Hier eine neue Story, deren Hintergrund ich mal noch nicht verrate. Nur eins... Alex ist natürlich nicht die Alex von K11, klar, sonst würde die Story ja nicht hier stehen.
Hier kommt Alex
1981
Er sah sich um, seine blauen Augen unter dem langen blonden Pony nahmen jede Einzelheit der Umgebung auf. Das tolle Wetter, den blauen Himmel, die strahlende Sonne. Die ängstlichen Blicke einiger Leute, die schnell vorbeihasteten, seine Leute, die vor dem Motorradclub auf ihre Maschinen stiegen und sein eigenes Bike. Der Chrom warf die Sonnenstrahlen zurück und funkelte. Er hatte es eigenhändig geputzt, die einzige Arbeit, die er noch machte. Das Motorrad war sein Leben, er hatte es von seinen Jungs geschenkt bekommen. Von Jugendlichen und Männern, die ausnahmslos mehrere Jahre älter waren als er. Aber sie respektierten ihn und hatten es ihm geschenkt, damit er trotz seiner jungen Jahre so war wie sie. Obwohl er erst 15 Jahre alt war und eigentlich noch nicht fahren durfte. Aber sie hatten ihm gezeigt, wie man eine Maschine wie diese richtig fuhr, wie man sie beherrschte und er hatte es gelernt. Schneller als die Lektionen zu Hause, die sein strenger Vater ihm versucht hatte, einzubläuen, schneller als in der Schule, wo man ihm versuchte, Dinge zu erklären, die er nie wieder brauchen würde, die er auch gar nicht erst lernen wollte. Sein Blick glitt wieder über die Gesichter der Gang und blieb an dem von Snake hängen. Snake war ein breiter, großer Mann, 25 Jahre alt, Glatze. Über seinem rechten Auge verlief eine auffällige Narbe. Diese Verletzung hatte er sich zugezogen, als er in einer Schlägerei seinen jungen Boss beschützt hatte. Snake wusste zwar, dass der Kleine kämpfen konnte, aber manchmal kam der Beschützerinstinkt in ihm hoch, dann warf er sich vor ihn. Dafür akzeptierte der junge Boss ihn, mochte ihn sogar, er hatte endlich mal jemanden, der für ihn eintrat, das hatte er bisher nie erlebt. Darum war Snake auch sehr schnell seine rechte Hand geworden. So lange er sich zurück erinnern konnte, hatte er gekämpft, hatte kämpfen müssen, um nicht unterzugehen. Gegen die konkreten und strengen Anweisungen und Vorschriften zu Hause. Gegen die Schläge seines Vaters und die Hilflosigkeit seiner Mutter. Als sein alter Herr das Zeitliche gesegnet hatte, war er acht Jahre alt gewesen und seiner Mutter völlig entglitten. Froh über die neu gewonnene Freiheit, hatte er die Welt erforscht. Er war immer klein gewesen, hatte Angst gehabt und war oft das Opfer von anderen Kindern, die sich einfach mal stark fühlen wollten. Er kannte das Gefühl, geschlagen und getreten zu werden von zu Hause und erlebte es auch in der Schule und auf der Straße. Nie hatte er gelernt, sich zu wehren, dafür hatte ihm sein Vater keinen Raum gegeben. Aber er hatte gelernt, Schläge wegzustecken, egal ob psychische oder physische. Doch dann fing er an zu wachsen und er machte Sport. Das Rennen lernte er automatisch, wenn er versuchte, anderen zu entkommen, das Springen und Klettern, als er in Gebäude wollte, wo er nicht durch eine Tür hereinkam. Sein Körper wuchs und wuchs, der Sport machte ihn geschmeidig und stark. Als er zehn war, legten sich Gleichaltrige nicht mehr mit ihm an, das war zu gefährlich. Er lernte, sich stark zu fühlen, überwand die ihm aufgezwungenen Grenzen und suchte neue. Er stahl, nur um sich mit der Polizei anlegen zu können, trank Alkohol, damit seine Mutter mit ihm schimpfte und er wieder von zu Hause abhauen konnte und probierte alles an Drogen, wo er rankam. Bei einem dieser Streifzüge kam er dazu, wie Biker eines berüchtigten Motorradclubs der einen Einbruch begingen. Sie bedrohten den Ladeninhaber mit einer Waffe, als die Polizei kam. Er dachte nicht lange nach, riss die Waffe des Anführers aus dessen Händen und bedrohte den Inhaber selber. Er lachte den Grünen ins Gesicht, als sie ihm vorhielten, dass er sich nicht mit solchen Leuten einlassen sollte und ihn nach Hause brachten. Er konnte lachen, denn in seinem Nacken brannten die anerkennenden Blicke der Biker wie Sonnenstrahlen die an einem grauen Regentag plötzlich durch die Wolken brechen. Am nächsten Morgen stand der Anführer bei ihm vor der Tür. Man hatte ihn dran gekriegt, wegen des Einbruchs und der Sachbeschädigung, aber die Waffe und die Bedrohung des Kassiers, die ihm richtig teuer hätten zu stehen kommen können, waren ihm durch das Eingreifen des Jungen nicht mehr nachweisbar. Er nahm ihn mit seinem Motorrad mit und da spürte der Junge eine Freiheit, die er so lange gesucht hatte. Er genoss den Fahrtwind, den verrauchten Club und die Anerkennung der Gang. Sie boten ihm Drogen an, Zigaretten und Bier. Und er nahm es an. Bereits am nächsten Tag stand der blonde Junge wieder vor der Tür, vor der selbst hartgesottene Polizisten zurückschreckten. Er wurde zum Maskottchen der Gruppe und lernte, skrupellos zu sein. Die Jungs brachten ihm bei, dass er keine Gnade von der Gesellschaft erwarten solle. Sie sagten ihm, dass er sich nehmen musste, was er wollte, sonst bekäme er es nie. Sie formulierten das, was er schon wusste. Klamotten, Geld, hatte er nie gehabt, seine Eltern hatten ihr Leben lang gearbeitet und konnten sich nichts leisten. Die Gang nahm ihn überall hin mit, zog ihn immer tiefer in die Szene. Sie schickten ihn eine ganze Zeit lang in die Schule, holten ihn ab, gaben ihm zu essen, kleideten ihn ein. Sie gaben ihm eine Familie, die er nie so gekannt hatte. Mit elf ließ er sich ein Tattoo auf dem Oberarm stechen, um zu beweisen, dass er kein Baby mehr war. Mit zwölf legte er sich mit einem langjährigen Mitglied an, welches aus dem Club flog, ihm aber eine dünne Narbe auf der Stirn als Andenken zurück ließ. Mit 13 war er bei einem Einbruch dabei, den er auf seine Kappe nahm, als die Polizei aufkreuzte. Sie konnten ihm ja nichts. Mit 14 und nach dem ersten Aufenthalt im Jugendknast übernahm er die Führung des Clubs, da der ehemalige Chef wegen eines Banküberfalls für vier Jahre in den Knast ging. Er war an dem Überfall beteiligt gewesen, bei dem ein Mann angeschossen worden war, aber die gesamte Gang hatte vor Gericht ausgesagt, dass der Kleine noch versucht hatte, sie zu hindern und das, obwohl er die Beute versteckt hatte und obwohl er abgedrückt hatte. Er brachte das Geld zur Gang und sorgte für den ehemaligen Chef, indem er ihm alles zukommen ließ, was der im Knast brauchte. Die restlichen Mitglieder der Gang legten zusammen und kauften von einem Teil ihres Anteils an der Beute die Maschine für ihn und dazu eine sehr exklusive Motorradkluft. Von dem Moment an war er der unangefochtene Chef der Black Devils. Jetzt kannte ihn hier jeder. Die Stadt war klein, man kannte seine fleißige Mutter und auch seinen toten Vater. Und natürlich auch den Namen, der in seiner Geburtsurkunde stand. Aber dieser Name geriet in Vergessenheit, denn alle, Bürger und Polizisten die über ihn sprachen, die Journalisten, die über ihn und seine Taten schrieben, nannten ihn so, wie die Gang ihn nannte: Alex. Er stieg auf seine Maschine und trat den Ständer weg. Er war froh über seine Körpergröße, die ihm ermöglichte auf der großen Maschine eine gute Figur zu machen. Lächelnd klappte er das getönte Visier seines schwarzen Helmes runter und warf die Maschine an. Die Häuserschluchten des Viertels warfen den satten Klang des Motors zurück, welcher sich mit dem Ton der anderen Maschinen vermischte. Die Gruppe setzte sich in Bewegung, Alex summte den neuen Song, den die Punkband ‘Die toten Hosen‘ rausgebracht hatte. Es war seine Hymne, für ihn geschrieben. “Hey, hier kommt Alex…”, sang er und gab Gas. Er lenkte die schwere Maschine an einem Polizeiwagen vorbei und grüßte freundlich, wohl wissend, dass die Beamten ihn nicht aufhalten würden, rollte durch die Straßen, vorbei an Menschen, die sich an Hauswände drückten oder in Hauseingängen verschwanden. Menschen, die vor dem 15-jährigen Jungen zurückschreckten, der diese kleine Stadt südlich von Stuttgart unter seiner Kontrolle hatte.
Nach einer Fahrt von über einer Stunde, hielt er auf der Landstraße vor einem Plakat, was man hier angebracht hatte. Er nahm den Helm ab und strich sich seine langen Haare glatt. “Schaut mal, ein Punkrock-Festival. Cool.” Grinsend schob Snake seine Maschine neben ihn. “Na, Alex, Bock auf Zelten, Musik und Spaß?” “Immer doch.” Der Junge nickte und in seinen Augen glühte für Sekunden nicht der Hass, den er mit sich herumschleppte, sondern die Begeisterung, die seinem Alter entsprach. “Dann fahren wir hin. Wo ist das denn?” Snake las. “Nürburgring. Geht ja. Willst du lieber bei mir mitfahren? Nicht, dass uns die Bullen noch Ärger machen und dir das Festival verderben.” “Nein, Snake. Ich fahre selber. Unter dem Helm sehen sie nicht, wie alt ich bin und wenn echt einer der Frösche Ärger macht, hab ich ja euch.” Die jungen Männer lachten und stimmten dem Plan ihres Chefs begeistert zu. Snake nickte und ergab sich dem Willen des Jungen, so wie er es immer tat. “Mal schauen, wen man da so trifft.” Dabei strich er sich über die Narbe in seinem Gesicht. “Wenn dieser… dieser Skorpio da auftaucht, kann er was erleben. Mit dem und seinen Jungs habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen.” Snake nickte. “Der Ar sch hat noch ´ne Abreibung verdient, da stimme ich dir zu. Aber wir sollten aufpassen, er ist gefährlich und verdammt schnell mit diesem Scheiß-Messer.” Schweigend nickte Alex und ballte die Fäuste. Dem Kerl, der seinem Stellvertreter die Narbe verpasst hatte, würde er noch gewaltig in den Hintern treten. Der würde nicht so einfach davonkommen. Hoffentlich war er da. Alex grinste und seine Augen funkelten eiskalt. Ja, hoffentlich würde er da sein.
Mit Alex hatte er nicht viel gemeinsam, außer dass auch er eine Motorradgang leitete. Sonst unterschied sich Skorpio von dem Süddeutschen in jeder Hinsicht. Er kam aus einem reichen Elternhaus, kannte durchaus das Gefühl von Liebe und Geborgenheit und hatte eher weniger Stress mit der Polizei. Er hielt seine Leute aus Ärger heraus und genoss die Freiheit, die ihm sein Motorrad gab. Wobei er natürlich kein Unschuldsengel war. Sein Führungszeugnis wies einige Verurteilungen auf, die meist aus Langeweile heraus geschehen waren und bei ihm weniger zu irgendwelchen Einsichten geführt hatten, als viel mehr zu Wut über sich selber, weil man ihn erwischt hatte. Meist ging es um Körperverletzungen, er hatte eben nicht viel Geduld. Das wusste er, auch ohne dass die Polizei ihn immer wieder daran erinnerte. Skorpio war 18 Jahre alt, groß, kräftig, hatte kurze braune Haare und grau-grüne Augen. In Mönchengladbach war er bekannt und man ging ihm aus dem Weg, aber direkt Angst hatte niemand vor ihm. Seine Leute hatten ihm den Spitznamen Skorpio verliehen, weil er schnell zustach. Nur eben nicht mit einem Stachel, sondern mit einem Messer. Es war ein altes Erbstück seines Großvaters, doppelseitig geschliffen und als Griff hatte es den Fuß eines Rehs. Zur Verteidigung brauchte er es eigentlich nicht. Vom jahrelangen Boxtraining gestählt, erledigte er Probleme meist mit seinen Fäusten, wenn Worte versagten. Aber das Messer war eben sein Markenzeichen. “Hey, Skorpio, dein Cousin spioniert schon wieder vor dem Club rum.” Blacky, sein Stellvertreter, nippte an einem Bier und sah aus dem kleinen fast blinden Fenster des Clubhauses. Der rollte mit den Augen und stand aus einem bequemen Sessel hoch, wo er bisher gesessen hatte. Er legte sein Chemiebuch aus der Hand, in welchem er für sein Abitur büffelte, was seine Leute mit dummen Sprüchen immer wieder kommentierten. Aber er wollte einen vernünftigen Abschluss und ließ sich da nicht beirren. Er ging nach draußen und schnappte sich Benni. “Was machst du hier, du kleiner Idiot?” “Ich will auch in den Club”, quengelt der Junge. “Du bist 13 Jahre alt. Viel zu jung. Schieb ab.” “Und was ist mit diesem Typen, von dem du mir erzählt hast? Diesem Alex?” “Dem musst du nicht nacheifern. Der Typ ist absolut dämlich. Sollte lieber die Schule beenden, anstatt mit dem Motorrad durch die Gegend zu kutschen und Straftaten zu begehen. Der landet irgendwann noch im Knast.” “Aber der ist 15 und hat ´ne eigene Gang”, beharrte der schmächtige Junge, der ständig an Skorpio klebte. “Hör auf zu nerven, Benni. Und halt dich vom Club fern. Ich will nicht ständig Ärger mit deinen Eltern haben .” Er drehte sich um und wollte wieder reingehen. “Nimm mich wenigstens mit zum Nürburgring, zu dem Konzert. Bitte.” Flehend sah der ihn an. “Bitte, Skorpio.” Der drehte sich langsam um. “Versprich mir in die Hand, den Club danach nicht mehr aufzusuchen, bevor du 16 bist.” “Versprochen.” Er reichte ihm die Hand und rannte weg. “Du willst den Zwerg mitnehmen?” Blacky war nicht begeistert. Er lehnte am Türrahmen und drehte sich eine Zigarette. “Was soll der bei einem Biker-Treffen?” “Es ist ein Punkrockkonzert. Soll er mitkommen, danach haben wir Ruhe vor ihm. Er kann gut Zelte aufbauen.” Skorpio grinste. “Und was ist, wenn wir auf diese Typen treffen?” “Du meinst Alex und seine Black Devils?” “Ja. Der Typ ist knallhart. Und du hast seinem Kumpel ´nen ziemlichen Schnitt verpasst.” “Wenn der mich angreift und mit ´nen Totschläger gegen die Schulter haut, kann ich mich ja wohl wehren, oder? Wenn der Schlag mich am Kopf getroffen hätte…” Blacky nickte eifrig. Skorpio griff unter seine Jacke und zog sein Messer hervor. Die Schneide war glatt poliert und funkelte in der Sonne. “Wenn der Typ wirklich Stress macht, kriegt er Ärger. Zumindest, wenn er Benni anfasst.” Er rammte es mit Wucht in die Holztür, direkt neben Blackys Kopf und ließ es dort stecken. Blacky trat einen Schritt zurück. Dass Skorpio sein Messer zog, um zu drohen, war selten. Wenn er es in die Hand nahm, benutzte er es im Normalfall auch. Aber an seinen kleinen Cousin durfte keiner ran, auch wenn er seinem Boss selber tierisch auf den Sack ging. Er zuckte mit den Schultern. “Warum hast du dich mit Alex eigentlich so gefetzt beim letzten Konzert? Ich meine, wir halten uns doch sonst aus Kämpfen mit anderen Gangs weitgehend raus.” “Keine Ahnung.” Skorpio zündete sich eine Zigarette an. “Irgendwie ging er mir auf den Keks. Der schmeißt sein Leben weg, baut nur Scheiße und sorgt dafür, dass alle Motorradgangs einen beschissenen Ruf haben. Und dann macht mich diese halbe Portion auch noch von der Seite an.” Lachend verschwand Blacky wieder nach drinnen. “Dass du dir so einen Kopf wegen dem Typen machst… Das war echt heftig, wie ihr aufeinander los gegangen seid”, rief er noch, dann war die Tür zu. Mit geschlossenen Augen und an die Hauswand gelehnt, dachte Skorpio an das Treffen zurück. Er zog mit einem Ruck das Messer aus dem Holz und steckte es gedankenverloren wieder ein. Ihm war der blonde Junge bei einem Konzert in Frankfurt sofort aufgefallen. Das war vor über einem Jahr gewesen. Er hatte gleich gesehen, dass der noch nicht mal 16 war. Die stechenden blauen Augen hatten alle im Umkreis gemustert und seine ganze Haltung war auf Ärger aus. Noch mehr hatte Skorpio aber fasziniert, dass seine Gang so bedingungslos hinter diesem Kind stand. Sie achteten ihn, fürchteten und schützen ihn gleichzeitig. Alex hatte lange blonde Haare und war auf dem Konzert ständig mit einer Gitarre rumgelaufen. Er konnte auch verdammt gut spielen, das hatte Skorpio selber gehört. Auf den ersten Blick sah der Junge eigentlich ganz sympathisch aus, wenn da nicht diese stechenden, von Hass erfüllten Augen gewesen wären. Eine Weile hatte Skorpio ihn aus der Ferne beobachtete und war dafür schließlich von ihm angegiftet worden. Das ließ hatte er sich natürlich nicht gefallen lassen und so war es zu einem eigentlich sinnlosen Wortgefecht gekommen in das sich schnell die Gangs eingemischt hatten. Nach einer heftigen Schlägerei hatte man sich getrennt, bevor die Polizei auf sie aufmerksam geworden war. Es war bei einem Unentschieden geblieben, wobei jede Gang das Gefühl gehabt hatte, überlegen gewesen zu sein. Komischerweise war dieser Alex ihm nicht aus dem Kopf gegangen. Er hatte beim ersten Wortwechsel gemerkt, dass der Junge nicht dumm war. Seine Ausdrucksweise war überlegt gewesen und man merkte, dass er auf eine ziemlich gute Schule gegangen sein musste. Aber dort würde er wohl jetzt nicht mehr hingehen. Sein Gesicht war schmal gewesen, gezeichnet von Drogen und Alkohol. Er hatte immer eine Zigarette in der Hand oder im Mund gehabt, wenn Skorpio ihn gesehen hatte. Die Augen hatten tief in den Höhlen gelegen und stumpf und leblos gewirkt, außer wenn sie vor Hass gesprüht hatten. Skorpio hatte mit seinen Leuten Wetten abgeschlossen, ob man den Typen beim nächsten Treffen der beiden Gangs noch einmal sehen würde. Er schüttelte den Kopf und ging rein. Warum um alles in der Welt dachte er über dieses Kind so viel nach? Wahrscheinlich sah er ihn eh nie wieder. Wahrscheinlich war der Kleine längst an einer Überdosis gestorben.
Eine Hammerstory... Die verpasst einem echt Gänsehaut und bringt einem zum Nachdenken...
Ich kenne das Lied zwar von den Toten Hosen, aber habe nie wirklich über den Text nachgedacht. Nun hab ich mir den Text mal aufmerksam durchgelesen und der Song macht echt nachdenklich. Und ängstlich...
Wie Alex sein Leben wegwerfen kann - einfach unbegreiflich. Und doch bittere Realität... Zuviele Jugendliche geraten in solche Kreise und kommen da nicht mehr raus - zumindest nicht ohne Hilfe. Und die bekommen sie leider nicht immer. Und viele wollen auch keine Hilfe mehr...
Beeindruckend finde ich, wie die Gang hinter Alex stehen...Ich kann schon verstehen, dass er sich in dieser Gang wohlfühlt - dort erfährt er erstmal Anerkennung, Respekt und sowas wie Zuneigung. Was er von zu Hause nicht gekannt hat...
Du hast das Lied super eingefangen... Ich bin echt beeindruckt.
Wow... was ein Kommi. Vielen Dank, Gummy *knuddel*
Auch wenn sie sich bis aufs Blut hassten, hatte Snake dieselben Gedanken wie Skorpio. Nur, dass es ihm nicht egal war, ob sich sein Chef zugrunde richtete. Er merkte, dass Alex in letzter Zeit enorm viele Drogen nahm. Früher hatte er sie genommen, um seinen Frust zu vergessen, einfach um abschalten zu können. Inzwischen war er abhängig. Als er ihn jetzt im Club mit einer Heroinspritze erwischte, verpasste er ihm einen Kinnhaken, der den Jungen über den Tisch fliegen ließ. Hart landete der in einer Ecke. Hasserfüllt sah Alex ihn an. “Sag mal, spinnst du?”, schrie er wütend und rappelte sich auf. Blut lief ihm den Mundwinkel hinab. “Du spinnst, Alex. Lass die Finger vom Heroin.” “Das geht dich einen Scheißdreck an, was ich mir in die Venen jage, klar. Du bist nicht mein Vater.” “Verdammt noch mal, Alex. Ich mache mir Sorgen um dich. Du machst dich kaputt.” Echte Besorgnis stand in seinen Augen. Diese Besorgnis machte Alex noch wütender. Er griff nach einem Messer, was auf dem Tresen der kleinen Bar lag und ging drohend auf seinen besten Freund zu. “Mach das nie wieder, Snake, sonst steche ich dich ab, kapiert?” Der nickte wortlos und sah ihm nach, als er aus dem Club rauschte und die Tür hinter sich zuknallte. Snake hatte vor Jahren seinen kleinen Bruder an das Heroin verloren. Der war damals 14 gewesen und Alex so verdammt ähnlich. Deshalb hatte er sich so um den Jungen gekümmert und versucht, für ihn der große Bruder zu sein. Seufzend setzte er sich auf das Sofa und strich sich über den Kopf. Er hätte von Anfang an verhindern müssen, dass die Jungs ihm leichte Drogen gaben. Er hatte gewusst, wohin das führen konnte, aber er hatte Alex nicht durch Vorschriften verjagen wollen. Und jetzt? Jetzt hatte er den Kleinen gegen sich aufgebracht. Alex würde ihm bestimmt nie wieder vertrauen.
Scheiß Drogen... Ich weiß aus eigener Erfahrung, was das für ein Scheißzeugs ist. Nein, ich hab nie welche genommen, aber mein Onkel. Ich hab zugesehen (ich war 16), was Drogen aus einem Lebensfrohen, lieben Menschen machen können... Aus diesem Grund bin ich gegen Drogen jeder Art - und ich hab meinem Onkel versprochen, so ein Zeugs nie anzupacken...
Doch da hatte Snake Alex unterschätzt. Der kam nämlich eine Stunde später wieder. Sein Kiefer war auf der linken Seite stark geschwollen, seine Wut aber ein wenig verraucht. Er ballte die Faust und schlug seinem Freund damit ins Gesicht. “Jetzt sind wir quitt.” Er setzte sich neben Snake, der leicht den Kopf schüttelte. “Danke”, fügte er leise hinzu, den Blick auf den Boden gerichtet. “Wofür?”, fragte dieser leicht verwirrt. “Das mit dem Heroin war ´ne blöde Idee, geb ich zu.” “Warum machst du es dann?” Alex zuckte mit den Schultern und zündete sich eine Zigarette an. “Keine Ahnung. Langeweile?” “Geh in die Schule, Mann. Dann siehst du mal was anderes als unseren Club und deine Mutter. Du hast Grips genug, um dein Abi zu machen.” “Ach komm, Snake, das ist Schwachsinn, ich war da seit… Ach was weiß ich denn.” “Alex, geh in die Schule. Klar hängst du hinterher, aber du packst das schon wieder. Ich bin nicht so gut, aber ich kann dir sicher irgendwie helfen. Angst vor deinen Mitschülern brauchst du auch nicht mehr zu haben. Ignorier sie einfach. Und wenn dir einer blöd kommt…”, er hieb sich mit der rechten Faust in die linke Handfläche. “Vielleicht… Mal sehen.” Alex strich sich die Haare aus dem Gesicht, als die Tür aufflog und die anderen Mitglieder der Gang herein kamen. Lautstark begrüßte man sich und Alex schaltete vom netten Jungen wieder auf Gangchef um. Vor den Jungs durfte er keine Schwäche zeigen, keine Zweifel. Snake wusste das und verstand es. Er begrüßte die anderen, die ihre Sachen mitgebracht hatten. Morgen früh wollten sie zum Nürburgring fahren, wo dann einen Tag später, am Freitag, das Festival losgehen würde. Er beschloss, Alex danach noch einmal auf das Thema Schule anzusprechen. Der Junge war zu gut, um hier auf der Straße unterzugehen. Wenn er es nur schaffen würde, diese Aggressivität loszuwerden. Er stürzte sich immer wieder in gefährliche Situationen, nur um verletzen zu können oder verletzt zu werden. Snake hatte immer mehr das Gefühl, dass der Kleine die Schmerzen suchte, die ihm die Verletzungen brachten.
Sie hatten die Nacht gemeinsam im Club verbracht und die meisten schliefen noch als Snake aufwachte. Er hörte ein unterdrücktes Keuchen von draußen, dann ein schmerzerfülltes Stöhnen. ‘Alex’, dacht er und sprang auf. Er riss die Tür auf und stürmte nach draußen. Dort stand Alex in Jeans und mit nacktem Oberkörper und trat und schlug immer wieder gegen etwas Rundes, was in ein Tuch eingewickelt war und an einer Eisenstange hing, die an der Hinterseite des Clubs angebracht worden war. Dir Stange ragte weit nach vorn, weg vom Haus, so dass zwischen dem baumelnden Tuch und der Wand gut drei Meter Platz waren. Der Junge wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, als er Snake bemerkte, der ihn erleichtert ansah. Seine Haare hingen ihm strähnig in den Augen und er wischte so lange daran herum, bis sie ziemlich zerzaust von seiner Stirn abstanden und er etwas sehen konnte. “Morgen.” “Morgen, Chef. Na, wen vermöbelst du da? Übst du für diesen Skorpio?” “Ja, das mache ich.” Wieder hieb er mit der Faust auf das Bündel ein, was in Brusthöhe vor ihm hin und her schwang. “Etwas Härte tut ganz gut.” Snake hielt ihn an der Schulter fest und zog ihn zurück. Er nahm die Hände von Alex und sah sie sich an. Sie waren rot und blau, die Knöchel waren abgeschürft und bluteten. “Was ist in dem Tuch? Ein Holzklotz?” Alex löste das Seil und ein großer Stein fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden. “Kein Holz. Holz ist zu weich.” Kopfschüttelnd wand sich Snake der Tür zu. “Ich guck mal, ob wir noch was zu essen haben. Sonst packen wir unsere Sachen und essen unterwegs, oder?” “Ich will lieber irgendwo essen. Unser Kühlschrank ist im Arsch und ich hab keinen Bock auf verdorbenen Fraß.” “Okay, wie du meinst.” Alex ging zu einem Fass, in welchem Regenwasser gesammelt wurde und wusch sich. Dann zog er sich seine Sachen an, die Lederjacke über und ging rein, um sich mit seinen Jungs auf die Fahrt vorzubereiten.
Eine riesige Wiese, auf der nach und nach einige Leute Zelte aufbauten, Plumpsklos, in einiger Entfernung ein Baggersee. Am anderen Ende des Geländes war eine riesige Bühne aufgebaut. Dort würden die Bands spielen. Skorpio hatte sich vor seinem Zelt in die Sonne gelegt und ließ seinen kleinen Cousin das Zelt aufbauen. Der war schließlich bei einer Pfadfindertruppe und musste sowas einfach gut können. Und er hatte Recht. Benni war innerhalb weniger Minuten fertig. Er kümmerte sich um alle Zelte der Motorradgang und gewann so einige Sympathiepunkte bei den Jugendlichen. Diese waren nicht sonderlich begeistert gewesen, dass Skorpio den Kleinen mitgeschleppt hatte. Aber anscheinend war der ganz nützlich. Irritiert öffnete Skorpio die Augen, als jemand ihm die Sonne nahm. Er blickte in die blauen Augen von Alex. Langsam erhob er sich und ohne den Blickkontakt zu lösen. Er lebte also tatsächlich noch. Und er sah ein wenig besser aus als im letzten Jahr. Neben ihm stand seine rechte Hand Snake. Er sah die Narbe im Gesicht des Mannes, die er ihm verpasst hatte. “So sieht man sich wieder.” Der Mann nickte ihm zu. “Ja, man sieht sich eben immer zwei Mal im Leben.” Skorpio wand sich an Alex. “Wir wollen keinen Stress, nur in Ruhe das Wochenende genießen.” “Mir ist scheißegal, was ihr wollt. Kommt uns ja nicht in die Quere.” Er schüttelte den Kopf. “Du siehst ganz intelligent aus. Eigentlich fand ich dich sogar irgendwie sympathisch… bis du zum ersten Mal den Mund aufgemacht hast.” Ein Zucken lief durch dessen Körper, doch Snake hielt ihn zurück, indem er ihm eine Hand auf die Schulter legte. “Komm, lass den Typen. Wir wollen feiern.” Alex und seine Leute sahen Skorpio noch eine Weile schweigend an. Schließlich wand der sich ab und ging, die anderen folgten ihm. Dafür kamen jetzt Skorpios Leute und sahen der anderen Gang nach. Benni trat neben seinen Cousin und rief den anderen nach: “Verpisst euch, ihr Wichser.” Dafür kassierte er einen Schlag in den Nacken. Die andere blieben stehen und drehten sich um. Alex bahnte sich einen Weg durch seine Leute und sah Skorpio an, dann den Jungen. Langsam hob er die Hand und zog sie sich quer über den Hals. Dann deutete er mit dem Finger auf Benni. “Wag es”, zischte Skorpio und zog den Jungen hinter sich. Alex funkelte ihn an, dann verschwanden die Black Devils endgültig. Skorpio nahm sich dafür seinen Cousin vor und wusch dem gehörig den Kopf. “Das war der Alex?”, fragte der Junge schließlich. “Ja. Halt dich von ihm und seinen Leuten fern. Die sind gefährlich.” “Jaja.” Skorpio packte ihn am Kragen und hob ihn hoch. “Haben wir uns verstanden?” “Ja, haben wir.” “Gut.”
Das erste Konzert fand am Freitag Nachmittag um 16 Uhr statt. Es war eine einmalige Stimmung. Die Leute hatten gute Laune, das Wetter war warm, nicht zu heiß und es wehte ein leichter Wind. Musik, Alkohol und Drogen sorgten dafür, dass sich alle wohl fühlten. Bis in den frühen Morgen spielten Bands, dann fielen die Leute müde in ihre Zelte, schliefen bis zum nächsten Nachmittag, aßen und erfreuten sich dann wieder an den Bands, die am Samstag spielten. Benni wurde es am Samstag Abend langweilig und er trennte sich von den anderen. Als die Sonne über der kleinen Zeltstadt unterging, lief er durch die Menschenmassen, sah sich die Leute an, die aus ganz Deutschland gekommen waren. Es war viele Punks dabei, aber auch einige Motorradclubs wie der seines Cousins. Von Alex und seinen Jungs hielt er sich fern. Dafür sah er sich die Autos an, die auf dem Parkplatz standen und auch die Motorräder. Er sah kurz nach der Maschine seines Cousins, dann nach denen der anderen Mitglieder. Alles sah okay aus. Die Sonne war verschwunden, es wurde immer dunkler und er konnte nicht mehr viel erkennen, also ging zurück in Richtung von Skorpios Zelt. Er war müde und wollte sich hinlegen. Als er sich einen Weg durch die Zelte der anderen Leute bahnte und dabei krampfhaft versuchte, nicht über gespannte Schnüre, Sachen und weggeworfenen Müll zu fallen, fühlte er sich verfolgt. Er ging etwas schneller, wurde unachtsam und fiel der Länge nach hin. Er rappelte sich mühsam wieder auf und hörte ein Lachen hinter sich. Erschrocken drehte er sich um. “Guck mal. Ist das nicht das Baby, was uns als Wichser beschimpft hat?” Ein Mitglied der Black Devils stand vor ihm. “Ja, Kobra, das ist er.” Der blonde Mann legte seine Hand über Bennis Mund und zog ihn vom Boden hoch. Er schob ihn vor sich her vom Zeltlager weg in Richtung des Sees. Hier war es ruhig. Die Ärzte, eine neue, noch recht unbekannte Punkband, spielte gerade, fast alle waren dort und sahen sich das Konzert an. “So du kleiner Pisser, jetzt kriegst du Ärger.” Kobra zog ein Messer aus seiner Tasche und hielt es Benni an die Kehle. Der stand zitternd und schluchzend vor den beiden Männern. “Ich hab das nicht so gemeint. Wirklich nicht. Es tut mir ganz doll leid”, sagte er leise. “Das sollte es auch”, sagte Brick. “Aber es tut dir noch nicht genug leid.” Er packte den Jungen und zog ihn zum See. Dort drückte er dessen Kopf eine Weile unter Wasser. Gurgelnd und keuchend hing Benni in seinem Griff und spuckte, als Brick ihn kurz hochhob. “Lass mich doch bitte gehen”, brachte er stockend hervor. “Bitte.” Tränen liefen über sein Gesicht. Die beiden Männer lachten und drückten ihn erneut unter Wasser. Während Benni panisch strampelte und um sich schlug, redeten die beiden über das Konzert. Bis Alex auftauchte und hinter ihm Snake. “Was macht ihr hier?” Kobra und Brick ließen den Jungen sofort los. Der fiel neben den beiden auf die Knie und schluchzte haltlos. Alex ging auf ihn zu und zog ihn auf die Beine. Er sah ihn sich im Schein einer Taschenlampe an. “Du.” Er nahm Kobra das Messer aus der Hand und hielt es ihm an die Kehle. “Wichser, mm?” “Es tut mir leid”, wimmerte der leise. “Es tut mir leid.” “Das ist mir scheißegal.” Er drückte mit dem Messer härter gegen die Haut des Jungen. Der schrie leise auf, als die Klinge ihm ins Fleisch schnitt. “Schickt dich dein dämlicher Cousin?” “Nein, nein, nein”, er schüttelte mit dem Kopf. Als Alex ihm ins Gesicht schlug, blickte er ihn starr an. Dann senkte er beschämt den Kopf. Alex folgte seinem Blick. Im Licht einiger Fackeln, die hier herumstanden, sah er, wie sich ein nasser Fleck am rechten Hosenbein des Jungen nach unten hin ausbreitet. Seine Mundwinkel zuckten, in dem Moment lachten Kobra und Brick lauthals auf. “Ich sag doch, er ist ein Pisser. Aber so wörtlich hab ich es gar nicht gemeint.” “So ein Baby.” “Alex.” Snake winkte seinen Boss zu sich und zog ihn ein Stück weg. “Lass den Jungen.” “Ach komm schon. Wir haben nur ein wenig Spaß.” Alex lachte gehässig. Snake roch den Alkohol in dessen Atem. Er drehte ihn herum und sagte leise, aber eindringlich: “Sieh mal ganz genau hin. Ganz genau.” Alex verschränkte die Arme vor der Brust und tat seinem Freund den Gefallen. Was sollte er da sehen? Ein Weichei. Er legte den Kopf leicht schief, sein Lachen verschwand langsam. Ein Kind im Griff von zwei kräftigen Erwachsenen. Seine Arme sanken nach unten. Was er sah war ein hilfloser Junge, der sich vor Angst in die Hosen gemacht hatte. Ein Junge, der am Hals blutete, weil er ihm ein Messer dagegen gedrückt hatte, während seine Freunde ihn festgehalten hatten. Ein hilfloser kleiner Junge, der unter Wasser gedrückt worden war und jetzt vor Todesangst weinte. Alex kannte diese Angst. Er blickte in die vor Scham und Panik geweiteten Augen und fluchte leise. Mit zusammengebissenen Zähnen ging er auf Benni zu, der vor Angst noch lauter aufschluchzte, packte ihn an der Schulter und zog ihn von den anderen weg. Hart stieß er ihn vor sich her, bis sie die ersten Zelte erreichten. “Verschwinde, Kleiner. Und bevor du das nächste Mal jemanden beleidigst, denk nach.” Benni sah Alex kurz an, dann rannte er panisch davon.
“Wow, das war sowas von geil”, sagte Skorpio und stieß mit Blacky an. “Die Bands hier sind alle richtig klasse.” “Worauf du einen lassen kannst.” Blacky kippte den letzten Rest von seinem Bier hinter und ließ die Flasche dann einfach fallen. Sie standen jetzt vor dem Zelt seines Bosses. “Seid mal ruhig”, zischte der. Ein leises Wimmern war zu hören. Es kam aus dem Zelt. Skorpio ließ sich neben dem Zelt nieder und öffnete es. Er rümpfte die Nase. “Hey, Benni? Was ist los, Kleiner? Heimweh? Oder hattest du einen Alptraum?” Keine Antwort, nur das heisere Wimmern war zu hören. Also zog er den Jungen einfach aus dem Zelt. Er sah die nassen Sachen, roch den Urin an dessen Hose und sah die Schnittverletzung, als Blacky den Strahl einer Taschenlampe auf seinen Hals richtete. Skorpios Blick verfinsterte sich. “Was ist passiert?” Benni schluchzte laut auf und warf sich in die Arme seines Cousins. Doch der ließ nicht locker. “Rede, los Kleiner.” Benni schluchzte. Er setzte mehrfach zu einer Antwort an, bevor er schließlich mit Mühe und Not ein Wort heraus bekam. “Alex.”
Mit schnellem Schritt lief Skorpio durch das Zeltlager. Seine Gang folgte ihm auf dem Fuß. Keiner der Jungs sprach. Ihre Blicke waren voller Hass und Abscheu. Jeder hatte eine Waffe in der Hand. Stöcke, Steine, Flaschen, Skorpio sein Messer. Die Menschen, die die Gang sahen, zogen sich vorsichtshalber zurück. Schließlich sahen sie die Zelte der Black Devils vor sich. Einige Gangmitglieder standen draußen herum und redeten und lachten. Sie hatten Bierflaschen in den Händen. Alex stand mit Snake und Kobra zusammen und diskutierte mit ihnen. Dann machte Snake ihn auf die ungebetenen Besucher aufmerksam. Langsam drehten sich die Devils um. Verstehen erschien in ihren Gesichtern, als sie langsam nach Gegenständen griffen, um sich verteidigen zu können. Für Sekunden schien die Zeit still zu stehen. Beide Gruppen standen sich mit hasserfüllten Gesichtern gegenüber. Einige Leute, die im Umkreis zelteten, ergriffen schnell und leise die Flucht. Nur keine Aufmerksamkeit erregen. Musikfetzen wehten herüber, Zeltplanen flatterten im leichten Sommerwind, der Mond beleuchtete die Szene, einige Fackeln spendeten etwas Licht. Skorpio suchte den Blick von Alex und deutete mit seinem Messer auf ihn. “Du hast einen Fehler begangen”, sagte er. Seine Stimme klang eisig. Das leichte Zusammenzucken seines jungen Kontrahenten bemerkte er nicht, wollte er nicht bemerken. “Deinen letzten Fehler.” Er trat einen Schritt auf ihn zu, das war für beide Gangs das Startzeichen. Eine brutale Schlägerei war die Folge, Glas zerbrach, Holz splitterte, Knochen brachen, irgendwer rief die Polizei. Erbarmungslos schlugen die Männer aufeinander ein, keiner wollte zurückweichen. Dieses Mal nicht, man hatte schließlich noch eine Rechnung offen. Mitten im Gewühl standen sich Skorpio und Alex plötzlich gegenüber. Ihre Augen fixierten einander, kämpften einen stummen, bewegungslosen Kampf. Alex sah das Messer in der Hand seines Gegenüber, die Lichter einiger Taschenlampen, die verstreut auf dem Boden lagen, brachen sich auf der Klinge. Er selber hatte eine abgebrochene Flasche in der Hand. “Niemand fasst meinen kleinen Cousin an.” Skorpio hatte deutlich gesprochen, wenn auch nicht sehr laut. Seine Stimme klang gepresst durch die grenzenlose Wut, die er empfand. Alex hatte ihn verstanden, er überlegte, ob er sich rechtfertigen sollte, wurde aber von Blacky gestoßen, der ihn von hinten anrempelte. Skorpio wertete das als Angriff und riss das Messer hoch. Alex konnte die Hand wegschlagen, aber Skorpio schlug mit seiner freien Hand nach seinem Gegner und erwischte ihn am Kinn. Der Junge taumelte nach hinten. Skorpio setzte ihm nach, schlug erneut zu, als Alex die Flasche hochriss und ihn an der Hand erwischte, die das Messer hielt. Blut tropfte auf den Boden, aber der Griff Skorpios um seine Waffe blieb so fest wie zuvor. Er hielt es in Bauchhöhe, als Alex auf ihn zukam, die Flasche zu einem erneuten Schlag erhoben. Mit einem gezielten Schlag traf Skorpio dessen Handgelenk, die Flasche fiel zu Boden. Alex hielt sich das schmerzende Handgelenk. Er spürte den festen Griff, als Skorpio die Hand um seinen Nacken legte und ihn auf sich zuzog. Panik keimte in ihm auf, erreichte seine Augen. Er sah Skorpio flehend an, doch erreichte nur die Wand aus Hass, die der um sich aufgebaut hatte. “Ich mach dich kalt”, flüsterte der Ältere ihm ins Ohr, als Alex dicht vor ihm stand. Eine leichte Bewegung mit dem Arm, dann stieß er zu. Die Klinge bohrte sich erstaunlich leicht durch die Sachen, die Haut, tief ins Fleisch des Jungen. Geschockt sah Alex Skorpio an, seine Hand fasste blind nach dessen T-Shirt, als seine Beine nachgaben und er langsam in die Knie sank. Den Blick hielt er auf die Augen des Mannes gerichtet, der den Griff des Messers plötzlich losließ und zurückschreckte. Skorpio sah das Messer tief im Bauch des Jungen stecken, der vor ihm kniete, sah dessen geschocktes Gesicht, das Blut, welches aus seinem Mundwinkel lief. Langsam kippte Alex zur Seite und blieb mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden liegen. Seine Haltung war gekrümmt, seine Finger um den Griff des Messers gekrallt. Snake schrie auf, als er seinen Schützling auf dem Boden liegen sah. Er schlug auf Skorpio ein wie ein Besessener. Als die Polizei ankam, lag der zusammengekrümmt, blutend und bewusstlos vor Snake, der immer wieder auf dessen Kopf eintrat.
Für die zwei Leute, die die Story lesen... ich habe mich nicht verkopiert . Das ist die richtige FS:
2006
Die Motorräder zogen ihre Runden auf dem Nürburgring. Beobachtet von einigen Rennsportfans und einigen Angehörigen der Formel 1 - Szene. Diese mussten sich eigentlich auf das Qualifying am Nachmittag vorbereiten, aber etwas Ablenkung war doch nie verkehrt. Die meisten Journalisten, die im Moment nicht viel zu tun hatten, standen herum und beobachteten die vorbeirasenden Maschinen, die zu einem Rahmenrennen gehörten und die Zuschauer mit Tageskarten unterhalten sollten, bis das Hauptprogramm, das Formel 1 - Qualifying, anfing. “So geht das nicht. Der hat keine Ahnung, was er da macht.” Florian König schimpfte leise vor sich hin, während er einen jungen Fahrer beobachtete. Sein Kollege Kai Ebel setzte sich neben ihn ins Gras. Die beiden Journalisten saßen auf einem Hügel, wo es relativ ruhig war, obwohl das Fahrerlager nur wenige hundert Meter entfernt lag. So waren sie schnell dort, wenn es Arbeit geben sollte. “Mit wem redest du?” “Mit mir und dem jungen Brasilianer bei Honda.” Kai grinste leicht. “Dann solltest du lauter reden. Er hört dich nicht, wenn du hier so vor dich hinbrummelst.” Florian lachte leise und ließ sich nach hinten ins Gras sinken. Er verschränkte die Arme unter dem Kopf und blickte durch die Zweige des Baumes, unter dem er lag, in den Himmel. Das Blau schimmerte durch die Blätter, die sich im leichten Wind bewegten. “Ein herrlicher Tag.” Kai hatte die Beine ausgestreckt. “Ja.” Er lehnte sich gegen den Baumstamm. “Seit wann interessierst du dich so für Motorradrennen?” “Tu ich nicht. Ich wusste nur nicht, was ich bis zum Qualifying machen soll.” ‘Flo lügt mich an’, dachte Kai erstaunt. Das war lange nicht mehr passiert. “Aha.” Florian sah ihn von unten an. “Was soll dieses ‘Aha’ bedeuten?” “Dass ich deine Worte gehört habe, sie aber nicht glaube.” “Aha.” Die beiden Männer lachten. “Ich dachte immer, du magst Motorräder nicht.” “Doch. Ich hatte sogar mal eins, aber ich habe keinen guten Erinnerungen daran.” Kai nickte verstehend. Florian hatte ihm schon mehrfach einige allgemeine Dinge aus seiner Kindheit erzählt. Motorräder waren da nie vorgekommen. Er schluckte leicht. “Ich hatte mal ein Motorrad, war sogar in einem Club.” Florians Magen krampfte sich leicht zusammen. Er wollte mit Kai gern über alles reden, aber nicht über Motorradgangs. “Als Jugendlicher?” “Ja. Ein paar Jahre.” Er merkte, dass sein Freund und Kollege nicht weiter darüber reden wollte, nahm sich aber doch vor, noch einmal mit ihm über das Thema zu sprechen. Ein anderes mal. Den schien nämlich etwas zu bedrücken.