Formel 1 - Story (mehr sag ich mal nicht dazu) Die Fans wissen, worum es grob geht.
Sonderbotschafter
Mit traurigen Augen blickte Kai zu seiner Crew hinüber, die neben dem Eingang der Rennstrecke in Brasilien standen und sich leise unterhielt. Er würde das hier alles wahnsinnig vermissen. Die Arbeit, die Scherze, das Lachen. Florian blickte sich suchend um und entdeckte Kai. Er winkte ihn zu sich und den anderen hinüber. Mit langsamen Schritten kam der auf ihn zu. „Was stehst du da rum und beobachtest uns?“, fragte der Moderator. Er versuchte normal zu klingen, doch seine Stimme zitterte. „Ich habe mir noch nie die Zeit genommen, das zu tun“, murmelte Kai. Dann wurde er ernst. „Wie weit seid ihr?“ „Alles vorbereitet. Wie immer.“ Felix Görner, der sonst eigentlich nicht mehr an den Rennstrecken dabei war, lächelte leicht. „Und du? Was ist mit dir?“ „Ich habe auch alles vorbereitet. Meine Sachen sind gepackt, alle Leute informiert...“ „...nur du bist noch nicht so weit.“ Florian blickte ihn fragend an. Eine stumme Bitte lag in seinem Blick. Eine Bitte, die er in den letzten Tagen und Wochen so oft ausgesprochen hatte, obwohl er wusste, dass Kai sie nicht erfüllen konnte. „Nein. Ich werde nie soweit sein, dass ich das hier gern hinter mir lasse.“ Er straffte sich. „Ich weiß, das kommt jetzt kitschig, aber muss an euch noch einige Sachen loswerden, was den Job betrifft und ich habe später keine Lust mehr dazu.“ Die anderen nickte und stellten sich in einer Reihe auf. Grinsend sahen sie Kai an. Der lachte. „Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?“ „Doch“, sagte Felix. „Da musst du jetzt durch.“ Kai nickte und ging ans Ende der Reihe zu Felix. „Was soll ich zu dir noch sagen? Du weißt, was du geleistet hast. Du hast doch noch vor mir angefangen. Ich danke dir für deine Hilfe damals. Ohne dich hätte ich es verdammt schwer gehabt.“ Er gab ihm die Hand. Felix zog ihn in seine Arme und presste ihn kurz an sich. „Machs gut, Kai. Und wenn du das Heldenspielen satt hast, komm wieder. Wir halten dir garantiert ein Mikro frei.“ Kai schluckte schwer. „Danke.“ Er ging weiter zu Jan Krebs. „Jan, du hast dich genauso entwickelt, wie ich es vorausgesagt habe. Ich bin verdammt stolz darauf, dass du so viel für den Sender getan hast, obwohl am Anfang einige an deinen Fähigkeiten gezweifelt haben...“
Michael Schumacher trat mit fragendem Blick auf Niki Lauda zu. Es war Samstag kurz vor dem Qualifying und normalerweise hatten die Fernsehsender jetzt zu tun. Aber Niki stand hier allein rum und beobachtete die RTL-Crew von Weitem. „Was machen die da und warum bist du nicht dabei?“ Niki drehte sich erschrocken rum. Dann lächelte er. „Du wirst es noch erfahren, fürchte ich.“ „Was ist los? Hat der Sender Probleme? Und warum läuft Kai vor den anderen rum, als hielte er eine Militärparade ab? Sag schon Niki.“ Der Österreicher seufzte. „Kai verlässt den Sender. Er will bereits morgen gleich nach dem Rennen weg und er verabschiedet sich gerade von den anderen.“ Michael riss die Augen auf. „Kai will weg?“ „Wer will weg?“, fragte sein Bruder Ralf, der gerade an den beiden vorbei gelaufen war. „Kai.“ „Wie weg? Wohin?“ „Er verlässt den Sender.“ „Haltet bitte noch eine Weile den Mund. Kai wird es nachher in der Pressekonferenz sagen, weil sich sicher auch die anderen Sender dafür interessieren.“
Kai war inzwischen am Ende der Reihe angelangt und blickte Florian traurig an. „Beruflich, Flo, beruflich hast du dich so gut entwickelt, wie ich es nie für möglich gehalten habe. Und das ist auch der Grund, warum ich möchte, dass du das Team in Zukunft leitest.“ Florian nickte traurig. Die anderen gingen leise. Sie hatten sich von Kai verabschiedet. Es gab nichts mehr zu sagen. „Privat tut es mir unglaublich leid, dass ich dir so weh tue.“ Florian unternahm einen letzten Versuch. „Dann bleib doch hier.“ Doch in Kais Augen sah er bereits die Antwort. Kai schloss ihn in die Arme. In seinen Augen glänzte es feucht. „Es tut mir leid, Flo. Es tut mir so leid. Ich will nicht gehen, aber ich kann auch nicht bei dir bleiben.“ Florian hatte den Kopf in Kais Jacke vergraben und schluchzte leise. „Bitte komm wieder, Kai.“ „Ich werde gut auf mich aufpassen, versprochen. Ich weiß doch, was ich verlieren würde.“ Er schob ihn ein Stück von sich weg. „Bleibt es dabei?“ „Sicher. Wenn ich dich schon weglassen muss, dann wenigsten so, wie wir es besprochen haben.“ „Ach Flo... Ich wünschte, ich könnte mit dir die Ewigkeit teilen, aber wir haben nur noch diese eine Nacht.“ Florian lächelte. „Wie poetisch.“ Er blickte sich kurz um und hauchte Kai einen Kuss auf die Wange. „Ich muss los. Niki wartet schon“, flüsterte er ihm ins Ohr und verschwand.
Nach dem Qualifying fand wie gewöhnlich die Pressekonferenz der ersten drei Platzierten statt. Nach den üblichen Fragen blickte Michael zu den Journalisten rüber, die fleißig mitschrieben und zuhörten. „Wir haben nichts mehr zu sagen, ist ja auch nicht viel passiert. Aber meines Wissens nach hat Kai noch was mitzuteilen.“ Die Journalisten blickten den Reporter an. Kai war dafür bekannt, dass er manchmal Sachen herausfand, die sonst noch kein Mensch wusste. Dementsprechend neugierig waren die Anwesenden jetzt auch. Kai nickte leicht. Er ging zu den Fahrern hinüber und Michael stand von seinem Platz auf. Die Kameras wurden wieder eingeschaltet, denn Kais Gesicht sah man an, dass es wichtig war, was er zu sagen hatte. „Diesmal geht es nicht um irgendwelche Neuigkeiten, die Branche betreffend.“ Er atmete tief durch. „Ich habe vor drei Tagen meinen Job gekündigt und werde die Szene verlassen.“ Schweigen herrschte. Kai hatte das Statement bewusst in Englisch abgegeben, damit alle es verstanden. Der Chefreporter, der sonst auch der Einzigste war, der Fragen an die Fahrer stellen durfte, wand sich an Kai. „Wieso?“, fragte er einfach. Kai senkte den Blick. Dann jedoch hob er ihn grinsend. „Heute Abend, 18:45 Uhr in den RTL-Nachrichten werden Sie es erfahren. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass es jemanden interessiert, aber falls doch sind das Zuschauer für unseren Sender.“ Damit verschwand er und ließ die anderen einigermaßen verwirrt zurück.
Die Spekulanten überschlugen sich fast mit Ideen, was der Grund für Kais plötzlichen Weggang sein könnte und die verrücktesten Ideen kamen zustande. Da aber nicht einmal Kais Kollegen, mit Ausnahme von Florian genau wussten, was mit ihm los war, kam auch niemand auf den wahren Hintergrund. Über einige der Spekulationen musste sogar Kai lachen. Was seine Kollegen sich so einfallen ließen, war wirklich urkomisch. Niki beteiligte sich mit an der Ideenfindung, wie er es nannte, da er nichts weiter zu tun hatte. Plötzlich sah er einen Mann durch die Boxengassenanlage schlendern, den er zwar gut kannte, bei einem Rennen jedoch nie vermutet hätte. Er ging auf ihn zu. „Peter? Was um alles in der Welt machst du denn hier?“ Peter Kloeppel, Chefredakteur und Nachrichtensprecher von RTL, gab Niki die Hand und grinste geheimnisvoll. „Hat Kai doch schon gesagt. Die Welt aufklären.“ „Wieso interessiert sich die Welt für einen Sportreporter.“ „Nicht für den Sportreporter“, sagte Peter grinsend und ging weiter. Er liebte es, Dinge zu wissen, die sonst kaum jemand kannte.
„Liebe Zuschauer. Es ist 18:45 Uhr und hier ist RTL Aktuell mit einer etwas ungewöhnlichen Sendung.“ Peter saß im Studio, welches sonst von Florian und Niki benutzt wurde und blickte Kai an, der ihm gegenüber saß. Der Reporter war sichtlich nervös. Draußen liefen die Großbildleinwände mit englischem Untertitel auf denen die Nachrichten live übertragen wurden. Die Menschen der Rennszene saßen oder standen davor und warteten gespannt auf des Rätsels Lösung. „Wir sind heute live an der Rennstrecke in Sao Paulo, Brasilien. Der Grund dafür sitzt mir gegenüber.“ Kai nickte leicht. „Kai hat vor drei Tagen überraschend seinen Job bei uns gekündigt. Ohne Erklärung, ohne Ankündigung. Aber wir sind nun einmal ein Fernsehsender und haben natürlich ein bisschen nachgeforscht. Bei diesen Nachforschungen sind einige Kollegen und ich auf sehr interessante Dinge gestoßen, die nichts mit der Formel 1 zu tun haben, aber doch sehr wichtig sind.“ Er wand sich jetzt direkt an Kai. „Erklärst du den Zuschauern und uns, warum du gekündigt hast, oder soll ich dir meine Ergebnisse vortragen?“ Kai atmete tief durch. „Kurz nach meinem Abitur bin ich für einige Monate in die Staaten geflogen. Es war eine Einladung unserer Partnerschule in Washington D.C. und für mich eine ideale Umgebung um mal auszuspannen. In der Schule liefen immer einige Gestalten rum, die mit den Schülern redeten und sie hin und wieder zu Tests mitnahmen. Keiner wusste, wer diese Typen genau waren und was sie wollten. Ich war damals schon ein neugieriger Typ und habe einen von ihnen verfolgt. Er ist direkt zum Weißen Haus gefahren. Natürlich hatte der Sicherheitsdienst mich bemerkt und man brachte mich zu einer Befragung durch CIA-Agenten. Ich habe heute noch den Ruf, den berühmten Eskimos Kühlschränke verkaufen zu können und diese Fähigkeit hat mir damals auch geholfen. Man ließ mich recht schnell wieder frei und lud mich zu einem zweiwöchigen Test ein. Ich ging hin, bestand und bekam eine Spezialausbildung angeboten. Zum Sonderbotschafter. Ich hatte keine Ahnung, was die von mir wollte, spielte aber aus Neugier mit.“ „Du hast die Ausbildung damals mit Bravour geschafft.“ Kai nickte. „Was macht ein Sonderbotschafter?“ „Sonderbotschafter sind... Agenten mit erweiterten diplomatischen Fähigkeiten. Ich bekam eine militärische Ausbildung, um mich wehren zu können, wo Worte versagten und die Erlaubnis, alles zu unternehmen, um meine Ziele durchzusetzen. Unsere Einsatzgebiete waren überall auf der Welt verstreut. Wir schleusten uns in Terrororganisationen ein, redeten mit den Chefs, versuchten, sie zu bekehren und töteten sie, wenn sie nicht mit uns kooperierten.“ Peter zog eine Augenbraue hoch. „Was war euer Hauptziel?“ „Der Weltfriede. Und das Problem war, dass wir auf dem besten Weg waren, es zu schaffen.“ „Problem?“ „In der Politik mischen immer auch Großkonzerne mit. Und diese Konzerne leben vom Elend und vom Krieg. Ohne den Krieg und die Angst vor dem Unbekannte würde die Forschung und Entwicklung viel langsamer vorankommen. Und wir wurden immer mächtiger. Wir schafften es oft, Feindseligkeiten zwischen Nationen einzustellen, die schon seit Jahrhunderten miteinander im Clinch lagen. Dadurch vertrauten uns die Menschen dort. Und sie erzählten uns, dass auch einige unserer Auftraggeber, den Hass lieber schürten, als den Menschen zu helfen.“ „Du sagst immer, ‚wir’. Wen meinst du?“ „Unsere Spezialeinheit bestand aus 18 Leuten. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters.“ „Hast du noch Kontakt zu ihnen?“ „Wie man´s nimmt. Ich besuche sie hin und wieder... auf dem Friedhof.“ Erschrocken sah Peter Kai an. „Wie bitte? Was ist passiert?“ „Wie schon gesagt, wir wurden mächtig. Zu mächtig. Unsere Auftraggeber setzten Berufskiller auf uns an, um uns auszuschalten. Ich wurde schwer verletzt und lag Monate lang im Koma. Als ich wach wurde, standen Geheimdienstler neben meinem Bett und fragten mich aus. Ich tat so, als würde ich mich an nichts erinnern. Sie unterzogen mich vielen Prüfungen und Tests. Aber wie man die besteht, hatten sie mir ja Jahre vorher selber beigebracht. Irgendwann nahmen sie es mir ab, verschafften mir eine neue Identität und schickten mich nach Deutschland zurück, wo ich das wurde, was ich jetzt bin.“ „Und jetzt?“ „Und jetzt merken einige der Herrschaften ganz oben, dass unsere Welt gar nicht mehr sicher ist. Man hat mich gebeten, es noch einmal mit den alten Methoden zu versuchen.“ „Aber, du bist allein.“ Kai nickte. „Ja. Ganz allein.“ „Was genau sollst du machen?“ „Reden. Mit verfeindeten Leuten reden, die ich nie in meinem Leben gesehen habe. Ich soll versuchen, Frieden zu stiften.“ „Und dafür brichst du hier alles ab?“ „Ich habe damals schnell erkannt, dass ein einziges falsches Wort das Ende sein kann. Und wie gut ich heute noch bin, weiß ich nicht.“ „Wo willst du jetzt hin? Irak, Afghanistan, Korea oder Israel.“ Kai lächelte. „Kein Kommentar.“ „Kommst du wieder?“ „Weiß ich nicht.“ „Aber was wird...“ Peter stockte. „Entschuldige“, murmelte er. Kai lachte leise. „Sprich ruhig weiter.“ „Aber...“ „Genau. Sprich ruhig weiter, Peter“, sagte Florian, der am Türrahmen lehnte. „Okay, wenn ihr wollt. Was wird aus euch beiden?“ Er blickte Florian an. „Begleitest du ihn?“ Florian setzte sich zu ihnen. „Nein. Ich würde ihm nur im Weg stehen und ihn gefährden.“ Er blickte Kai traurig an. Peter räusperte sich. „Liebe Zuschauer, das wissen Sie ja gar nicht. Kai und Flo sind seit einigen Jahren zusammen. Bei uns im Sender und hier an der Strecke ist das ein offenes Geheimnis und es stört auch niemanden, aber bis jetzt hatten die beiden kein besonderes Interesse, das publik zu machen.“ Plötzlich fiel Peter etwas anderes auf. „Hast du noch was vor, Flo? Wegen dem Anzug, meine ich.“ Florian trug einen schwarzen Designeranzug, ein weißes Hemd, eine Krawatte und blitzende schwarze Lackschuhe. Er nickte. „Ja. Etwas sehr Wichtiges.“ Er nahm Kais Hand. „Ich kann nicht verhindern, dass Kai morgen wer weiß wohin geht, aber ich lasse ihn nicht so gehen. Wir werden in einer Stunde heiraten und ich würde dich deshalb bitten, die Sendung langsam zu beenden. Kai muss sich noch umziehen.“ Kai lächelte leicht. „Wir sind sowieso gleich fertig.“ Peter blickte die beiden mit offenem Mund an. „Ihr habt es aber eilig.“ Florian sah ihn ernst an. „Wir haben nur noch ein paar Stunden. Morgen um diese Zeit wird Kai bereits weg sein. Natürlich haben wir es eilig.“ Kai blickte in die Kamera. „Ich weiß, das waren ziemlich viele Informationen auf einmal, aber das ging jetzt nicht anders. Ich möchte mich schon jetzt von meinen Fans und den Stammzuschauern verabschieden. Mein Job hat mir immer eine Menge Spaß gemacht und ich hoffe, mir ist es gelungen, ein wenig von diesem Spaß an Sie weiterzugeben. Ich werde das alles wahnsinnig vermissen.“ Er stand auf, zog Florian mit hoch und sah ihn an. „Ich verschwinde jetzt. Sehen wir uns unten?“ „Sicher. Beeil dich. Niki ist schon ganz aufgeregt.“ Kai hauchte Florian einen Kuss auf die Lippen und drehte sich um. „Mach´s gut Peter. Wenn´s klappt, melde ich mich mal.“ „Wäre schön, vor allem für die Zuschauerquote.“ Damit war Kai weg. Florian setzte sich hin. Traurig blickte er in die Kamera. „Wenn einem von Ihnen etwas einfällt, wie ich ihn halten kann, schreiben Sie es bitte dem Sender.“ „Du siehst verzweifelt aus.“ „Das bin ich, Peter. Ich liebe Kai. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich weiß nicht, ob ich ihn jemals wieder sehe, wenn er morgen geht. Ich würde alles tun, um ihn zu halten.“ „Warum tust du es dann nicht? Ich bin mir sicher, du hättest die Möglichkeit dazu.“ Florian seufzte. „Kai ist gut. Wenn er Erfolg hätte, wenn er wirklich Frieden stiften und Menschen retten könnte, wäre es dieses Opfer wert.“ Peter sah Florian anerkennend an. „Wie machst du das nur? Ich würde das nicht bringen. Du bist unheimlich stark.“ „Das sieht nur so aus, weil ich sitze. In Wahrheit fühle ich mich sehr schwach.“ „Das hat wohl eher mit der bevorstehenden Trauung zu tun“, sagte Peter mit einem hintergründigen Lächeln. „Vielleicht.“ „Wir beenden damit die Sendung. Ich werde natürlich versuchen, sie in den nächsten Tagen und Wochen auf dem Laufenden zu halten, was Kai betrifft.“ „Kommst du mit?“ „Meinst du, das lasse ich mir entgehen?“ Florian lächelte. „Wir haben uns geschworen, die Trauung zu wiederholen, wenn Kai zurück ist.“ „Na dann hat er doch einen wichtigen Grund, wieder zu kommen.“
Die Trauung fand unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur Kai und Florian, ihre Trauzeugen Niki Lauda und Heinz-Harald Frentzen und Leute der Formel 1 – Szene waren da. Und natürlich Peter Kloeppel. Der Priester, der die beiden Männer vermählte, sprach in einem gebrochenen Englisch und die Trauzeugen hatten etwas Mühe, ihren Einsatz nicht zu verpassen. Am Ende standen sich Kai und Florian gegenüber und blickten sich lange schweigend an. Kai hielt vorsichtig die Hände seines Ehemannes und versuchte, sich dessen Gesichtszüge genau einzuprägen. Schließlich lächelte er, zog Florian in seine Arme und küsste ihn unter dem Applaus der Anwesenden. Nachdem alle ihre Glückwünsche losgeworden waren, ging die Gruppe in einem kleinen Lokal in der Nähe der Rennstrecke etwas Essen. Florian und Kai wurden allerdings nach einer Weile ziemlich unruhig. Heinz grinste breit und flüsterte Kai zu: „Haut schon ab. Ich kann mir vorstellen, dass ihr heute noch etwas Wichtigeres vorhabt, als hier zu sitzen und mit uns zu quatschen.“ Kai nickte, flüsterte kurz mit Florian und zog ihn dann hoch. „Wir verschwinden“, sagte er laut. „Tut mir leid, dass das alles so schnell gehen muss, aber ich möchte mit Flo noch ein paar Stunden allein sein.“ Florian schmiegte sich gegen ihn und nickte bestätigend. „Genau.“ Die anderen verabschiedeten die beiden Männer und einige konnten sich ein paar zotige Sprüche nicht verkneifen. Niki sah den beiden traurig nach. „Hoffentlich kommt Kai wieder. Florian würde es ohne ihn nicht schaffen.“
Im Hotelzimmer angekommen, stand Kai unschlüssig im Flur. „Was machen wir jetzt?“ Florian grinste leicht. „Ich wüsste da Einiges. Es ist schließlich unsere Hochzeitsnacht.“ Er ging auf ihn zu und umarmte ihn. „Und normalerweise...“ Den Rest des Satzes flüsterte Florian Kai ins Ohr. Und der wurde rot. Er schluckte. „Flo, so kenne ich dich ja gar nicht.“ Dessen Hände glitten unter Kais Kleidung. „Dann wirst du mich jetzt kennen lernen.“ Damit küsste er ihn.
Stunden später, es war fast Morgen, standen die beiden Männer auf der Terrasse ihres Hotelzimmers und blickten auf die noch schlafende Stadt hinunter. Kai trug nur seine Shorts und ein Hemd, welches im leichten Wind flatterte. Florian hatte sich einen Bademantel übergestreift und stand hinter ihm. Seine Arme hatte er um Kais Oberkörper geschlungen, sein Kinn ruhte auf dessen rechter Schulter. Geschlafen hatte die beiden Männer in der vergangenen Nacht überhaupt nicht. Die Angst, etwas zu verpassen, war übermächtig gewesen. „Die Sonne geht auf“, sagte Kai leise. Florian nickte leicht. „Ja.“ Kai drehte sich um und schlang die Arme um Florian. „Flo, ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, dass es mir schier das Herz zerreißt, wenn ich daran denke, dass ich heute weg muss.“ Tränen glitzerten in seinen Augen. Florian küsste Kai hastig. „Ich liebe dich auch, Kai“, murmelte er leise gegen den Mund seines Freundes. Er schmiegte sich eng an ihn. Kai spürte die Tränen seines Freundes, die jetzt auch sein Gesicht benetzten. Er löste den Kuss und ließ seinen Kopf auf Florians Schulter sinken. ‚Es fällt mir so schwer, zu gehen. Warum tue ich es eigentlich?’ Er schluchzte. Ein letztes Mal durfte er jetzt Schwäche zeigen. Bei seiner bevorstehenden Aufgabe war das unmöglich. Es könnte ihn das Leben kosten. Auch Florian weinte. Sein Herz schrie, dass Kai bleiben soll, doch sein Verstand dachte an die unschuldigen Menschen, die Kai retten konnte. Man hatte ihn damals nicht umsonst ausgesucht. Er besaß eine Gabe, die sonst kaum jemand auf der Welt hatte. Er schluchzte. „Schwöre mir, dass du zurück kommst“, sagte er schließlich. Kai sah ihn lange an. Schließlich nickte er leicht. „Ich schwöre dir, dass ich zurück komme. Aber wann das sein wird, kann ich dir leider nicht sagen.“ „Das brauchst du auch nicht. Ich werde warten, mein Liebster.“
Der Tag verging in gewohnter Weise und viel zu schnell. Von der RTL – Crew konnte sich kaum jemand wirklich auf das Rennen konzentrieren. Vor allem Florian und Kai machte teils haarsträubende Fehler, was ihnen aber niemand übel nahm. Von den Zuschauern kamen Glückwunschmails für Kai und Florian. Und zwar in solchen Massen, dass das Netz des Senders kurz zusammenbrach. In vielen Mails standen teils ernst gemeinte, teil einfach nur aufmunternde Worte und Tipps. Die Resonanz auf das Outing der beiden Journalisten war durchgehend positiv. Florian stand zitternd vor der Kamera. „Liebe Zuschauer... das Rennen und die Saison 2004 sind vorbei. Ich wünsche Ihnen eine schöne Formel 1 – freie Zeit.“ Er atmete tief durch, schaffte es aber kaum, seine Tränen zurück zu halten. Niki sah ihn besorgt an. Dann folgte er Florians Blick. Der Kameramann drehte die Kamera, so dass auch die Zuschauer sahen, was an der Rennstrecke geschah. Kai hatte sich bereits umgezogen. Von seinen Sachen nahm er kaum etwas mit, nur eine Reisetasche hatte er bereits am Morgen mit an die Strecke gebracht. Sie hatte seit zwei Tagen fertig gepackt im Hotelzimmer gestanden. Jetzt stand der Reporter am Eingang und ließ seinen Blick noch einmal über die Strecke schweifen. Er hatte sich von allen verabschiedet, die ihm wichtig waren. Schließlich blickte er Florian an. Eigentlich hatten er und Kai sich bereits am Morgen Lebewohl gesagt und wollten es dabei belassen. Doch als Kai jetzt die traurigen Augen seines Freundes sah, wurde ihm erneut mit brutaler Deutlichkeit bewusst, was er ihm mit seiner Entscheidung antat. Er blickte zum Ausgang, zögerte und ließ schließlich seine Tasche auf den Boden gleiten. Er lächelte Florian zu. Den hielt nichts mehr. Er drückte Niki sein Mikro in die Hand und rannte, halbblind aufgrund der Tränen in seinen Augen, auf Kai zu. Der fing ihn auf und schloss ihn in seine Arme. Keiner der beiden sagte ein Wort. Sie hielten sich einfach nur fest. Eine Ewigkeit später trennte sich Florian von Kai. Sein Gesicht war nass. Kai strich ihm zärtlich über die Wange und küsste ihn innig. „Ich komme zurück, Flo. Ich komme zurück.“ Er hauchte ihm noch einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, nahm seine Tasche und verschwand. Niki trat hinter Florian und legte den Arm um die Schulter des Moderators. Der lächelte dankbar und wischte sich übers Gesicht. Die Abschiedsszene ging um die Welt. Es gab natürlich auch feindselige Kommentare gegenüber dem homosexuellen Paar, die sich jedoch sofort legten, als Papst Johannes Paul II. äußerte, dass er großen Respekt vor den beiden Männern hatte. Nicht jeder hätte sich in diesem Moment dafür entschieden, seine eigenen Gefühle und sein persönliches Glück so in den Hintergrund zu stellen. Er wünschte Kai alles Gute und Florian die Kraft, auf ihn zu warten. Florian hatte die Rede natürlich aufgezeichnet und sah sie sich hin und wieder an, wenn er Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung bekam.
Kai hatte Erfolg. In wenigen Wochen schaffte er es, die Schiiten im Irak zu beruhigen und einigermaßen die Sicherheit wieder herzustellen. Es gab nahezu keine Anschläge mehr und die Menschen verstanden langsam, dass jetzt Frieden herrschte. Danach reiste Kai nach Afghanistan, stellte jedoch schnell fest, dass es für ihn hier nichts zu tun gab. Das Land kam auch so zur Ruhe. Die Menschen waren mit dem Aufbau beschäftigt und benötigten zwar Hilfe anderer Länder, aber keine Einmischung. Also tat der Reporter das, was er am besten konnte. Er stellte Fragen. Viele Fragen. Und am Ende fand er, wen er suchte. Ein Jahr nach der Übernahme seines alten Berufes saß er irgendwo in Pakistan Osama bin Laden gegenüber und unterhielt sich mit dem Terrorchef über die Al-Quaida. Kai war natürlich bewaffnet und bin Laden wusste dies auch, doch er vertraute seinen Informanten. Die hatten ihm nämlich erzählt, dass Kai seine Waffe nur benutzte, wenn er angegriffen wurde und das hatte er nicht vor. „Sehen Sie, Kai“, sagte der Mann nach einigen Stunden, „ich bin alt. Ich habe keine Kraft und vor allem keine Lust mehr zu kämpfen. Aber ich habe ein Monster geschaffen, welches ich nicht mehr stoppen kann.“ Kai lächelte. „Ich hätte eine Idee, wie man die Al-Quaida sprengen kann, ohne dass dabei noch mehr Menschen sterben.“ Erstaunt sah der Terrorist Kai an. „Wozu brauchen Sie mich dann noch?“ „Ich pfusche nicht gern anderen Leuten ins Handwerk. Das kann ich selber auch nicht leiden und es geht meistens nach hinten los.“ Bin Laden lachte auf. „Sie sind wirklich sehr ungewöhnlich, Kai. Nun gut. Ich gebe Ihnen freie Hand und meine Unterstützung. Aber ich habe eine Forderung. Ich will nicht dort enden, wo Saddam jetzt ist.“ „Ich verrate sie nicht.“ Der Terrorchef blickte den jungen Mann an, der ihm offen in die Augen sah. „Dann erzählen Sie mal.“ Eine Woche später flimmerte bei Al-Jazeera, dem wichtigsten Fernsehsender der arabisch sprechenden Welt, eine aufsehenerregende Rede von bin Laden über den Bildschirm. Auch CNN übertrug es und somit hatte jeder auf der Welt die Chance es zu sehen. Bin Laden verkündete das Ende der Al-Quaida, erklärte den Heiligen Krieg für unsinnig und gab zu, den Koran falsch ausgelegt zu haben, um Terror zu säen und Geld zu verdienen. Er befahl seinen Kämpfern, die Waffen niederzulegen und nach Hause zu ihren Familien zurückzukehren, wo sie auch hingehörten. „Unglaublich“, hauchte Niki. Es war Samstag Abend und die Formel 1 befand sich in Belgien. Florian lächelte selig. „Diese Rede hat Kai geschrieben.“ „Wie kommst du darauf?“ „Weil bin Laden niemals so kompliziert und ausgewählt sprechen würde. Erst recht nicht, wenn er sich gerade selber als Lügner darstellt.“ „Seid mal still“, sagte Michael plötzlich. Bin Laden straffte sich. „Und damit hier keine falschen Hoffnung aufkeimen, dass dies hier vielleicht nicht echt wäre...“ Er trat zur Seite und Kai kam ins Bild. Er lächelte zufrieden in die Kamera. „Mister Bush, ich habe Osama bin Laden die Freiheit versprochen und wünsche, dass meine Bemühungen nicht untergraben werden. Dieser Friede hier steht noch auf sehr wackligen Beinen und wenn sie sich nicht an unsere Abmachungen halten, dann gnade Ihnen Gott.“ Florian lachte. „Das ist Kai. Steht neben einem Top-Terroristen und mault den Präsidenten der USA an.“ Kai blickte in die Kamera. Er wusste, dass Florian das jetzt sah und blickte direkt in die Linse. Er hob seine Hand ein wenig und drehte kurz seinen Ehering. Florian schluckte schwer. Niki blickte ihn verwundert an. „Was ist?“ „Nichts. Er hat mir nur gesagt, dass er mich liebt und wahnsinnig vermisst.“ Er wischte sich schnell über die Augen. „Telefoniert ihr eigentlich mal?“, fragte Michael. „Nein. Das ist viel zu gefährlich. Es gibt nämlich Menschen, die Kai lieber in einem Sarg sehen würden. Vor allem bei seiner nächsten Mission.“ „Und die ist...?“ „Sage ich nicht. Ich weiß es ja nicht einmal genau, aber... Ich kenne ihn und weiß, woran sein Herz hängt.“
Sudan, Israel, Kaschmir. Innerhalb von acht Monaten hatte Kai diese Krisenherd abgearbeitet und befand sich jetzt in Nordkorea. Er saß in einem Gefängnis, was ihn nicht sonderlich störte. Das war er gewöhnt. Seine Personalien mussten erst überprüft werden und bis dahin wurde er scharf bewacht. Er dachte an Israel. Er hatte schon oft versucht, Ruhe in die Region zu bringen, aber diesmal hatte er zum ersten Mal das Gefühl, dass er es geschafft haben könnte. Vielleicht hatte er diesmal gewonnen und diese Sturköpfe von Regierung hielten sich an die Abmachung die er mit ihnen getroffen hatte. Kai hoffte es. Er wollte nach Hause. Er vermisste Florian so sehr, dass er sich nicht mehr richtig auf seine Arbeit konzentrieren konnte und Bush hatte ihm erlaubt, nach dieser Mission aus dem Business aufzusteigen. Er hatte sich zig Mal bei ihm bedankt und gebettelt, dass Kai vielleicht doch irgendwann zurück kommen würde, doch der hatte abgelehnt. Wenn er jetzt aufhörte, dann endgültig für immer. Kai schrak hoch, als die Tür aufging. Ein Uniformierter kam herein. Finster blickte er Kai an und winkte ihn mit sich. „Verstehen Sie mich?“, fragte er in Koreanisch. „Ja“, antwortete Kai. Sprachen waren schließlich sein Fachgebiet. „Gut. Unser Präsident wünscht Sie zu sehen.“ Kai blieb unruhig. Irgendwie hatte er ein schlechtes Gefühl bei dem Mann. Einige Stunden unterhielt sich Kai mit Präsident Chen, dem neuen Präsidenten von Nord-Korea. Erfreut stellte er fest, dass der wesentlich kooperativer war, als sein Vorgänger. Schließlich einigten sich die Männer auf weitere Verhandlungen. „Aber nur unter dem Vorsitz der NATO“, forderte Chen. „Zu den USA allein habe ich kein Vertrauen.“ Kai lächelte. „Sicher. Kann ich verstehen. Ich werde alles so weitergeben, wie Sie es mir gesagt haben.“ „Werden Sie die Verhandlungen führen?“ „Nein. Ich will mich aus diesem Business zurückziehen. Ich habe lange genug hier gearbeitet. Aber ich habe ein Auge drauf, Präsident Chen, das versprechen ich Ihnen.“ „Eigentlich sind Sie zu jung für den Ruhestand“, sagte der Mann lächelnd. „Aber ich akzeptiere Ihre Entscheidung.“ „Ich danke Ihnen.“ Kai erhob sich. „Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich möchte zum Flughafen und nach Hause.“ „Soll ich Ihnen eine Eskorte mitgeben?“ „Eine Eskorte? Nein, danke.“ „Sie müssen verstehen, es gibt hier Menschen, die einen Frieden mit dem Süden als sehr negativ und vor allem unprofitabel empfinden. Und die machen Sie zum Sündenbock.“ „Ich weiß. Ihr Polizeichef ist einer von Ihnen.“ Chen nickte. „Ja, das ist er. Sie sollten sich besser in der nächsten Zeit nicht mehr in diesem Land sehen lassen.“ „Versprochen. Und... danke für Ihren Mut, Präsident.“ Als Kai den Sitz des Präsidenten verließ, hatte er das Gefühl, als würden ihm tausend Augen folgen. „Nun bleib mal ganz ruhig“, murmelte er. „Das sind nur deine Nerven. Bald bist du zu Hause.“ Er dachte an Florian und lächelte leicht. Er steckte den Schlüssel ins Schloss seines Autos und wollte gerade einsteigen, als ihn ein Schlag gegen den Rücken traf. Mit einem leisen Aufschrei fiel Kai gegen den Wagen. Er spürte Blut, welches seinen Rücken hinabrann. Krampfhaft suchte er halt, glitt jedoch immer tiefer hinab. Hinab in einen blutroten Nebel und von dort in tiefe Finsternis.
„Genau“, sagte Florian. „Genau aus diesem Grund würde ich das versuchen.“ „Flo und seine Innovationen.“ Felix grinste. „Aber okay. Ich mach es. Die Rallye interessiert mich sowieso, ich kenne viele der Leute dort persönlich. Mal sehen, ob man die Zuschauer begeistern kann.“ Florian grinste breit. Seine Idee hatte sich durchgesetzt. Er nahm sein Wasserglas und trank einen Schluck. „Gut, dann...“ Mit einem Klirren fiel das Glas zu Boden. Seine Kollegen blickten Florian an. Er war kreidebleich. Zitternd und mit schweißbedecktem Gesicht stand er am Tisch. Felix sprang auf und lief zu ihm. „Florian, was um alles in der Welt ist los?“ „Kai“, wisperte er leise. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er seinen Kollegen an. „Irgendwas ist passiert. Und es ist nichts Gutes.“ Die anderen blickten ihn erschrocken an. Sie glaubten nicht an Prophezeiungen oder einen sechsten Sinn, aber sie kannten Florian. Und wenn es um Kai ging, machte er niemals irgendwelche Scherze.
Präsident Chen hatte das Attentat beobachtet. Er war gerade auf dem Weg nach draußen gewesen, als ihm Kais Brieftasche auffiel, die noch auf dem Schreibtisch lag. Er hatte sich beeilt, um den Mann noch zu erreichen und sah, wie Kai bewusstlos zusammenbrach. An der Tür stand sein Polizeichef mit einer Waffe in der Hand. Chen war jahrelang bei der Armee gewesen und hatte viele Menschen getötet. Er zog seine Waffe und erschoss den Attentäter. „Wenigstens einmal stehe ich auf der richtigen Seite“, sagte er an die Leiche gewand. Dann zog er sein Handy hervor und rief eine Ambulanz. Allerdings sah die Verletzung von Kai nicht so aus, als könnte dem Mann noch irgendwer helfen. Jetzt saß Chen wieder im Büro und blickte auf das Leder von Kais Brieftasche. ‚Ob er Familie hat?’, dachte er und suchte nach einem Hinweis. Dabei fiel ihm das Foto eines Mannes in die Hand. Auf der Rückseite stand: ‚Für die Sonne in meinem Leben. In Liebe, Flo.’ Chen verstand Deutsch, da er die Sprache in der Schule gelernt hatte und er verstand auch die Bedeutung. Er lächelte kurz, wurde dann jedoch wieder ernst. Er suchte weiter und fand eine Visitenkarte von einem Florian König. „Flo... Florian... das könnte passen.“ Er nahm den Hörer vom Telefon und rief in Köln an.
„Flo, beruhige dich.“ Jan hockte vor ihm und hielt ihm ein Glas Wasser hin. „Es wird schon nichts sein.“ „Und wenn doch? Was ist, wenn...“ Florians Handy klingelte. Erschrocken zuckte er zusammen und ging ahnungsvoll ran. Während er sprach, wurde er zusehends blasser. Sein Chef, der gerade den Raum betreten hatte, blickte ihn verwundert an. Florian zitterte so sehr, dass er nicht einmal das Gespräch beenden konnte. Er ließ das Handy einfach fallen. Es war unwichtig, ob es kaputt ging. Alles war unwichtig. Ganz vorsichtig zog Felix seinen Stuhl zu Florian und blickte ihn fragend an. „War das wegen Kai?“ Der nickte langsam. Mit ausdruckslosem Gesicht blickte er die anderen an. „Das war der Präsident von Nord-Korea. Vor einer Stunden wurde auf Kai ein Attentat verübt. Er wurde aus kurzer Distanz mit einer 45mm in den Rücken geschossen.“ „Mein Gott“, murmelte Heiko. „Damit kann man ja einen Elefanten von den Füßen holen.“ Florian lachte freudlos. „Ja, den auch. Kai liegt mit schwersten Verletzungen im Koma und die Ärzte geben ihm keine Chance.“ Er schluchzte auf. „Und ich kann nicht mal zu ihm, da die Einreiseformalitäten über sechs Monate in Anspruch nehmen würden.“ Wütend ballte er die Fäuste, brach dann aber zusammen. Felix hielt ihn fest. Er wusste, dass Florian vor genau dieser Situation immer am meisten Angst gehabt hatte. Zu wissen, dass Kai ihn jetzt brauchte und ihm nicht helfen zu können, ihn nicht einmal sehen zu können, war für ihn das Grausamste, was man ihm antun konnte.
Einige Stunden später kniete Florian vor dem Altar in einer kleinen Kirche. Hier war er oft gewesen in den letzten Jahren, wenn er nicht mehr weiter wusste. Kais Kette baumelte zwischen seinen gefalteten Händen. Seine Gedanken kreisten um Kai. Immer wieder ging ihm sein Name durch den Kopf. Er erinnerte sich an die schöne gemeinsame Zeit, die sie hatten, an die Scherze, die er oft mit den Kollegen veranstaltet hatte und an die endlose Liebe, die er ihm entgegenbrachte. Viele Stunden saß er so da. Der Pfarrer der kleinen Kapelle ließ Florian mit seinen Gedanken allein. Er sah die Schmerzen, die der Mann hatte. Nicht nur die, die durch das Knien auf dem Holzfußboden hervorgerufen wurden, sondern vor allem die, die von innen kamen. Er sah, dass Florian sich in einem regelrechten Trancezustand befand. Seine Gedanken waren unendlich weit weg.
Kai schwebte in der Dunkelheit. Ihm war es, als fiele er, ohne jedoch eine bestimmte Richtung erkennen zu können. Wirre Gedanken kreisten in seinem Kopf und spiegelten die Finsternis um ihn herum wieder. Er fühlte sich hilflos, hatte Angst und wahnsinnige Schmerzen. Er wurde immer schwächer, suchte nach Halt und fand doch nichts. Plötzlich vernahm er das Wispern. Es schien so weit weg und kam doch aus ihm heraus. Er hörte genau zu, versuchte zu verstehen. ‚Kai’, hauchte die Stimme. ‚Bitte lass mich nicht allein.’ Kai wollte antworten und konnte nicht. Er kannte die Stimme, aber wusste doch nicht, zu wem sie gehörte. ‚Du hast mir geschworen, du kommst zurück.’ Ein Name drang in sein Gehirn. Florian. Ja, genau. Es war Florian. Aber wo war er? Kai blickte sich um. ‚Lass mich nicht allein, Kai.’ Das Flehen wurde drängender. ‚Ich liebe dich doch. Ohne dich ist alles sinnlos.’ ‚Flo’, murmelte Kai in Gedanken. Plötzlich wurde es heller. Kai erkannte das schummrige Innere einer Kirche. Er schien etwas unterhalb der Decke zu schweben. Florian kniete vor dem Altar. Kai sah die vor Schmerzen gekrümmte Haltung, das Zittern, welches durch den Körper seines Freundes lief. Die Tränen auf seinen Wangen, die unaufhörlich auf den kalten Fußboden tropften. Und er hörte das verzweifelte Schluchzen seines Freundes. Es durchbohrte ihn förmlich. ‚Es ist alles meine Schuld’, dachte er. ‚Wie konnte ich nur gehen.’ Es tat so weh. Die Schuldgefühle zerrissen ihn förmlich von innen. Kai hielt es nicht mehr aus. Er wollte mit Florian sprechen, aber wie. Er öffnete den Mund und brachte unter riesiger Kraftanstrengung ein Keuchen hervor. Plötzlich schienen Florians Konturen zu verschwimmen. Eine durchschimmernde Gestalt löste sich von seinem Freund. Sie blickte ihn fragend an. ‚Kai’, flüsterte Florian. Er schwebte auf Kai zu. ‚Es tut mir so leid, Flo’, flüsterte Kai. ‚Geh nicht, Kai. Bitte verlass mich nicht.’ Tränen glitzerten in den Augen des fast durchsichtigen Abbildes seines Freundes. ‚Ohne dich will und kann ich nicht leben.’ ‚Ich werde dich nicht verlassen, Flo. Ich liebe dich viel zu sehr, um jetzt schon zu gehen.’ Kai spürte, wie ihn etwas in die Dunkelheit zog. Er streckte die Hand seinem Freund entgegen. Der berührte sie leicht und löste sich auf. Kai hatte das Gefühl in einem Strudel zu versinken. Er verlor jegliche Orientierung.
Ein Arzt, zwei Pfleger und die Schwestern, die um Kai herumstanden und seinen Zustand diskutierten, blickten den Mann erstaunt an. Sie hatten ihn für fast tot gehalten und jetzt saß er halb im Bett, die Augen weit aufgerissen und starrte sie entgeistert an.
Florian rutschte zur Seite und fiel vor dem Altar zu Boden. Der Pfarrer ließ sich neben ihn nieder und blickte ihn fragend an. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er besorgt und half Florian beim Aufstehen. Mit tränenüberströmtem Gesicht nickte der. „Ja. Jetzt ja.“ Er blickte den Geistlichen an. „Ich habe ihn gesehen.“ „Ihren Freund?“ Florian nickte. „Er lebt.“ Er erzählte dem Pfarrer, was geschehen war. „Ich weiß, das klingt unwahrscheinlich, aber ich habe Kai gesehen. Und ich habe mit ihm gesprochen.“ Der Pfarrer nickte bedächtig. „Ich glaube an eine Menge Dinge, Herr König. Sie knien hier seit über 18 Stunden auf dem Holzfußboden. Seit Sie hier sind, konzentrieren Sie sich nur auf Ihren Freund. Ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, Sie hatten Kontakt mit ihm. Die Liebe kennt keine irdischen Grenzen.“ Florian lächelte den Geistlichen dankbar an. „Danke, dass Sie mich einfach in Ruhe gelassen haben.“ „Ich bitte Sie. Das ist doch selbstverständlich.“ Der Pfarrer legte Florian eine Hand auf die Schulter. „Versprechen Sie mir bitte etwas. Wenn er wieder da ist, schauen Sie mal vorbei.“ „Das verspreche ich Ihnen.“
Zwei Monate später war das nächste Rennen. Florian ging es wieder besser und die anderen hätten natürlich gern den Grund erfahren. Doch der Journalist schwieg. Das würden sie nicht verstehen und ihm garantiert auch nicht glauben, da war Florian sich sicher. Der Samstag verging und Florian war am Abend todmüde. Er ging früh schlafen, wurde in der Nacht jedoch von einem leichten Schaben geweckt. Es kam von der Tür her. Irgendjemand schloss von draußen auf. Vorsichtig griff Florian zum Lichtschalter und schaltete das Licht ein als die fremde Person im Zimmer stand. Geblendet hielt der Mann sich die Hand vor die Augen. Florian war froh, dass er saß. Ungläubig schaute er auf die erschöpft aussehende Gestalt an der Tür. „Kai?“, hauchte er vorsichtig. „Bitte sag mir, dass das kein Traum ist.“ „Doch“, sagte er blinzelnd. „Es ist immer ein Traum, dich zu sehen.“ Florian sprang aus dem Bett und fiel Kai schluchzend um den Hals. „Vier Jahre. Vier verdammt lange Jahre. Ich lass dich nie wieder weg, Kai.“ Der schüttelte leicht mit dem Kopf. „Ich geh auch nicht wieder weg, Flo. Ich habe dich so vermisst, mein Schatz.“ Tränen liefen über sein Gesicht. Sie standen eine ganze Weile so da. Bis Florian anfing, vor Kälte zu zittern. Er zog Kai die Sachen aus und ihn schließlich in sein Bett. Dort kuschelte er sich in die Arme seines Freundes. „Ich muss dich etwas fragen. Warst du das wirklich in der Kirche?“ Kai blickte ihn ernst an. „Ja, das war ich.“ „Ich habe davon gehört, dass einige Mönche berichten, dass man durch Meditation und Gedankenkontrolle mit dem Geist einer anderen Person Kontakt aufnehmen kann, aber ich habe es nie geglaubt. Wie hast du das geschafft?“ „Du hast mich doch gesehen. Als du erschienen bist, kniete ich bereits seit ungefähr 17 Stunden dort. Die Schmerzen haben mir geholfen, alles zu vergessen. So konnte ich mich einzig auf dich konzentrieren.“ „Unglaublich.“ „Ich denke nicht, das es Geister waren, die sich in der Kirche trafen, Kai. Ich glaube, es waren unsere Seelen.“ Er nahm die Kette seines Freundes vom Nachttisch und legte sie ihm wieder um. Kai lächelte und küsste Florian. „Ich habe diesen Job gekündigt. Alles, was ich schaffen wollte, habe ich geschafft. Jetzt sind andere dran.“ Florian kuschelte sich noch dichter gegen seinen Freund. „Ich liebe dich, mein Schatz. Ich liebe dich so sehr, dass man es mit Worten gar nicht ausdrücken kann.“ Kai hielt ihn vorsichtig fest und blickte ihn lächelnd an. Er küsste ihn auf die Stirn und schaltete das Licht aus.
„Alte Schlafmütze“, sagte Felix zur Begrüßung am nächsten Morgen zu Florian. „Ich habe versucht, dich zu wecken, aber da kann man ja ewig klopfen.“ „Entschuldige, aber ich hatte Besuch.“ Interessiert blickten die anderen ihren Kollegen an. Florian strahlte über das ganze Gesicht. Und hinter ihm stand der Grund für dessen Freude. „Kai“, rief Jan erfreut, stand auf und begrüßte ihn. Auch die anderen freuten sich riesig. Kai setzte sich mit an den Tisch, nachdem er das gesamte Team begrüßt hatte und griff gierig zu. „Lecker“, nuschelte er mit vollem Mund. „Besser als Reis.“ Die anderen lachten. „Von der Lebensmittelseite her ist Nordkorea echt langweilig.“ „Seit wann bist du wieder hier?“, fragte Felix neugierig. „Ich bin gestern nacht um halb eins mit dem Flieger gelandet und war eine Stunde später hier.“ „Du haust aber nicht wieder ab, oder?“ „Nein.“
An der Strecke war Kais Rückkehr natürlich Thema Nummer Eins. Alle freuten sich und viele Kollegen interviewten ihn bezüglich seiner Arbeit. „Und was hast du jetzt vor?“, fragte Marc Surer von Premiere World. „Ich will meinen Freund noch mal heiraten, ganz groß diesmal, meinen alten Job wieder haben und in Ruhe und Frieden alt werden.“ Florian, der in der Nähe stand, schüttelte grinsend den Kopf. „Punkt eins und zwei sind okay, aber alt werden?“ „Wieso?“ „Wir haben vier Jahre nachzuholen, mein Lieber. Und das am besten gleich heute.“ Er grinste seinen Mann an und drehte sich um. Einige Kollegen lachten, angesichts von Kais entsetztem Blick. „Was ist, Kai? Bist du schockiert, dass er so offen ist?“ „Nein. Ich bin schockiert, weil er das völlig ernst gemeint hat.“ Erneutes Lachen war die Reaktion.
Aber hallo. Kitty das ist ne Megastory. Einfach hammer. Ich habe ja erst gedacht, ich krieg mich nicht mehr, aber dann das in der Kirche. He hammer. Also mir fehlen die Worte. es war so schön, aber auch so traurig. Also ich bin echt hin und weg.
*kreisch* AAAAHHHH... so viele Kommis... das heißt ja, es gibt mehrere Leser *rotwerd* Menno... die Stories wollte ich nie on stellen, das sind alles nur Versuche...
Ähm.. sorry für den Ausbruch, aber ich war jetzt echt überrascht. Danke jedenfalls für die netten Kommis. Hat mich echt gefreut, da ich die Story auch sehr mag.
Was für eine fantastische Story!!! Gummy hat recht, da wechseln sich Gänsehaut und Tränen ab. *schnief* 18 Stunden in einer Kirche...meine Güte. Ich frage mich, wie du auf diese Idee gekommen bist...Sonderbotschafter. Was für ein Job. Ich wünschte, es würde wirklich funktionieren. Was könnte die Welt doch für ein schöner Ort sein. *seuftz* Ich erwische mich jedesmal dabei, dass ich ein Kommi mit "Mach bitte ganz schnell weiter" beenden möchte...was natürlich speziell bei Abschlusskommis relativ sinnlos ist. Daher hier eine Alternative: Schreib bitte ganz schnell ganz viele neue Stories!!! Ich liebe sie alle! lg, Isi =)