Ne weitere F1-Story. Leider nur die Kurzversion... die längere hab ich nicht mehr auf dem Rechner *fluch*.
Der etwas andere Job
Im heißen Steppenwind bewegten sich die wenigen Blätter, die die Hitze überstanden hatten, langsam. Einige von ihnen fielen zu Boden und starben dort. Doch nicht nur die Blätter starben. Auch die Menschen die hier lebten, teilten dieses Schicksal. Sie wurden vernichtet von ihren Feinden. Vernichtet für eine wahnwitzige, kaum zu erklärende Idee. Ein Mückenschwarm ließ sich auf dem Boden nieder, wurde jedoch Sekunden später wieder aufgescheucht. In der Ferne war das Grollen von Geschützen zu hören. Allerdings wurde es übertönt durch das Rattern der Schnellfeuerwaffen, die die selbsternannten Soldaten in Pakistan trugen. In Wahrheit waren es Männer ohne Hoffnungen und Perspektiven, die ihren Hass und ihre Wut auf ihr Nachbarland richteten. Hier in einem kleinen Dorf im Gebiet Kaschmir herrschte Krieg. Eine blutige Auseinandersetzung zwischen Truppen der Pakistaner und den Milizen der Inder tobte. Jede dieser Gruppen beanspruchte dieses Gebiet für sich. Warum, konnte man nicht genau sagen. Wenn man die teilnehmenden Parteien fragte, ging es um Traditionen und Ehre. Manche Menschen jedoch behaupteten, es ginge eigentlich um Nichts. Nur einige Kilometer felsiger staubedeckter Boden wurden hier mit dem Blut der Kämpfenden getränkt. Und die waren bereit einen wahnsinnig hohen Preis zu zahlen, um ihre Ziele durchzusetzen. Natürlich interessierte sich auch das Ausland für den Stand der Dinge. Amerika und einige EU-Staaten hielten sich bereit, falls ein Eingreifen von außen nötig werden sollte. Schließlich wollte niemand einen Atomkrieg. Das Potential an Atomraketen in den beiden Ländern war enorm und anscheinend waren die Menschen hier auch bereit es einzusetzen. Um die Bevölkerung der westlichen Staaten auf dem Laufenden halten zu können, hatte man einige Auslandskorrespondenten in das Krisengebiet geschickt. Es gab fast 100 von ihnen hier und in der näheren Umgebung. Sie alle arbeiteten für verschiedene Fernsehsender, Nachrichtendienste oder Behörden, doch sie liefen sich nur in den seltensten Fällen über den Weg, so dass im Grunde jeder auf sich allein gestellt war. Dieser Job war ein Spiel mit dem Leben. Man musste Erfahrungen mit Einsätzen solcher Art haben, sonst kam man in einer Holzkiste nach Hause, wenn man Glück hatte. Es gab auch genug Menschen, die in solchen Konfliktgebieten einfach verschwanden. Kai Ebel und Florian König hatten Ahnung von Einsätzen in Krisengebieten. Sie kannten sich seit 1991 und arbeiteten stets als Team. Die beiden Männer wussten durch ihre jahrelange gemeinsame Arbeit, dass sie sich aufeinander verlassen konnten. Einer vertraute dem anderen bedingungslos und das war hier überlebenswichtig. Im Moment lagen sie in einem kleinen namenlosen Dorf auf der Lauer. Zivilbevölkerung gab es hier schon lange nicht mehr. Die Menschen waren geflüchtet, als sich gezeigt hatte, dass hier eine Kampflinie verlaufen sollte. Im Osten verlief ein kleiner Fluss. Er hatte sich in jahrtausendelanger Arbeit durch die Hügellandschaft gegraben. Jetzt bildete er eine natürliche Grenze zwischen den anrückenden Indern und den im Dorf lauernden Pakistanern. Im Dorf selber hatten die tagelangen Kämpfe sichtbare Spuren hinterlassen. Viele Häuser waren beschädigt, ausgebrannt oder eingestürzt. In einem dieser Häuser hatten sich Kai und Florian niedergelassen. Sie wussten, dass es für ihre eigene Sicherheit besser war, sich sowohl von den Pakistanern als auch von den Indern fernzuhalten. Eigentlich waren die kämpfenden Truppen zu beschäftigt, um sich um Reporter anderer Länder zu kümmern, aber manchmal kam es auch zu ungerechtfertigten Verhaftungen, die nicht selten mit einem Todesurteil endeten. Kai kannte einige Leute, denen es so ergangen war. Und er hatte nicht den Wunsch, zu ihnen zu gehören. Die beiden Deutschen waren bereits seit einer Woche hier. Ihre eigentliche Aufgabe war es, die Truppenbewegungen im Auge zu behalten, dafür interessierten sich vor allem die Regierung und die EU, sowie für ihren Heimatsender einige spektakuläre Aufnahmen zu machen. Sie hatten sich gleich nach ihrer Ankunft in Kaschmir in einem alten, ziemlich baufälligen Haus eingerichtet. Zu ihrer eigenen Sicherheit schliefen sie nachts im Keller. Im Haus selber hätte niemand, der vorbei ging, vermutet, dass hier jemand wohnte. Und Kai achtete penibel darauf, dass das so blieb. Er war ein äußerst korrekter und vorsichtiger Mann und diese Einstellung hatte ihm schon einige Male das Leben gerettet.
„Kai, bist du noch wach?", flüsterte Florian, der neben seinem Partner auf dem harten Lehmfußboden lag. „Ja. Was ist los?" Kai drehte sich auf die Seite und sah zu Florian hinüber. Der etwas jüngere Mann blickte ihn an. Sein Gesicht war in dem fahlen Licht, welches eine kleine Petroleumlampe spendete, kaum zu erkennen. In völliger Dunkelheit zu schlafen, war viel zu riskant. Man konnte zu leicht überrascht werden. „Mir ist kalt", klagte Florian mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Kai erwiderte es kurz. „Mir auch", sagte er. „Aber das lässt sich im Moment nicht ändern." Das Krisengebiet lag in einer wüstenähnlichen Umgebung, welche dafür sorgte, dass die Temperaturen nachts erheblich absanken. Tagsüber war es dafür oft unerträglich heiß. „Was machen wir hier eigentlich?", philosophierte Florian nachdenklich. Dann gähnte er. „Über solche Fragen kannst du dir den Kopf zerbrechen, wenn wir wieder zu Hause sind. Schlaf jetzt lieber", erwiderte Kai mit einem leicht tadelnden Tonfall. Dann jedoch wurde sein Gesicht milder. Er öffnete seinen Schlafsack und ließ seine Hand zu seinem Freund hinüber wandern. Er spürte erst den kalten Fußboden unter seiner Handfläche, dann Florians Arm durch den Stoff von dessen Schlafsack. „Wir packen das schon", sagte Kai aufmunternd. Er lächelte Florian an. Der nickte, schloss die Augen und schlief wieder ein. Auch Kai schlief ein. Morgen würde garantiert wieder ein verdammt harter Tag werden, da mussten sie unbedingt munter sein.
Kai und Florian arbeiteten bei dem Kölner Privatsender RTL. Kai seit mehr als 15 Jahren, also fast seit Gründung des Senders und Florian seit ´91. Damals hatten sich die beiden Männer in Kuwait kennen gelernt. Florian war Kai noch während des Golfkrieges nach Köln gefolgt und der hatte einige gute Wörter für ihn eingelegt, so dass der Sender ihn schließlich übernahm. Kai hatte ´92 angefangen als Formel 1 - Reporter zu arbeiten, was sowohl vom Sender als auch von Florian ziemlich skeptisch beobachtet wurde. Inzwischen hatte er in diesem Job einen echten Kultstatus erreicht. Florian war ´95 ebenfalls zur Formel 1 gekommen, als man, auf Kais Anraten, anfing, Vor- und Nachberichte zu den Rennen zu senden. Sein Wissen hatte er durch Kai erworben und der Job als Moderator gefiel ihm sichtlich. Und seit er mit Niki Lauda zusammen arbeiten konnte, fühlte er sich wirklich wohl. Es machte ihm Spaß, den ehemaligen Rennfahrer zu ärgern und Niki genoss es jedes Mal wieder, Florian bei irgendeiner Gelegenheit berichtigen zu können. Während der rennfreien Zeit, fünf Monate im Winter, wenn die F1 pausierte, arbeiteten die beiden Reporter jedoch nach wie vor in ihren alten Jobs. Bei besonderen Krisen waren sie manchmal sogar zwischen den einzelnen Rennen irgendwo im Ausland unterwegs und versorgten ihren Sender mit Fotos, Filmen und Berichten. Das war vor allem während der Kosovo-Krise und nach den Anschlägen in Amerika am 11. September 2001 nötig gewesen. Ihre Arbeit, bei den Auslandseinsätzen, hatten sie sich hervorragend aufgeteilt. Kai kannte eine Menge Leute in den verschiedensten Ländern, welche ihnen schon oft geholfen hatte. Außerdem kümmerte er sich um alle organisatorischen Dinge wie Flüge, Essen, Übernachtungsmöglichkeiten und so weiter. Und er beschützte Florian, da er einen Waffenschein besaß und in Krisengebieten auch stets eine Waffe dabei hatte. Meist handelte es sich hierbei um einen sehr leichten Revolver, den Kai mal von einem amerikanischen Armeeangehörigen bekommen hatte. Die Waffe hatte sie schon ein paar Mal aus kritischen Situationen gerettet, doch Kai wusste sehr genau, dass sie ihn und auch Florian in Teufels Küche bringen könnte, wenn sie Ärger mit der Polizei oder den Milizen bekommen würden. Doch er war einfach nicht bereit, sich von ihr zu trennen. An dem Revolver hingen private Erinnerungen, die ihm ziemlich viel bedeuteten. Florian kümmerte sich um die Fotos und Filme und schrieb auch meistens die Berichte. Er war ein hervorragender Fotograf, was selbst Kai neidlos anerkannte. Die Bilder, die er in solchen Gegenden machte, schafften es, den Zuschauern eine Gänsehaut über den Rücken zu treiben. Sie waren nicht aufdringlich, aber voller Emotionen. Man spürte die Gefahr, in welcher der Fotograf geschwebt hatte, als sie entstanden waren und genau das zog die Zuschauer magisch an. Die beiden Männer waren durch ihre Arbeit bekannt, sogar bei der F1 redeten die Menschen manchmal über die Berichterstattungen. Allerdings wollten Kai und Florian vermeiden, dass jemand aus der Formel 1 - Branche erfuhr, was sie taten. Deshalb hielt der Sender ihre Namen auch stets aus den Berichterstattungen raus. Der Einzige, der wusste, was Florian und Kai taten war Heinz-Harald Frentzen. Er war seit über 20 Jahren Kais engster Freund und Vertrauter. Begeistert war er zwar nicht, weil er fand, dass die beiden ihr Leben sinnlos riskierten, aber er akzeptierte ihre Entscheidung. Über Kai hatten Florian und Heinz sich näher kennen gelernt und auch ziemlich schnell angefreundet. Es gab jedoch eine Sache, von der auch Heinz-Harald nichts ahnte. Und das war das wahre Verhältnis, in welchem Kai und Florian seit einigen Jahren zueinander standen. Die beiden Männer hatten offiziell ihre Familien. Was sie jedoch verschwiegen hatten, war, dass sie sich bereits Mitte der 90ziger hatten scheiden lassen. Kai hatte oft Streit mit seiner Ex gehabt, da diese sich betrogen fühlte. Und sie hatte recht gehabt. Kai war ihr untreu gewesen. Es waren jedoch keine Frauen gewesen, mit denen er sich die Zeit vertrieben hatte, sondern ausschließlich andere Männer. Kai hatte immer mehr erkannt, dass ihm in der Ehe mit Natascha etwas fehlte, was ihm keine Frau geben konnte. Irgendwann hatte auch Florian etwas von Kais ‚Veranlagung' mitbekommen. Er war anfangs ein wenig geschockt gewesen, doch er konnte auch nicht ganz leugnen, dass Kai in ihm ein Gefühl wachrief, welches er zuvor nie gekannt hatte. Kai hatte Florian irgendwann gestanden, dass er in ihn verliebt war. Für Florian war eine Beziehung mit einem Mann damals undenkbar und das hatte er Kai auch gesagt. Dieser hatte es akzeptiert, auch wenn es ihm verdammt schwer gefallen war. Mit der Zeit veränderten sich Florians Gefühle für seine Frau. Sie spürte es und trennte sich später von ihm. Eineinhalb Jahre nach Kais Scheidung war auch Florian wieder solo. Kai hatte Florian lange Zeit gegeben, war ihm stets ein guter Freund und Zuhörer und hatte ihm so sehr über diese schwere Phase hinweggeholfen. Doch irgendwann konnte er seine eigenen Gefühle nicht mehr unterdrücken. Er führte ein sehr langes Gespräch mit Florian, welches für die beiden Männer in Kais Schlafzimmer endete. Seit dieser Zeit im Juli ´96, waren sie ein Paar. Und es war ihnen manchmal nicht leicht gefallen, ihr Verhältnis vor den anderen zu verstecken. Das war eigentlich auch der Hauptgrund, warum die beiden Männer sich immer wieder zu gefährlichen Einsätzen hinreißen ließen. In den Kriegsgebieten dieser Welt trafen sie keine Bekannten, die sich an ihrer Beziehung hätten stören können. Hier konnten sie ihre Liebe ausleben, konnten offen miteinander umgehen. Hier brauchten sie keine Angst vor einer Verurteilung durch die Gesellschaft zu haben. Heinz-Harald ahnte etwas von dieser Beziehung. Er wusste schließlich, dass Kai schwul war und die Ehe mit Natascha auf einem riesigen Irrtum beruhte, wie er es gern nannte. Er hatte gemerkt, wie sehr Kai sich verändert hatte, seit er mit Florian zusammen arbeitete. Doch er hatte sich bis heute noch nicht getraut, die beiden darauf anzusprechen, da sie sich in der Gegenwart anderer Menschen total unauffällig benahmen. Das einzige Indiz, welches Heinz für seine Vermutungen fand, war, dass die beiden in einem Mietshaus auf derselben Etage wohnten. Doch Kai hatte dies mit ihrer Freundschaft ziemlich glaubwürdig erklärt. Also hatte er beschlossen, einfach abzuwarten. Wenn er Recht hatte mit seiner Vermutung, würden die beiden sich irgendwann selbst verraten.
Draußen ging die Sonne über der Wüste auf. Es würde wieder ein sehr heißer Tag werden. Hier im Keller war es dunkel und kalt. Durch einige kleine Ritzen und Spalten in der Holztür und im Mauerwerk fielen dünne Lichtstrahlen herein. Staub tanzte in der Luft. Als Florian die Augen aufschlug, hörte er ein leises Geräusch. Langsam richtete er sich auf. Kai saß vor ihm auf dem Boden und hantierte mit irgendetwas herum. Er hatte seinem Freund den Rücken zugewandt und zuckte merklich zusammen, als Florian ihn ansprach. „Was machst du da?", fragte Florian verschlafen. „Ich versuche aus unseren restlichen Vorräten noch etwas zu essen zu machen", antwortete Kai gepresst. Dann drehte er sich um und hockte sich neben Florian. „Morgen mein Schatz." Zärtlich lächelte er ihn an. Florian erwiderte das Lächeln. Dann legte er seine Arme um den Hals des vor ihm hockenden Mannes und zog dessen Kopf zu sich herunter. „Morgen", nuschelte er, bevor seine Lippen auf die seines Freundes trafen. Kai schlang die Arme um Florian und ließ sich auf die Knie fallen. Langsam sanken sie auf den kalten, harten Fußboden. Nach einer halben Ewigkeit trennten sie sich voneinander. „Du solltest dich mal wieder rasieren", sagte Florian mit mildem Tadel. Kai grinste und rieb sich übers Kinn. „Stimmt. Aber ich will nicht nur eine Rasur, sondern gleich ein Fünf-Tage-Bad." Er lag jetzt neben Florian. Der hatte den Kopf auf Kais Brust gelegt. Der leise Herzschlag seines Freundes hatte für ihn etwas Beruhigendes. „Ja, das wäre toll. Irgendwo in einem richtigen Luxushotel." „Mit einem richtigen weichen Bett", setzte Kai seufzend hinzu. Seine linke Hand ruhte auf der Hüfte seines Freundes und glitt jetzt langsam nach unten. Florian schluckte leicht und hob den Blick. Er sah das Verlangen in Kais Augen, die Sehnsucht nach Liebe. Er lächelte und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Nicht hier. Du hast selbst gesagt, es ist zu gefährlich." Kai nickte ergeben und erhob sich. Auch Florian stand auf. Während er nach einigen noch einigermaßen erträglichen Sachen suchte, die er heute anziehen konnte, machte Kai etwas zu essen für sie beide. Er selbst war es gewesen, der beschlossen hatte, dass sie hier besonders vorsichtig sein mussten. Die Pakistaner waren nicht gut auf westliche Reporter zu sprechen. Kai vermutete, dass viele von ihnen Al-Quaida-Terroristen waren und deshalb den Hass, den Osama Bin Laden gesät hatte, in sich trugen. Wie fanatisch diese Männer waren, hatten Florian und Kai schon in Afghanistan zu spüren bekommen. Sie waren damals dabei gewesen, als die Festung Tora Bora erstürmt worden war. Sie hatten gehört, was die Gefangenen von sich gegeben hatten, wie sie über die Opfer der grausamen Terroranschläge in den USA gelacht hatten. Es hatte sie wütend gemacht. Und sie hatten sich beide erschrocken, wie viele Menschen es hier gab, die die westliche Welt von ganzem Herzen verabscheuten. Dieser unbändige Hass war wie ein Pulverfass. Und Bin Laden war jemand, der die Lunte an diesem Fass liebend gern zünden würde. Jetzt war der Terrorführer untergetaucht. Doch Kai hatte den unbegründeten Verdacht, dass er auch hier mitmischte. Von irgendwoher zog er die Fäden und versuchte erneut die Welt in einen tiefen Abgrund zu stürzen.
Nachdem Kai und Florian gegessen hatten, nahm Kai seine Waffe und Florian seinen Fotoapparat und seine Kamera. Vorsichtig schoben sie sich auf dem Boden hockend aus der Tür ihres Hauses, immer darauf bedacht, ja keine Spuren zu hinterlassen. Sie liefen von Hof zu Hof, da es glatter Selbstmord wäre, sich irgendwo auf der Straße sehen zu lassen. In der Nähe einer alten Brunnenanlage ließen sie sich auf den Boden fallen. Florian nahm die Kamera und filmte einige Pakistaner, die auf dem Bauch lagen und über den kleinen Fluss spähten. Er ließ die Kamera in Richtung Gewässer gleiten und sah durch den Sucher die indischen Milizen. Als die Gegner sich entdeckten, kam es zu einem heftigen Feuergefecht. Florian filmte es eine Weile. Als ein Querschläger dicht an seinem Kopf vorbeizischte, ließ er die Kamera schnell sinken und presste sich flach auf den Boden. Er blickte hinüber zu Kai. Der spähte durch sein Fernglas und verzog ärgerlich das Gesicht. „Die Inder gewinnen die Oberhand. Wir sollten einen Stellungswechsel vornehmen." Florian grinste, trotz der gefährlichen Situation, in der sie sich befanden. Kai sah ihn fragend an. „Du redest wie ein Soldat. Warum sagst du nicht einfach: Lass uns verschwinden?" „Hab ich doch", sagte Kai mit seiner besten Unschuldsmiene. „Nur etwas umständlicher." Florian lachte kurz auf, dann wurde er wieder ernst. Er deute auf eine halb eingestürzte Mauer hinter ihnen. „Dort?", fragte er kurz. Kai überlegte, zog seine Waffe und nickte dann. „Lauf", zischte er. Florian dachte nicht lange nach, sondern sprintete los. Kai würde ihm Rückendeckung geben, falls ihn jemand bemerkte. Mit einem eleganten Hechtsprung landete er hinter der Mauer. Vorerst war er hier in Sicherheit. Kai folgte ihm Sekunden später. Er rollte sich neben Florian ab und blickte sich schnell um. „Scheint sich niemand von denen daran zu stören, dass wir hier rumgeistern. Entweder haben sie uns wirklich nicht gesehen, oder sie sind zu beschäftigt." Florian nickte zustimmend. „Zum Glück." Kai behielt Recht. Die Gefechte gingen mit unverminderter Härte weiter. Sie nahmen eher zu als ab. Besorgt schob der Reporter den Kopf über die Mauer. „Die sind heute aber heftig." Er hatte ziemlich leise gesprochen und war von den Kampfgeräuschen übertönt worden. Florian sah ihn fragend an, doch Kai winkte ab. Mitten in der Bewegung erstarrte er für Sekunden. „Runter", schrie er plötzlich und drückte Florian mit seinem gesamten Körpergewicht zu Boden. Ein lautes Donnern ertönte in ihrer Nähe und eine Staubwolke hüllte den gesamten Platz ein. „Was war denn das?", murmelte Florian nach einer Weile. Es war jetzt totenstill auf dem Platz. Keine Waffen bellten und keine Querschläger sirrten durch die Luft. Kai hustete, als er Staub in die Lunge bekam. „Eine Granate", krächzte er. Sein Gesicht war mit Staub bedeckt. „Die fahren langsam die schweren Geschütze auf. Wir sollten darüber nachdenken, unseren Urlaub abzubrechen." Florian erhob sich langsam. Auch er war von dem ockerfarbenen Staub bedeckt, der hier überall lag, beziehungsweise in der Luft schwebte. Er nahm den Fotoapparat in die Hand und sah ihn sich an. Er schien in Ordnung zu sein. Er schob ihn über die Mauer, um ein paar Fotos machen zu können. Der Mund blieb ihm offen stehen. „Kai", flüsterte er erschrocken. Der stand langsam auf. Vorsichtig folgte er dem Blick seines Freundes. „Ups", war das Einzige, was er von sich gab. Er zog eine Augenbraue hoch. „So kann man es auch sagen", murmelte Florian leise, während er einige Fotos schoss. Dort, wo die ramponierte Brunnenanlage gestanden hatte, hinter der die Reporter noch vor wenigen Minuten Schutz gefunden hatten, war jetzt nur noch ein rauchender Trümmerberg zu sehen. Wenn sie sich nicht hinter die Mauer zurückgezogen hätten, wären sie jetzt tot. Kai tippte ihn auf die Schulter und deutete in Richtung Fluss. „Lass uns von hier verschwinden. Mein Indisch ist nicht gut genug, um denen zu erklären, was wir hier machen." Florian sah die sich langsam nähernden Truppen der Inder. Er nickte. Geduckt liefen sie zurück zu ihrem Versteck. Dort verschlossen sie sorgfältig die Tür zum Keller und hofften inständig, dass die Inder sie nicht finden würden.
Erschöpft ließ sich Kai auf seinen Schlafsack sinken. Florian zündete die kleine Petroleumlampe an. „Wir sollten verschwinden. Ich habe genug Material. Außerdem wird es mir langsam zu heiß hier." Kai nickte. „Heute Nacht hauen wir ab." Er verzog das Gesicht und sah an seinem Arm herab. Seine Armeejacke war in Höhe seiner rechten Schulter zerrissen. Der Stoff war rot und glänzte feucht. Florian setzte sich neben Kai. „Scheint nur ein Kratzer zu sein. Einer der Steinsplitter hat dich erwischt." „Glaube ich auch", stimmte Kai zu. Er griff zu einem Sanikasten, nahm ein Fläschen mit einem Desinfektionsmittel heraus und reichte es seinem Freund. Florian goss etwas von der Flüssigkeit auf ein steriles Tuch und tupfte die Wunde ab. Kai verzog das Gesicht. Als Florian fertig war, fragte er: „Willst du ein Pflaster oder einen Verband?" Kai schüttelte entschieden den Kopf. „Brauch ich nicht. Ist nicht so schlimm." „Na wenn du meinst." Florian war da ziemlich skeptisch. Die hygienischen Bedingungen hier waren alles andere als gut. Das roch geradezu nach einer Blutvergiftung. Aber er wusste, dass Kai sich zu nichts überreden ließ, was er nicht wollte. Also sparte er sich die Nerven und wand sich seinem Rucksack zu. „Was tust du?" „Ich packe." Kai nickte. „Ich glaube, wir sollten die Schlafsäcke und die Isomatten hier lassen." Florian sah ihn verwirrt an. „Wenn die Inder hier durchgebrochen sind, kann das auch schon an anderen Stellen passiert sein. Je weniger wir mit uns herumschleppen, desto beweglicher sind wir. Außerdem bezahlt es der Sender." Florian akzeptierte die Erklärung. „Könntest du Recht haben…" Er wollte noch etwas sagen, doch Kai unterbrach ihn mit einer knappen Handbewegung. Er lauschte in die Stille. Leise Schritte waren zu hören, die ziemlich schnell näher kamen. „Mach das Licht aus. Schnell", zischte Kai. Florian tat es. Dunkelheit umgab die beiden Reporter. Mit bis zum Zerreißen gespannten Nerven saßen sie in dem stockdunklen Keller und lauschten den sich nähernden Stimmen. Es waren die indischen Milizen. Sie durchkämmten das Dorf auf der Suche nach Gegnern. Sie durchsuchten ein Haus nach dem anderen und näherten sich dabei ziemlich schnell dem Versteck der beiden Reporter. Kai saß stocksteif auf dem Schlafsack. Nicht einen Muskel hatte er bewegt, seit er die ersten Schritte gehört hatte. Die Situation, in der sie sich im Moment befanden, war sehr gefährlich. Die Inder würden sicher erst schießen und dann fragen, wenn sie die beiden Männer hier fanden. Sie waren zwar keine direkten Feinde der westlichen Welt, doch auch sie schätzen die Einmischung fremder Staaten in ihre Belange nicht unbedingt. Sie brauchten außerdem nicht die geringste Angst vor einer Strafe zu haben. Niemand würde sie hier zur Rechenschaft ziehen. Und es war für sie sicherer zwei Unschuldige zu erschießen, als sie laufen zu lassen und später festzustellen, dass es Spione ihrer Feinde gewesen waren. Florian saß genauso steif da, wie Kai. Nur war er lange nicht so abgebrüht wie sein Freund. Er hatte Angst. Und er schaffte es kaum, sie zu unterdrücken. Er hörte das Schlagen seines eigenen Herzens. Es kam ihm so erschreckend laut vor. Dazu das Stampfen der Stiefel, welche die Inder trugen. Ein Mann bellte einen Befehl. Die Truppe schwärmte in verschiedene Richtungen aus. Schritte näherten sich der Tür, hinter der sich die Deutschen verbargen. Sie kamen langsam näher. Florian betete, dass sie alle ihre Spuren richtig verwischt hatten. Jetzt verstand er, warum Kai immer so darauf bestanden hatte.
Draußen standen zwei Soldaten direkt vor der Tür, die in den dunklen Keller führte. Sie rechneten nicht wirklich damit, hier jemanden zu finden, doch ihr Kommandant hatte ihnen den Befehl erteilt alles zu durchsuchen und sie taten es. Einer der beiden streckte die Hand zur Klinke aus, um die Tür zu öffnen. Der andere gab ihm Feuerschutz. Gerade als der erste die Klinke runterdrücken wollte, wurde es draußen laut. Man hatte zwei Pakistaner aufgescheucht. Befehle wurden geschrieen, Schüsse ertönten. Nachdem man die Gegner erschossen hatte, gingen die Männer weiter. Die Kellertür war vergessen.
Kai und Florian spürten die Anwesenheit der Feinde vor der Tür. Durch die Ritzen sahen sie das sich verändernde Licht. Sie waren zwar extrem dünn, doch die Schatten der davor stehenden Soldaten zeichneten sich dennoch ab. Plötzlich Geschrei, Schüsse. Die Reporter waren unwillkürlich zusammengezuckt. Mit einer unglaublichen Erleichterung hörten sie, wie die Soldaten sich entfernten. Kai sank nach hinten auf seinen Schlafsack. Einige Male atmete er tief durch. Sein verkrampfter Körper entspannte sich wieder. Langsam erhob er sich. „Flo?", fragte er in die Stille. Keine Antwort. Kai tastete um sich, fand die Lampe und ein Feuerzeug und zündete sie wieder an. Florian hockte nach wie vor auf dem Boden. Sein Gesicht war kalkweiß. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Kai ging die zwei Schritte nach vorn, die sie beiden trennten und legte die Arme um seinen Freund. Er spürte sein Zittern. „Ganz ruhig, Flo. Es ist vorbei. Sie sind weg." Vorsichtig strich er ihm über den Kopf. Der warf sich so plötzlich in Kais Armen herum, dass der das Gleichgewicht verlor und ziemlich unsanft auf seinem Hinterteil landete. Er hörte Florians leises Schluchzen. Nach einer Weile beruhigte der sich wieder. Er hob seinen tränenverschleierten Blick. „Das war ziemlich knapp", sagte er mit belegter Stimme. Kai nickte zustimmend. „Etwas zu knapp." „Was hätten die…" Kai schüttelte den Kopf und legte Florian sanft einen Finger auf die Lippen. „Über solche Sachen solltest du nicht nachdenken. Sie haben uns nicht erwischt, das ist die Hauptsache." Er stand auf und zog Florian mit hoch. „Komm, wir legen uns hin. Heute Nacht verschwinden wir von hier." Florian lächelte dankbar. „Ich glaube, ich werde zu alt für solche Spielchen." Er ließ sich auf seinem Schlafsack nieder und sah Kai dabei zu, wie dieser ihr Essen zubereitete. Ihre Vorräte waren so gut wie erschöpft. Ihre Trinkwasserreserven ebenfalls. Es war Zeit, nach Hause zu fahren. In acht Tagen mussten sie in Budapest beim nächsten Rennen sein. Die Sommerferien, wie die knapp drei freien Wochen bei den Fahrern genannt wurden, waren so gut wie vorbei. Florian freute sich auf seinen alten, ruhigen Job, genauso wie Kai. ‚In einem Studio zu sitzen, ist halt doch nicht so gefährlich wie das hier', dachte er.
Mitten in der Nacht wurde Kai durch das Piepsen seiner Uhr geweckt. Müde rieb er sich die Augen. Neben ihm regte sich Florian. „Wie spät ist es?", murmelte er im Halbschlaf. „Kurz nach 23 Uhr. In ungefähr zwei Stunden sollten wir aufbrechen. Der Weg bis nach Kamscha ist ziemlich weit." Florian rollte sich auf die Seite und legte den Kopf auf seinen Arm. „20 Kilometer quer durch die Wüste. Das wird hart." „Und heiß. Darum will ja schon mitten in der Nacht los. Da ist es auch nicht so gefährlich." Kamscha war eine kleine Stadt im Nordwesten ihres derzeitigen Standpunktes. Dort hatten Florian und Kai bei ihrer Ankunft ihren Jeep gelassen. Es wäre viel zu riskant gewesen mit einem Auto hierher zu kommen. Darum hatten sie sich für ihre Herreise zwei Pferde besorgt. Da sie die Tiere leider nicht versorgen und verstecken konnte, hatten sie sie wieder freigelassen. Der Marsch zurück zu ihrem Wagen würde sehr hart werden, aber sie waren beide ziemlich gut in Form. Das war eine Notwendigkeit um hier zu überleben. Kai war früher Boxer gewesen und trainierte auch jetzt noch regelmäßig mit Heinz zusammen. Auch Florian beteiligte sich manchmal. Er hatte Sport studiert, es aber abgebrochen, als man ihm den Job als Auslandskorrespondent angeboten hatte. Kai nahm den kläglichen Rest des Trockenzwiebacks aus seinem Rucksack und setzte sich dann zu seinem Freund. Zusammen aßen sie etwas. Als sie fertig waren, packten sie ihre Sachen sorgfältig zusammen. Die Schlafsäcke und Isomatten ließen sie liegen. Sie würden sie hoffentlich nicht mehr brauchen. Kai und Florian ließen sich erschöpft auf Kais Schlaflager fallen. Florian kuschelte sich gegen seinen Freund und schloss die Augen. Kai schlang die Arme um dessen Körper und blickte kurz auf seine Uhr. „Wir haben noch eine Stunde Zeit." „Nicht sehr viel", murmelte Florian. Kai stieß ihn leicht in die Seite. „Hey, nicht wieder einschlafen." „Ich bin so erschöpft." Florian öffnete die Augen und sah Kai an. Der nickte mitfühlend. „Ich weiß. Ich will auch nur noch nach Hause und eine Woche durchschlafen." Florian legte sich anders hin und kam dabei an Kais Wunde. Kai stöhnte auf. „Entschuldige. Die hatte ich ganz vergessen." Florian stand auf, setzte sich auf Kais Oberschenkel und nahm die Lampe hoch, um sich die Verletzung noch einmal ansehen zu können. „Die hat sich ganz schön entzündet, mein Lieber. Da hat Dr. Maier einiges zu tun, wenn wir nach Hause kommen." Kai nickte bestätigend. Er sah Florian dabei zu, wie der die Wunde erneut desinfizierte und nun doch ein Pflaster darauf klebte. „Danke", sagte er leise. Florian lächelte ihn an. Sein Gesicht näherte sich langsam dem seines Freundes. Ihre Lippen berührten sich sanft. Beide schöpften aus dieser Geste der Zuneigung neue Kraft. Kai lehnte sich gegen die Wand des Hauses. Florian schlang die Arme um dessen Körper. Er spürte Kais Hände, die unter seine Sachen glitten und schließlich auf seinem Rücken hin- und herstrichen. Diese Berührungen hinterließen eine Gänsehaut bei ihm. Er schloss die Augen. „Tut mir leid, dass ich vorhin so ausgerastet bin", murmelte er leise. „Ist doch nicht schlimm." Kai zog ihn dichter an sich heran. „Wir waren aber schon oft in Gefahr. Ich weiß nicht, was mit mir los war." Florian hob den Blick und sah Kai fast flehend an. Der rutschte etwas an der Wand nach oben und sah zu seinem Freund hinab. „Flo, das war eine ganz normale Reaktion. Bei der Armee nennt man das Fallensyndrom. Wir sind beide Menschen, die handeln müssen, wenn etwas nicht stimmt. Wir versuchen es in Ordnung zu bringen. Das war hier aber nicht möglich. Wir hätten nicht mal wegrennen können, wenn die uns entdeckt hätten. Und das hat bei dir eine Art Schockreaktion ausgelöst." „Wenn du das so zerpflückst und analysierst, klingt es plötzlich völlig… normal." Kai grinste. „Ist es im Grunde auch. Schau dir doch bloß mal an, unter welchem Stress wir in den letzten eineinhalb Wochen gestanden haben. Da passiert so was schon mal." Florian nickte. „Ja", sagte er dann halb anklagend. „Aber nur mir. Du wirkst in solchen Situationen immer so cool und abgebrüht." „Das sieht nur so aus. In Wirklichkeit hab ich gezittert wie Espenlaub." Zärtlich strich er Florian über die Wange. „Aber ich musste dich doch beschützen." Der sah seinen Freund an, schob sich hoch und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Danke dafür." Kai lächelte breit. „Kein Problem." Er blickte auf seine Uhr. „Komm, lass uns verschwinden." Florian nickte und erhob sich. Er ging zu seinem Rucksack, nahm ihn hoch und schaute Kai an. Der stand ebenfalls reisefertig hinter ihm und leuchtete mit der Lampe noch einmal den kleinen Keller aus. Dann nickte er zufrieden, löschte das Licht und ging Richtung Tür. Die Lampe ließ er ebenso zurück wie die Schlafsäcke, Isomatten und einige andere Sachen, die sie nicht mehr brauchen würden.
Vorsichtig bewegten sich die beiden Reporter durch die engen Straßen des Dorfes, die teilweise von Schutt und Geröll bedeckt waren. Zwei Mal schon hatten sie Streifen der Inder aus dem Weg gehen müssen. Doch bis jetzt war ihnen das Glück hold gewesen. Niemand wusste, dass sie hier waren und sie hofften inständig, dass das so bleiben würde. Nach einer Stunde hatten sie das Dorf verlassen und liefen jetzt durch die hüglige Landschaft. Kai legte dabei ein ziemliches Tempo vor. Er wollte unbedingt so viel wie möglich schaffen, bevor die Sonne in zwei Stunden aufgehen würde. Danach würde es hier draußen unerträglich heiß werden. Und Pausen konnten sie sich nicht leisten, da sie überall mit Kämpfen rechnen mussten. Florian schwitzte. Sein Atem ging ziemlich keuchend. Er hatte zwar eine recht gute Kondition, aber gegenüber Kais Forderungen versagte sie kläglich. Er blieb kurz stehen, zog seine Jacke aus und stopfte sie in seinen Rucksack. Kai blieb ebenfalls stehen. „Geht’s noch?", fragte er. Florian nickte. „Klar. Mir ist nur warm." „Wir können eine Rast einlegen, sobald wir die Hügelkette hinter uns haben. Vorher ist es zu gefährlich." Mit seinem Nachtsichtgerät suchte Kai die schroffen Felsen ab, die hervorragende Verstecke boten. Er fühlte sich beobachtet. Florian sagte er nichts von seiner Vermutung, er wollte ihn nicht beunruhigen. Bevor sie weiterliefen, zog auch Kai seine Jacke aus. Aus seinem Rucksack nahm er die Pistole und steckte sie in seinen Hosenbund. Florian sah es und zog eine Augenbraue hoch. „Rechnest du mit Schwierigkeiten?" „Keine Ahnung", gab Kai zu. „Ich habe nur so ein blödes Gefühl." Florian nickte. Dann gingen sie weiter. Sie bewegten sich unterhalb eines Felsvorsprunges entlang, der sich wie ein Dach über ihnen spannte und sich über mehrere Kilometer hinzog. Kai gefiel das überhaupt nicht. Er fühlte sich wie ein Kaninchen in der Falle. Er wurde immer unruhiger. Gegen 4:30 Uhr ging die Sonne auf. Da sie sich Richtung Westen bewegten, lag die aufgehende Sonne in ihrem Rücken. Vor sich in den Felsen sah Kai plötzlich etwas aufblitzen. ‚Scheiße', dachte er und drehte sich um. „Runter", schrie er Florian zu, der ihn verwirrt anblickte. In diesem Moment ertönten einige Schüsse, die von den Bergen zurückgeworfen wurden. Kai lag auf dem Boden und hatte den Kopf zwischen die Arme gepresst. Einige Kugeln schlugen in seiner Nähe ein. Plötzlich schrie Florian auf. Eine heiße Welle der Angst schoss durch Kais Körper. Er wollte den Kopf heben, als wieder Kugeln neben ihm einschlugen. Also blieb er steif auf dem Boden liegen. Erst als das Feuer aufhörte, hob er vorsichtig den Kopf. Nichts geschah. Niemand schoss auf ihn. Er stemmte sich auf die Knie und wollte aufstehen. Erst jetzt spürte er, wie sehr er zitterte. Nach zwei Versuchen stand er. Den Rucksack hatte er abgestreift und neben sich auf den Boden gestellt. Suchend sah er sich um. Einige Meter von ihm entfernt lag Florian zusammengekrümmt auf dem Boden. Seine Hände hatte er auf seinen linken Oberschenkel gepresst. Mit Schrecken sah Kai das Blut, welches zwischen seinen Fingern hindurchsickerte. „Flo", sagte er, rannte zu ihm und ließ sich neben ihn fallen. Er drehte seinen Freund auf den Rücken. Florians Gesicht war schweißbedeckt und schmerzverzerrt. Mit leicht glasigem Blick sah er Kai an. Der nahm Florians Hände von der Wunde und sah sie sich an. Florian stöhnte auf, als Kai das Bein berührte. „Ganz ruhig", sagte Kai mit belegter Stimme. „Es ist nur ein Streifschuss." „Nur?", krächzte Florian. „Mir reicht es." Er verzog das Gesicht. „Wir müssen hier weg…" Kai schüttelte den Kopf. „Das hat keinen Sinn. Sie kriegen uns sowieso. Ich hoffe, es sind Pakistaner." Florian sah Kai entsetzt an. „Und du meinst, die helfen uns?" „Nein. Die Inder aber auch nicht. Und mein Arabisch ist um Längen besser als mein Indisch." „Du solltest Indisch unbedingt noch lernen." „Ich weiß nicht, ob in meinem Kopf noch Platz ist für eine weitere Sprache." „Wie viele kannst du jetzt eigentlich?" „Oh. Ich zähle bei Gelegenheit mal nach. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir in den nächsten Tagen genug Zeit für solche Sachen haben werden." Florian schluckte leicht. Er trank einen Schluck aus seiner Wasserflasche und nickte. Dann sah er Kai erschrocken an. „Mensch, deine Waffe." Kai zuckte zusammen. Er nahm sie widerwillig in die Hand, sah sich um und schob sie in eine Felsnische. Er wollte sich nicht von ihr trennen, doch wenn die Gegner die bei ihm gefunden hätten, wären sie garantiert sofort erschossen worden. „Die hatte ich total vergessen", murmelte er. „Tja, wenn du mich nicht hättest." Kai lächelte. „Diesmal hast du Recht." Ihre Hände berührten sich leicht. Dann sah Florian auf. „Sie kommen. Dreh dich mal langsam um." Kai tat es. Sehr darauf bedacht, keine unüberlegten Bewegungen zu machen. Er wollte diesen Tag gern überleben. Vier Männer mit Bärten kamen auf die Reporter zu. Sie hatten alle Waffen in den Händen. „Kalaschnikows", zischte Kai Florian zu. „Das sind tatsächlich Al-Quaida-Mitglieder." „Nicht gut", murmelte Florian. „Überhaupt nicht gut." Kai schwieg und sah sich die Männer an. Einer ging voraus, wahrscheinlich ihr Anführer. Er war ein Mann Mitte 50. Seine Augen leuchteten wachsam und eiskalt. Eine lange Narbe lief über sein Gesicht. Die anderen drei waren jünger, ungefähr in Kais und Florians Alter. Alle trugen lange ockerfarbene Gewänder, durch die sie mit der Umgebung zu verschmelzen schienen. Der Anführer sah zu Florian hinüber und grinste leicht, als er das Blut sah. Er erkannte, dass von diesem Mann keine Gefahr für ihn und seine Leute ausging. Dann wand er sich Kai zu. Schweigend sah er ihn an. Kai hatte Angst vor diesem Mann. Aber auch Respekt. Er schaffte es, dem Blick standzuhalten. „Das sind keine Inder", stellte der Pakistaner schließlich fest. Kai schluckte den Kloß hinter, der sich in seinem Hals gebildet hatte und sagte dann auf Arabisch: „Nein, wir sind Deutsche." Der Pakistaner sah Kai erstaunt an. Er hatte nicht erwartet, dass dieser ihn verstehen würde. „Wo haben sie Arabisch gelernt?" „Während des Golfkriegs in Kuwait." „Sind Sie Soldat?" „Nein, Reporter." Der Pakistaner verzog das Gesicht. „Reporter", murmelte er. „Das werden wir noch genauer klären. Stehen Sie auf und nehmen Sie Ihre Sachen. Sie werden uns begleiten." Kai nickte. Er warf Florian einen besorgten Blick zu. Wenn der Pakistaner der Meinung war, dass ein Verletzter eine Last für ihn war, würde er ihn gnadenlos erschießen. Doch der Anführer hatte anscheinend andere Ideen. Er befahl zweien seiner Leute Florian zu helfen. Die zogen ihn relativ behutsam auf die Beine. „Seid vorsichtig mit ihm, vielleicht brauchen wir ihn noch." Während er diese Worte gesagt hatte, hatte er Kai angeblickt. Der war unter dem forschenden Blick regelrecht zusammengezuckt. „Ich heiße Achmed und bin der Kommandant einer kleinen Einheit hier in den Bergen. Unser Hauptquartier ist in Kamscha und dorthin werden wir sie jetzt auch bringen." Kai stellte sich und Florian vor. Innerlich war er froh, dass die Pakistaner sie zu ihrem ursprünglichen Zielort bringen wollten. Wenn er es schaffte, den Kommandanten davon zu überzeugen, dass sie harmlos waren, konnten sie von dort zum nächsten Flughafen fahren und nach Hause fliegen.
Mit einem Militärjeep, der in einer Felsnische versteckt worden war, brachte die Gruppe ihre beiden Gefangenen nach Kamscha. Kai beobachtete Achmed die ganze Zeit. Dieser bemerkte die Blicke und erwiderte sie. „Was halten Sie von mir, Kai?" Kai schluckte kurz. „Sie sind ein geborener Soldat. Direkt, zielorientiert und eiskalt. Um Ihre Ziele zu erreichen, gehen Sie über Leichen, da Sie an das glauben, was Sie tun." Ein Funken von Anerkennung spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. „Sie sind ein guter Analytiker. Merken Sie sich gut, was Sie eben gesagt haben. Es könnte Ihnen das Leben retten." Dieser Satz bedeutete Kai sehr viel. Es bewies ihm, dass er nicht vorverurteilt war. Er bekam eine Chance, Achmed von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen. Doch im Moment interessierte er sich mehr für Florian. Der lag auf der Ladefläche des Jeeps und wurde ziemlich durchgeschüttelt. Kai wand sich wieder Achmed zu. „Darf ich zu ihm nach hinten?" Achmed überlegte kurz. „Sie würden nicht fliehen, wenn ich Sie aufstehen lasse, oder? Sie würden ihn doch nicht allein hier lassen?" Kai schüttelte den Kopf und sah Achmed fest in die Augen. Der nickte leicht. „Gut, gehen Sie zu Ihrem Freund." Kai nickte und kletterte über die Lehne seines Sitzes auf die Ladefläche. Er ließ sich neben Florian auf die Knie nieder. Dann nahm er seine Jacke aus seinem Rucksack und stopfte sie unter dessen Kopf. Florians Jacke legte er unter dessen Bein. Als er es anhob, stöhnte Florian gequält auf. „Ganz ruhig", murmelte Kai. „Ich mach es dir etwas bequemer." Florian hatte bis jetzt mit geschlossenen Augen dagelegen und öffnete sie nun um einen Spalt breit. „Haben wir eine Chance, hier wieder raus zu kommen?" Kai strich ihm einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Während er antwortete, nahm er das Medikit und suchte nach einem sterilen Tuch und einer Binde. Damit verband er notdürftig Florians Wunde. „Eine weitaus größere als ich zu hoffen gewagt habe. Achmed ist kein Killer. Nur ein ziemlich guter Soldat." Der Kommandant drehte sich um, als er seinen Namen hörte. Kai wiederholte noch einmal auf Arabisch, was er eben gesagt hatte. „Er würde uns sofort töten, wenn er glaubt, dass es ihm helfen würde, sein Ziel zu erreichen." „Ja." Kai sah seinen Freund ernst an. Der schloss seine Augen wieder und schlief ein. Kai stopfte sich seinen Rucksack in den Rücken und versuchte es sich auf dem schwankenden Jeep einigermaßen bequem zu machen.
Sie kamen gegen Mittag unbehelligt in Kamscha an. Die Soldaten brachten ihre Gefangenen in eine Art Zelle. Es war ein altes, ziemlich dunkles Verlies. Es war vielleicht drei x vier Meter groß und hatte ein kleines Loch, welches als Fenster diente. Zwei Holzpritschen waren darin aufgestellt. Florian wurde auf eine der Pritschen gelegt. Kai stand neben ihm. Ihre Rucksäcke und ihre Jacken waren von den Soldaten beschlagnahmt worden. Kai ging zu Florian hinüber, setzte sich ans Kopfende von dessen Lager und zog seinen Freund in seine Arme. Vorsichtig bettete er dessen Kopf in seinem Schoß. Florian schlief fest. Sein Verband war an einer kleinen Stelle bereits rot verfärbt. Die Wunde blutete also immer noch. Kai machte sich ernsthafte Sorgen um seinen Freund. Florians Gesicht war kalkweiß und von einem dünnen Schweiß- und Schmutzfilm überzogen. Seine Haare waren nass und strähnig. Als Kai seine Hand auf die Stirn seines Freundes legte, spürte er, wie heiß sie war. „Du bekommst Fieber, Flo", murmelte er. „Das gefällt mir überhaupt nicht." Er gähnte. Die Strapazen der letzten zwei Wochen machten sich auch bei ihm breit. Müde schloss er die Augen.
Einige Stunden später wurde Kai von einem Quietschen geweckt. Es war ein Wachposten. Er brachte Kai und Florian ihre Jacken und Rucksäcke zurück. Ohne ein Wort zu sagen, verließ er die Zelle wieder. Kai nahm seinen Rucksack und wühlte darin herum. Er zog seine Wasserflasche heraus. Die Soldaten hatten sie aufgefüllt. Zweifelnd roch Kai daran. Dann jedoch siegte der Durst und er nahm ein paar Schlucke. Er ging wieder zur Pritsche und weckte Florian. Der blinzelte ihn verschlafen an. Kai setzte ihm die Flasche an die Lippen und er trank begierig. „Das tat gut", murmelte er hinterher. Kai wickelte vorsichtig den Verband von Florians Bein ab. Er verzog das Gesicht. „Kein Wunder, dass du Fieber hast, die Wunde hat sich ziemlich entzündet." Besorgnis spiegelte sich in seinen Augen. „Ich fürchte, ich muss die Wunde desinfizieren." Florian zitterte. Es tat so schon höllisch weh. Kai sah es. „Tut mir leid, Flo, aber es muss sein." Florian nickte leicht. „Schon klar." Dann sah er Kai flehend an. „Schlag mich vorher K.O." Kai glaubte sich verhört zu haben. „Wie bitte?" „Du hast mich schon verstanden. Du warst doch früher Boxer." „Normalerweise verprügele ich aber keine Freunde." „Kai bitte, ich habe so schon wahnsinnige Schmerzen. Und…" Florians Stimme versagte. Tränen liefen über seine Wangen. „Schon gut, mein Schatz. Wenn du möchtest, tue ich es natürlich." Kai wischte die Tränen weg und küsste Florian kurz auf den Mund. Der lächelte und schloss die Augen. Kai atmete noch einmal tief durch, holte aus und verpasste seinem Freund einen Kinnhaken, der ihn für einige Stunden ins Reich der Träume schicken würde. Dann desinfizierte er die Wunde und verband sie neu. Als er damit fertig war, legte er sich auf seine Pritsche und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen wurde er von einem Soldaten ziemlich unsanft geweckt. „Stehen Sie auf. Achmed will mit Ihnen reden." Im Hinausgehen blickte Kai noch einmal kurz zu Florian hinüber. Der schlief nach wie vor. Der Mann, der Kai geweckt hatte, führte ihn eine Treppe hoch und einen langen Gang entlang. Vor einer Tür blieb er schließlich stehen. Als er klopfte, kam ein gedämpftes ‚Herein' von drinnen. Der Mann öffnete die Tür und schob Kai in das Zimmer. Kai sah Achmed und zwei weitere Soldaten. Achmed saß hinter einem schlichten hölzernen Schreibtisch, der an einem Fenster stand. Die beiden Posten standen rechts und links von ihm und hatten ihre Kalaschnikows im Anschlag. Der Raum war größer und viel heller als das Verlies, in dem der Reporter die Nacht verbracht hatte. Er blinzelte, als ihn die Sonne blendete. Hier drin war es heiß im Gegensatz zu ihrer Zelle, die ja halb unter der Erde lag und dementsprechend kühl war. Achmed deutete auf einen Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. „Setzen Sie sich, Kai." Kai tat es. Die beiden Posten gingen auf ihn zu und stellten sich neben ihn. Kai spürte die drohende Gefahr, die von den beiden ausging. Achmed wollte sicher nicht nur reden, da war Kai sich sicher. Er würde ihn einem ziemlich schmerzhaften Verhör unterziehen. „Sie sind nicht der erste Reporter, der hier aufgetaucht ist. Das können Sie sich sicher vorstellen." Kai nickte. „Wir haben leider die Erfahrung gemacht, dass manche Ihrer Kollegen noch einen kleinen Nebenverdienst als Spione für die Gegenseite hatten." Kai schluckte. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz, was ich von Ihnen halten soll." Er stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Vor Kai blieb er stehen. „Sie sind klug, sprechen perfekt Arabisch und haben die Umsicht eines Diplomaten. Jeder Geheimdienst würde Sie gern nehmen. Woher soll ich wissen, dass Sie kein Spion für die Inder sind?" „Mein Indisch ist so schlecht, dass sie mich nicht verstehen würden", sagte Kai. Achmed lachte. „Die Antwort war gut. Aber ich kann sie nicht nachprüfen." Sein Gesicht wurde ernst. Dann ging er wieder hinter seinen Schreibtisch. Er setzte sich und blickte Kai an. Seine Augen durchbohrten ihn förmlich. „Sind Sie ein Spion, der für die Inder arbeitet?" „Nein", sagte Kai fest. Im selben Moment kassierte er einen Schlag ins Gesicht. „Arbeiten Sie für ein anderes Land als Spion?" „Nein." Schlag. „Haben Sie vor, der arabischen Welt auf irgendeine Weise Schaden zuzufügen?" „Nein." Schlag. Das ging so über zwei Stunde. Kais Gesicht schmerzte. Er hatte das Gefühl, dass es aussah wie ein aufgeblasener Ballon. Seine Lippen waren aufgeplatzt und er schmeckte Blut. Jeder neue Schlag war stärker als der vorangegangene. Irgendwann wurde Kai bewusstlos. Achmed gab ihm eine halbe Stunde, um sich zu erholen. Dann ließ er ihn von seinen Soldaten aufwecken und begann das Verhör von neuem. Kai hatte den tiefen Wunsch zurückzuschlagen, doch er wusste, dass man ihn für den bloßen Versuch töten würde. Er musste einfach die Befragung überstehen. Tief in seinem Innersten wusste er, dass Achmed ihn dann gehen lassen würde. Nach weiteren zwei Stunden brach Achmed das Verhör ab. „Es hat so keinen Sinn. Sie sind sehr stark. Wir werden morgen weitermachen." Bevor Kai von den Soldaten in die Zelle zurückgeschleift wurde, wand er sich an Achmed. „Gibt es hier einen Arzt? Die Wunde von Florian hat sich ziemlich entzündet und er hat hohes Fieber." Bedauernd schüttelte der Kommandant den Kopf. „Nein. Unser Arzt ist tot. Sie müssen sich selber um ihn kümmern." Kai nickte und ließ sich von den Soldaten wegbringen. Laufen konnte er kaum. In seine Zelle setzten sie ihn auf seine Pritsche. Bevor sie den Raum verließen, stellten sie noch ein Tablett auf den Boden. Darauf waren Becher mit Trinkwasser und zwei Fladenbrote. Kai ließ sich von der Pritsche gleiten und aß hastig. Er achtete nicht auf die Schmerzen, die jede Gesichtsbewegung verursachte. Als er satt war, nahm er das zweite Brot und schleppte sich zu Florians Pritsche. Der lag noch genauso da, wie heute morgen, als Kai ihn verlassen hatte. Kai nutzte das aus und desinfizierte die Wunde noch einmal. Sie war immer noch sehr entzündet. Dann setzte er sich neben Florian und weckte ihn sanft. Es dauerte lange, bis der die Augen aufschlug. „Meine Güte, bist du eine Schlafmütze", nuschelte Kai. Sprechen konnte er kaum. Florian war jetzt endgültig wach. Er sah Kai geschockt an. Dessen Gesicht war angeschwollen und voller Blutergüsse. „Wie siehst du denn aus?" „Achmed hatte ein paar Fragen an mich. Sei froh, dass du verletzt bist, sonst würde es dir genauso ergehen." „Hurra", sagte Florian ironisch. Dann sah er das Brot in Kais Händen. Kai gab es ihm und er aß langsam. „Wie spät ist es eigentlich?" Kai sah auf seine Uhr. „Es ist Mittag. Kurz nach ein Uhr." Florian machte große Augen. „So lange habe ich geschlafen?" Kai nickte bestätigend. „Wie fühlst du dich?" „Es geht. Das Bein tut ziemlich weh und ich fühle mich sehr schwach." „Das wird schon. Ich päpple dich wieder auf", versprach Kai. Florian lächelte schwach. Er trank noch ein paar Schlückchen Wasser und schloss dann die Augen. Kai wollte gerade aufstehen, als er die leise Stimme seines Freundes vernahm. „Ich liebe dich, Kai", flüsterte Florian. Dann war er eingeschlafen. Kai hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich auch, Flo. Und ich schwöre dir, wir kommen hier wieder raus", versprach Kai. Er legte sich auf seine Pritsche und schlief nach einer Weile auch ein. Nachts wurde er durch Florian geweckt. Der war sehr unruhig und murmelte im Schlaf etwas vor sich hin, was Kai allerdings nicht verstand. Kai wollte aufstehen, sank aber erst einmal zurück. Die Schmerzen, die die Schläge verursacht hatten, waren schlimm. Durch sein Boxtraining konnte Kai eigentlich eine Menge wegstecken, aber das war ein bisschen viel gewesen. Florians erneutes Stöhnen alarmierte Kai. Er zwang sich, aufzustehen und ging zu seinem Freund hinüber. Er legte ihm eine Hand auf die Stirn und erschrak zutiefst. Florian glühte. Kai nahm ein steriles Tuch aus dem Medikit und machte es nass. Dann legte er es seinem fiebernden Freund auf die Stirn. Ein paar Mal erneuerte er es, dann wurde Florian langsam ruhiger. „Halte durch, Flo", flehte Kai ihn mit Tränen in den Augen an. „Ich brauche dich." Er wusste nicht, ob sein Freund ihn gehört hatte, doch er hoffte inständig, dass er es schaffen würde. Er musste einfach durchhalten. Kai machte auch für sich ein Tuch nass und legte es auf sein geschundenes Gesicht, nachdem er sich wieder zu seiner Pritsche begeben hatte. Es tat unheimlich gut. Kai schlief wieder ein.
Am nächsten Morgen war Kai wach, bevor der Soldat ihn holen kam. Er dachte über einen Fluchtversuch nach, verwarf die Idee jedoch sehr schnell wieder. Erstens hatte er nicht die geringste Chance zu entkommen und zweitens hätte er Florian nicht mitnehmen können. Und ihn alleine hier zu lassen, kam für Kai natürlich nicht in Frage. Also setzte er sich zu seinem Freund und harrte der Dinge, die da kommen würden. Florian ging es wieder ein wenig besser. Das Kühlen hatte geholfen. Kai war ungemein erleichtert darüber. Als die Soldaten kamen und Kai mitnahmen, war Florian kurz wach. Mit angsterfülltem Blick sah er Kai nach. Auch der konnte ein Zittern nicht unterdrücken. Achmed wartete bereits auf ihn. Er sah Kai emotionslos an. Die Wachen führten ihn zu dem Stuhl, auf dem er auch gestern schon gesessen hatte. Kai setzte sich und die Soldaten schoben ihn an den Tisch heran. Angst wallte in dem Reporter hoch. ‚Ich hätte nicht so viele Agentenfilme gucken sollen', dachte er in einem Anflug von Galgenhumor. Achmed sah Kai durchdringend an. „Wie geht es Ihrem Freund?" „Heute Nacht hatte er extrem hohes Fieber, doch vorhin ging es ihm besser." „Das sind gute Nachrichten. Wie lange kennen Sie beide sich eigentlich schon?" „Seit über zehn Jahren." „Arbeiten Sie immer zusammen." „Ja." „Sie vertrauen einander also." „Bedingungslos." Achmed nickte zufrieden und Kai war sich nicht sicher, ob es klug gewesen war, diesem Mann alles zu verraten. Doch der Kommandant zerstreute Kais Sorge sofort wieder. „Ich stelle diese Fragen nur, damit ich weiß, ob ich mir die Befragung bei ihm sparen kann." Er überlegte kurz. „Sie denken mit einem Gedanken, wie man bei uns zu sagen pflegt. Ich denke, es wäre Zeitverschwendung, ihn zu verhören." Kai war unglaublich erleichtert. Sie würden Florian also in Ruhe lassen. Andererseits lag jetzt die Verantwortung für ihre beiden Leben in seinen Händen. Und Kai hoffte inständig, dass er durchhalten würde. „Sie hatten jetzt fast 20 Stunden Zeit um sich zu erholen und nachzudenken. Sie sind sich immer noch sicher, dass Sie keine Spione sind?" „Ganz sicher. Nur Reporter." Achmed nickte. „Dachte ich mir. Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn Sie anders geantwortet hätten." Er gab seinen Männern einen Wink. Zwei von ihnen packten Kai an den Schultern und drückten ihn gegen die Stuhllehne. Ein dritter nahm Kais rechte Hand und presste die Handfläche auf den Tisch. Mit seinem ganzen Körpergewicht stemmte er sich darauf. Dann nahm er den kleinen Finger in die Hand und zog ihn langsam nach oben. Kai spürte die immer stärker werdenden Schmerzen. Sie zuckten wie Wellen durch seinen Körper. „Sind Sie immer noch sicher?" „Ja", presste Kai zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Augen hielt er starr auf Achmed gerichtet. Er spürte, wie die Sehnen in seinem Finger überdehnt wurden und schließlich rissen. Ein schmerzerfülltes Stöhnen entfuhr ihm. Als der Knochen letztendlich brach, schrie Kai auf. Tränen schossen in seine Augen und liefen über sein Gesicht. Dort, wo sie auf offene Wunden trafen, brannten sie wie Feuer. Kais Kopf sank auf seine Brust. Achmed stellte erneut seine Frage. Kai schaffte es nicht, zu antworten. Sein Kopf hing nach vorn, seine lädierte Hand lag kraftlos auf dem Tisch. Er brachte ein leichtes Nicken zustande. Achmed nickte kurz. Der Mann, der Kais Hand festhielt, nahm dessen Ringfinger. Die Schmerzen kamen erneut. Nur, dass sie diesmal um ein Vielfaches stärker waren. Kai wand sich auf seinem Stuhl und wünschte sich nichts sehnlicher, als das Bewusstsein zu verlieren. Doch er hielt durch. Erst als man ihm auch noch den Mittelfinger brach, sank er bewusstlos zusammen. Achmed ließ Kai auf dem Stuhl sitzen und wartete, bis dieser wieder wach wurde. Er sah Kai lange an. Der biss die Zähne zusammen und erwiderte den Blick. „Bringt ihn in seine Zelle", sagte Achmed plötzlich. Die Wachen zogen Kai hoch. An der Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. „Wir sind keine Spione. Auch wenn ich persönlich einige Dinge verabscheue, die von der arabischen Welt ausgegangen sind, haben wir nie etwas getan, um dieser Welt zu schaden. Wir sind nur Reporter, die die Menschen in unserem Land aufklären wollen. Nicht mehr und nicht weniger." Dann wand er sich wieder um und wollte mit den Wachen das Zimmer verlassen. Er hörte jedoch noch das gemurmelte ‚Ich fange an, ihm wirklich zu glauben' von Achmed.
In seiner Zelle lag Kai eine ganze Weile zusammengekrümmt auf der Pritsche. Er lag mit dem Rücken zum Raum und weinte. Einerseits vor Schmerzen, andererseits vor Wut. Er war wütend auf Achmed, dass dieser ihn so lange zappeln ließ. Und er war wütend auf sich selber, dass er sich immer wieder in solche gefährlichen Situationen begab. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich erschrocken um. Florian lag auf dem Rand seiner Pritsche und schaute seinen Freund besorgt an. Kai schluckte, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. „Was ist los?", fragte Florian sanft. Kai antwortete nicht, sondern hielt ihm seine Hand hin. „Mein Gott." Ärger wallte in Florian hoch. „Dieser…" Mit einem leichten Lächeln schüttelte Kai den Kopf. „Reg dich ab, Flo." „Was meinst du, was der noch macht?" „Entweder glaubt er mir jetzt, oder er lässt uns erschießen. Er hat sicher gemerkt, dass ich ihm auf keinen Fall sage, was er hören möchte." Angst leuchtete in Florians Augen auf. „Meinst du, er glaubt dir?" „Ich weiß es nicht", sagte Kai und ließ den Kopf hängen. „Er ist ein… merkwürdiger Mensch. Undurchschaubar irgendwie." Er stand auf und ging zu Florian. Ihr Essen stand wieder auf einem Tablett in der Mitte des Raumes. Kai nahm es mit und setzte sich dann neben seinen Freund. „Dir scheint es ja besser zu gehen." „Ja", sagte der und nickte leicht. Dann küsste er Kai flüchtig auf den Mund. „Danke für deine Hilfe." Kai lächelte. Eine Weile aßen sie schweigend. „Wie viele Sprachen sprichst du jetzt eigentlich?" Kai sah seinen Freund verwirrt an. „Ich hatte dich doch in der Wüste danach gefragt. Du hast gesagt, du würdest später nachzählen." „Mm…", macht Kai und schaute Florian an. „Zähl mal mit. Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch, Italienisch, Finnisch, Ungarisch, Arabisch, Türkisch, Japanisch, Latein und Griechisch. Außerdem ein wenig Indisch, Persisch und Koreanisch." „13 Sprachen richtig und drei für den Touristengebrauch. Nicht übel", sagte Florian und nickte anerkennend. „Ich bin mit dreien schon überfordert. Und eine davon ist Deutsch." Die beiden Männer lachten und vergaßen für einige Minuten, wo sie waren und welche Gefahr über ihnen schwebte.
Am Nachmittag kamen erneut zwei Soldaten und holten Kai ab. Er hoffte, dass Achmed diesmal wirklich nur mit ihm reden wollte. Er hoffte es inständig, denn lange würde er diese Verhöre nicht mehr durchhalten. Wie die Male zuvor brachte man ihn in Achmeds Büro. Dort ließ Kai sich auf den Stuhl vor Achmeds Schreibtisch fallen und schaute seinen Peiniger an. „Wie geht es Ihrer Hand?", fragte Achmed ohne jegl
Donnerstagabend lag Florian auf seinem Bett in einem netten, kleinen Hotel. Seine Wunde schmerzte, da er den ganzen Tag auf den Beinen gewesen war. Es klopfte an der Tür. „Komm rein", sagte er müde. Kai trat ins Zimmer und schloss hinter sich ab. Er setzte sich mit auf Florians Bett. „Wie geht es dir?" „Geht schon. Aber irgendwie habe ich keine Lust morgen, vor der Kamera zu stehen." „Frag mich mal", grummelte Kai. „Um meine ganzen Schrammen zu verbergen brauche ich einen plastischen Chirurgen und einen Kosmetiksalon." Florian lachte und strich mit der Hand sanft über Kais Gesicht. „Mm… vergiss den Chirurgen. Du bist die beste Medizin." Er lächelte seinen Freund an, beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn sanft auf den Mund. Er ließ sich auf das Bett fallen und blickte Florian an. „Wir haben es wieder einmal geschafft", sagte der leise. Kai nickte. Seine lädierte Hand lag auf Florians nackter Brust. Florian spürte den rauen Verband auf seiner Haut. Verliebt lächelte er Kai an. Erneut versanken die beiden Männer in einem innigen Kuss, der jedoch schnell an Intensität und Leidenschaft zunahm. „Ich liebe dich, Flo", murmelte Kai gegen den Mund seines Freundes. Florian lächelte. Seine Zunge glitt vorsichtig in Kais Mund. Zärtlich umspielten sie einander. Kai schob seine gesunde Hand in Florians Shorts und fing, an ihn sanft zu streicheln. Der stöhnte auf. Kai umfasste Florians Penis und massierte ihn leicht. Dann unterbrach er den Kuss und sah ihn an. Pures Verlangen stand auf dem Gesicht seines Liebhabers geschrieben. Kai lächelte zufrieden. Florian zog die Shorts aus, um Kai mehr Spielraum zu ermöglichen. Nackt lag er vor ihm. Kai betrachtete ihn eine Weile und fing an, kleine Küsse auf Florians Gesicht zu platzieren. Dann auf dessen Hals, Brust, Bauch bis er schließlich zu dessen empfindlichsten Körperteil kam. Florian schnappte nach Luft, als Kai mit der Zunge über sein erregtes Glied strich und es schließlich in seinen Mund gleiten ließ. Normalerweise war er solche Berührungen gewohnt, aber er hatte für seine Verhältnisse lange auf Sex verzichten müssen. Es erregte ihn wesentlich mehr als sonst. „Wir sollten vielleicht öfter mal für ein oder zwei Wochen nicht miteinander schlafen. Anscheinend bekommt dir das gut", nuschelte Kai. „Halt die Klappe", keuchte Florian. Er hob ein wenig den Kopf. „Man spricht nicht mit vollem Mund." Kai lachte laut. Florian hatte durchaus Humor und diese fast britische Art von Humor liebte Kai. Er fing wieder an, Florian zu stimulieren. Der kam nach einigen Minuten mit einem kurzen Aufschrei. Kai schluckte das Sperma seines Freundes und legte sich dann auf ihn. Zärtlich küsste er ihn. Florian hatte die Augen geschlossen. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn. Er erwiderte Kais Kuss leidenschaftlich. Durch den Stoff von Kais Hose konnte er spüren, wie erregt sein Freund war. Er unterbrach den Kuss. „Leg dich aufs Bett, Kai." Der tat es und sah Florian dann dabei zu, wie dieser anfing, ihn auszuziehen. Als ihre Blicke sich kurz trafen, lächelte er. Florian grinst und befreite Kai von seiner Hose, seinem Hemd und schließlich von seinen Shorts. Er ließ seinen Blick über den Körper seines Freundes gleiten. „Da kann man glatt neidisch werden", sagte er und fing an, Kai noch ein wenig mehr zu stimulieren. Kai war ein wenig rot geworden. Dann lächelte er. „Brauchst du nicht", brachte er zwischen zwei Atemstößen hervor. Nach einigen Minuten hob Florian den Kopf. Er kroch nach oben und setzte sich mit gespreizten Beinen auf Kais Bauch. Der befeuchtete zwei seiner Finger und glitt dann in seinen Freund hinein. Florian warf den Kopf in den Nacken, als Kai in ihn eindrang. Er liebte dieses Gefühl über alles. Er rutschte Stück für Stück nach unten, so dass Kai mit seinem Penis in ihn eindringen konnte. Langsam bewegte er sich gegen seinen Freund. Kais Stöße wurden schnell heftiger. Er glitt mit seiner Zunge über seine Lippen. Seine gesunde Hand hatte er in das Bettlaken gekrallt. Er kam nach einige Minuten mit einem lauten Stöhnen. Für einen Moment schloss er die Augen. Florian wollte aufstehen, doch Kai hielt ihn zurück, indem er ihm eine Hand auf den Rücken legte. Er schob seinen Freund langsam nach oben und befriedigte Florian dann noch einmal mit dem Mund. Danach gingen sie zusammen duschen. „Das hat mir echt gefehlt", murmelte Florian, während er sich gegen Kai schmiegte, als sie nach der Dusche wieder im Bett lagen. Kai strich mit seiner Hand über Florians Haare und lächelte. „Mir auch, mein Schatz, mir auch." Sie küssten sich und schliefen dann ein.
Kai und Florian schafften es am nächsten Morgen nicht aus dem Bett. Zum Glück mussten sie ja nicht mehr das zweite freie Training moderieren. Anfangs waren sie etwas sauer gewesen, doch jetzt war es ganz angenehm. Die Termine, die sie gehabt hätten, ließen sie sausen. Nachdem er gegen Mittag aufgewacht war, stand Kai kurz auf, ging ins Bad und holte sich einen nassen, kalten Lappen. Er legte ihn sich aufs Gesicht und ging halb blind zurück zu seinem Freund. Er wollte sich gerade auf das Bett fallen lassen, als jemand an die Tür klopfte. Kai blieb wie angewurzelt stehen. ‚Wer könnte das sein', grübelte er. Er hatte keine Ahnung, wie er irgendjemandem erklären sollte, warum er hier, nur mit einem Slip bekleidet, im Zimmer seines Kollegen stand. Florian war ebenfalls aufgewacht und schaute Kai fragend an. Es klopfte erneut. „Macht schon auf", hörte Kai jemanden rufen, den er sehr gut kannte. Heinz stand vor der Tür. „Ich hab Kai gestern Abend hier drin verschwinden sehen, also lasst mich nicht so lange warten." Kai grinste kurz und nickte Florian zu. Der verkroch sich unter der Decke, was Kai erneut zum Lachen brachte. „Ich denke, er weiß es, Flo", sagte Kai, während er zur Tür ging und sie öffnete. Heinz schlüpfte herein und Kai schloss die Tür wieder ab. Mit einem strengen Blick musterte der Rennfahrer seinen Freund. Dann sagte er in seiner eigenen trockenen Art: „Du siehst scheiße aus." Kai verzog das Gesicht zu einem leichten Grinsen. „Ich weiß." Heinz warf einen Blick zum Bett hinüber. Florian schaute durch einen Spalt unter der Bettdecke hervor und blickte den Rennfahrer an. Als Kai dieses Bild sah, schüttelte er sich vor Lachen. Es sah wirklich zu komisch aus. „Hallo, Florian", sagte Heinz und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Dann wand er sich an Kai. „Ich dachte, du vertraust mir. Hättest mir ruhig mal was sagen können." Florian kam mit einem gemurmelten ‚Guten Morgen' unter der Decke hervor. Sein Gesicht hatte eine leicht rötliche Färbung angenommen. Kai zog sich einen Bademantel über und setzte sich zu Heinz. „Entschuldige Heinz, aber… ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, warum ich nichts gesagt habe. Tut mir leid." Heinz grinste breit. „Schon Okay. Ich bin nicht sauer." Florian schlüpfte aus dem Bett und humpelte ins Bad. Heinz sah ihm fragend nach. „Was hat er denn? Und was ist mit deinem Gesicht? Und deiner Hand? Wo wart ihr überhaupt???" „Wir waren in Kaschmir", erklärte Kai kurz. „Wir sind dort leider einigen Pakistanern, Ex-Al-Quaida-Mitgliedern in die Arme gelaufen. Sie haben erst geschossen, dann gefragt. Florian hat einen Streifschuss am Bein abgekriegt. War wirklich schlimm. An mich hatte der Kommandant der Einheit, die uns gefangen hielt, einige Fragen. Er hat uns anfangs nicht geglaubt, dass wir nur Reporter sind." „Du hast ihn aber überzeugen können, nicht wahr?" „Sonst säßen wir jetzt nicht hier." Kai ließ den Kopf auf die Hände sinken. Dann sah er Heinz an. „Diesmal war es verdammt knapp. Ich glaube nicht, dass ich so was noch mal mache." „Das wäre echt schön. Aber glauben tu ich dir das nicht, mein Lieber." Der Rennfahrer lächelte. Er kannte Kai schon viel zu lange, um ihm das einfach so abzunehmen. Kai erwiderte das Lächeln. Dann zeigte er Heinz den Film, den Florian aufgenommen hatte. „Ihr seid verrückt, so was zu machen", sagte Heinz ernst, nachdem das Video vorbei war. „Sind wir", gab Florian zu, als er wieder aus dem Bad kam. Er hatte nasse Haare und grinst Heinz leicht an, während er zum Bett ging und sich vorsichtig drauffallen ließ. Dabei verzog er kurz das Gesicht. Kai sah ihn besorgt an, stand auf und ging zu ihm. Mit einem Seitenblick auf Heinz nahm er Florians Hand und drückte sie leicht. „Wie geht es dir?" „Es geht schon. Die Wunde verheilt sehr gut." Verliebt lächelte er Kai an. Für Sekunden vergaßen die beiden, dass sich noch jemand im Raum befand. Heinz saß schweigend auf seinem Stuhl und beobachtete seine Freunde. Er hatte schon lange vermutet, dass zwischen den beiden Männer was lief, doch er hatte sich auch nie wirklich vorstellen können, wie so eine Beziehung aussah. Jetzt sah er es und er musste sich eingestehen, dass er es irgendwie niedlich fand. Kai und Florian hatten sich immer sehr gut versteckt. Von den anderen ahnte niemand auch nur das Geringste. „Ihr gebt echt ein süßes Paar ab", sagte Heinz, während er aufstand und zur Tür ging. Er drehte sich noch mal um und grinste seinen Freunden zu. „Habt ihr mal darüber nachgedacht, euch zu outen?" Florian und Kai warfen sich einen zweifelnden Blick zu. Dann sah Kai zu Heinz hinüber. „Ich weiß nicht, ob das so klug wäre." „Ihr habt Angst. Aber vielleicht ist das ganz unnötig." „Und wenn du dich irrst?" „Dann müsst ihr euch wenigstens nicht mehr verstecken." Damit verließ er das Zimmer. Kai blickte ihm eine Weile nach und wand sich dann wieder Florian zu. Er hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. Florian sah seinen Freund fragend an. Kai zuckte mit den Schultern und murmelte: „Nur so." Er ging zur Tür und schloss wieder ab. Dann verschwand er unter der Dusche. Nach einigen Minuten kam Florian ebenfalls ins Badezimmer und setzte sich auf den Toilettendeckel. Eine Weile beobachtete er Kai durch den Duschvorhang. Als der unter der Dusche vorkam, reichte Florian ihm ein Handtuch. „Danke", sagte Kai und fing an, sich abzutrocknen. „Wie lange sitzt du schon hier?" „Eine Weile. Ich wollte mal wieder was Angenehmes sehen", sagte Florian und grinste breit. Kai lächelte kurz und fing an, sich anzuziehen. „Vielleicht hat Heinz Recht", sagte Florian plötzlich. Kai hielt mitten in der Bewegung inne und blickte Florian erst fragend, dann wissend an. „Du meinst wegen einem Outing?" „Ja. Kai, ich hab es so satt, meine Gefühle und Wünsche ständig verstecken zu müssen." Verzweifelt sah Florian seinen Freund an. Der nahm seine Hände und zog ihn in seine Arme. „Ich möchte mich einfach nur normal verhalten dürfen. Und Heinz hat es doch ziemlich locker hingenommen." Kai nickte. Zärtlich strich er Florian über den Rücken. „Ich verstehe dich ja, mein Schatz. Es ist auch mein Traum, diese Geheimnistuerei endlich aufgeben zu können. Aber Heinz wusste, dass ich schwul bin. Er ahnt bereits seit Jahren, dass zwischen uns was läuft." „Hat er dich mal drauf angesprochen?" „Nein, er hat es nur einige Male angedeutet." „Meinst du, die anderen würden Probleme damit haben?" Kai legte sein Kinn auf Florians Schulter. „Ich weiß es nicht", murmelte er in das Ohr seines Freundes. „Aber ich wäre langsam auch bereit, es zu riskieren." Florian löste sich von Kai und sah ihm in die Augen. „Es könnte uns beide den Job kosten." „Ja." Die beiden sahen sich lange schweigend an und trafen schließlich eine stumme Entscheidung.
Der Samstag und das Qualifying vergingen halbwegs normal. Wenn die Kamera aus war, musste Kai sich einige Sprüche anhören, bezüglich seines Gesichts, doch wenn die Kamera an war, verhielten sich die Fahrer normal und professionell. Das Qualifying gewann, wie erwartet, Michael Schumacher. Hinter ihm stand sein Bruder, dann sein Teamkollege, dann kam Montoya. Auf dem fünften Startplatz landete jemand, den dort niemand erwartet hätte; Heinz-Harald Frentzen. Kai und Florian freuten sich natürlich wahnsinnig für ihn und sie hofften mit ihm und seinem Team, dass er diesen Startplatz halten und vielleicht noch ein wenig verbessern könnte.
Am Sonntag lief ebenfalls alles seinen normalen Gang. Florian moderierte seinen Vorbericht aus der Box von Jaguar. Er saß die meiste Zeit, da seine Wunde immer noch schmerzte. Niki hatte nichts dagegen, da er auf diese Weise seine Leute im Auge behalten konnte. Das Rennen wurde mehr als spannend, da nach circa einer Stunde ein kurzer Regenschauer runter ging, der es in sich hatte. Alle Autos mussten rein und Reifen wechseln. Nur einer blieb draußen und versuchte, sich schwimmend über den unter Wasser stehenden Kurs zu bewegen. Heinz-Harald. Er hoffte, dass die Strecke schnell wieder abtrocknen würde, was sie dann auch tat. So kam es, dass 20 Runden vor Schluss ein Arrows das Feld anführte. Und nicht nur das. Heinz hatte es, trotz der schlechten Verhältnisse auf der Straße geschafft, sein Auto ziemlich schnell auf dem Kurs zu bewegen. Allerdings holte Michael Schumacher sehr schnell auf. Der Ferrari-Pilot rechnete fest damit, dass Heinz noch einmal tanken müsste, was dieser jedoch nicht tat. So kam es zu einem der aufsehenerregendsten Finale, die je ein Rennen gesehen hatte. Michael Schumacher und Heinz-Harald Frentzen überquerten die Ziellinie fast zur selben Zeit. Im Gegensatz zu anderen Rennen ertönte kein Jubel auf der Strecke. Alle starrten auf die Bildschirme und warteten gespannt, welcher der beiden Piloten denn nun gewonnen hatte. Auch die Beiden fuhren keine Ehrenrunde, sondern standen in der Nähe eines großen Bildschirms und warteten. Dann erschien die Rangliste. Ganz oben stand Heinz-Harald Frentzen. 0,002 Sekunden hinter ihm hatte Michael Schumacher die Ziellinie erreicht. Lautstarker Jubel brandete auf. Heinz vollführte einen Luftsprung. Dann kam Michael und gratulierte ihm mit einer Umarmung. Die beiden Fahrer strahlten um die Wette. „Das war ein geniales Rennen", sagte Michael, als sie gemeinsam zum Siegerpodest gingen. „Mach das bitte öfters." Heinz sah ihn halb grinsend, halb fragend an. „Du hast es doch früher nicht leiden können, gegen mich zu verlieren." „Kann ich auch heute noch nicht, aber ich fahre gern gegen dich." Er klopfte ihm auf die Schulter. „Klasse gemacht." „Danke." Heinz strahlte, als er das Siegerpodest betrat.
Nach der Siegerehrung und der Pressekonferenz gingen die beiden sofort zu Kai. Der gratulierte Heinz natürlich auch erst mal herzlich. „Tut das nie wieder", schimpfte er dann. „Da bekommt man ja eine Herzattacke." „Und das sagst ausgerechnet du", murmelte Heinz seinem Freund zu. Kai grinste. Er interviewte die beiden eine ganze Weile und verabschiedete sich dann von ihnen. „Wir sehen uns doch heute Abend, oder?", fragte Michael. „Sicher." „Bring Florian mit", sagte Heinz und verschwand grinsend. Michael nickte zustimmend. „Heinz hat Recht. Der verschwindet immer nach den Rennen still und leise. So geht das nicht." Kai überlegte kurz. ‚Warum nicht', dachte er. „Okay, ich frage ihn." Dann drehte er sich um und lief durch die Mercedes-Box nach hinten in den Paddockbereich. Er ging zur Jaguarbox, wo er Florian und Niki bereit stehen sah. Florian verabschiedete sich eben noch von den Zuschauern, dann war die Kamera aus. Der Moderator redete noch kurz mit seinem Kameramann, der mit einem Kopfnicken verschwand. Niki ging ebenfalls zu seinem Team und Florian ließ sich erschöpft auf einen Reifenstapel fallen. Den Kopf hatte er auf die Hände gestützt. „Hey", sagte Kai und setzte sich neben ihn. Florian hob den Kopf und sah Kai müde an. „Hey." „Du siehst ziemlich erschöpft aus." „Bin ich auch. Kommst du mit ins Hotel?" Kai nickte und die beiden gingen zu Kais Mietwagen. Sie fuhren zum Hotel und fielen dort erschöpft auf Florians Bett. Florian schlang die Arme um Kais Körper und kuschelte sich gegen ihn. Kai legte seine Arme um seinen Freund und hielt ihn einfach fest. „Wir sind heute Abend zur Abschlussparty eingeladen." „Wir?" „Ja, wir. Kommst du mit?" Florian gähnte und nickte. „Ja. Bringen wir es hinter uns. Die haben sicher noch ein paar Fragen, wegen unseren Verletzungen." „Was sagen wir?" „Die Wahrheit. Wir sagen endlich die Wahrheit." Kai küsste Florian auf die Stirn und nickte zustimmend. Der legte den Kopf auf Kais Brust und schlief ein. Auch Kai schloss müde die Augen. Die Abschlussparty, zu der die beiden Journalisten eingeladen waren, fand nach jedem Rennen statt. Es war eine liebgewordene Tradition geworden. Man konnte noch einmal mit seinen Freunden reden, zusammen feiern und so ein Rennwochenende gemütlich ausklingen lassen. Die anderen Journalisten und die Fans hatten keine Ahnung, dass diese Parties stattfanden. Die Fahrer, Teamchefs und geladenen Gäste wollten einfach unter sich sein und ihre Ruhe haben. Kai bildete seit langer Zeit eine Ausnahme. Die Fahrer hatten ihn sehr schnell akzeptiert. Er war ihr Freund geworden, da er noch nie etwas ausgeplaudert hatte, was irgendjemandem geschadet hätte. Sie konnten ihm vertrauen und das taten sie auch.
Gegen 20:30 Uhr wachte Kai auf. Verschlafen blinzelte er und sah auf seine Uhr. Dann weckte er Florian. „Komm schon, Schatz, wach auf." Florian gähnte ihn an. „Wie spät ist es?" „Halb neun." „Dann haben wir doch noch Zeit. Wenn wir in einer Stunde da sind, reicht das immer noch." Kai küsste ihn kurz. „Du hast ja Recht." Florian schaltete das Licht ein, stemmte sich hoch und setzte sich auf Kais Bauch. Von oben sah er seinen Freund an. „Du bist nervös?" „Und wie." Kais Hände lagen auf Florians Oberschenkel. Er sah seinem Freund in die Augen. „Du nicht?" „Es geht eigentlich." Florian beugte sich hinunter und küsste Kai. „Ich habe nichts zu verlieren, Kai. Du bist mir wichtiger als alles andere." Kai lächelte zärtlich und legte die Arme um Florians Hals. „Danke, das hast du süß gesagt." Dankbar küsste er ihn. Florian ließ sich auf Kais Körper gleiten und erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Seine Hände glitten unter Kais Hemd und blieben auf dessen nackter Brust liegen. Er spürte den leichten Herzschlag seines Freundes unter seinen Handflächen. Er zog seine Hände hervor, setzte sich hin und zog sich sein Hemd aus. Dann knöpfte er langsam das von seinem Freund auf. Schließlich ließ er sich wieder auf ihn gleiten. Kai schlang die Arme um Florian und wisperte: „Ich liebe dich, Flo. Ich liebe dich." Florian küsste Kai auf dessen Hals. „Ich liebe dich auch." Dann sah er seinen Freund an. „Ich wüsste etwas Besseres mit unserer gemeinsamen Zeit anzufangen, als zu dieser Party zu gehen." Vorsichtig stieß er mit seiner Hüfte gegen Kais. Kai stöhnte leise auf. „Ich auch, aber wir müssen da hin." „Och", sagte Florian ein wenig enttäuscht. Kai grinste breit. „Aber wir haben noch fast eine Stunde Zeit." Auf Florians Gesicht erschien ein Lächeln, welches mit jeder Sekunde breiter wurde.
Florian und Kai betraten zusammen die kleine Bar, in welcher die Feier stattfand. Heinz sah sie sofort und winkte sie zu dem Tisch, an welchem er mit einigen anderen Fahrern saß. „Hallo ihr beiden", begrüßte er seine Freunde. „Da seid ihr ja endlich." Kai grinste. „Wie du siehst." Er sah Florian an. „Bier?" Der nickte und Kai verschwand kurz. Dafür kam Niki auf den Moderator zu. Er musterte ihn kritisch von oben bis unten. „Mm", machte er dann. Florian zog eine Augenbraue hoch und sah ihn fragend an. „Ich hab dich bis jetzt noch nie in Zivilkleidung gesehen", erklärte Niki. Er sah Florian grinsend an. „Tipp von mir: Wirf deine Anzüge weg und moderiere so." Heinz und einige der Fahrer nickten zustimmend und lachten. Kai mischte sich ein, nachdem er Florian sein Bier gereicht hatte. „Da würde unser Chef einen mittelschweren Schock erleiden." Florian nickte zustimmend. Er trug einfache blassblaue Jeanshosen und eine T-Shirt. Dazu hatte er Turnschuhe an. Kai trug so ziemlich dasselbe. Nur dass er schwarze Jeans anhatte. Sie setzten sich zu den Fahrern an den Tisch, nachdem Florian noch einige Glückwünsche an Heinz und Michael losgeworden war. Eine Weile lauschten sie alle der Musik und redeten über das Rennen und andere Belanglosigkeiten. Michael hatte Kai fast ständig im Blick. Kai entging dies natürlich nicht, doch er versuchte eine Weile, es zu ignorieren. Nach circa einer Stunde atmete er tief durch, schaute Michael direkt an und fragte unvermittelt: „Was ist?" Michael zuckte leicht zusammen. Die Gespräche am Tisch verstummten. Der Rennfahrer deutet auf Kais Blessuren. „Was hast du während der letzten Wochen angestellt? Wieder mit dem Boxen angefangen?" Einige lachten. Kai grinste leicht. „Nein." Er blickte Florian kurz an, der nickte. „Ich schätze, es wird Zeit, dass wir", er deutete auf seinen Kollegen, „euch einige Sachen erzählen." Es gesellten sich noch einige andere Menschen zu ihnen, zum Beispiel, Norbert Haug, Gerhardt Berger und Nick Heidfeld. „Ihr habt sicher schon öfter bemerkt, dass wir beide mit Schrammen und Verletzungen zu einem Rennen gekommen sind." Zustimmendes Nicken von einigen Anwesenden. „Der Grund dafür ist unser Zweitjob. Wir sind neben unserer Arbeit hier als inoffizielle Auslandskorrespondenten zuständig. Das bedeutet, wir reisen in Krisengebiete und besorgen dort für den Sender Filme und Bilder. Wir wollten allerdings nicht, dass unsere Namen in diesem Zusammenhang genannt werden." „Das hat ja auch geklappt." Michael sah die beiden Journalisten an. „Wo kommen die neuen Verletzungen her?" „Wir waren während der letzen Wochen in Kaschmir und haben dort ein bisschen die Gefechte zwischen den Pakistanern und den Indern beobachtet. Dabei hat uns ein Trupp der Pakistaner aufgegriffen und wir hatten einige Schwierigkeiten, ihnen verständlich zu machen, dass wir keine Spione der Inder sind." „Aber der Westen hilft den Pakistanern doch", gab Ralf zu bedenken. „Das ist eine Hilfe, von der nur ein oder zwei Prozent der pakistanischen Bevölkerung etwas merken", erklärte Florian. „Für die restliche Bevölkerung gibt es andere Helden, wie Osama Bin Laden. Und der kommt ja nicht so gut mit dem Westen klar, wie wir alle wissen." Einige nickten. „Dann kommen deine Verletzungen von einem Verhör?" Michael sah Kai erstaunt an, als ihm bewusst wurde, was dies bedeutete. Kai nickte. „Richtig. Sowohl die im Gesicht, als auch die an meiner Hand." Kai wedelte bestätigend mit der bandagierten Hand vor den anderen herum. „Und deine Verletzung?", fragte Niki Florian. „Ein Streifschuss aus einer Kalaschnikow. Es ist passiert, als wir verhaftet wurden." „Habt ihr euch gewehrt?" „Dann wären wir jetzt tot." Kai sah die anderen ernst an. „Sie haben erst geschossen, dann gefragt." „Einen Vorteil hatte es schon, dass ich verletzt war. Der Kommandant hat mich in Ruhe gelassen." „Dafür hatte ich die Verantwortung für uns beide zu tragen", gab Kai zu bedenken. Dann fügte er etwas leiser hinzu: „Außerdem hatte sich die Wunde so stark entzündet, dass ich fast zwei Tage nicht wusste, ob Flo es überhaupt schaffen würde." Betroffenes Schweigen herrschte. „Hast du ihn behandeln können?", fragte Nick. Kai nickte leicht. „Ich hatte einen Sanikasten dabei. Auch etwas zum Desinfizieren. Allerdings…" Florian grinste und beendete den Satz. „Allerdings musste Kai mich K.O. schlagen, um mich überhaupt behandeln zu können." „Wie habt ihr euch dort überhaupt verständigt? Können die Leute denn Englisch?" Norbert schaute interessiert von einem zum anderen. „Nein", sagte Florian. „Aber Kai ist dafür ziemlich begabt, was Sprachen angeht." „Wie viele Sprachen sprichst du insgesamt?" Kai grinste. „13 perfekt und drei weitere einigermaßen gut. Ich bin noch beim Lernen." Erstauntes Gemurmel war zu hören. „13???", fragte Norbert erstaunt. „Unglaublich." „Ich habe eine Ader dafür. Mir fällt es nicht sehr schwer, Sprachen zu lernen." Michael sah zu Heinz hinüber, der sich alles schweigend angehört hatte. „Was du hier hörst, ist nichts Neues für dich, oder?" Heinz schüttelte den Kopf. „Nein." „Dachte ich mir." Dann wand er sich wieder Kai und Florian zu. „Arbeitet ihr immer zusammen?" Die beiden nickten. „Seit wann?" „Ich arbeite seit ´87 als Auslandskorrespondent. ´91 hat mich CNN nach Kuwait geschickt, als Beobachter für den Westen. Leider hatte ich mich ein bisschen zu sehr rein gehangen. Ich befand mich zwischen den Fronten und war verletzt worden. Man hätte mich erschossen, wenn ich noch länger liegen geblieben wäre. Dann kam plötzlich ein Typ in einer Armeeuniform der Amerikanischen Luftstreitkräfte an und hat mich ziemlich unsanft dort weggebracht. Er lieferte mich in einem Militärkrankenhaus ab und verschwand. Einige Tage später, kam er mich besuchen. Er stellte sich als Kai vor." Florian warf Kai ein dankbares Lächeln zu. „Ich habe damals für eine amerikanische Nachrichtenagentur gearbeitet. Aber nur nebenbei. Daher auch die Uniform. Sie war geliehen. Offiziell war ich schon für RTL unterwegs. Florian und ich haben uns ziemlich schnell angefreundet. Wir arbeiteten den Rest der Zeit zusammen und ich überzeugte Florian, CNN den Rücken zu kehren. Seine Arbeit als Fotograf überzeugte meinen damaligen Chef und er stellte Flo ein." „Und seit dieser Zeit seid ihr ein Team?" „Genau." „Was waren eure spektakulärsten Einsätze?" Kai überlegte. „Der Golfkrieg, der Balkankrieg…" „…die Terroranschläge in Amerika und der Anti-Terror-Krieg gegen die Taliban in Afghanistan." „Wart ihr dabei, als die Amerikaner Tora-Bora gestürmt haben?", fragte Ralf begeistert. „Sicher", antworteten Kai und Florian gleichzeitig. Niki setzte sich auf die Bank zu den beiden. „Habt ihr Bin Laden gesehen?" „Ja. Bei seiner Verhaftung." „Waass????" Michael sah die beiden entgeistert an. Selbst Heinz zog verwundert eine Augenbraue hoch. „Ihr habt schon richtig gehört. Bin Laden sitzt in einem geheimen Gefängnis in Amerika. Seine Verhandlung läuft bereits. Allerdings wurden wir verpflichtet, absolutes Stillschweigen zu bewahren, bis wir ein Okay von Präsident Bush erhalten." „Habt ihr dieses Okay erhalten?", fragte Tanja. Kai nickte. „Vor über vier Wochen. Morgen gibt Bush eine offizielle Pressekonferenz." „Juhuuuu", schrie Ralf plötzlich und hüpfte in der Bar rum. „Sie haben den Terrorchef. Klasse. Ein Hoch auf die Amis." Kai und Florian grinsten sich breit an, während Michael versuchte, seinen Bruder zu beruhigen. „Ich hätte da mal noch eine Frage", sagte Niki langsam. Kai nickte. „Wieso macht ihr das?" „Das ist schwerer zu beantworten, als du denkst", gestand Florian. Hilfesuchend sah er Kai an. Der schluckte leicht und sagte: „Wir brauchen das Abenteuer. Es ist unsere Art, der Welt zu helfen." Niki verzog das Gesicht. „Das glaube ich euch sogar. Aber…" „Genau", stimmte Michael zu. „Da ist noch was. Ihr versucht irgendwas zu verheimlichen." Kai blickte auf den Tisch. „Das stimmt", gab er schließlich zu. Er blickte auf und sah die erwartungsvollen Gesichter seiner Freunde. Heinz lächelte ihm aufmunternd zu. „Die Auslandseinsätze geben uns eine gewisse Art von Freiheit. Dort, in den Kriegsgebieten, interessiert sich niemand für uns. Wir sind frei und können uns normal verhalten." „Was heißt ‚normal'?", fragte Michael vorsichtig. Er spürte deutlich, wie schwer es Kai fiel, weiter zu sprechen. „Florian und ich haben eine Menge durchgemacht. Sowas schweißt zusammen. Bei uns hat es allerdings noch mehr ausgelöst. Ich habe immer mehr gemerkt, dass ich mich in ihn verliebt hatte." Einige im Raum atmeten hörbar ein. „Ich bin schwul. Meine Ehe mit meiner Ex-Frau war ein Versuch, diese Neigung vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Nun ja, es ist schief gegangen. Ich habe Flo irgendwann gestanden, was ich für ihn empfand. Wir haben lange darüber geredet und er hat mir erklärt, dass aus uns nichts werden wird. Obwohl es unglaublich weh tat, akzeptierte ich es. Ich hatte Angst gehabt, dass so ein Gespräch unsere Freundschaft belasten könnte, aber das tat es zum Glück nicht. Im Gegenteil. Es erhöhte unser Vertrauen zueinander." „Meine Ehe stand auch auf ziemlich wackligen Füßen. Einerseits aufgrund des Jobs, andererseits aufgrund dieser Sehnsucht, die Kai mit seinem Geständnis in mir geweckt hatte. Es war die Vorstellung von etwas Neuem, Verbotenem, die mich so reizte. Meine Frau bekam das natürlich mit. Irgendwann ging es nicht mehr und wir trennten uns. Kai erwies sich als riesige moralische Stütze für mich. Natürlich hatte er dabei Hintergedanken. Wir redeten viele Nächte." Florian sah Kai an. Seine Hand ruhte auf dem Tisch. Kai nahm sie vorsichtig. „Und eins dieser Gespräche endete für uns in meinem Schlafzimmer. Das war irgendwann im Juli ´96. Seit dieser Zeit sind wir fest zusammen." Schweigen herrschte im Raum. Kai sah Florian erleichtert an. Er fühlte sich großartig. Endlich war es raus. „Juli ´96, mmm?", fragte Michael. Florian nickte leicht. „Dann seid ihr jetzt seit über… fünf Jahren zusammen?" „Ja", sagte Kai nachdenklich. „Die schönsten fünf Jahre meines Lebens." Er lächelte Florian verliebt an, legte den Arm um dessen Hüfte und zog ihn zu sich hinüber. Florian lehnte den Kopf gegen Kais Schulter. „Du würdest in so einer Situation fragen: Habt ihr schon mal übers Heiraten nachgedacht?" Michael sah Kai grinsend an. Kai lächelte leicht. „Anfangs stand das für uns außer Frage. Nachdem es jetzt gestattet ist, haben wir schon ein paar Mal darüber nachgedacht." „Wir wollen nichts übereilen", fügte Florian hinzu. Michael riss die Augen auf und stemmte sich auf dem Tisch hoch. „Übereilen? Ihr seid seit fünf Jahren ein Paar. Ihr liebt euch, dass sieht man, wenn man es denn weiß. Was gibt es da zu übereilen?" Er beugte sich zu den beiden hinunter und sagte mit einem leisen, drohenden Ton. „Ihr würdet es doch nicht wagen, heimlich zu heiraten, ohne uns was zu sagen, oder?" Kai lachte erleichtert auf. „Nein. Wenn wir heiraten, laden wir euch ein. Aber fangt ja nicht an, zu drängeln." „Wir?" Ralf grinste. „Wir drängeln nie. Das Wort kennen wir gar nicht." Jetzt lachten alle. Kai und Florian waren erleichtert, dass die anderen es so lässig hinnahmen. Heinz freute sich für die beiden. Und die Fahrer und Teamchefs waren froh, mal wieder etwas Spektakuläres erfahren zu haben. Kai sah seinen Freund strahlend an und küsste ihn kurz unter dem Applaus der anderen. Sie sahen beide ziemlich rot im Gesicht aus, als sie sich wieder trennten. „Ihr versteckt euch jetzt aber nicht mehr, oder? Mit unserer Unterstützung könnt ihr rechnen." „Danke", sagte Kai gerührt. „Wir werden dieses Versteckspiel aufgeben. Es war echt hart." Heinz nickte. „Das glaube ich euch gern." Plötzlich lachten Ralf und Nick laut auf. Die anderen im Raum sahen die beiden fragend an. Nick nahm leere Bierflasche in die Hand und hielt sie wie ein Mikrofon. Damit ging er zu Michael. Ralf blieb an seinem Platz stehen. Nick stellte sich neben Michael und hielt sich die Flasche vor den Mund. „Haben Sie dieses Rennen auch so genossen, wie wir?", fragte er ihn mit ernster Miene. „Ja", antwortete der Rennfahrer verdattert. „Danke für das Interview", sagte Nick grinsend und wand sich Ralf zu. „Zurück zu dir, Florian." „Danke, Kai. Ach noch was. Wenn du nach Hause kommst, denk doch bitte daran einkaufen zu gehen. Die Milch ist alle, Schatz." Die beiden sahen sich an und lachten schallend. Auch die anderen amüsierten sich köstlich. Sogar Kai und Florian lachten. Als sich alle wieder beruhigt hatten, murmelte Florian: „Kai niemals während der Sendung auffordern, noch Milch zu kaufen." Wieder lachten alle. „Das könnte echt interessant werden mit euch", sagte Niki. Einige andere nickten zustimmend. Dann redeten wieder alle durcheinander. Jeder wollte etwas von Florian und Kai wissen und die beiden waren durchaus bereit, einige Fragen zu beantworten und einige Klischees aus der Welt zu räumen. „Werdet ihr weiterhin im Ausland arbeiten?", fragte Michael nach einer Weile. Kai nahm Florians Hand, küsste sie leicht und schüttelte den Kopf. „Nein, werden wir nicht. Wir haben keinen Grund mehr."
So nun komm ich endlich dazu, Dir ein Kommi zu schreiben!
Ich bin begeistert von dieser Story! Wie Du die einzelnen Charaktere zeichnest und dieses ganze Szenario vor dem geistigen Auge aufstehen zu lassen ist einfach herrlich!!! Ich hab mich mal wieder sowas von in dieser Story verloren, das ist unglaublich! Hatte überhaupt kein Zeitgefühl!
Danke für diese tolle Story und für die, die noch kommen!