus. Der beantwortete auch bereitwillig die Fragen. Er hatte von der Lügerei endgültig die Nase voll. Kai stand neben ihm und gab hin und wieder einen Kommentar ab. Am nächsten Tag stand Florians Geschichte in nahezu jeder Zeitung. Vor allem in den Sportmagazinen. Man bedauerte dessen Vergangenheit und lobte ihn dafür, dass er aufgestanden war und weiter gemacht hatte. Surer wurde beschimpft und verspottet. Viele Journalisten hatte zugegeben, dass sie unter diesen Umständen genauso gehandelt hätten. Surer traute sich nicht einmal, Anzeige gegen Kai zu erstatten und Kais Chef ließ es bei einer Verwarnung am Telefon bleiben. Florians Geheimnis war raus und er fühlte sich wohl. Im Grunde hat Surer ihm mit seiner gemeinen Aktion einen riesigen Gefallen getan. Und Florian wollte sich bei Gelegenheit auch noch bei ihm bedanken. Der Rest des Jahres verlief ereignislos. Surer ging Kai großräumig aus dem Weg. Die Zuschauerquote bei RTL war von rund sechs Millionen auf stetige neun Millionen gestiegen, seit Florian sich zu seiner Vergangenheit geäußert hatte. Denn der oft etwas bieder wirkende Moderator hatte gezeigt, dass da auch noch ein anderer Mensch in ihm steckte. Ein Mensch der viel erlebt hatte. Immer wieder erreichten Mails und Briefe den Sender, die für Florian waren und ihn aufmuntern sollten. Der sammelte sie glücklich. Und natürlich interessierten sich die Zuschauer auch für die Beziehung der beiden RTL-Journalisten, über die jetzt hin und wieder etwas in den Zeitungen stand. Mit dem etwas ungewollten Coming-Out hatte Florian dem Sender etwas Familiäres verliehen, was beim Publikum sehr gut ankam.
„Kommt schon, alle setzen“, rief Kai fröhlich. In einem der Konferenzräume des Senders hatte er eine große Tafel aufbauen lassen. Er hatte alle zusammen getrommelt, die mit der Formel 1 - Berichterstattung etwas zu tun hatten. Das war eine Tradition geworden. Kai wollte mit ihnen noch einmal in Ruhe die letzte Saison durchgehen und das ging bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen einfach besser. Mit freudigem Gemurmel kamen die ganzen Journalisten, Kameraleute und Techniker. Sie mochten diese kleinen Treffen. Man hatte die Chance, mit allen noch einmal zu reden und Geschichten auszutauschen. Als jeder seinen Platz eingenommen hatte, zog Kai einige Blätter aus seinem Aktenkoffer. „Ihr könnt ruhig essen.“ Er stand an der Stirnseite des Tisches. „Seite eins: Spesenabrechnungen.“ Kai schaute nach oben. „Bordellbesuche demnächst nicht mehr mit abgeben, auch wenn es als Hotelrechnung getarnt ist. Die Rechnungen gehen durch meine Hände und ich kenne die einschlägigen Adressen.“ Er sah bewusst niemanden an, sondern blickte nach draußen. Grinsend legte er das Blatt weg. „Seite zwei: Zuschauer. Wir sind nach wie vor das non plus Ultra in der Berichterstattung.“ Einige jubelten. „Da kommt PW nie ran.“ „Nein.“ Kai grinste. „Ich verrate euch ein kleines Geheimnis. Mein Vater hat mir einen riesigen Gefallen getan und einige der Aktien der Kirch-Gruppe übernommen, zu der ja auch PW gehört. Meine Familie hält einen Anteil von 56 %.“ Florian sah ihn erstaunt an. „Dann läuft ja da ohne deine Zustimmung gar nichts.“ „Richtig. Ich kontrolliere den Sender. Und wir können ihn schön einsetzen, um durch die kontrollierte Konkurrenz unserem Sender die Zuschauer zu sichern.“ Einige klatschten begeistert. Felix Görner lachte plötzlich. „Das heißt ja auch, du bist Surers Chef.“ „Sozusagen. Wenn er Ärger macht, fliegt er raus.“ Ein Funkeln erschien in Kais Augen. „Wenn der das wüßte“, murmelte Florian. „Wir werden es ihm irgendwann verklickern. Sobald er den Langzeitvertrag unterschrieben hat, der ihm im Moment vorliegt. Der bindet ihn nämlich an den Sender und verbietet ihm bei einem anderen anzufangen, wenn der Stimmberechtigte ihn nicht persönlich entläßt. Und das bin nun mal ich.“ „Aber kriegt der Typ das nicht raus?“ „Nein, Bobby. Wir haben die Aktien über eine Strohfirma gekauft.“ „Raffiniert.“ So ging es weiter. Man redete und lachte. Einige machten Verbesserungsvorschläge, die diskutiert wurden. Aber man entschloss sich doch hauptsächlich, so weiter zu machen, wie bisher. Es war bereits nach 18 Uhr und Kai wollte die Runde langsam auflösen. Florian räumte einige der Sachen weg. Er verstaut vor allem die Kuchen im Kühlschrank. Auf einer Tortenplatte lag ein Messer. Es rutschte runter und verletzte den Moderator dabei. Florian hatte den Kuchen schnell in die andere Hand genommen und stellte ihn weg. „Scheiße“, fluchte er. Seine verletzte Hand hielt er über das Waschbecken. Er sah wie hypnotisiert auf das Blut, welches seine Hand entlang lief und in den Ausguß tropfte. Felix war neben Florian getreten und sah sich die Bescherung an. Er wollte seinem Kollegen helfen, doch Florian funkelte ihn böse an. „Fass mich nicht an“, zischte er. Erschrocken trat Felix einen Schritt zurück. Kai holte ein paar Gummihandschuhe aus seiner Jackentasche, riss das Päckchen auf und zog sie über. „Schau mal einer nach, ob Doktor Könner noch da ist.“ Dann sah er sich die Verletzung von Florian an. Der Arzt erschien einige Minuten später. „Da habt ihr aber Glück, dass ich noch hier bin. Ich wollte gerade gehen.“ Er blickte zu Florian hinüber. „Was hast du denn angestellt?“ „Mich hat ein Messer angesprungen.“ „Soso.“ Der Mann nahm Florians Arm und wollte sich die Verletzung ansehen, doch Florian zog die Hand weg. „Ziehen Sie Handschuhe an.“ Verwundert blickte der Arzt den Moderator an. Dann sah er zu Kai hinüber, der ebenfalls Handschuhe trug. „Ich habe Aids“, sagte Florian erklärend. Einige der Anwesenden murmelten aufgeregt vor sich hin. Kai drehte sich ärgerlich um. „Wer hat eben gesagt: Jetzt müssen wir uns alle testen lassen?“ Er blickte von einem zum anderen. „Ihr wisst, dass das Blödsinn ist, oder?“ Keiner sah ihn an. „Die Verletzung ist nicht so tragisch.“ Doktor Könner nickte zufrieden und klebte den Verband zu. „Das war’s. Gut, dass du so verantwortungsvoll mit der Krankheit umgehst.“ Florian nickte leicht. Der Arzt wand sich um und sah die anderen an, die nach wie vor ziemlich steif rumstanden und auf den Boden blickten. Kai funkelte sie wütend an. „Setzt euch hin. Alle“, sagte er scharf. „Das klären wir jetzt. Ich möchte nicht, das ihr Flo wie einen Aussätzigen behandelt.“ „Kai, beruhige dich. Die sind doch alle aufgeklärt.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher.“ Der Arzt sah in die ängstlichen Gesichter der Angestellten. „Um Himmels Willen“, seufzte er. Dann fasste er noch einmal die Möglichkeiten zusammen, wie man sich infizieren könnte. „Der Einzige, der Angst haben müsste, ist Kai“, sagte er abschließend. „Und zwar nicht, weil er mit Florian zusammen lebt, sondern weil er sexuellen Kontakt mit ihm hat.“ „Und sollte einer von euch ihm zu nahe kommen, sollte er mehr Angst vor mir als vor irgendeinem Virus haben“, knurrte Kai. Florian lächelte leicht. Beschämt sahen seine Kollegen ihn an. „Tut uns leid“, sagte Felix stellvertretend für alle. „Aber der Name hat uns Angst gemacht.“ Er stand auf und reichte Florian die Hand. „Entschuldige unser kindisches Verhalten.“ Florian lächelte und schüttelte sie leicht. „Schon okay. Ich hätte es euch vielleicht schon vorher sagen sollen.“ Auch die anderen entschuldigten sich jetzt. Damit war alles wieder in Butter. Es gab zwar hin und wieder kleine Unsicherheiten, die allerdings durch vernünftige Gespräche schnell geklärt werden konnten. Das Einzige, was Florians Kollegen nicht wussten, war, wie lange der noch zu leben hatte. Und Florian wollte mit ihnen darüber auch nicht sprechen. Weihnachten verbrachten die beiden Männer diesmal allein bei Kais Eltern. Sie unterrichteten sie über Florians Krankheit. Elisabeth war todtraurig darüber, dass ihrem Sohn seine große Liebe wieder entrissen werden sollte. Peter sprach lange mit Kai über die Gefahr des Zusammenlebens seines Sohnes mit Florian. „Es ist mehr als riskant, wenn ihr miteinander schlaft.“ „Ich warne dich, Papa. Sag so etwas ja nie zu Flo. Der hat schon genug Angst. Er braucht mich jetzt.“ „Aber was passiert, wenn du dich infizierst?“ Kai zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich müsste damit leben.“ Ernst sah er seinen Vater an. „Ich bin nicht bereit, Florian aufzugeben. Ich liebe ihn.“ Mit einem langsamen Nicken erhob sich Peter Ebel aus seinem Sessel. Er trat neben Kai und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich bin sehr stolz auf dich, dass du ihn nicht hängen lässt. Seid aber bitte vorsichtig. Und wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid.“ Dankbar sah Kai seinen Vater an. „Danke, Pa.“
Das nächste Jahr verging mit Arbeit, Arbeit, Arbeit. Florian etablierte sich als feste Größe im deutschen Fernsehen. Er hatte seine eigenen Fans, um die er sich kümmern musste und war dadurch immer beschäftigt. Kai war das ganz recht so, vor allem, wenn er im Ausland war. Dann musste er sich wenigstens keine Sorgen um seinen Freund machen, dass der zuviel grübelte.
Im Jahr ´99 saßen Florian und Kai beim Rennen in Hockenheim vor dem Fernseher und verfolgten gespannt eine politische Debatte. Es ging um den zukünftigen Oberbürgermeister von Berlin. „Seit wann seid ihr denn so auf Politik versessen?“, stichelte Heinz grinsend. Er stand mit Michael und dessen Bruder Ralf in der Tür und blickte auf den Fernseher. Kai drehte sich um. „Pssst“, zischte er ihm zu. Die Rennfahrer lachten und schauten sich die Sendung eine Weile mit an. „Was haben Sie, Herr Wowereit?“, wurde der Redner soeben von seinem Konkurrenten unterbrochen. „Was wollen Sie verbergen?“ Klaus Wowereit, Abgeordneter der SPD, blickte nervös in die Kamera. „Das ist privat und geht hier niemanden etwas an. Es hat nämlich mit meiner Politik nichts zu tun.“ „Aber als Oberbürgermeister von Berlin wird es irgendwann doch rauskommen. Sagen Sie es ihren Vielleicht-Wählern doch gleich.“ Siegessicher lachte der Mann in die Kamera. Wowereit atmete tief durch. „Also gut“, murmelte er. „Wie gesagt, es hat mit meiner politischen Ansicht und meinen Ideen für diese Stadt nichts zu tun, aber da ich gezwungen wurde, kann ich nicht länger schweigen. Ich bin schwul, liebe Genossinnen und Genossen, und das ist auch gut so.“ Erstaunen herrschte im Saal. Dann applaudierten die Menschen, für Wowereit. Sein Gegner schaute ziemlich bedröppelt aus der Wäsche, während Wowereit erleichtert in die Kamera strahlte. Kai und Florian klatschten ebenfalls Beifall. „Wenn der jetzt gewinnt, ist das ein großer Schritt nach vorn.“ Florian nickte leicht. „Gerade, wo man im Moment darüber redet, Ehen bei homosexuellen Paaren zu gestatten.“ „Deshalb hat euch das so interessiert“, sagte Michael. „Ihr wusstet, dass der Typ schwul ist, oder?“ „Selbstverständlich“, sagte Kai und erhob sich. „Komm, Flo, wir müssen arbeiten.“ Die beiden Journalisten verschwanden. „Ein komisches Pärchen“, murmelte Ralf. „Ich glaube, ich brauche noch Zeit, um mich daran zu gewöhnen, dass die beiden zusammen leben.“ „Du kennst sie seit zwei Jahren. Nun hab dich nicht so.“ Sein Bruder sah ihn strafend an.
Weihnachten stand vor der Tür und Florian lag mit einer Grippe im Bett. Er fühlte sich seit Tagen nicht gut und litt unter starken Kopf- und Gliederschmerzen, sowie Durchfall und Fieber. Kai sah diese Entwicklung mit Besorgnis. Er ahnte, dass das keine normale Grippe war, sondern das dritte Stadium der Aids-Erkrankung. Er rief eine Woche vor Heilig Abend bei Doktor Schneider an und berichtete ihm von Florians Erkrankung. „Kommt sofort zu mir. Sofort, Kai.“ Der Arzt klang sehr alarmiert. Florian schleppte sich müde ins Auto. In den letzten Tagen hatte er fast rund um die Uhr geschlafen. Er sah wirklich schlecht aus. Tiefe Ringe lagen unter seinen Augen. Seine Haut war käsig und wirkte irgendwie durchschimmernd. Jede Bewegung bereitete ihm Schmerzen. „So, wir werden in einigen Tagen wissen, ob es wirklich nur eine Grippe ist“, sagte Doktor Schneider, nachdem er Florian Blut abgenommen hatte. „Zum Glück dauert es jetzt nicht mehr so lange wie früher, bis wir die Ergebnisse haben.“ Besorgt sah er Florian an, der auf der Liege lag und eingeschlafen war. „Ich mache mir schreckliche Sorgen“, flüsterte Kai und sah seinen Freund mit Tränen in den Augen an. Doktor Schneider hatte natürlich auch ihm Blut abgenommen. „Ich will ihn nicht verlieren.“ „Wenn er wirklich das dritte Stadium erreicht hat, musst du dich langsam mit dem Gedanken abfinden, Kai. So traurig, wie es ist.“ „Wie lange hätte er noch?“ „Vielleicht noch ein Jahr. Aber er wird ständig krank sein und die meiste Zeit im Krankenhaus liegen. Nur kurz vor seinem Tod könnte er für einige Tage raus, da sich sein Zustand dann wieder etwas bessern würde.“ Kai ließ den Kopf in die Hände sinken und schluchzte auf. Der Arzt stand auf und ging um den Tisch herum zu Kai. Er legte ihm die Hände auf die Schultern. „Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für dich ist, Kai. Wenn es vorbei ist, brauchst du unbedingt psychologische Hilfe. Verstanden?“ Kai nickte leicht. „Wenn’s sein muss.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augen. „Es muss. Versprich mir, dass ich dich eine Woche nach seiner Beerdigung hier in der Praxis sehe.“ „Versprochen. Aber darüber will ich im Moment gar nicht nachdenken.“ Er ging zu Florian, hob seinen schlafenden Freund hoch und trug ihn zu seinem Auto. Drei Tage später saßen sie wieder bei Doktor Schneider im Behandlungszimmer. Florian fühlte sich nicht mehr ganz so schwach, wie noch vor einigen Tagen, aber er konnte kaum sprechen, da er eine böse Lymphknotenentzündung hatte. „Wir setzen das DDC und das DDI ab. Dafür bekommst du Antibiotika, die du erst Mal zwei Wochen nimmst, bis sie alle sind.“ Schockiert sah Florian den Arzt an. „Dann ist es also die dritte Stufe?“ „Leider ja, Florian.“ Dem Arzt tat es weh, das sagen zu müssen. Florian warf Kai einen unendlich traurigen Blick zu, woraufhin der ihn in seine Arme zog und an sich presste. „Was passiert jetzt?“, fragte er. „Die Grippesymptome wirst du eine ganze Weile nicht mehr los werden. Erst wenn du in das vierte Stadium eintrittst. Ich werde die Begleiterscheinungen mit Antibiotika behandeln, insoweit es mir möglich ist. Sobald die Krankheit weiter fortschreitet und das vierte Stadium erreicht, brauchst du von den alten Medikamenten nur noch das Interleukin-2 zu nehmen. Vielleicht nicht einmal mehr das. Das andere wäre dann auf jeden Fall überflüssig. Aber dafür werden andere Krankheiten hinzukommen, weil dein Körper einfach nicht mehr in der Lage sein wird, die Erreger zu bekämpfen.“ „Was für Krankheiten?“ „Typisch sind weiterhin Fieber und Durchfall, was zu einem Gewichtsverlust führen wird. Hinzu kommen Lungenentzündungen, die meist von Entzündungen der Mundschleimhaut, sowie tumorartigen Erkrankungen begleitet werden.“ „Krebs?“, flüsterte Kai entsetzt. „Genau. Es ist ein Symptom der Aids-Erkrankung und deshalb behandelbar. Aber irgendwann wird es für deinen Körper zu viel werden.“ Florian schluckte. „Kann ich noch arbeiten?“ „Vielleicht, die ersten paar Rennen. Aber ich kann für nichts garantieren.“ Kai hielt Florians Hand und drückte sie leicht. „Vielleicht bis zum Rennen in Hockenheim im Juni. Dann kannst du dich wenigstens hier in Deutschland von deinen Fans verabschieden.“ „Ich wüsste gar nicht, was ich sagen soll.“ „Das wird dir dann schon klar werden, Flo. Mach dir deswegen jetzt keinen Kopf. Wir werden jetzt erst einmal die Feiertage genießen.“ Florian nickte und lehnte sich gegen Kais Schulter. Zusammen gingen sie nach Hause. Florian hatte die Augen geschlossen und ließ sich von Kai führen. Unterwegs kamen sie an der Kirch vorbei, die Florian seit einiger Zeit regelmäßig besuchte. Kai führte seinen Freund hinein und setzte sich, wie gewöhnlich auf eine der hinteren Bänke. Florian ging langsam den Gang entlang nach vorn. Vor dem Altar bekreuzigte er sich und ließ sich langsam auf die Knie sinken. Pfarrer Johann hatte Kai gesehen und ging leise zu ihm hinüber. „Schön, Sie mal wieder hier zu haben.“ Kai nickte leicht. „Er glaubt, dass er ihm helfen kann“, sagte er bitter und deutete auf den gekreuzigten Jesus. „Ich frage mich auch, warum unser Herr Florian so viele Prüfungen auferlegt. Ihm und Ihnen.“ „Mir geht es gut.“ Traurig blickte er zu Florian nach vorn. „Ihr Augen verneinen dies eindeutig. Sie leiden unter seiner Krankheit genauso sehr wie er selber. Aber er findet Trost in seinem Glauben an Gott. Es gibt ihm in seiner trostlosen Situation Hoffnung. Sie sollte auch jemanden haben, der Ihnen hilft.“ „Ich habe meine Freunde und meine Familie.“ Der Pfarrer legte Kai eine Hand auf die Schulter. „Vergleichen Sie einmal die Liebe, die Sie Ihren Freunden und Ihrer Familie entgegenbringen mit der, die sie für Florian empfinden.“ Kai senkte den Kopf. „Sehen Sie. Wenn Florian unsere Welt verlassen hat, müssen Sie etwas finden, was Sie genauso lieben können, wie ihn. Liebe ist ein wunderschönes Gefühl, wenn man sie ausleben darf. Aber sie kann einen Menschen auch zerstören. Sie mächtiger als alles andere auf dieser Welt.“ Kai nickte langsam. Tränen glitzerten in seinen Augen, als er den Pfarrer ansah. „Ich weiß einfach nicht, wie ich ohne ihn weiter machen soll.“ „Hören Sie im Moment auf, über die Zukunft nachzudenken. Leben Sie jetzt, Kai. Leben Sie mit und für Florian. Das wird auch Ihnen helfen, da bin ich mir ganz sicher.“ „Danke“, sagte Kai. „Ich werde versuchen, Ihren Rat zu befolgen.“ Florian trat neben ihn und den Pfarrer. Der verabschiedete sich von ihnen und ging. „Gehen wir?“ „Sicher, Flo. Fühlst du dich besser?“ „Ja. Im Moment empfinde ich einfach nur Dankbarkeit, dass ich Zeit hatte, dich kennen und lieben zu lernen.“ Kai schluckte hart, konnte seine Tränen aber nicht zurück halten. Er umarmte Florian und küsste ihn innig. Pfarrer Johann sah die beiden Männer mit einem milden Lächeln an. ‘Es ist eine Schande, dass ihnen der Bund für´s Leben verwehrt wird’, dachte er. Falls sich das ändern würde, so sah es im Moment ja aus, würde er die beiden Männer gern trauen. Florian hatte einmal mit ihm darüber gesprochen und er hatte zugesagt. Er hoffte, dass sie noch die Zeit dazu haben würden. Auch bei Benny kehrten Florian und Kai kurz ein. Sie tranken mit dem Wirt ein Bier und unterhielten sich mit einigen der Gäste. Als sie nach drei Stunden zu Hause waren, war Florian ziemlich fertig. Er ließ sich von Kai ins Bad bringen und nahm erst einmal ein heißes Schaumbad, da er wahnsinnig fror. Kai brachte ihm seine Tabletten und Florian nahm sie. Mit halb geschlossenen Augen lag Florian in der Wanne, während Kai daneben saß und seine Hand hielt. „Komm mit rein“, murmelte Florian leise. „Ohne dich wird es mir doch nicht warm.“ Kai lächelte leicht. Er zog sich aus und stieg zu Florian in das warme Wasser. Zärtlich zog er ihn in seine Arme und streichelte ihn sanft. „So ist es besser.“ Er lächelte Kai an und spielte mit der kleinen Figur an Kais Kette. „Was machen wir diese Weihnachten?“ „Skifahren ist wohl nicht drin“, sagte Kai. „Ich würde vorschlagen, wir bleiben die Feiertage über hier und du erholst dich. Und wenn es dir wieder besser geht, fliegen wir nach Fuerteventura. Irgendwann vor den Rennen werden wir schon noch Zeit dafür finden.“ „Klingt gut. Aber was machen wir mit deinen Eltern?“ „Die sind im Moment doch sowieso noch in L.A.“ Kai grübelte. „Wir können sie nach Sylvester immer noch besuchen. Aber im Moment möchte ich, dass du dich einfach ausruhst.“ „Okay“, sagte Florian und ließ den Kopf auf Kais Brust sinken. Der hob ein Bein, drehte den Wasserhahn auf und ließ etwas heißes Wasser nachlaufen.
Die Weihnachtsfeiertag genossen die beiden Männer hauptsächlich in ihrer Wohnung. Am 23. Dezember gingen sie einige Stunden auf einen Weihnachtsmarkt und danach ins Kino. Sonst saßen sie meist zu Hause, hörten Musik, sahen fern und redeten viel. Florian hatte außerdem ein neues Hobby gefunden, Computerspiele. Kai sah ihm öfters dabei zu, wenn er mal wieder konzentriert auf den Bildschirm starrte und ein Strategiespiel spielte. Am zweiten Weihnachtsfeiertag bekamen die beiden Männer Besuch. Sie saßen gerade im Wohnzimmer und aßen zu Mittag, als es klingelte. Kai öffnete die Tür und staunte nicht schlecht. „Ma, Pa? Was macht ihr denn hier?“ „Dich besuchen natürlich“, sagte Jörg und grinste um die Ecke der Tür. „Oder besser gesagt, euch besuchen.“ „Kommt rein.“ Vorwurfsvoll sah Kai seine Mutter an. „Hättet ihr nicht mal anrufen können?“ Sie lachte und umarmte ihren Sohn. „Frohe Weihnachten, Kai.“ „Dir auch, Ma.“ Auch seinem Vater und seinem Bruder wünschte er Frohe Weihnachten. Während die Besucher die Mäntel auszogen und an die Garderobenhaken hingen, machte Kai schnell die Tür zu seinem Schlafzimmer zu. Jörgs Grinsen beantwortete er mit einem bösen Blick. Dann ging er vor ins Wohnzimmer. Florian begrüßte Kais Familie ebenfalls und bot ihnen einen Platz an. Er selber setzte sich wieder auf das Sofa und deckte sich eine Decke über die Beine. In letzter Zeit fror er ständig, wenn er eine Weile still saß. „Hübsche Wohnung“, sagte Jörg. „Gar nicht mal so unordentlich für zwei Kerle.“ Kai grinste leicht verlegen. „Danke. Für die Ordnung sorgt allerdings Flo.“ „Dachte ich mir schon“, sagte Peter und schaute seinen Sohn wissend an. Die beiden lachten. Kais Mutter beobachtete Florian schon die ganze Zeit. „Du siehst nicht sonderlich fit aus. Was ist mit dir?“ Florian nickte ernst. „Meine Krankheit ist in den letzten Wochen ziemlich fortgeschritten. Ich habe fast vier Wochen im Bett gelegen.“ „So siehst du auch aus. Du bist wieder sehr dünn geworden. Isst du nichts?“ „Nicht so viel, wie ich sollte.“ „Er behält ja kaum etwas drin.“ Kai sah ihn besorgt an. „Ich weiß auch nicht, was ich noch machen soll.“ „Hat er Durchfall?“ Florian nickte leicht. Er war rot geworden. Lizzy lachte. „Nur keine falsche Scham. Ich schreibe dir mal ein Rezept auf. Es ist ein einfacher Tee. Trink den. Kai hat er früher immer geholfen.“ Kai ging ein Licht auf. „Natürlich. Aber du hast immer gesagt, da wäre eine Geheimzutat drin.“ „Sicher. Ganz viel Liebe. Und das bekommst du doch hin, oder?“ „Ganz bestimmt“, sagte Kai lachend. Er setzte sich neben Florian und nahm dessen Hand. „Danke, Ma.“ Die nickte und gab Kai den Zettel. In dem Moment klingelte es erneut. Kai ging zur Tür und man hörte ihn laut lachen. „Habt ihr das abgesprochen?“ „Äh, nein. Was denn überhaupt?“, hörte man einen verwirrten Heinz fragen. Er und Tanja betraten nach einigen Sekunden das Wohnzimmer und lachten jetzt ebenfalls. „Nein“, sagte Tanja. „Das war nicht abgesprochen.“ Es klingelte erneut. „Das ist Michael“, sagte Kai. „Das ist hundertprozentig Michael.“ Und so war es dann auch. Langsam wurde es ziemlich eng im Wohnzimmer. Kai zog mit Hilfe der anderen den Tisch aus und holte alle Stühle in der Wohnung zusammen, so dass jeder einen Sitzplatz hatte. Dann kochte er Kaffee und bot allen etwas an. Zum Essen stellte er die Süßigkeiten hin, die er und Florian vor einigen Tagen auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hatten. Abends bestellte er ein gemischtes Festmahl bestehend aus Sushi vom Japaner, Gyros vom Griechen und Pasta und Pizza vom Italiener. Benny rief er an und bat ihn, einige Getränke vorbei zu bringen. Der tat das für seinen Lieblingskunden natürlich sehr gern. Es wurde ein herrlicher Abend. Nach dem Abendessen saßen alle bei einem Glas Champagner und unterhielten sich. „Worauf trinken wir?“, fragte Kai. Heinz murmelte etwas. Kai schaute ihn entgeistert an. „Was hast du gesagt? Wiederhole das nochmal.“ Heinz blickte erschrocken auf. Dann jedoch lächelte er. „Auf Tanjas Schwangerschaft, habe ich gesagt. Ich werde Vater.“
Kai umarmte ihn. „Glückwunsch.“ Auch die anderen gratulierten den beiden herzlich. „Du Kai“, sagte Florian, als alle tranken. „Ich will auch ein Baby.“ Der hatte Mühe den Champagner im Mund zu behalten. Mit aufgerissenen Augen schaute er seinen Freund an. Der jedoch grinste breit und küsste ihn. „War nur ein Scherz.“ Jetzt lachten alle. „Habt ihr gesehen, wie es plötzlich in seinem Kopf gearbeitet hat?“, fragte Heinz Michael und Tanja. Die nickten. Kai boxte ihm spielerisch in die Rippen. „Ich war bloß erstaunt.“ „Natürlich“, sagte Michael. „Wenn es biologisch möglich wäre, hätten wir schon ´ne ganze Fußballmannschaft.“ Florian nickte zustimmend. „Geht ja leider nicht.“ „Ich weiß, das ist jetzt überhaupt nicht weihnachtlich, aber könnten wir mal kurz Nachrichten schauen?“ Jörg sah die anderen an. „Ich hab mir das so angewöhnt.“ „Gute Angewohnheit“, lobte Peter Ebel seinen Sohn. Kai knipste den Fernseher an und stellte die Musik leiser. Mit halbem Ohr hörten alle hin, während sie sich weiter unterhielten. „Seid mal still“, sagte Florian plötzlich. Kerzengerade saß er vor dem Fernseher. „... wurde heute im Bundestag ein neues Gesetz verabschiedet, welches es homosexuellen Paaren gestattet, zu heiraten. Mit diesem lange überfälligen Entschluss, will die Regierung auch zeigen, wie modern und fortgeschritten unsere Gesellschaft ist. Das Gesetz tritt ab 01.01.2000 in Kraft.“ Ungläubig schauten Florian und Kai sich an. Sie brauchten einige Minuten, um zu begreifen, was sie da gerade gehört hatten. Die anderen sahen die beiden schweigend an und warteten auf eine Reaktion. Und die kam auch. Kai hatte plötzlich Tränen in den Augen. Er zog Florian in seine Arme und presste ihn an sich. „Weißt du, was das heißt?“, flüsterte er ihm ins Ohr. Der nickte. „Ja“, hauchte er unter Tränen. Er hob den Blick. „Ich hätte das nie für möglich gehalten.“ Zärtlich presste er seine Lippen auf Kais. Der erwiderte den Kuss. Die anderen hatten sie in diesem Moment völlig vergessen. Lizzy schniefte leise. „Dann steht wohl eine Hochzeit ins Haus.“ Ihr Mann nickte. Jörg klatschte plötzlich in die Hände. „Geil. Das wird eine Party, Leute.“ Die anderen murmelten zustimmend. Kai hatte sich inzwischen wieder von seinem Freund getrennt. Sein Gesicht war nass von Tränen. Schnell wischte er sie weg. „Habt ihr da nicht was vergessen?“ „Was denn?“, fragte Heinz scheinheilig. „Uns erst einmal zu fragen, was wir davon halten, zum Beispiel.“ „Ihr seid lange genug verlobt. Die Frage ist nur, wer traut euch?“ Kai lachte auf. Florian stieß Kai leicht in die Seite. Der sah ihn fragend an. „Ich habe vor einigen Monaten mal mit Pfarrer Johann über die ganze Sache gesprochen. Er würde es machen. Wenn du willst.“ „Du willst richtig kirchlich heiraten?“ „Ich bin ein gläubiger Katholik, Kai. Es wäre mir sehr wichtig.“ „Aber ich bin es nicht.“ „Pfarrer Johann meinte, das macht nichts.“ Kai überlegte kurz. Dann nickte er. „Okay. Wenn es dir so wichtig ist, machen wir es.“ „Danke“, sagte Florian glücklich und hauchte Kai einen Kuss auf den Mund. „Wann ist es denn soweit?“, fragte Peter. Michael nickte zustimmend. „Gute Frage.“ Eine Weile sahen Florian und Kai sich an. Dann sagte sie gleichzeitig. „Anfang Juni, nach dem Rennen am Nürburgring.“ „Habt ihr das geübt?“, fragte Tanja verblüfft. Florian lächelte traurig. „Diese Hochzeit hat für uns eine besondere Bedeutung. Vor Rennbeginn ist zu kurzfristig. Zwischendurch ist nicht drin, dafür haben wir zu lange auf diesen Tag gewartet. Und das Rennen am Nürburgring wir das letzte, wo ich meine Sendung moderieren werden, wenn meine Gesundheit so lange durchhält und der Chef mitspielt. Danach gibt es für mich nur noch Kai und den Kampf gegen meine Krankheit.“ Schockiert sah Heinz Florian an. „So weit ist sie schon fortgeschritten? Dass du ernsthaft übers Aufhören nachdenkst?“ „Leider“, sagte Kai. „Gerade deshalb bin ich so dankbar, dass wir noch die Möglichkeit bekommen, diesen Schritt zu tun. Es wird mir danach leichter fallen, ihn gehen zu lassen.“ Betroffen sahen alle das Pärchen an. Florian kuschelte sich gegen Kai. „Eine richtige Hochzeit. Ich kann es einfach nicht glauben.“ Kai wollte etwas erwidern, doch sein Handy meldete sich. Er ging ran. „Ja, Benny, ich hab es auch gehört. Natürlich heiraten wir. Ich sag dir später Bescheid, wegen der Party. Tschö.“ „Im Club ist garantiert die Hölle los.“ Florian lächelte Kai an. „Darauf kannst du Gift nehmen. Ich habe Benny kaum verstanden.“ „Wie machen wir das mit der Party? Alle zusammen, oder aufgesplittet nach Gemeinschaften?“ Kai grübelte. „Wir haben unsere Bekannten, meine Verwandtschaft, die Formel 1 - Szene.“ „Und einige Leute aus meinem früheren Milieu, die ich gern einladen würde.“ „Das wären vier Partys. Nein, das ist zuviel. Auch auf die Gefahr hin, dass Tante Edith aus den Schuhen kippt, wir machen eine große Party.“ „Bei uns doch hoffentlich, oder?“ Lizzy sah die beiden an. „Sicher“, sagte Florian. „Wenn ihr nichts dagegen habt?“ „Natürlich nicht.“ Sie sah Kai an. „Tante Edith bringe ich es schonend bei, dass ihr Lieblingsneffe einen Mann heiraten wird.“ „Tante Edith?“ „Laut, aufbrausend, aber eigentlich nett. Sie ist die Schwester meiner Mutter und so ziemlich die einzigste Person in diesem Land, die keine Ahnung davon hat, dass ich schwul bin.“ „Oh oh.“ „Kein Problem. Mama regelt das schon“, sagte Jörg. Er grinste seinen Bruder an. „Wer von euch trägt eigentlich das Hochzeitskleid?“ Alle lachten. Aber eigentlich war die Frage gar nicht so komisch gemeint. Kai zuckte leicht mit den Schultern. „Ich habe auch keine wirkliche Vorstellung, wie so eine Hochzeit ablaufen soll. Wir werden sehen, was passiert.“ „Das wird ein verdammt interessantes Jahr.“ Heinz hob sein Glas. „Auf euch beide. Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt.“ Alle stießen mit an. Florian lächelte traurig. ‘Auf mein letztes Jahr’, dachte er. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass er das kommend Jahr nicht überleben würde.
Nach den Feiertagen ging Florian zu seinem Chef und erzählte ihm vom Stand der Dinge. „Das ist ja tragisch“, sagte Mahr leise. „Wie lange kannst du noch arbeiten?“ „Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es kann sein, dass ich von einer Minute zur anderen nicht mehr dazu fähig bin.“ Mahr atmete tief durch. „Hast du dir Gedanken gemacht, wie es weiter gehen soll?“ „Ich würde gern bis Juni, Nürburgring, arbeiten und danach gehen.“ Nach einigen Minuten des Nachdenkens nickte Mahr. „Normalerweise würde ich das nicht machen. Ich kriege von heute auf gleich überhaupt keinen Ersatz für dich. Jetzt noch jemanden für die ganze Saison zu finden wäre leichter. Aber du hast so viel für deine Sendung getan, dass ich es einfach nicht übers Herz bringe, sie dir weg zu nehmen. Also mach weiter bis Juni. Ich hoffe inständig, du hälst durch. Aber unterrichte Niki, damit er im Notfall für ein paar Minuten einspringen kann und nicht völlig überfahren wird von der Situation.“ Erleichtert blickte Florian seinen Chef an. „Danke, Herr Mahr. Das bedeutet mir eine Menge.“ Er stand auf. Hans Mahr erhob sich ebenfalls und begleitete Florian zur Tür. Er gab ihm die Hand. „Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun, Florian. Mitarbeiter wie dich findet man leider nur sehr selten.“ Florian lächelte dankbar und ging in sein Büro.
Bevor die neue Rennsaison startete, erlitt Florian einen ziemlich schlimmen Rückfall seiner Lymphknotenentzündung. Er lag den ganzen Februar im Bett, eine Woche sogar im Krankenhaus. Kai war während dieser Zeit natürlich ständig an seiner Seite und fehlte dementsprechend häufig im Sender. Die Vorbesprechungen zur neuen Saison fanden fast ausschließlich ohne ihn statt. Er ließ sich die Ergebnisse immer nach Hause faxen oder telefonierte mit einem seiner Kollegen. Die machten sich natürlich ebenfalls Sorgen. Bei der Abschlussbesprechung, Kai war noch nicht da, diskutierten sie über Florians Krankheit. „Das der Chef ihn trotz der vielen Fehlzeit arbeiten lässt, wundert mich. Der zeigt plötzlich Herz.“ Felix Görner lächelte traurig. „Florian hat in der kurzen Zeit die er hier ist, viel für den Sender getan.“ „Da hast du recht, Christian.“ Die Tür ging auf und ein übernächtigter Kai trat ein. Er grüßte alle mit einem knappen Nicken und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Felix schob ihm eine Tasse Kaffee rüber, die Kai nur zu gern annahm. „Tut mir leid, dass ich so spät...“ „Vergiss es“, sagte Heiko Wasser. „Was macht Florian?“ „Es geht langsam wieder aufwärts. Er wäre gern mitgekommen, aber das hat der Arzt ihm untersagt. Er muss noch eine Woche das Bett hüten.“ „Ohne ihn ist es schwer, hier was zu machen. Gut, dass du wenigstens da bist.“ Felix sah Kai erleichtert an. Der schluckte hart. „Ihr solltet euch daran gewöhnen, dass ihr auf Flo und mich verzichten müsst. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Job weitermache, wenn Florian nicht mehr dabei ist.“ Schockiert sahen alle im Raum zu Kai hinüber. Er hatte hier das Sagen. Von ihm kamen die Ideen, die dann umgesetzt wurden und zu 99 Prozent auch funktionierten. Er hatte sie alle zum Sender geholt, eingearbeitet und aus ihnen ein Team gemacht. Ohne Kai zu arbeiten, war für jeden hier unvorstellbar. „Ich glaube nicht, dass ich es psychisch aushalten würde, weiterhin diesem Job nachzugehen, wenn...“ Er konnte es nicht aussprechen. „Florian und die Formel 1 gehören für mich inzwischen zusammen. Alles hier würde mich immer wieder an ihn erinnern.“ Verständnis erschien auf einigen Gesichtern. Felix ging um den Tisch herum und klopfte Kai leicht auf die Schulter. „Vielleicht solltest du dir einfach eine Auszeit nehmen, wenn du sie brauchst. Wer weiß, wie du danach darüber denkst.“ „Vielleicht.“ Kai blickte auf seinen Kaffee. „Aber das ist Zukunft. Wir sollten uns jetzt auf die nächsten Rennen konzentrieren. Also, irgendwelche Vorschläge?“
Florian ging es zum ersten Rennen hin wieder besser. Er entschloss sich trotzdem, von Deutschland aus zu moderieren. Am Mittwoch vor Rennbeginn lief Kai ziemlich hektisch durch die Wohnung und packte seine Sachen. Er hatte den Abflug so lange wie möglich hinausgezögert, aber er musste jetzt unbedingt los. Florian saß auf der Lehne des Sofas und blickte Kai nach, als der ins Bad lief. Er hörte ihn leise fluchen und lächelte. Als Kai alles beisammen hatte, blickte er auf seine Uhr. „Noch drei Stunden“, murmelte er leise. „Das schaffe ich schon.“ Er sah Florian an. Der sah, dass Kai plötzlich Zweifel bekam und stand auf. Er legte die Arme um den Hals seines Freundes und küsste ihn. „Nun mach schon. Dein Flieger wartet nicht. Mir geht es gut.“ „Nein, tut es nicht.“ Kai küsste Florian kurz. „Mir tun die fünf Tage leid, die wir dadurch verlieren.“ „Mir doch auch. Aber du liebst den Job genauso wie ich. Also hau schon ab.“ „Ich liebe dich, Flo“, sagte Kai, küsste ihn noch einmal und schnappte sich seinen Rucksack. „Ich ruf dich an. So oft ich kann. Versprochen.“ Damit war er zur Tür hinaus. Florian sah ihm lächelnd nach und ging langsam zum Fenster. Er sah Kai aus der Haustür eilen und in ein Taxi steigen. Der blickte hoch und winkte Florian zu, dann war der Wagen im Stadtverkehr verschwunden. Die Sendung am kommenden Sonntag verlief normal. Die Neckereien mit Niki Lauda lenkten Florian ein wenig von seinen Schmerzen ab, die er in letzer Zeit ständig hatte. Niki überspielte es phantastisch, wenn Florian kurz den Faden verlor. „Du kannst die Sendung bald übernehmen“, sagte Florian nach der Sendung zu ihm. Er saß nach wie vor in seinem Sessel im Studio. Die anderen Angestellten waren längst weg. „Irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass du das ganz gern sehen möchtest.“ „Vielleicht.“ Florian lächelte. „Diese Sendung ist das Erste, was ich mir in meinem Leben selber aufgebaut habe.“ „Verstehe.“ Florian wurde plötzlich schlecht. Niki sah, dass er kalkweiß wurde und fast aus dem Stuhl rutschte. „Alles okay?“ Der Moderator schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Ich kriege keine Luft mehr.“ Er keuchte und griff sich an den Hals. Niki holte sein Handy hervor und rief einen Krankenwagen. Der war auch sehr schnell da und Florian wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde er eine Stunde mit Sauerstoff versorgt, dann hatte er sich wieder einigermaßen im Griff. Man hatte inzwischen auch Doktor Schneider verständigt, der hier arbeitete. Man kannte Florian und wusste, dass der Schneiders Patient war. Niki hatte Kai verständigt. Der verfiel fast in Panik, als er hörte, dass Florian im Krankenhaus lag, aber der Ex-Rennfahrer schaffte es, ihn zu beruhigen. Kai setzte sich allerdings in den nächsten Flieger und flog nach Hause. „Ich habe die Tests hier, Florian“, sagte der Arzt, als er am nächsten Morgen das Zimmer betrat. „Du hast eine sogenannte Pneumosyztiscarinii-Lungenentzündung. Das ist eine sehr seltene Form. Aber für einen Aids-Patienten ist sie typisch.“ Florian nickte leicht. „Ja. Im vierten Stadium.“ Er hatte inzwischen viel gelesen und konnte mit dem Begriff durchaus etwas anfangen. Ihm wurde bewusst, dass er den Kampf damit verloren hatte. „Dann können wir die ganzen Medikamente ja absetzten.“ Der Arzt nickte leicht. „Das ist richtig. Ich gebe dir weiterhin Antibiotika und ein Inhalierspray. Das trägst du bitte ständig bei dir. Wenn du wieder einen Anfall kriegst, nimmst du es. Es hilft sehr schnell.“ Deprimiert blickte Florian auf seine Bettdecke. „Wozu die ganze Kraftanstrengung? Das hat doch alles keinen Sinn mehr.“ Tränen standen in seinen Augen. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Kai betrat das Zimmer. Er blickte Florian an, ließ seine Tasche fallen und ging zu ihm. Zärtlich schloss er ihn in seine Arme. „Vielleicht hat es doch einen Sinn“, meinte der Arzt lächelnd und verließ das Zimmer. Kai sah ihm verwirrt nach. „Was meint er damit?“ „Ich hatte einen kleinen Durchhänger.“ Florian seufzte. „Ich habe mir eine Lungenzündung geholt, die typisch für das vierte Stadium meiner Krankheit ist.“ „Vier?“, stotterte Kai entsetzt. „Ja. Es ist vorbei. Ich brauche die Medikamente nicht mehr nehmen. Nur die gegen die jeweiligen Krankheiten, die mich demnächst heimsuchen werden. Ich habe den Kampf endgültig verloren.“ Er schluchzte. Kai schlang die Arme fester um ihn und versuchte, ihn so zu trösten, obwohl ihm selber hundeelend zumute war. „Nicht aufgeben, Flo. Ich brauche dich doch. Bitte kämpfe weiter. Jeder Tag ist kostbar, wenn wir ihn gemeinsam verbringen können.“ Florian sah Kai an. Sein Gesicht war nass von seinen Tränen. Doch in seinen Augen brannte wieder das alte Feuer. „Ich gebe nicht auf, mein Liebster. Wir haben schließlich noch etwas vor in diesem Jahr.“ Er küsste Kai zärtlich. „Hol mich hier raus. Ich will nach Hause.“ „Ich rede mit Schneider.“ Er stutzte. „Niki sitzt übrigens draußen.“ „Was?“ Florian schüttelte den Kopf. „Der war wahrscheinlich die ganze Nacht hier. Hol ihn rein.“ Kai steckte den Kopf zur Tür hinaus und rief Niki ins Zimmer. Florian bedankte sich überschwenglich bei dem Ex-Rennfahrer für seine Fürsorge. „Kein Problem. Ich hatte eh nichts Besseres vor.“ Florian lächelte. „Dann ist ja gut.“ „Ich wollte mich auch noch bei dir bedanken.“ Kai reichte ihm die Hand. „Es war nett von dir, dass du mich gleich informiert hast.“ „Schon okay. Ihr macht mich ja ganz verlegen.“ Kai verschwand, um mit dem Arzt reden zu können. Florian deutete auf einen Stuhl neben seinem Bett. Niki setzte sich und sah Florian fragend an. „Ich habe eine Bitte an dich. Kai und ich werden am Freitag nach dem Rennen am Nürburgring heiraten.“ „Herzlichen Glückwunsch.“ „Danke. Ich habe keine Familie mehr, außer der von Kai. Aber für die Trauung hätte ich einfach gern einen Menschen bei mir, der für mich eine Art väterlicher Freund geworden ist.“ Er sah Niki bittend an. „Würdest du den Trauzeugen für mich spielen?“ Stolz sah der Florian an. „Es ist mir eine Ehre. Ich freue mich, dass du ausgerechnet an mich denkst.“ „Danke, Niki.“ Er reichte ihm die Hand. Der zögerte kurz und umarmte Florian dann. „Gib nicht auf, Florian. Jetzt hast du ja einen Grund zu kämpfen.“ „Ja, den habe ich. Ich muss nur hin und wieder daran erinnert werden.“ Kai kam wieder ins Zimmer und Florian teilte ihm erfreut mit, was er gerade mit Niki Lauda besprochen hatte. Der war sichtlich erfreut. Außerdem hatte er auch gute Nachrichten für Florian. Der durfte nämlich wieder mit nach Hause.
Das Leben ging weiter und mit ihm die Arbeit. Kai musste zum nächsten Rennen ins Ausland. Allerdings fuhr er etwas erleichterter, da er und Florian merkten, dass der Tee von Kais Mutter Florian half. Der verlor zwar nach wie vor an Gewicht, aber lange nicht mehr so rapide, wie vorher. An die Lungenentzündung gewöhnte Florian sich mit der Zeit auch. Sie war irgendwie ständig da. Doch durch die Antibiotika wurden die Symptome insoweit verdrängt, dass Florian sie nicht die ganze Zeit spürte. Während der Rennen in Europa war Florian natürlich wieder live an den Rennstrecken dabei und er genoss die Zeit, die er noch mit Kai hatte, in vollen Zügen. Die beiden Männer gaben sich auch keine Mühe mehr, sich in irgendeiner Weise zu verstecken. Sie lebten ihre Liebe voll aus und erlebten jede gemeinsame Minute intensiver als je zuvor. Beim Teamessen in Barcelona, einer langjährigen Tradition, saßen alle Mitarbeiter von RTL, die live vor Ort waren, in einem kleinen Lokal und aßen, tranken und redeten. Es ging vor allem um den Job und andere weltbewegende Dinge. Florian hatte kaum etwas gegessen und hielt sich auch mit dem Wein sehr zurück. Dafür trank er fast nur Mineralwasser. „Seit wann trinkst du das Zeug?“, fragte Kai ihn, als sie eine Weile allein am Tisch saßen. „Mein ganzer Mund ist entzündet. Alles andere tut weh.“ „Das ist doch auch so ein typisches Symptom, oder?“ Florian nickte leicht. „Ja. Es nennt sich Kandidia-Stomatitis.“ „Doktor Schneider wäre stolz auf dich.“ „Es gibt schlimmere Wörter.“ Er lächelte. „Und schlimmere Krankheiten.“ „Ich koche dir im Hotel einen Kamillentee, das beruhigt.“ „Ist okay. Solange ich ihn nicht trinken muss.“ Kai lachte. „So schlimm ist er doch nicht. Aber nein, du musst ihn nicht trinken. Nur im Mund behalten.“ Florian kuschelte sich lächelnd gegen seinen Freund. „Das ist gut.“ Die anderen kamen nach und nach zurück. Sie ließen natürlich ein paar Sprüche los, die Florian und Kai jedoch großzügig überhörten. Da mussten die beiden einfach durch. Das ging jedem Pärchen so. Gegen Mitternacht verriet Kai dann auch, dass er und Florian heiraten wollten. Er lud alle zu der geplanten Party zu sich nach Hause ein und einige spezielle Freund auch zu der Trauung. Unter ihnen Felix Görner. „Wo lasst ihr euch denn trauen?“ „In einer Kirche in Köln.“ „Kirche?“, fragte Heiko erstaunt. „Ich bin Katholik.“ Florian sah ihn grinsend an. „Und Kai muss mit.“ „Du wirst es überleben“, sagte Jan Krebs. Er war erst neu im Sender, hatte sich aber, speziell mit Florian, sehr schnell angefreundet. Er war nämlich schwul und hatte sich sofort in den Moderator verliebt, als er ihn das erste Mal gesehen hatte. Es war allerdings kein Problem für ihn, dass der in festen Händen war. Inzwischen verstand er sich auch mit Kai sehr gut und die drei waren öfter zusammen bei Benny gewesen, wo Florian und Kai jedes Mal versuchten, ihn zu verkuppeln.
Inzwischen war es Mitte Juni und das Rennen am Nürburgring stand an. Für Florian war es schwer, sich auf gewohnte Dinge wie Strategien, Reifenwahl und Chancen der Fahrer zu konzentrieren. Ihm ging immer wieder im Kopf herum, dass dies sein letztes Rennen werden sollte. Er war froh, dass er so lange durchgehalten hatte, aber ihm wurde auch bewusst, dass ihm dieser Job wahnsinnig fehlen würde. Niki sah und spürte die Traurigkeit seines Partners. Er half ihm, so gut er konnte. Aber natürlich war Florian die tragende Kraft der Sendung und Niki konnte und wollte ihn in seinen Aufgaben einfach nicht ersetzen. „Ein überaus interessantes Rennen“, begann Florian den Nachbericht. Er und Niki diskutierten eine Weile über die einzelnen wichtigen Szenen und lachten sich über einige komische Fahrfehler kaputt. Doch je weiter die Sendung sich dem Ende näherte, desto trauriger wurde Florian. Irgendwann hatte Niki genug. „Diese ganze Formel 1 - Szene hat etwas Besonderes. Es ist wie eine große Familie. Jeder weiß alles über den anderen. Man kann einander vertrauen und tut dies auch. Und man redet über seine Probleme.“ Er sah Florian an. „Auch die Zuschauer gehören zu dieser Familie. Meinst du nicht, du schuldest ihnen einfach eine Erklärung? Dass du nicht bei der Sache bist, sieht doch ein Blinder mit ‘nem Krückstock.“ Kai hatte sich in der Nähe von Florian aufgehalten und gesellte sich jetzt zu den beiden. Aufmunternd sah er seinen Freund an. Der atmete tief durch und blickte dann ernst in die Kamera. „Ich schätze, du hast Recht, Niki. Liebe Zuschauer, wie Sie vielleicht schon gesehen haben, lässt meine Gesundheit in letzter Zeit etwas zu wünschen übrig. Das hat einen ziemlich einfachen Grund. Sie alle kennen meine Vergangenheit in groben Zügen. Und die ist dafür verantwortlich, dass ich mich mit Aids infiziert habe. Die Krankheit ist vor ungefähr einem halben Jahr bei mir ausgebrochen und ich bin einfach nicht mehr in der Lage, weiter zu arbeiten. Bereits zu Beginn der Saison habe ich beschlossen, nur noch bis zu diesem Rennen dabei zu sein. Einfach um mich zu schonen. Wer sich ein bißchen mit der Krankheit beschäftigt hat, weiß, dass sie in verschiedenen Stadien abläuft. Ich habe bereits seit einigen Monaten das vierte und letzte Stadium erreicht und für mich zählen jetzt andere Dinge als dieser Job. Obwohl er mir sehr wichtig war und ist.“ Er stockte. „Ich möchte einfach den Rest meiner Zeit als Privatperson zusammen mit dem Menschen verbringen, den ich liebe. Ich hoffe, die Kollegen akzeptieren das und lassen Kai und mich in Ruhe. Falls nicht, ich werde die nächste Zeit im Krankenhaus in Köln sein. Sie können sich also sparen, nach uns zu suchen.“ Kai sah ihn fragend an. „Was ist los?“ Florian zog den Ärmel seines Hemdes hoch und deutete auf einen bläulich-roten Fleck auf seinem Arm. Schockiert sah Kai ihn an. Wortlos zog er ihn in seine Arme. Niki räusperte sich leicht und der Kameramann richtete die Kamera auf ihn. „Ich habe meine Erfahrungen mit Aids gesammelt, da mein Neffe sich ebenfalls infiziert hat. Dieser blaue Fleck ist ein Tumor. Die Krankheit, an der Florian erkrankt ist nennt sich Kaposi-Sarkom. Das ist ein sehr seltener bösartiger Hautkrebs. Er läutet praktisch die letzten Wochen eines Aids-Patienten ein. Nahezu jeder HIV-Infizierte bekommt diese Art von Krebs. Florian wird sich einer Strahlentherapie unterziehen müssen, allerdings hat es keine große Eile. Denn wenn er das überlebt, wird das Nächste kommen und so weiter. Arbeiten wird er auf keinen Fall mehr können.“ „Danke, Niki“, sagte Florian. „Ich wollte mich auf diesem Weg von meinen Zuschauern verabschieden. Diese Sendung habe ich aufgebaut, weil Menschen an mich geglaubt haben. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich für ein Projekt verantwortlich war. Und dass es geklappt hat, lag hauptsächlich an Ihnen dort draußen vor den Bildschirmen. Sie haben mir den Mut gegeben, weiterzumachen, auch und gerade nachdem ich die vernichtende Diagnose von meinem Arzt erhalten hatte. Ich möchte auf diesem Weg speziell meinen Fans danken.“ Florian lächelte leicht. „Meine Fans“, sagte er leise. „Klingt das gut. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Damit war es vorbei. Florian war fertig mit den Nerven. Er lehnte sich gegen Kai und schluchzte leise. Tränen kullerten über seine Wangen. Auch Niki hatte feuchte Augen bekommen. Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht und atmete tief durch. Dann klopfte er Florian leicht auf die Schulter. „Gut gemacht“, lobte er. „Ich kann mir vorstellen, wie schwer das war. Aber die Zuschauer werden es verstehen.“ „Oh ja“, sagte Heiko und winkte Niki zu. Er hatte einen Stapel Zettel in der Hand. „Hier Florian. Alle für dich. Das sind E-Mails von deinen Fans.“ Florian nahm den Stapel und las die erste Mail. „Lieber Florian. Ich habe selber Aids und weiß, was Sie durchmachen. Geben Sie nicht auf. Sie haben das wahnsinnige Glück, nicht allein dazustehen. Danke, dass Sie es öffentlich gesagt haben. Vielleicht hört man irgendwann auf, Aids-Kranke wie Aussätzige zu behandeln.“ Er nahm das nächste Blatt. „Lieber Herr König, ich war von Beginn an ein großer Fan von Ihnen. Sie sind eine einzigartige Persönlichkeit mit einer Menge Mut. Danke für die vielen schönen Sonntage und ich wünsche Ihnen das Beste für die Zukunft. Ich hoffe, Sie haben noch etwas, auf was Sie hoffen können.“ Auch die anderen überflog er. „Lauter gute Wünsche und lauter Menschen, die mir Mut zusprechen. Tut das gut.“ Auch Kai hielt einige der Mails in den Händen. „Hör mal, Flo. Hallo Florian, hallo Kai. Ich bin schockiert über das eben Erfahrene und wünsche Ihnen trotz allem, dass ihre Liebe stärker ist als die Widerstände des Lebens. Vielleicht sollten Sie einfach etwas für sich tun. Heiraten wäre doch nicht schlecht.“ Florian lächelte leicht. Sein Assistent winkte ihm zu. Er nickte. Die Kamera wurde wieder eingeschaltet und Florian blickte hinein. „Während Sie die Werbung genießen durften, hatte ich die Ehre, einige Mails meiner Fans zu studieren. Ich danke allen, die mir und uns auf diese Weise Mut machen. Es ist schön, diese Anerkennung zu bekommen. In vielen der Mails schwingt die Hoffnung mit, dass ich noch etwas Positives erhoffe. Das ist auch so. Kai und ich werden nämlich nächste Woche heiraten und ich freue mich wahnsinnig darauf.“ Er schlang die Arme um den Hals seines Freundes und küsste ihn. Niki lächelte in die Kamera. „Das wird eine Megaparty. Auf Wiedersehen für heute.“ „Leben Sie wohl“, sagte Florian, der an Kai gelehnt dastand.
Da die Bestrahlung sehr an Florians Kräften zerren würde, hatten er und Kai beschlossen, die Therapie erst nach ihrer Hochzeit durchführen zu lassen. Für Florians Gesundheit war das nicht von wesentlicher Bedeutung, wie ihnen auch Doktor Schneider bestätigte. So kam das große Ereignis. Kais Mutter hatte sich hauptsächlich um die Vorbereitung gekümmert. Jetzt war Freitag und Florian und Kai saßen im Auto vor der Kirche. Sie waren beide wahnsinnig nervös. Der Wagen in welchem sie sich befanden war eine schwarze Stretch-Limousine und gehörte der Firma von Kais Vater. Sie war groß genug, so dass auch die Trauzeugen und Kais Familie darin Platz gefunden hatte. Heinz klopfte Kai leicht auf die Schulter. „Wird schon“, sagte er leise. „So schlimm ist es nicht.“ Er lächelte ihm aufmunternd zu. Florian saß in Gedanken versunken neben seinem zukünftigen Ehemann und starrte auf seine blankgeputzten Lackschuhe. Niki, der neben ihm saß, legte seine Hand auf Florians Oberschenkel. „Hör auf zu grübeln, Florian. Das hier ist der Moment, auf den ihr so lange gewartet habt. Genieß ihn. Er kommt nie wieder.“ Langsam hob Florian den Blick. „Du hast Recht. Danke, Niki.“ Der lächelte. „Dafür bin ich hier.“ Dann gingen sie alle gemeinsam in die Kirche. Sie war bis auf den letzten Platz voll. Auf der einen Seite saß Kais Verwandtschaft und einige alte Freunde von ihm, auf der anderen ehemalige Arbeitskollegen von Florian, sowie einige Freier, die ihn immer gut behandelt hatten. Die Fahrer und die Angestellten von RTL hatten sich auf die übrigen Plätze verteilt. Natürlich waren auch einige Teamchefs und andere wichtige Freunde der beiden aus der Formel 1 - Szene anwesend. So zum Beispiel Norbert Haug und Gerhard Berger, die sich darüber unterhielten, wie stolz Niki Lauda hinter Florian und Kai herschritt. Vor dem Altar blieben die beiden Hauptpersonen stehen und sahen Pfarrer Johann erwartungsvoll an. Niki trat neben Florian, Heinz neben Kai. Kais Eltern nahmen auf der ersten Bank Platz. Es wurde ruhig in der Kirche. „Liebe Anwesende, liebes Brautpaar.“ Pfarrer Johann sah die beiden lächelnd an. „Wir haben uns heute hier versammelt, um diese beiden Männer in den heiligen Stand der Ehe zu führen. Sollte jemand anwesend sein, der einen Grund weiß, warum dies nicht geschehen soll, so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.“ In der Kirche war es totenstill. „So sei es.“ Er wand sich an Kai. „Kai, ich frage dich nun. Willst du den hier anwesenden Florian König zu deinem Mann nehmen, ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet, so antworte mit ja.“ Kai schluckte hart. Er blickte Florian mit Tränen in den Augen an. „Ja“, sagte er dann deutlich. „Florian, willst du den hier anwesenden Kai Ebel zu deinem Mann nehmen, ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet, so antworte mit ja.“ „Ja“, sagte Florian sofort. „Es ist üblich jetzt die Ringe zu tauschen, aber Kai und Florian haben sich entschieden, dies mit eigenen Eheversprechen zu tun.“ Er nickte Kai zu. Der atmete tief durch, nahm von Heinz den Ring entgegen und ergriff Florians Hand. „Als ich vor ein paar Jahren wie üblich in meine Stammkneipe ging, konnte ich nicht ahnen, dass mein Glück dort auf mich warten würde. Doch als ich dich sah, Florian, fühlte ich sofort, dass du der Mensch bist, der an meine Seite gehört. Wir beiden haben hart gearbeitet und eine Menge durchgemacht, bevor wir überhaupt den Mut gefunden haben, uns unsere Gefühle zu gestehen. Doch der Kampf hat sich gelohnt. Allein dich zu sehen, macht mich glücklich. Dich im Arm zu halten, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Die Liebe in dir zu spüren und zu wissen, dass sie mir gilt, ist für mich ein Geschenk des Himmels. Egal, was in Zukunft passieren wird, ich werde dich immer lieben, mein Engel.“ Damit schob er seinem Freund den Ring auf den Finger. Florian schluckte schwer. Tränen standen in seinen Augen. Er nahm von Niki den Ring für Kai und blickte ihn an. „Bevor ich dich kennen lernte, gab es für mich keine Werte mehr. Noch nicht einmal mein Leben hatte irgendeine Bedeutung für mich. Alles war grau. Es gab nur den Kampf ums Überleben. Den Kampf für ein Leben, ausgefüllt mit körperlichen und seelischen Schmerzen. Doch plötzlich warst du da und für mich ging die Sonne auf. Du hast mich akzeptiert, wie ich war. Du hast mir Freundschaft geschenkt, ohne mich verändern zu wollen. Zumindest nicht allzu offensichtlich.“ Einige lachten. „Durch dich bekam ich etwas zurück, was ich nie gekannt habe. Die Kontrolle über mein Leben. Und das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Als ich anfing meine Liebe zu dir zu entdecken, wusste ich auch, was ich vermisst hatte. Du hast mich aus meiner ausweglosen Situation befreit und mir den Weg ins Paradies gezeigt. In eine Welt in der Lachen, Wärme, Freunde und Liebe existieren. Du hast mir Kraft und Selbstvertrauen gegeben. Und du hast mich dazu gezwungen, bei dir zu bleiben, als ich krank geworden bin. Ohne deine bedingungslose Liebe wäre ich wieder weggelaufen. Doch in diesem Fall waren meine Gefühle ein Käfig, den ich zum Glück nicht verlassen konnte. Heute bin ich dafür sehr dankbar. Kai, du bist mein größtes Glück auf dieser Welt und ich schwöre dir, ich werde dich niemals verlassen. Meine Liebe und meine Seele werden immer bei dir sein, egal, wohin mein Körper gehen wird.“ Florian schob Kai unter Tränen den Ring auf den Finger. „Ich liebe dich, Kai. Ich liebe dich mehr, als man mit Worten ausdrücken kann.“ Kai schluchzte auf, zog Florian in seine Arme und küsste ihn innig. „Damit erkläre ich euch zu einem vor Gott zusammengehörigen Ehepaar“, sagte Pfarrer Johann. Florian und Kai lächelten sich an und küssten sich erneut. Die Gäste applaudierten lautstark. Viele von ihnen hatten von Florians Liebesgeständnis Tränen in den Augen. Nach und nach gratulierten alle Anwesenden den beiden. Sie verließen die Kirche. Jeder stieg in sein Auto und fuhr hinter der Limousine her zum Anwesen der Familie Ebel. Florian und Kai saßen eng aneinander gekuschelt in einer Ecke des Wagens und unterhielten sich leise. Hin und wieder küssten sie sich. Die anderen lächelten und ignorierten die Turtelei. Sie gönnten den beiden ihre gemeinsame Zeit. Soviel hatten sie davon schließlich nicht mehr. Als alle das Ziel erreicht hatten, staunten einige Leute Bauklötze. Florians Bekannte aus seiner ehemaligen Szene nickten ihm anerkennend zu. Man setzte sich in den Garten an eine Tafel und aß erst einmal zu Mittag. Die meisten geladenen Gäste würden bis zum Kaffee nach und nach eintrudeln. Zu ihnen gehörten vor allem noch Kollegen von RTL, die zur Zeit allerdings noch arbeiten mussten. Kais entferntere Verwandte, die Florian noch nicht kennen gelernt hatten, nahmen ihn anfangs ziemlich in Beschlag. Sie wollten natürlich mehr über den jungen Mann wissen, als sie aus den Zeitungen erfahren hatten. Anfangs waren die einzelnen Gästegruppen noch sehr getrennt, doch man kam nach und nach miteinander ins Gespräch. So sah man bald einige der Stricher bei den Rennfahrern stehen und sich mit denen unterhalten. „Ich glaube, Ralf und Nick sind an deinem früheren Job interessiert. Schau mal, wie sie Benji ausquetschen.“ „Sie sollten beim Autofahren bleiben.“ Florian sah Kai ernst an. „Ralf ist sowieso zu alt.“ Kai lachte. „Sag ihm das ja nicht.“ Auch Florian lachte jetzt. „Schau an, wer da kommt“, sagte er plötzlich. „Die Nachrichtenabteilung.“ Tatsächlich war der Chefnachrichtensprecher Peter Kloeppel mit einem Kamerateam im Anmarsch. „Keine Sorge, wir stören nicht lange. Ich brauche nur ein kurzes Statement für die Nachrichten.“ Kai schüttelte den Kopf. „Soll ich ihn rausschmeißen?“ „Und nachher wieder zum Essen einladen? Nein, viel zu kompliziert.“ Sie lachten und Peter wand sich der Kamera zu. „Kommen wir somit zum Sport, oder dem, was damit zu tun hat. Wir befinden uns im Moment auf dem Anwesen von Kai Ebels Eltern. Hier findet gerade eine riesige Hochzeitsparty statt und wir wollen dem Brautpaar natürlich sehr herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.“ Der Kameramann richtete die Kamera auf Kai und Florian. „Danke“, sagte Kai. „Sehr nett von dir und dem Sender. Ich liebe solche Überraschungen.“ Peter grinste. „Ich weiß.“ „Danke auch von mir.“ Florian lächelte und nahm Kais Hand. „Schönen Gruß noch mal auf diesem Weg an die Zuschauer.“ „Wie war die Trauung?“, fragte Peter. „Wunderschön“, sagte Kai verträumt. Er zog Florian zu sich hinüber und küsste ihn kurz. Peter lächelte leicht. „Wir lassen das Paar dann mal wieder allein und verabschieden uns bis morgen. Für Sie, liebe Zuschauer, kommt jetzt das Wetter, während ich mich über die Reste vom Kuchenbüffet hermache.“ Einige Umstehende lachten, während der Kameramann seine Ausrüstung wegpackte und sich dann unter die Menge mischte. Natürlich erst, nachdem er dem Hochzeitspaar gratuliert hatte.
Die Feier ging sehr lange. Gegen drei Uhr morgens waren die älteren Leute verschwunden und Kai und Florian blieben mit ihren Freunden allein im Garten zurück. Sie hatten die Musik etwas runter gedreht, um niemanden zu stören und saßen jetzt zusammen und redeten. Außer einigen Rennfahrern waren auch einige Stricher dageblieben. Es war ziemlich auffallend, wie gut Nick Heidfeld sich mit Benji verstand. Die beiden waren ungefähr in einem Alter, aber ansonsten unterschiedlicher, wie sie nicht sein konnten. Irgendwann am Morgen, sah Florian sie Hand in Hand in Nicks Auto verschwinden. Er lächelte milde. Heinz und Michael saßen lange mit Florian und Kai um ein Lagerfeuer herum. Sie redeten nicht sehr viel, sondern hingen alle irgendwie ihren Gedanken nach. Kai saß im Gras, gegen ein Tischbein gelehnt. Florian lag in seinen Armen. Inzwischen hatten die beiden auch ihre guten Jacketts ausgezogen. Heinz blickte über Kais Schulter. Er lächelte, als er Tanja und Corinna sah, die auf das Grüppchen zukamen. „Na, was treibt ihr Männer so?“, fragte sie und ließ sich auf den Schoß ihres Mannes fallen. Heinz schlang die Arme um sie und streichelte zärtlich über ihr Babybäuchlein. „Nichts“, sagte Michael und zog Corinna zu sich hinab. „Ein wenig reden und sonst einfach die Zeit genießen.“ Tanja sah Kai und Florian an. „Ihr seht wahnsinnig glücklich aus.“ Kai grinste. „Du verwechselst Glück mit Müdigkeit.“ Seine Freunde lachten. „Warum geht ihr nicht ins Bett?“, fragte Heinz. „Florian schläft doch sowieso schon halb.“ „Das täuscht“, murmelte Florian. „Wenn’s sein muss, bin ich hellwach.“ „Außerdem ist es schön, hier so mit euch zusammen zu sitzen.“ In Gedanken fügte Kai hinzu. ‘Wer weiß, wie lange wir das noch können.’ Ralf und Cora kamen auf das Grüppchen zu. „Wir wollten uns verabschieden. Es reicht für heute. Die Sonne geht ja bald auf.“ Alle verabschiedeten sich von den beiden und die verschwanden. Sie wohnten in einem Hotel, fünf Minuten mit dem Auto vom Anwesen entfernt. Nur wenige Minuten später tauchten auch Nick und Benji auf. Sie sahen ziemlich fertig aus, was von den anderen mit einem Lächeln zur Kenntnis genommen wurde. Sie fragten Kai, ob sie ein Zimmer hier im Haus haben könnten und der wies ihnen eins der Gästezimmer zu. Zufrieden verschwanden die beiden. „Ob das was Ernstes wird?“, fragte Corinna in die Runde. Kai zuckte mit den Schultern. „Glaube ich fast nicht. Zu so einer Beziehung gehört eine Menge Mut und Kraft. Und Nick braucht seine Konzentration im Moment für seine Karriere. Ich glaube, es ist reine Neugier.“ „Benji ist auch nicht der Typ für eine längere Beziehung. Der hat nicht vor, seine Arbeit aufzugeben.“ Florian richtete sich ein wenig auf. „Er mag den Job.“ Michael schüttelte sich. „Dass es sowas gibt?“ „Sowas gibt es. Wenn man es freiwillig angefangen hat und nie zu etwas gezwungen wird. Der Widerwille kommt erst mit den schlechten Erfahrungen.“ Kai nickte zustimmend. Sein Blick glitt in die Dunkelheit. „Schaut mal. Die Sonne geht auf.“ Er deutete Richtung Osten, wo der Himmel nicht mehr schwarz war, sondern langsam eine gräuliche Färbung annahm. Schweigend beobachteten die sechs Freunde den Sonnenaufgang. Es war ein sehr klarer Tag und der Himmel leuchtete in einem strahlenden Rot. Als es hell war, erhob sich Kai. Er zog Florian in seine Arme. „Wir verschwinden dann auch mal.“ Heinz, Michael, Tanja und Corinna standen ebenfalls auf. „Wir auch“, sagte Michael. „Wann sehen wir uns mal wieder?“, fragte Heinz Florian. Der zuckte leicht mit den Schultern. „Ich muss jetzt erst einmal ins Krankenhaus, wegen der Chemo. Wir werden sehen.“ „Wir besuchen dich, wenn du wieder zu Hause bist“, versprach Tanja. Sie umarmte Florian. „Viel Glück, Flo.“ Leise flüsterte sie: „Danke, dass du Heinz vor einigen Jahren geholfen hast.“ Sie zwinkerte ihm zu, als er rot wurde. Dann hakte sie sich bei ihrem Mann ein und die beiden verschwanden. Heinz drehte sich noch einmal kurz um. „Ihr beide packt das schon.“ „Genau“, stimmte Michael zu und verabschiedete sich ebenfalls von Kai und Florian. „Viel Glück.“ Corinna umarmte die beiden Männer und die Schumachers folgten Heinz und Tanja. Eine ganze Weile sahen Kai und Florian ihren Freunden nach. Schließlich nahm Kai die Hand seines Ehemannes und zog ihn ins Haus. „Wir sind noch nicht fertig mit der Hochzeit.“ Er grinste Florian an. „Ach nein?“, fragte der unschuldig. Er küsste ihn innig. Dann verschwanden sie in Kais altem Zimmer, wo bereits Susi auf sie wartete.
Als Kai am späten Nachmittag müde die Treppe hinunter schlurfte, war seine Mutter bereits beim Aufräumen. Ihre beiden Schwestern halfen ihr. Kai hörte gerade noch, wie seine Tante Moni sagte: „Das war mit Abstand die sonderbarste Hochzeit auf der ich je war.“ Etwas leiser fügte sie hinzu: „Und die schönste. Ich habe noch nie ein Paar gesehen, was sich so liebt, wie Kai und Florian. Ihr Zuneigung zueinander ist ja fast greifbar.“ „Genau das habe ich dir ja von Anfang an gesagt.“ Kai Mutter kam mit einem Tablett voller Geschirr herein. „Guten Morgen, mein Sohn“, sagte sie, ohne Kai anzusehen. Der grinste breit. „Morgen, Ma.“ Er nahm seiner Mutter das Tablett ab und brachte es in die Küche. „Morgen, Tante Moni.“ „Guten Morgen, Kai. Na, endlich ausgeschlafen?“ „Nicht wirklich“, gab der zu. „Wo ist Florian?“ „Der schläft noch. Er ist ziemlich erledigt.“ Besorgt sah Kai seine Mutter an. „Die ganze Party hat ihn enorm viel Kraft gekostet.“ Elisabeth Ebel sah ihren Sohn an. „Aber es war genau das Richtige, glaube mir.“ „Das war es. Danke für beste Party meines Lebens, Ma.“ Kai umarmte sie innig. „Genau die richtigen Worte, Kai. Danke für alles, Schwiegermama.“ Florian kam die Treppe herunter und lächelte allen zu. Er sah zwar ziemlich müde, aber gleichzeitig unendlich zufrieden aus. Kais Mutter ließ ihren Sohn los und umarmte Florian kurz. „Wollt ihr frühstücken?“, fragte sie dann. Ein langgezogenes Knauen kam von oben. „Wollen wir, wie man hört.“ Florian lockte die Katze zu sich und hob sie hoch. Alle lachten.
Zwei Tage blieben Kai und Florian noch in der Villa von Kais Eltern, danach fuhren sie schweren Herzens nach Köln zurück. Florian musste ins Krankenhaus und sich der Strahlentherapie unterziehen. Doktor Schneider kam den beiden Männern auf dem Flur entgegen. „Herzlichen Glückwunsch, ihr zwei.“ Er schüttelte ihnen die Hände. „Danke“, sagten sie gleichzeitig und lächelten sich an. Allerdings wirkten ihre Gesichter trotzdem sehr traurig. „Ich werde dich bis morgen hier behalten und dich einigen Untersuchungen unterziehen“, sagte der Arzt, als sie in seinem Zimmer saßen. „Danach kannst du für zwei Tage nach Hause. Wenn die Ergebnisse so ausfallen, wie ich es mir denke, musst du danach wieder herkommen.“ „Was passiert dann mit mir?“ „Du musst eine normale Krebstherapie über dich ergehen lassen, ohne die Chemotherapie allerdings. Die würdest du in deinem Zustand nicht überstehen. Das heißt, wir machen eine Strahlentherapie und du bekommst gleichzeitig Medikamente.“ „Und was?“ „Interferon.“ „Davon habe ich schon gehört“, murmelte Florian. „Es soll wahnsinnige Nebenwirkungen haben.“ „Das stimmt leider. Es ruft die Anfangssymptome wieder hervor und verstärkt sie noch. Das heißt du wirst ständig unter Erbrechen und Durchfall leiden. Dein Körpergewicht wird enorm reduziert, was dich wiederum anfälliger für Krankheiten macht.“ „Was heißt enorm?“, fragte Florian. „Wieviel wiegst du jetzt?“ „76 Kilo.“ Der Arzt rechnete. „Wenn du in zwei Monaten noch die Hälfte wiegst, bist du gut.“ „38 Kilo? Das ist doch viel zu wenig.“ Schockiert sah Kai den Arzt an. Der atmete tief durch. „Eine Sorge kann ich dir nehmen, Kai. Er wird garantiert nicht an Untergewicht sterben.“ Unendlich deprimiert verließen die beiden Männer das Krankenhaus und stiegen in Kais Wagen. Langsam fuhr Kai in Richtung ihrer Wohnung. Er redete nicht und auch Florian schwieg schon die ganze Zeit. Beiden hingen sie ihren Gedanken nach. Plötzlich fuhr Kai an den Straßenrand und hielt den Wagen an. Florian sah ihn fragend an, dann blickte er nach draußen. Sie waren am Eingang des Parks, in welchem sie sich vor vielen Jahren das erste Mal außerhalb von Bennys Kneipe verabredet hatten. Kai lächelte Florian an. „Lass uns ein Stück spazieren gehen, Flo.“ Der nickte und stieg aus dem Wagen aus. Kai schloss ab und trat neben Florian. Er nahm die Hand seines Freundes und sie gingen zusammen den Weg entlang zur großen Eiche. Die Bank war neu gestrichen worden und leuchtete jetzt in einem hellen Grün. Kai setzte sich hin und zog Florian auf seinen Schoß. Der kuschelte sich gegen seinen Freund. „Erinnerst du dich an das letzte Mal, als wir hier gesessen haben?“ „Ja. Damals war ich nicht mehr, als ein Strich in der Landschaft. Ein Mensch ohne Hoffnung. Als ich hier eingeschlafen bin, habe ich nicht daran geglaubt, dass du wirklich auftauchen würdest. Ich war unendlich glücklich, als ich aufwachte und als Erstes deine Augen sah.“ Kai schluckte schwer. „Gott, Florian, was soll ich nur ohne dich machen.“ Tränen kullerten über sein Gesicht. Florian richtete sich langsam auf. „Okay. Ich hatte immer Angst vor diesem Gespräch.“ Er atmete tief durch. „Ich verlange von dir, dass du weitermachst, Kai. Versprich es mir. Schwöre es mir, dass du keine Dummheiten machst.“ In Florians Gesicht sah Kai pure Entschlossenheit. Eine Weile blickte er schweigend in seine Augen. „Ich schwöre es dir, Florian. Aber gib mir Zeit zu trauern.“ „Sicher doch.“ Er hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich habe mein Konto auf dich übertragen lassen. Ich weiß, dass du das Geld nicht brauchst und genau deshalb bekommst du es.“ „Was soll ich machen?“ „Kommt drauf an, wie du weitermachen willst. Wirst du weiterhin arbeiten?“ „Am Anfang sicher nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen, ohne dich bei einem Rennen zu sein oder im Sender meinen Job zu machen. Alles würde mich an dich erinnern.“ Florian nickte langsam. „Das dachte ich mir. Dann nimm das Geld und hilf Menschen, wie ich einer war. Hole Kinder aus den Händen ihrer Zuhälter, schenke ihnen Hoffnung, so wie du es bei mir getan hast.“ „Das ist gar keine so schlechte Idee“, sagte Kai langsam. Er nahm Florians Hände und küsste sie sanft. „Ich werde es tun, Flo. In Erinnerung an unser Glück.“ Florian schlang die Arme um Kais Hals und presste ihn an sich. Dann schob er ihn ein Stück von sich weg. „Ich möchte jetzt nie wieder mit dir über meinen Tod sprechen. Lass uns die Zeit, die uns noch bleibt einfach genießen.“ Kai nickte. „Okay.“ Hand in Hand verließen sie den Park und keiner von ihnen kehrte je wieder zu dieser Bank zurück.
Die zwei Tage, die Florian zu Hause verbringen durfte, genossen er und Kai im Bett. Kai verließ nur zweimal kurz die Wohnung, um Kondome zu besorgen, wobei ihm der zweite Einkauf fast peinlich war. Vor allem das wissende Lächeln der Kassiererin ließ ihn erröten. Als er Florian die Geschichte erzählte, lachte der sich schief. Am dritten Tag erhielten sie einen Anruf von Doktor Schneider, der Florian aufforderte, umgehend in die Klinik zu kommen. „Ich habe bereits gepackt, Doktor“, sagte Florian und legte auf. Kai fuhr seinen Freund natürlich. Er hatte sich entschieden, bei Florian im Krankenhaus zu bleiben. Er wollte ihn einfach nicht allein lassen und sein Chef verstand es auch, als Kai ihn anrief und um Urlaub bat. „Aber bitte, fahr zu den Rennen.“ Mahr hatte ziemlich verzweifelt geklungen. Kai hatte es ihm schweren Herzens versprochen. Nach der ersten Bestrahlung lag Florian in seinem Zimmer im Bett und harrte der Dinge, die da kommen würden. Doktor Schneider hatte ihm gerade seine Tabletten gegeben und stand jetzt neben ihm. „Ich weiß nicht, wie schnell das Interferon wirkt und wie gut. Wir werden sehen. Wenn du Glück hast, brauchst du nur noch eine Bestrahlung.“ Florian blickte auf seine Finger. „Ich weiß, das klingt blöd, aber ich habe Angst vor diesen unsichtbaren Strahlen.“ „Das klingt nicht blöd“, tröstete Kai seinen Freund. „Cobaltstrahlung ist nun mal sehr gefährlich.“ „Sie kann Menschen töten“, flüsterte Florian. „Oder deren Leben verlängern“, fügte Doktor Schneider hinzu und verließ den Raum. Die beiden redeten noch bis spät in die Nacht. Kai lag in dem freien Bett neben Florian und beobachtete seinen Freund, als der endlich eingeschlafen war. Ihm fiel nach einer Weile auf, dass Florian immer blasser wurde. Schweiß lag wie ein Film auf seinem Gesicht. Sein Körper wirkte verkrampft und er stöhnte hin und wieder. Plötzlich wachte er auf und stieß einen leisen Schrei aus. Kais stand sofort neben ihm. Florian krümmte sich vor Schmerzen zusammen und übergab sich. Tränen liefen über seine Wangen. Kai zog ihn aus seinem Bett und brachte ihn ins Bad. Dort setzte er ihn auf die Toilette und gab ihm eine Schüssel in die Hand. „Ich kümmere mich um dein Bett“, flüsterte er leise und ließ seinen Freund allein. Nachdem er das schmutzige Laken und die Decke abgezogen hatte, trat er nach draußen. Dort stand die Nachtschwester und sah ihn fragend an. „Ich habe Licht unter ihrer Tür gesehen. Herr König sollte...“ „Die Therapie beginnt zu wirken.“ „Oh.“ Sie nahm Kai die Sachen ab und gab ihm neues Bettzeug für Florian. „Beziehen Sie es oder soll ich mitkommen?“ „Florian geht es sehr schlecht. Er hat sich nicht unter Kontrolle. Ich mache das lieber selber.“ „Ich habe schon mehr Patienten wie ihn gehabt, glauben Sie mir.“ „Schon klar. Aber ich bin ja da.“ Sie nickte und ging. „Ich schicke Doktor Schneider, wenn ich ihn sehe.“ Kai nickte und verschwand im Zimmer. Er hörte Florian im Bad stöhnen und würgen. Schnell bezog er das Bad und ging dann zu seinem Freund. Der saß schweißüberströmt auf der Toilette. Blut glitzerte auf seinen Lippen. Schockiert sah Kai ihn an, als plötzlich die Tür geöffnet wurde. Doktor Schneider trat ein und kam direkt ins Bad. Er überblickte die Situation sofort. Sanft strich er Florian über den Rücken. „Das wird schon wieder. Die Therapie wirkt sehr gut, deshalb auch die heftige Reaktion. Es wird mit der Zeit besser werden.“ „Das Blut...“, flüsterte Kai. „...ist völlig normal. Sein Magen ist sehr angegriffen.“ Er sah Florian an und drückte Kai ein Fieberthermometer in die Hand. „Pass auf seine Temperatur auf. Wenn sie auf 39 Grad steigt, sag der Schwester Bescheid. In einigen Stunden hat er es überstanden. Bring ihn dann ins Bett.“ Der Arzt verschwand. Florian und Kai sahen ihm zweifelnd nach. „Einige Stunden“, murmelte Florian und übergab sich erneut. „Verflucht“, schimpfte er. „Soviel habe ich doch gar nicht gegessen.“ „Vielleicht noch Essen von der Hochzeit, was da rauskommt.“ Trotz der Situation lächelte Florian leicht. Hin und wieder nahm Kai Florians Temperatur. Sie stieg, pendelte sich jedoch bei 38, 5 Grad ein. Das beruhigte Kai ein wenig. Er verging nämlich fast vor Sorge um seinen Freund. Dem ging es gegen Morgen wieder ein wenig besser. Er konnte das Bad verlassen und sich wieder in sein Bett legen. Als Doktor Schneider gegen acht Uhr das Zimmer betrat, schlief Kai tief und fest. Florian lag mit geöffneten Augen neben ihm in dessen Bett und hielt seine Hand. „Sie sollten auch schlafen“, sagte der Arzt mit mildem Tadel. „Dazu habe ich bald genug Zeit.“ Florian sah ihn an, nahm die Tablette, die er ihm entgegenhielt und schluckte sie. Dann kuschelte er sich wieder an Kai und schloss die Augen. „Morgen ist die nächste Therapie fällig. Wenn Sie meine Ratschläge befolgen, könnte es die letzte sein.“ Florian horchte auf. „Raten Sie schon.“ „Viel Obst und Gemüse. Reichlich frische Luft. Sport, so gut es geht. Und wenn es nur Gymnastik im Wohnzimmer ist.“ „Kai hat einen Heimtrainer für mich gekauft.“ „Sehr gut. Ausdauersport ist gut. Aber nicht übertreiben. Nach der Therapie können Sie nach Hause, sobald Sie körperlich dazu in der Lage sind. Das Wochenende darauf, also wenn das nächste Rennen ist, möchte ich Sie hier haben, um die Untersuchungen durchzuführen. Dann werden wir wissen, ob wir es diesmal geschafft haben.“ Florian nickte leicht. „Kai ist da sowieso nicht zu Hause.“ „Es fährt zu den Rennen?“ „Sicher doch. Einer von uns muss doch die Stellung halten.“ „Genau“, nuschelte Kai und öffnete leicht die Augen. „Ich verschwinde dann mal und kümmere mich um meine anderen Patienten. In einer Stunde kommt eine Schwester und bringt euch Frühstück.“ Zu Florian sagte er ernst: „Versuchen Sie, es drin zu behalten. Auch wenn es schwer fällt.“ Damit ging er. Kai schlang die Arme um seinen Freund. Müde schloss er die Augen und schlief wieder ein. Auch Florian nickte nach einer Weile kurz ein. Nach einer Stunde brachte die Schwester das Essen. Kai schaltete den Fernseher ein und die beiden Männer sahen sich eine Talkshow an. Das Thema war Bulemi. „Passt ja“, murmelte Florian. Langsam aß er, obwohl ihm schon beim Anblick des Essens der Magen hochkam. Er wurde mit jedem Bissen blasser. Schweiß lag wie ein Tuch auf seinem Gesicht. Kai versuchte ihn von seiner Übelkeit abzulenken so gut er konnte. Und er schaffte es. Gegen Mittag gingen die beiden Männer ins Bad und duschten. Für Florian war es eine echte Wohltat. Kai passte auf, dass sein Freund sich nicht weh tat, da der nämlich so schwach war, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Nach dem Duschen wickelte er ihn in ein Handtuch und führte ihn in sein Krankenzimmer. Dort zog er ihm einen frischen Pyjama an und legte ihn wieder ins Bad. Doktor Schneider betrat den Raum und brachte das Mittagessen. „Kann ich mal mit dir reden, Kai?“ „Sicher.“ Er wand sich Florian zu. „Wartest du mit dem Essen?“ „Nur zu gern.“ Kai verschwand mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Vor der Tür sah er den Arzt fragend an. „Was gibt es?“ „Die Schwester von gestern nacht hat mir erzählt, dass du dich um Florian kümmerst. Allein, meine ich.“ „Sie ist für Flo eine Fremde, ich...“ Schneider winkte ab. „Keine Sorge, Kai, ich bin nicht verärgert oder sowas. Es ist nur so. Florian wird in Zukunft immer mehr Hilfe brauchen. Sehr bald wirst du ihn rund um die Uhr betreuen müssen. Ich will wissen, ob du das schaffst?“ „Ich schaffe es.“ Der Arzt nickte, als er in Kais Augen sah. „Okay, Kai. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, ruf mich an, oder komm zu mir, wenn ihr hier im Krankenhaus seid.“ Kai nickte. „Danke“, murmelte er leise. Er blickte auf den Boden. „Wie lange hat er noch?“ „Ich kann dir keine genaue Auskunft geben. Es hängt von so vielen Faktoren ab.“ „Ungefähr.“ Kai sah den Arzt flehend an. „Bis Ende des Jahres, wenn er viel Glück hat.“ „Und bei einem normalen Krankheitsverlauf?“ „Wir haben jetzt Anfang Juli.“ Schneider überlegte eine Weile. „Mitte Oktober.“ Schockiert sah Kai den Mann an. „So kurz? Was ist, wenn ich bei einem Rennen bin wenn...?“ „Er wird nicht plötzlich sterben, Kai“, sagte der Arzt und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Du wirst es sehen, wenn es zu Ende geht. Und dass du dann wegfährst, glaube ich nicht.“ „Wird er hier im Krankenhaus sterben, oder kann er zu Hause bleiben?“ „Kommt drauf an, ob er zu der Zeit irgendwelche Symptomkrankheiten hat. Wenn nicht, kann er zu Hause bleiben.“ Kai nickte und ging wieder zu seinem Freund ins Zimmer. Von dem Gespräch mit Doktor Schneider erzählte er Florian nichts. Nach der nächsten Therapie fühlte Florian sich genauso elend wie nach der ersten. Er saß die ganze Nacht in Bad und ließ sich von Kai trösten. Erst gegen morgen fühlte er sich besser.
Florian wurde am Nachmittag des nächsten Tages entlassen. Er fühlte sich zwar ziemlich schlecht, aber nach Meinung von Doktor Schneider gab es keinen Grund ihn länger im Krankenhaus zu behalten. In ihrer Wohnung angekommen, legte Florian sich sofort ins Bett und schlief bis zum Abend. Kai weckte ihn um Punkt 18 Uhr, um ihm seine Tablette zu geben. „Hast du Hunger?“, fragte er seinen Freund, als der das Medikament geschluckt hatte. „Nicht wirklich. Aber der Doc hat gesagt, ich muss was essen.“ „Ich mach dir was, okay?“ Florian nickte. Als Kai aufstehen wollte, hielt er ihn jedoch fest. „Hilfst du mir in die Küche? Ich will einfach nicht allein sein.“ Kai nickte, wickelte Florian in eine Decke und trug ihn zu einem Stuhl in der Küche. Dort setzte er ihn vorsichtig hin. Florian zog die Beine an und umwickelte sich richtig mit der Decke, da er ziemlich fror. „Was willst du essen?“, fragte Kai. „Kochst du mir eine Suppe?“ „Hühnersuppe mit Reis?“ Florian nickte lächelnd. Kai kannte ihn einfach zu gut. Während Kai das Essen zubereitete, saß Florian auf seinem Stuhl und beobachtete ihn dabei. Seine Augen folgten jeder von Kais routinierten Bewegungen. Er gähnte. „Willst du nicht doch wieder ins Bett gehen?“, fragte Kai ihn besorgt. „Nein“, erwiderte Florian heftig. Erschrocken sah Kai ihn an. „Entschuldige. Ich will einfach nicht allein sein. Vor allem nicht, wenn du hier bist.“ Kai stellte den Topf auf den Herd und stellte ihn an. Dann ging er zu seinem Freund. „Schon okay, Flo.“ Er atmete tief durch. „Ich bin noch am Überlegen, ob ich bei den letzten drei Rennen mitfahren soll. Ich werde Mahr bitten, dass er jemand anderen einsetzt.“ „Aber...“ „Es sind drei Wochenenden. Mit Hin- und Rückflügen mindestens 15 Tage, die ich weg bin. Ich will dich nicht so lange alleine lassen.“ Er schlang die Arme um seinen Freund. „Ich will und kann es nicht“, murmelte er leise. Florian schmiegte sich gegen Kais Bauch und schloss die Augen. „Ich würde mich sehr freuen, wenn du hier in Köln wärst.“ Mit einem traurigen Lächeln nickte Kai. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Er hockte sich vor Florian hin und sah ihn von unten an. „Ich liebe dich, Flo“, hauchte er und küsste ihn zärtlich. Während das Essen auf dem Herd vor sich hinköchelte, brachte Kai Florian ins Wohnzimmer und setzte sich mit ihm auf die Couch. Er stellte den Fernseher an und knipste einmal alle Programme durch. Natürlich kam nichts Besonderes, so dass sie schließlich bei ihrem Heimatsender hängen blieben. Florian lag auf dem Sofa und blickte Kai schon die ganze Zeit an. Seine Augen wirkten dumpf und leblos, aufgrund der Medikamente und der Therapie. Seine Haut war blass. Fest spannte sie sich über Florians Wangenknochen. Sein Gesicht wirkte inzwischen wieder so abgemagert, wie zu der Zeit, als er und Kai sich kennen gelernt hatten. Kai sah, wie Florian plötzlich zusammenzuckte. „Alles okay?“ Der schüttelte den Kopf. „Nein“, keuchte er. „Mein Spray.“ Hastig zog Kai es aus seiner Tasche und gab es Florian. Der Inhalierte zwei Stöße und schloss die Augen. Sein keuchender Atem wurde wieder flacher. „Besser?“, fragte Kai besorgt. „Ja. Viel besser. Danke, Kai.“ „Keine Ursache.“ Voller Sorge blickte er seinen Freund an. In diesem Moment klingelte es. Kai stand auf und ging zur Tür. Als er öffnete, stand jemand mit einem Strauß Blumen vor der Tür. Der Unbekannte ließ den Strauß sinken und Heinz-Haralds Gesicht kam zum Vorschein. „Hey, Kai. Was starrst du mich so an?“ Kai lachte. „Du bist es. Ich dachte, es wäre ein Bote, oder so. Komm rein.“ „Danke. Ich wollte Florian einen Krankenbesuch abstatten. Wie war die Therapie?“ „Hart.“ „Wo ist er?“ „Im Wohnzimmer.“ Heinz wollte hineingehen, doch Kai hielt ihn kurz zurück. „Erschreck dich nicht.“ Damit ging er in die Küche, um nach dem Essen zu sehen. Zwei Minuten später stand Heinz in der Küchentür und schaute Kai geschockt an. „Mein Gott, sieht er schlecht aus“, flüsterte er kaum hörbar. Kai zog ihn in die Küche und schloss die Tür. „Schläft er?“ „Ja.“ Heinz nickte und schaute Kai mit Tränen in den Augen an. „Wie steht es wirklich um ihn.“ „Nicht sehr gut. Er ist extrem angeschlagen.“ „Was ist mit den Rennen?“ „Ich werde kommen, solange es noch zu verantworten ist, dass ich Flo den Tag über allein lasse. Die Überseerennen sind für mich tabu.“ „Den Tag über? Heißt das, du willst jeden Abend nach Hause?“ „Beim nächsten Rennen nicht, da Florian zu der Zeit im Krankenhaus ist. Für eine Nachuntersuchung. Danach auf jeden Fall.“ „Kai, übernimm dich nicht“, warnte Heinz. „Du siehst selber fix und fertig aus.“ „Das ist im Moment egal. Florian braucht mich. Und ich brauche ihn.“ Mit hängendem Kopf stützte er sich auf die Ablage. Heinz sah Tränen über das Gesicht seines Freundes laufen. Er nahm ihn in den Arm. „Ganz ruhig. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag es bitte.“ Kai schluchzte. „Kannst du eben nicht. Niemand kann ihm und mir helfen. Nicht einmal Schneider.“ Er blickte Heinz an. „Weißt du, wie hart es ist, in das Gesicht eines Mediziners zu blicken und zu erkennen, dass alles vorbei ist?“ Heinz strich Kai zärtlich über den Kopf. „Nein, Gott sei Dank weiß ich das nicht.“ Als Kai sich wieder beruhigt hatte, nahm er den Topf und bracht ihn ins Wohnzimmer. Florian war nicht da, was Kai ein wenig beunruhigte. „Ich schau mal nach Flo. Stellst du bitte Teller hin?“ „Sicher doch.“ „Du isst doch mit uns, oder?“ „Gern.“ Kai nickte und ging zum Bad. Er klopfte. „Flo? Bist du da drin?“ „Ja“, hörte er die leise Stimme seines Freundes. „Ich habe aber abgeschlossen.“ Kai blickte erstaunt auf die Tür. Das war das erste Mal, dass Florian das getan hatte. Er hörte das Schaben des Schlüssels im Schloss, als Florian die Tür öffnete. Leichenblass und zitternd stand er vor ihm. Ganz vorsichtig schob Kai ihn ins Bad und setzte ihn auf den Toilettendeckel. Er nahm einen Lappen und wusch Florian das Gesicht und die Hände. Dann zog er ihn hoch und brachte ihn ins Wohnzimmer. „Alles klar?“, fragte Heinz besorgt. „Es geht. Das sind nur die Nebenwirkungen des Interferon. Ich fühle mich jedes Mal ziemlich schlapp danach.“ „Es lähmt die Muskeln“, erklärte Kai. Heinz nickte verstehend. Zusammen setzten sie sich hin und aßen. Florian lag halb auf dem Tisch. Er konnte vor Schwäche kaum seinen Löffel halten. „Wird dein Zustand wieder besser?“, fragte Heinz vorsichtig. Florian nickte. „Das, was du jetzt siehst, sind Nebenwirkungen der Bestrahlung. Es geht vorbei. In zwei bis drei Tagen geht es mir sicher schon wieder deutlich besser.“ „Das hört sich gut an.“ Er lächelte ihm aufmunternd zu. Sie saßen nach dem Essen noch eine ganze Weile zusammen und unterhielten sich. Irgendwann verschwand Heinz und Kai brachte Florian ins Bett. „Ich muss noch mal kurz weg, bin aber sicher in einer Stunde wieder hier, mein Schatz. Schaffst du es solange allein?“ „Mach, dass du wegkommst. Ich bin doch kein Invalide.“ Florian lächelte ihm zu. Kai küsste ihn und verschwand ohne eine weitere Erklärung. Die würde er seinem Freund morgen früh liefern.
Hans Mahr saß in seinem Arbeitszimmer, als es klingelte. Seine Freundin öffnete die Tür und brachte Sekunden später Kai zu seinem Chef. „Guten Abend“, grüßte der höflich. „Es tut mir leid, dass ich noch so spät störe, aber es ist wichtig.“ Mahr nickte und bot Kai einen Platz an. „Du siehst verdammt müde aus, Kai.“ „Bin ich auch. Deswegen bin ich hier. Ich kann nicht zu den Rennen fliegen, die in Übersee stattfinden.“ Mit einem leichten Nicken nahm Mahr die Nachricht hin. „Ich hatte gehofft, es ginge, aber eigentlich habe ich damit gerechnet. Ich akzeptiere es nicht gern, Kai, das weißt du.“ „Ich tue es auch nicht gern und lass die anderen hängen, aber es geht nicht anders. Florian braucht mich im Moment mehr als der Sender.“ „Ich verstehe dich. Wie geht es deinem Göttergatten?“ Kai lächelte leicht und unterrichtete seinen Chef über Florians derzeitigen Zustand. Sie unterhielten sich noch einige Minuten, dann verschwand Kai, weil er es nicht mehr aushielt. Er fuhr eilig zu seiner Wohnung zurück, wo er Florian tief schlafend in seinem Bett vorfand. Erleichtert legte er sich neben ihn. Sekunden später war auch Kai eingeschlafen.
Das nächste Rennen kam. Es war der Grand Prix von Frankreich. Kai hatte Florian am Freitag Morgen ins Krankenhaus gebracht und war dann nach Magny Cours geflogen. Hier teilte er auch den anderen Mitarbeitern seine Entscheidung bezüglich der letzten drei Rennen mit. Keiner war begeistert, aber alle verstanden Kais Beweggründe. Und alle machten sich Sorgen, denn aus Kais Worten und seiner ganzen Körpersprache ging deutlich hervor, wie schlecht es um Florian stand. Mit viel Mühe und Durchhaltevermögen schaffte Kai das Wochenende. Michael und Heinz waren ihm dabei eine riesige Stütze. Sie halfen nämlich Niki bei seiner ersten Solosendung. Sie waren einfach immer in der Nähe des Ex-Rennfahrers, wenn der jemanden brauchte oder Fragen hatte. Und doch merkte man das Fehlen von Florian überdeutlich. Der lag im Krankenhaus und ließ diverse Untersuchungen über sich ergehen. Sein Gesundheitszustand hatte sich inzwischen gebessert, so dass er hin und wieder in den Trainingsraum des Krankenhauses ging, welcher im Keller lag und sich ein bißchen an den Geräten zu schaffen machte. Natürlich war er dabei nie allein. Ein Pfleger oder eine Schwester waren ständig in seiner Nähe. Am Samstagnachmittag, als gerade die Übertragung vom Qualifying lief, öffnete Doktor Schneider die Tür. Er blickte auf den Fernseher und zog sich dann einen Stuhl an Florians Bett heran. „Und, wie machen sie sich?“ „Es geht. Aber irgendwie fehlt der Sendung etwas.“ Florian grinste leicht. Dann wurde er ernst. „Was machen meine Ergebnisse?“ „Es sieht ziemlich gut aus. Den Umständen entsprechend. Die Tumorbildung ist zurückgegangen. Die Therapie war also ein voller Erfolg.“ Erleichtert blickte Florian den Arzt an. Dann deutete er fragend auf seinen Arm, wo nach wie vor einige der Flecken zu sehen waren. „Warum sind die noch da?“ „Nicht so hastig, Florian. Ihr Körper braucht sehr lange, um Krankheiten zu bekämpfen. Ich kann Ihnen nicht einmal versprechen, dass die Flecken überhaupt wieder verschwinden. Aber ist das denn so schlimm? Sie sind harmlos, im Moment. Nichts weiter als Blutergüsse.“ „Wenn das so ist. Ich denke, ich kann damit leben.“ „Mach mal deinen Mund auf“, sagte der Arzt. Er leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe hinein. „Ziemlich gerötet. Ich sage der Schwester, sie soll dir Kamillentee bringen. Behalte ihn einfach im Mund, während du dir die Sendung anschaust, das wirkt schon. Noch mehr Medikamente will dir einfach nicht geben.“ „Ist okay. Langsam gewöhne ich mich an diesen scheußlichen Tee.“ „Dann trink hin und wieder einen Schluck. Das Zeug ist furchtbar gesund. Es heilt von innen.“ Florian verzog angewidert das Gesicht. „Na, wenn’s unbedingt sein muss.“ Der Arzt lachte. „Du hast so viel überstanden, dann wirst du es ja wohl schaffen, diesen Tee zu trinken.“ Mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck sah Florian den Arzt an. Er wollte noch etwas sagen, als Kai auf dem Bildschirm erschien. Er blickte in Richtung Fernseher. „Er sieht so müde aus“, seufzte Florian. „Und das alles wegen mir.“ Schneider nickte und legte seine Hand leicht auf Florians Unterarm. „Machen Sie sich keine Vorwürfe. Es bringt weder ihm, noch Ihnen etwas.“ Florian blickte auf seine Bettdecke. Ganz leicht nickte er.
Sofort nach dem Rennen war Kai zu Florian ins Krankenhaus gefahren. Der war überglücklich gewesen, seinen Freund bei sich haben zu können. Doktor Schneider unterrichtete auch Kai über Florians derzeitigen Zustand und der nahm die guten Nachrichten mit einem erleichterten Lächeln auf. Am nächsten Morgen nahm er seinen Freund mit nach Hause. Die folgenden zwei Wochen, bis zum nächsten Rennen, verbrachten die beiden Männer im Haus von Kais Eltern. Kai hatte es offiziell damit begründet, dass Florian dort mehr Ruhe habe, als in Köln. Inoffiziell wollte er seinem Freund die Gelegenheit geben, sich von seinen Eltern zu verabschieden. Die meiste Zeit verbrachte Florian im Garten und spielte mit Susi. Oder er ging mit Kai im angrenzenden Park spazieren. In den wenigen Tagen blühte er regelrecht auf, was vor allem an der guten Pflege durch Kais Mutter lag. Kai sah dies mit Genugtuung. Er entschied sich, zusammen mit Florian, dass er das Rennwochenende auch hier auf dem Anwesen verbringen sollte. Lizzy und Peter Ebel hatten nichts dagegen, also blieb Florian dort. Er war in gewisser Weise sogar froh, nicht allein in ihrer gemeinsamen Wohnung auf Kai warten zu müssen. Und für Kai war es eine Erleichterung, weil er so, ohne schlechtes Gewissen, in Monza bleiben konnte. Als die beiden Männer am Dienstag nach Köln zurück fuhren, fiel der Abschied sehr intensiv aus. Elisabeth Ebel weinte, als das Auto ihres Sohnes verschwand. Ihr Mann legte die Arme um ihren Körper und zog sie an sich heran. „Wir werden Florian nicht wieder sehen“, flüsterte sie leise. „Sag sowas nicht, Mama“, schimpfte Jörg und ging eilig ins Haus. Er wusste, dass seine Mutter Recht hatte, aber er wollte es nicht glauben. Er machte sich, genauso wie seine Eltern, riesige Sorgen um seinen Bruder.
So vergingen die Wochen, die für die beiden Männer noch einen Hauch Normalität bedeuteten. Ende August war das letzte Rennen in Europa und für Kai war es ein Abschied von der Formel 1 - Szene. Er war sich sicher, dass er nicht zurückkommen würde, auch wenn die anderen es nicht wahrhaben wollten. Mit einigen sehr herzlichen Worten verabschiedete er sich von seinen Fans und dankte ihnen für die Treue. Am Abend verabschiedete er sich von den Fahrern, Teamchefs und den ganzen anderen Menschen, die ihm in Laufe der Jahre ans Herz gewachsen waren. „Ich glaube einfach nicht, dass du alles aufgeben willst“, sagte Norbert Haug ernst. „Alles wegen einem Mann.“ „Nicht wegen einem Mann“, sagte Kai mit einem leichten Lächeln. „Sondern wegen meinem Mann. Was immer ich hier verliere, es ist nichts im Vergleich mit dem, was mir durch diese verdammte Krankheit genommen wird. Es tut weh zu gehen, aber ich möchte trotz allem nicht eine Sekunde der letzen Jahre missen.“ Nach etlichen Umarmungen verschwand Kai in seinem Auto und düste davon. Traurig sahen seine Freunde ihm nach. Florian empfing Kai mit einer Einladung ins Kino für den nächsten Abend. Der nahm das gern an.
Es war spät in der Nacht, als Florian und Kai wieder zu Hause waren. „Der Film war genial“, seufzte Florian. Kai nickte zustimmend. „Einfach der Hammer. Richtig cooler Actionstreifen.“ Sie saßen gemütlich zusammengekuschelt im Bett. Florian hatte seinen Kopf gegen Kais Schulter gelehnt und fuhr mit seiner Hand über die nackte Brust seines Freundes. Zärtlich hauchte er ihm einen Kuss auf den Hals. Kai grinste leicht und drehte sich zu ihm um. „Versuchst du etwa, mich zu verführen?“ „Wie kommst du darauf?“, fragte Florian grinsend. Seine Hand wanderte über Kais Bauch und unter die Decke. Der biss sich leicht auf die Unterlippe. Ihm hatten diese Nächte gefehlt. Solange Florian sich nicht wohl gefühlt hatte, hatten sie einvernehmlich auf Sex verzichtet. Kai schloss die Augen, als Florian ihn zärtlich auf den Mund küsste. Er wollte diese Gefühle festhalten. Die Hände auf seinem Körper, seine Zunge, die sanft über seine Lippen strich. Das Kribbeln im Bauch, wenn Florian seinen Körper gegen ihn presste. Er schlang die Arme um seinen Freund und gab sich ganz seinen aufgestauten Gefühlen und seiner Leidenschaft hin. Am Morgen wachte Kai zufrieden auf. Er blickte zu Florian hinüber, der gerade seine Tablette nahm. „Morgen, Schatz“, hauchte er und küsste ihn auf die Schulter. Der drehte sich erschrocken um, lächelte dann aber und lehnte sich gegen Kai. Seine Augen sprachen Bände. Kai spürte, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los?“ „Nichts weiter“, murmelte Florian. Sein Stimme klang ziemlich dumpf. „Leichte Halsschmerzen, Schluckbeschwerden. Es ist normal.“ Ein wenig beruhigter ließ Kai sich wieder in die Kissen sinken. Florian wollte jedoch keineswegs weiterschlafen. Er drehte sich in Kais Armen herum und sah ihn an. Er hauchte ihm kleine Küsse auf den Hals und die Brust. Kai zog eine Augenbraue hoch. „Du bist ja ein richtiger Nimmersatt geworden, seit letzter Nacht.“ Florian sah ihn mit einem frechen Grinsen an und kroch dann weiter nach unten unter die Bettdecke. Kais leichter Widerstand schmolz angesichts von Florians sanften Berührungen wie Schnee in der Sonne. Gegen Mittag lagen die beiden Männer völlig verschwitzt im Bett. Florian atmete stoßweise ein und aus. Kai hatte die Augen geschlossen und die Arme und Beine weit von sich gestreckt. „Werde ich alt?“, fragte er laut. „Wie kommst du darauf?“ „Weil ich das Gefühl habe, gleich einen Herzinfarkt zu kriegen.“ Florian lachte und lehnte sich gegen seinen Freund. „Kommst du mit duschen?“ Kai erhob sich und zog Florian mit hoch. „Nur zu gern.“ Zusammen gingen sie ins Bad und genossen eine gemeinsame Dusche. Danach setzte Florian sich vor den Fernseher und Kai machte etwas zu Essen. „Wenn das Doktor Schneider wüsste, was für Akrobatik du im Bett vollführst. Der würde dir gar nicht glauben, dass du krank bist.“ Florian löffelte den Rest von seinem Essen. „Doktor Schneider hat mir Sport dringendst empfohlen. Ausdauersport im Besonderen.“ Kai lachte auf. „Ich glaube trotzdem nicht, dass er das so gemeint hat.“ „Mir doch egal.“ Er streckte sich und ließ sich auf die Couch fallen. „Das war gut. Du bist der beste Koch, den ich kenne.“ „Und du der charmanteste Lügner“, sagte Kai und räumte den Tisch ab. „Du hast kaum etwas gegessen.“ „Mir fällt das Schlucken so schwer. Machst du mir einen Kamillentee?“ „Sicher, Flo. Mach ich.“ Als Florian an diesem Abend im Bett lag, rief Kai noch bei Doktor Schneider an. Er erzählte ihm von Florian Schluckbeschwerden. „Florian hat Recht, Kai. Es ist völlig normal. Das kommt noch von dem Kaposi-Sarkom. Kamillentee ist im Moment die beste Medizin für ihn. Das lindert die Schmerzen.“ „Hat er Schmerzen?“ „Sehr starke sogar. Allerdings spürt er sie durch das Interferon nicht. Ich könnte das Medikament eigentlich absetzten, da es nicht mehr gegen die Tumorerkrankung gebraucht wird, aber dann könnte er vor Schmerzen nicht einmal mehr aufstehen.“ „Aber das Interferon hat so schlimme Nebenwirkungen. Kann man es nicht ersetzen?“ „Doch, kann man. Aber die Ersatzmittel sind illegal. Das Einzige, was nämlich eine ähnliche Wirkung hat, wäre Morphium. Und das dürfte er nur im Krankenhaus oder unter strenger ärztlicher Aufsicht einnehmen. Und er will es nicht.“ „Sie haben mit ihm darüber gesprochen?“ „Sicher. Aber Morphium ist eine Droge. Sie macht nach wenigen Wochen abhängig.“ „Dann könnte er auch gleich anfangen, sich wieder Heroin zu spritzen.“ Doktor Schneider schwieg kurz. „Was ich jetzt sage, könnte mich meinen Beruf kosten. Ich würde es befürworten, wenn Florian sich in ganz geringen Mengen wieder Heroin spritzt.“ „Wie bitte?“, fragte Kai völlig entsetzt. „Morphium ist wieder eine fremde Chemikalie für Florians Körper. Lange macht der das nicht mehr mit. Das Interferon muss ich spätestens nächste Woche absetzen, sonst würde es ihn umbringen. Seine Atembeschwerden werden dadurch nämlich enorm verstärkt. Heroin jedoch ist für Florian wie ein körpereigener Stoff, da er sich dieses Gift über zehn Jahre selbst verabreicht hat. Es würde ihm nicht schaden, so komisch es klingt. Und es ist der einzige Stoff, der es schaffen kann, seine Schmerzen zu lindern und ihm einen einigermaßen würdigen Tod zu verschaffen.“ Kai schwieg lange. „Sie haben ihm das alles sicher gesagt, oder?“ „Ja.“ „Was sagt er?“ „Er weigert sich strikt, wieder mit dem Drücken anzufangen. Er meinte, dass würde ihm den letzten Rest Selbstachtung nehmen.“ „Ich werde mit ihm reden.“ „Es wundert mich etwas, dass du dafür bist, Kai.“ „Warum? Ich kann es einfach nicht ertragen, dass er leidet. Das Heroin kann ihm nicht mehr schaden, also kann er es doch nehmen. Illegal oder nicht. Es ist so schlimm, ihn nachts vor Schmerzen weinen zu hören. Aber er versucht immer so verdammt stark zu sein.“ „Ich weiß, dass das eine sehr schwere Zeit für euch beide ist. Egal, wie ihr euch entscheidet, ich stehe hinter euch, okay.“ „Danke, Doktor. Ich weiß, was Sie damit riskieren.“ „Du ahnst es, Kai, mehr nicht“, seufzte der Arzt und legte auf. Sehr lange saß Kai in dieser Nacht im Wohnzimmer und grübelte. Irgendwann ging er ins Schlafzimmer, sah nach Florian, schnappte sich seine Jacke und verschwand. Er lief zum Bahnhof und redete mit zweien von Florians früheren Arbeitskollegen. Danach suchte er einen bekannten Dealer auf und kaufte von ihm Heroin. Auch ein Spritzbesteck besorgte er. Mit den Sachen in der Tasche lief er nach Hause.
Als Florian sich am Morgen an den Frühstückstisch setzte, sah Kai sehr übernächtigt und nachdenklich aus. „Was ist los? Und wo sind meine Tabletten?“ „Ich habe gestern Nacht mit Schneider gesprochen. Wir haben uns über das Problem mit deinen Schmerzmitteln unterhalten.“ Leicht verärgert sah Florian Kai an. „Ohne mich zu fragen? Was soll das?“ „Florian, ich habe dich schon sehr oft gefragt, woher die Schmerzen kommen und was man machen kann. Du hast mir nicht ein Mal die Wahrheit gesagt.“ Der senkte den Blick. „Die Möglichkeiten, die Schmerzen zu bekämpfen, gefallen mir alle nicht.“ „Ich verstehe dich ja.“ Kai nahm die Hände seines Freundes in seine eigenen. „Mir auch nicht, aber...“ Er legte Florian seine Packung Interferon vor die Nase. Daneben die Spritze und das Päckchen Heroin. Vollkommen erschrocken starrte Florian das Rauschgift an. Dann Kai. „Du... du hast nichts dagegen? Ich habe so hart gekämpft, um davon los zu kommen. Es war ein so langer Weg bis hierher.“ Kai ging um den Tisch herum und zog Florian in seine Arme. „Ich weiß, mein Schatz. Ich habe es doch miterlebt. Aber ich sehe im Moment nur, wie du leidest. Es gibt keine andere Möglichkeit. Lass dir bitte helfen.“ Florian sah in Kais flehende Augen. Ganz langsam nickte er. „Ruf bitte Doktor Schneider an und frage ihn, ob ich das Interferon einfach absetzen kann.“ Erleichtert schaute Kai Florian an. Er griff zu seinem Handy und sprach kurz mit dem Arzt. Der war ebenfalls erleichtert, dass Florian sich durchgerungen hatte. „Du kannst es sofort nehmen“, sagte Kai, als er sein Handy weglegte. „Aber nur eins. Rein theoretisch könntest du das Interferon auch noch bis Ende nächster Woche schlucken, danach ist es alle und Schneider kann dir keine neuen Tabletten verschreiben.“ Florian griff nach der Spritze. Seine Hände zitterten so sehr, dass er sie kaum halten konnte. „Tu mir einen Gefallen“, flüsterte er. „Gib du es mir. Dann muss ich mir wenigstens nicht vorwerfen, ich hätte aufgegeben.“ Kai nickte widerwillig und spielte den Sündenbock. Er kochte das Rauschgift auf und verabreichte Florian den Schuss. Der war für die ersten Minuten überhaupt nicht ansprechbar. Da er jahrelang clean gewesen war, ging es ihm wie einem Junkie bei seinem ersten Druck. „Wow“, sagte er nach einer Weile. Er schaute Kai an. Seine Pupillen hatten die Größe einer Stecknadel. „Wahnsinn. Nicht ganz so viel beim nächsten Mal.“ „Entschuldige. Ich habe keine Erfahrung damit.“ „Kein Problem. Ich vertrage das schon. Aber das Zeug ist sehr gut. Sehr sauberer, hochdosierter Stoff. Da brauche ich nicht so viel. Außerdem habe ich keine Lust, gleich wieder körperlich draufzukommen.“ Kai blickte ihn verständnislos an. „Entschuldige. Alter Fachausdruck. Ich meine, körperlich abhängig zu werden.“ „Aha.“ Kai hatte die Spritze inzwischen gereinigt und verpackte sie jetzt wieder. „Wieviel Heroin brauchst du?“ „Ein halbes Halbes in zwei Tagen reicht aus. Das ist die Menge, die ein normaler Junkie an einem Tag spritzt. Ich werde sehen, ob es genug ist, um die Schmerzen zu bekämpfen.“ Kai nahm Florians Hände und zog ihn hoch. „Ich bin ganz stolz auf dich, Florian. Ich weiß, wie schwer dir das gefallen ist.“ Ganz zärtlich küsste er ihn.
Obwohl Florian es nicht gern zugab, aber wieder mit dem Heroin anzufangen, war in seinem Fall die einzig richtige Entscheidung gewesen. Er fühlte sich so gut, wie lange nicht mehr. Die Schmerzen waren weg. Seine Atem- und Schluckbeschwerden nahm er nicht richtig wahr. Außerdem schlief er viel besser als sonst. Kai sah das Ganze mit einem kleinen Wermutstropfen. Er hasste Heroin. Aber er war im Moment erleichtert, dass es diese Droge gab und dass sie Florian sein Leben vorerst zurück gegeben hatte. Den ganzen September über hatte Florian Glück. Er konnte die Drogen unregelmäßig spritzen, ohne Entzugserscheinungen zu bekommen. Die bekam er zum ersten Mal, am ersten Wochenende im Oktober. Er spürte das Kribbeln in seinem Körper, die plötzliche Trockenheit im Mund, die leichten Krämpfe. Kai war gerade unterwegs, um ihm neuen Stoff zu besorgen und verspätete sich etwas. Florian wurde nervös. Er bekam Angstzustände. Aber er riss sich insoweit zusammen, dass er sich einfach in die Wanne legte und so versuchte, die Kälte, die sich in seinem Körper eingenistet hatte, zu vertreiben. Als Kai die Wohnung betrat, rief Florian sofort nach ihm. Fragend kam er ins Bad. Als er seinen Freund ansah, wusste er, was mit ihm los war. „Ich habe dir etwas mehr mitgebracht“, sagte Kai, während er Florian die Spritze vorbereitete. Er gab sie ihm und Florian setzte sich den Druck. „Wie ist es?“ „Guter Stoff“, murmelte Florian. „Sehr guter Stoff. Neuer Dealer?“ „Ja. Er hat das Zeug ganz billig verkauft. Ich habe ein Kilo für 5000 gekauft.“ Florian schreckte hoch und starrte Kai mit weit aufgerissenen Augen an. „Du hast ein ganzes Kilo bei dir? Bist du wahnsinnig geworden? Das ist illegal. Wenn dich jemand erwischt, wanderst du für mindestens fünf Jahre hinter Gitter.“ „Ich habe gute Anwälte.“ „Das haben andere vor dir auch schon gesagt.“ Florian sah Kai flehend an. „Sei bitte in Zukunft vorsichtiger. Was soll ich machen, wenn die Polizei dich einkassiert?“ Kai lächelte und umarmte Florian. „Keine Sorge, mein Schatz. Ich lasse dich nicht allein.“
Mitte Oktober verschlechterte sich Florians Zustand wieder rapide. Kai brachte ihn mitten in der Nacht ins Krankenhaus, nachdem er Doktor Schneider aus dem Bett geklingelt hatte. Der Arzt untersuchte Florian sofort. „Wann hast du ihm das letzte Mal Dope gegeben?“ „Er hat sich heute morgen was gespritzt. Wie immer.“ „Er ist körperlich wieder abhängig, oder?“ „Klar. Fast einen Monat hat er es ausgehalten, dann hatte er die ersten Entzugserscheinungen, als ich mal etwas später kam.“ „Erstaunlich lange. Aber er ist sowieso ein zäher Kerl.“ Der Arzt richtete sich auf und Kai und Florian sahen ihn fragend an. „Es sieht nicht sonderlich gut aus, Florian. Dein Körper... wie soll ich sagen... er gibt auf. Er bekämpft den Virus nicht mehr, sondern lässt ihn sich entwickeln.“ „Wie lange habe ich noch?“ Doktor Schneider zuckte mit den Schultern. „Zwei bis vier Wochen. Vielleicht etwas mehr, vielleicht weniger.“ Kai ließ den Kopf hängen. Florian ergriff seine Hand. Dann sah er wieder den Arzt an. „Kann ich nach Hause?“ „Sicher. Ich kann dir nicht helfen. Du hast keine Symptomkrankheiten. Spritz weiter das Dope, sonst bringen dich die Schmerzen um.“ „Aber ich habe seit Wochen überhaupt keine Schmerzen mehr.“ „Weil du ständig Drogen im Blut hast.“ Florian nickte verstehend und verließ gemeinsam mit Kai die Klinik. Ziemlich geknickt gingen sie zu Kais Auto. Auf der Fahrt zu ihrer Wohnung schlief Florian. Kai trug ihn nach oben, da er sich vor Schwäche überhaupt nicht auf den Beinen halten konnte. Es war das letzte Mal, dass Florian im Krankenhaus war. Als Kai ihn nämlich diesmal ins Bett legte, stand er nie wieder richtig auf. Kai kümmerte sich aufopfernd um seinen Freund der immer mehr verfiel. Nach zwei Wochen war der junge Mann nicht mehr als ein Schatten seiner selbst. Er wog noch 42 Kilo und konnte nicht mehr allein laufen. Kai musste ihn füttern, zur Toilette bringen und ihm die Drogen gegen die Schmerzen verabreichen. Oft saß Florian die ganze Zeit auf der Couch und dämmerte mit halb geschlossenen Augen vor sich hin. Kai ließ den Fernseher den ganzen Tag laufen, damit Florian etwas hatte, worauf er sich konzentrieren konnte. Nach diesen zwei sehr schlimmen Wochen ging es Florian plötzlich wieder etwas besser und die beiden Männer wussten, was das bedeutete. Es war vorbei. Florian würde irgendwann wieder von der Krankheit überrollt werden und dann sehr schnell sterben. Doktor Schneider hatte es ihnen genau erklärt und sie immer wieder ermahnt, diese kurze Phase sehr gut zu nutzen. Und das taten die beiden Männer auch. Sie gingen oft aus, ins Kino, in den Zoo oder zu Freunden. Florian verabschiedete sich von den Menschen, die ihm wichtig waren. Es waren jedes Mal sehr traurige Treffen, aber irgendwie war Kai froh, dass Florian noch die Gelegenheit hatte, allen auf Wiedersehen zu sagen. Einer dieser Menschen war Heinz-Harald Frentzen. Als Kai und Florian bei ihm vor der Tür standen, wusste er sofort, was los war. Er ließ sich allerdings nichts anmerken. Tanja kam erst im Laufe des Abends von ihren Eltern zurück. Die vier Freunde saßen lange zusammen und redeten. Als sie sich verabschiedeten, konnte Heinz seine Gefühle kaum mehr verbergen. Mit Tränen in den Augen umarmte er Florian. „Danke für alles, Florian. Du bist ein einzigartiger Mensch. Ich bin froh, dass ich dich kennen lernen durfte.“ Florian schluckte schwer. „Danke, Heinz. Pass bitte, bitte auf Kai auf“, flüsterte er dem Rennfahrer ins Ohr. Der nickte und schloss die Tür. Schluchzend lehnte er sich gegen die Wand. „Es ist so unfair“, murmelte er immerzu. Tanja schlang die Arme um seinen Körper und versuchte, ihm auf diese Weise Trost zu spenden. Florian nahm Kais Hand und drückte sie fest. Der sah ihn fragend an. „Wir waren bei allen“, sagte Florian leise. Kai nickte schweigend. Er hatte schon den ganzen Abend bemerkt, dass es Florian nicht so gut ging wie in den letzten Tagen. Er legte die Arme um ihn und zog ihn an sich heran.
In dieser Nacht konnte Kai nicht schlafen. Stundenlang lag er wach neben Florian und betrachtete ihn. Der war gleich ins Bett gefallen, als sie die Wohnung erreicht hatten. Seitdem schlief er tief und fest. Kai schaltete die Lampe an. Ein schwaches Licht leuchtete den Raum aus. Der Wecker auf Kais Nachttisch zeigt 3:45 Uhr an. Müde rieb sich Kai über die Augen. Florian sah er nicht gut aus. Seine Haut war weiß und sah fast durchsichtig aus. Florians Augen lagen tief in den Höhlen. Seine Atmung war flach und unregelmäßig. Mit dem Finger strich Kai zärtlich über die Wange seines Freundes. „Lass mich nicht allein“, flüsterte er. Doch er sah, dass er Florian diesmal nicht halten konnte. Der wachte kurz vor fünf Uhr morgens auf und blickte Kai verwundert an. „Was ist?“, hauchte er. Sein Stimme war kraftlos und zart wie ein Windhauch. Kai verstand ihn kaum. „Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht nicht geschlafen.“ „Habe ich auch nicht. Ich habe dich betrachtet.“ Warum sollte er jetzt noch lügen? Florian schluckte leicht. Eine Träne lief über seine Wange. Kai beugte sich zu ihm hinüber und strich sie zärtlich weg. „Ich habe Angst vor dem Tod, Kai. Ich war kein guter Mensch.“ „Doch, warst du. Und er weiß das. Er wird dich aufnehmen, glaube mir.“ „Meinst du wirklich?“ „So wie du gekämpft hast, muss er dich nehmen.“ Florian lächelte müde. „Ich liebe dich, Kai. Ich will dich nicht verlassen, aber das zu entscheiden, liegt nicht in meiner Macht.“ „Ich bin einfach dankbar, dass ich so viel schöne Zeit mit dir verbringen durfte“, sagte Kai mit tränenerstickter Stimme. „Ich würde alles tun, um dich halten zu können.“ „Ich weiß.“ Ein Zittern lief durch Florians Körper. „Mir ist so schrecklich kalt.“ Kai zog Florian dicht an sich heran und schlang die Arme um ihn. Unendlich zärtlich hauchte er ihm einen Kuss auf den Mund. Florian kuschelte sich gegen Kai und schloss die Augen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er einschlief. Ganz leise flüsterte er: „Ich liebe dich, Kai.“ Tränen rannen über Kais Gesicht, als er spürte, wie Florian in seinen Armen starb. Sein Gesicht lag auf seiner Schulter und er spürte eine Weile seinen Atem auf seinem Hals, der immer schwächer wurde und schließlich aufhörte. Langsam stand Kai auf und ließ Florian in die Kissen gleiten. Sein Gesicht sah friedlich und entspannt aus. Ein ganz schwaches Lächeln war in seine Mundwinkel eingegraben. Kai tastete mit zitternden Händen nach Florians Puls, fand jedoch nichts, wie er es erwartet hatte. „Nein“, keuchte er und brach dann weinend über dem Leichnam seines Freundes zusammen. „Ich liebe dich so sehr, Flo“, flüsterte Kai in das Ohr seines Freundes. Ein Gefühl baute sich in ihm auf, was ihn innerlich zu zerreißen drohte. Er fand einfach kein Ventil, um es rauszulassen. Schließlich kollabierte er und rutschte neben das Bett. Erst gegen Mittag wurde er wieder wach. Wie in Trance wankte er zum Telefon und rief Doktor Schneider an, der versprach, sofort zu kommen. Mit ausdruckslosem Gesicht empfing Kai den Arzt eine halbe Stunde später. Der sah ihn traurig an und ging ins Schlafzimmer. Er untersuchte Florian kurz und ließ dann den Kopf sinken. „Hätte man im Krankenhaus etwas machen können?“, fragte Kai. Erschrocken drehte Schneider sich um. Er stand auf und sah ihn direkt an. „Nein. Nicht das Geringste. Seine Zeit war einfach abgelaufen. Es tut mir unendlich leid, Kai.“ Der nickte leicht und blickte auf den Körper auf dem Bett hinab. „Flo“, flüsterte er leise. „Ich rufe einen Krankenwagen. Man wird ihn ins Krankenhaus bringen.“ Als Kai nicht reagierte, legte der Arzt seine Hände auf seine Schultern und schüttelte ihn leicht. „Hast du mich verstanden, Kai?“ Der sah ihn verwirrt an. Dann jedoch nickte er leicht. „Ich sage den anderen Bescheid.“ Während Kai im Wohnzimmer saß und telefonierte, ließ Doktor Schneider die Leiche von Florian ins Krankenhaus bringen. Er verabschiedete sich kurz von Kai und fuhr der Ambulanz hinterher. Davon bekam Kai jedoch kaum etwas mit. Der saß vor seinem Telefon und hatte den Hörer in der Hand. Nach einer halben Ewigkeit wählte er die Nummer von Heinz. Der ging bereits nach dem zweiten Klingeln ran. „Frentzen“, meldete er sich. „Er ist tot“, sagte Kai sofort. Heinz war ziemlich überfahren. Er brauchte einige Sekunden, um die Nachricht zu verstehen. „Das tut mir leid“, sagte er schließlich. „Schrecklich leid.“ Er kämpfte mit den Tränen, verlor jedoch ziemlich schnell. Tanja setzte sich neben ihn und schaltete den Lautsprecher an. Sie wollte mithören. „Wann ist es passiert?“ „Weiß nicht“, murmelte Kai. „Wie spät ist es?“ „Fast zwei Uhr.“ „Heute morgen gegen fünf. Er ist einfach in meinen Armen eingeschlafen.“ Kai schluchzte. „Mein Gott“, hauchte Tanja leise. Sie sah Heinz geschockt an. „Ich komme zu dir, Kai“, sagte der. „Ich fahre ins Krankenhaus.“ „Auf keinen Fall. Du bist überhaupt nicht in der Lage ein Auto zu bedienen. Warte bitte auf mich. Verstehst du, Kai?“ Nach kurzem Zögern versprach er es und legte auf. Heinz fuhr sofort zu Kai. Drei Stunden später stand er mit ihm in der Leichenhalle der Kölner Uniklinik. Kai stand neben der Bahre, auf der Florian lag und hielt dessen Hand. Pure Verzweiflung stand auf seinem Gesicht. Heinz sah, wie es in ihm arbeitete.
Kai war in den nächsten Tagen wie weggetreten. Heinz hatte sich bei ihm zu Hause einquartiert und passte auf ihn auf. Er sah aber auch, dass keine Gefahr bestand, das Kai eine Kurzschlusshandlung begehen würde. Er hatte es Florian schließlich versprochen und dieses Versprechen war ihm heilig. Heinz kümmerte sich um Florians Beerdigung. Hierbei erhielt er von Kais Familie die größte Unterstützung. Kai Mutter telefonierte sehr häufig mit dem Freund ihres Sohnes und erkundigte sich nach dem Befinden ihres Jungen. Sie war ebenfalls sehr besorgt.
Florians Beerdigung fand am 15. November statt. Es war ein grauer, kalter Tag. Dicke Schneewolken hingen am Himmel und kündigten den nahenden Winter an. Trotzdem war der Friedhof gesäumt von Menschen, die dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen wollten. Hauptsächlich waren Kais und Florians gemeinsame Freunde und Arbeitskollegen anwesend. Kai wurde von Heinz und Michael flankiert, die ständig ein Auge auf ihn hatten. Sie hatten noch nie einen Menschen mit so traurigen Augen gesehen, wie Kai. Vor Kummer gebeugt stand er am offenen Grab seines Freundes und starrte auf den schlichten Holzsarg. Die Trauerfeier hatte bereits am Tag zuvor stattgefunden und zwar in der Kirche, die Florian so oft besucht hatte. Pfarrer Johann hatte eine sehr bewegende Rede gehalten. Auch Kai hatte ein paar Worte gesagt, obwohl er sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten konnte. Mit herzergreifenden Worten hatte er sich von Florian verabschiedet und damit allen Anwesenden noch einmal gezeigt, wie sehr er ihn geliebt hatte. Die Trauerfeier war sogar im Fernsehen übertragen worden, damit auch Florians treueste Fans eine Chance bekamen, sich von ihrem Idol zu verabschieden. Wie durch Watte nahm Kai nach der Beerdigung die Beileidswünsche entgegen. Irgendwann jedoch versagten seine Kräfte. Er klappte einfach zusammen. Heinz und Michael fingen ihn auf, bevor er hinfiel und sich noch weh tat. Sie brachten ihn ins Krankenhaus, wo er für einige Tage stationär behandelt wurde. Als er entlassen wurde, verschwand er für einige Monate spurlos von der Bildfläche. Nur seine Eltern und Heinz wussten, dass er sich in einer kleinen Finka auf Fuerteventura aufhielt. Er ordnete dort seine Gedanken und versuchte sein weiteres Leben ohne Florian zu planen. Nur zur Testamentseröffnung war er kurz in Köln. Es gab keine Überraschungen. Florian hatte Kai alles übertragen, was er besaß. Ohne irgendwelche Wünsche und Auflagen, doch Kai wusste, was er zu tun hatte.
Innerhalb von drei Jahren hatte Kai eine Hilfsorganisation aufgebaut, die heimlich Straßenkindern half, die im Rotlichmilieu ihrer Heimatstädte gelandet waren und raus wollten. Man kaufte sie von ihren Zuhältern frei und gab ihnen somit ihre Freiheit zurück. Sie wurden ausgestattet mit Kleidung, einer Wohnung und Nahrung. Man ließ sie Schulen besuchen, so dass sie in ein normales Leben zurück finden konnten. Kai arbeitete meist auf der Straße, redete mit jungen Strichern und Prostituierten und versuchte sie zu überzeugen, ihrem bisherigen Leben den Rücken zu kehren. Sehr oft legte er sich mit Zuhältern an. In der Unterwelt war bereits nach einigen Monaten ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, aber Kai konnte sehr gut auf sich aufpassen. Seine Freund hörten lange nichts von dem ehemaligen Reporter, außer einigen unsicheren Berichten über seine Arbeit, die hin und wieder in Zeitungen auftauchten. Doch sie waren sich sicher, dass Kai genau das tat, was er tun musste. Im Laufe der nächsten Jahren wurde die Organisation ziemlich bekannt, da Kai einige Kinderbordelle hochgehen ließ und somit ganze Verbrechergruppen vor Gericht brachte. Für die Straßenkinder wurde er zu einem Engel, so wie er es einmal für Florian war. Sie schauten zu ihm auf. Er brachte die Hoffnung in ihr Leben zurück. Die Kinder, denen er half lernten wieder lächeln. Kai jedoch nicht. Hin und wieder fühlte er sich gut, wenn er einen Zuhälter ins Gefängnis gebracht hatte, aber sonst lag immer ein Schatten auf seinem Gesicht.
Über 15 Jahre arbeitete Kai in den Slums dieser Welt, dann gelang einem Zuhälter das, was vor ihm schon viele versucht hatten. Er überraschte Kai in einer dunklen Gasse in Sao Paulo. Kai wusste sofort, dass ihn das Glück diesmal verlassen hatte, als er in die Mündung der Pistole blickte, die der Gangster auf ihn gerichtet hatte. In dem Moment, als der Mann abdrückte, huschte ein Lächeln über Kais Gesicht. Er würde endlich seinen Freund wieder sehen. Die Kugel drang in Kais Körper ein, fuhr in sein Herz. Er fiel, war jedoch bereits tot, bevor sein Körper auf den Boden aufschlug. Helfer fanden Kais Leiche einen Tag später. Ein zufriedenes Lächeln lag auf seinem Gesicht. „Ich habe ihn noch nie lächeln gesehen, seit ich vor sieben Jahren hier angefangen habe.“ Samika Rodzik sah auf den Leichnam ihres Chefs hinab. Ihr Kollege Sami nickte. „Er ist endlich wieder glücklich.“
So nun komm ich endlich dazu, dir hier ein Kommi zu schreiben! Erstmal danke für dieses SUPERGENIALE Geschenk! Ich hab mich Wahnsinnig gefreut, dass Du diese Story extra für mich geschrieben hast!*dich knuddel* Ich fühl mich geehrt, dass mir nun ein Kitty Thompson gehört!*eine Träne wegwisch*
Schade, dass so wenig andere deine F1 Stories lesen, ich find die echt immer genial und spitze geschrieben - sie haben schließlich geschaft, mein Interesse an der F1 zu wecken! Na egal*zwinker* Ich les sie auf jedenfall alle*versprech*
Aber nun zur Story allgemein: Was für eine Story, kommt mir als ersten in den Sinn! Ich kenn ja deine anderen F1 Stories schon, aber ich finde, dass ist die bissher beste, die ich gelesen hab! Wie Du die Situationen aufbaust, die Personen und ihre Charaktere zeichnest, gepaart mit einem Schicksaal, dass einem der Atem stockt - einfach großartig! Wie Du die Liebe zwischen Flo und Kai beschreibst, ist einfach nur genial, süß und romantisch und zum neidisch werden - wenn man leidender Single ist*gg*. Die Aufopferungsvolle Liebe Kais zu Flo, der nie von der Seite Flos gewichen ist, egal wie schwer die Situation war oder wie sich das Schicksal auch gewendet hat - es ist einfach nur gigantisch und gibt mir persönlich den Glauben an die ganz große Liebe zurück. Viele Situatioen zwischen Kai und Flo haben mich zum Weinen, aber auch teils zum Lachen gebracht- Wobei ich doch mehr geweint als gelacht hab...Ich musste ab und an ne Pause einlegen beim Lesen...
Den Pfarrer hast Du spitze gezeichnet*gg* Den mag ich sowas von, den Pfarrer Johannes;)
Ich finds immer wieder lustig, wie Du den Wowi reinbrings*gg* Diese Idee ist echt klasse, sein Outing als feste Komponente einzubauen!Q*Daumen nach oben*
Kais Eltern sind ja einfach nur zum Knuddeln, wo spitze sind die! Die hätt ich auch gern als Eltern;) zumindest manchmal*gg* Ebenso mag ich Kais Bruder, der ist auch cool. Hat der ne Freundin?*gg*Nein war Scherz*lach*
Wo ich große Augen gemacht hab, war die Nacht von Heinz, Kai und Flo - das hast Du echt phänomenal beschrieben, so lebendig und voller Gefühl. Und die Erotik kam auch nicht zu kurz*verschmitzt grins*
Hm, so langsam weiss ich nicht mehr, was ich noch schreiben soll - ausser, dass es ein geniales Geschenk und eine supergeniale Story war!
Danke für das Kommi, ist echt superlieb von dir. Und vielleicht siehst du jetzt, woher manche Grundideen stammen, die ich so in die Kurz-Stories eingebaut habe.
Gummy ist nicht die Einzige, die deine Stories liest. ICH les sie auch. Und zwar sehr gerne. Das beweis ich dir wieder mit einem schonen langen Kommi.
Teil 1
- Schade das Kai schwul ist...der Mann hat Kohle!!!
- Zitat: Ich verlasse mich mal auf deine Meinung, auch wenn die wohl hauptsächlich in deiner Unterhose entsteht.“ ....typisch Mann!! *g*
- Nur Freunde? Da wird doch noch mehr draus.
- Tja man sollte eben nie "handgreiflich" gegenüber Kais Freunden werden. Das hat er nun davon (Daniel). Zu Recht!!!!
- Zitat: „Nimm mit, was du willst.“ ...Flo hats zu wörtlich genommen und klaut. *g*
- Flos Lebensgeschichte -> Ich bin sprachlos; fasungslos
- Endlich hat Flo etwas gefunden nach dem er sich immer sehnte. Ein Freund!!
Teil 2
- Armr Flo, was er durchmachen muss (Entzug)
- Seufz, wie süß. -> Die 2 sind zusammen.
- Ich finds schön, dass Kai Flo vetraut.
- Ich möchte auch so ein Geschenk von Kai bekommen -> VIP Pässe für alle F1 Rennen.
- Schön das Kais Eltern Flo akzeptieren, trotz seiner Vergangenheit.
Teil 3 - Von der Katze beobachtet -> Tz Tz Tz
- Ich heul gleich mit...wo Flo und Kais Vater in der Biblothek sitzen.
- Das obligatorische Tigerfell vor dem Kamin. *lach*
- Warum schneit es nicht bei uns? Da würd ich auch ein Flo Schneemann bauen. Aber bei 1,93m brauch ich ne Leiter (ich bin 1,57m) *kicher*
Teil 4
- Flo ist endlich bei RTL angekommen...hihi
- Bitte lass Flo kein AIDS haben --> NEIN!! Flo hat sich doch angesteckt.
- Ein Heiratsantrag! Wie romantisch...*seufz*
- Niki -> einfach so direkt...süß
Teil 5
- Surer der A.rsch!!! *Kai ich mach mit*
- Kai hat auch wirklich tolerante Eltern, wie sie mit Flos Krankheit umgehen.
- Es wird langsam Zeit, sich von Flo zu verabschieden. *schnief*
- Tanja wird Papa --> was für ein schöner Abend!
Teil 6 - Flo möchte ein Baby -> Ich hätte da auch noch Platz in meinem Bett
- Tante Edith möcht ich gern mal kennenlernen. *g*
- Hui, noch ein schwuler RTL Reporter (Jan Krebs)
- Die Hochzeit ist immer ein Highlight in deinen Stories. *schwärm*
Teil 7
- Sex als Sport? das soll ja bekanntlich helfen. *g*
- zu dem letzten Teil kann ich nicht viel sagen ausser: --> traurig, ergreifend, gefühlvoll, Gänsehaut, nachdenklich (i-wie) --> und ich hab echrt geheult bei dem letzten Abschnitt (sowas mach ich selten bei Stories)