Langsam ging er um den Wagen herum, zog die Beifahrertür auf. „Komm mit, Alex, unser Dienst beginnt doch gleich.“, stellte er behutsam fest und versuchte so etwas wie ein Lächeln in sein Gesicht zu zaubern, hatte jedoch selbst das Gefühl, dass es ihm gründlich zu misslingen schien. Sie nickte kurz, bewegte sich jedoch nicht von der Stelle. In diesem Moment fühlte sich Michael so hilf- und nutzlos, fragte sich wie so oft in den letzten Stunden, warum sie sich nicht helfen lassen wollte … nur zu gerne wäre er dazu bereit. Mit Freude bemerkte er, dass aus ihrer Erstarrung erwachte, ja ihm sogar einen Blick zuwandte. „Dann wollen wir eben ins Büro gehen, auch wenn ich dazu überhaupt keine Lust habe.“, meinte sie zaghaft. „Das kann ich zwar verstehen, aber es hilft dir leider nichts. Es nimmt doch kein Mensch darauf Rücksicht, wie du dich fühlst.“, bemerkte Michael bedauernd. Angstvoll schaute sie ihm in die Augen. „Du auch nicht?“, wollte sie wissen. „Doch, kleine Alex, doch … natürlich.“, erwiderte er rasch, wohl wissend, dass es nicht immer so sein konnte und merkte an ihrem enttäuschten Blick, dass sie die Wahrheit in seinen Augen hatte lesen können. Wie gut sie ihn doch kannte …! Wieder versuchte er ein Lächeln, sah, wie sie es zu erwidern suchte. Es gelang ihr nicht! Zaghaft streckte er ihr seine Hand entgegen, darauf hoffend, dass sie seine Hilfe annehmen würde. Er bemerkte, wie sehr es in ihr arbeiten musste, noch schien sie nicht zu wissen, was sie tun sollte. „Komm …“, sagte er sanft, sein Lächeln wurde aufmunternd. Besonders langsam schob sie sich aus seinem Auto, versuchte, seine Hand zu übersehen. Immerhin wusste sie Gerrit im Büro und vermutete, dass er am Fenster stand, um zu sehen, wann sie kommen würde.
Alex blieb kurz neben dem Wagen stehen, blickte an der Fassade des Bürogebäudes hoch. Ihr Blick blieb an dem Fenster haften, das zu ihrem Büro gehörte, und das Erste, was sie sah, waren seine Augen. Eingeschüchtert wandte sie sich wieder ab, begann zu zittern. Erschrocken bemerkte Michael das, besonders liebevoll legte er seinen Arm um ihre Schultern. „So schlimm wird es schon nicht werden, Alex, hier kann er nicht unbedingt so, wie er gerne möchte. Außerdem bin ich ja auch noch da, ich werde eben auf dich aufpassen.“, versprach er, versuchte, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, auch wenn er den Eindruck hatte, dass es ihm nicht zu gelingen schien. Er hörte ihr leises Lachen, schaute ein wenig irritiert auf sie hinab. „Das ist zwar nett von dir, Michael, du kennst ihn aber nicht, wenn er wütend ist. Und das wird er vermutlich auch sein, da ich mich einfach nicht gemeldet habe, als ich die ganze Nacht weggeblieben bin.“, antwortete Alex sehr zögerlich und verlegen. Sie zeichnete von Gerrit ein Bild, das Michael ein wenig irritierte und ihn auch kaum glaubhaft erschien. Dass sich Alex in den letzten Tagen und Wochen sehr verändert hatte, verdrängte er in diesem Augenblick bewusst, immerhin war er mit beiden befreundet, und es verunsicherte Michael zusehends zu wissen, dass sich zwischen seinen Freunden ein größerer Streit abzuzeichnen schien, von dem er, Michael, nicht voraussagen konnte, wie er ausgehen würde.
Alex schlich neben ihm zu ihrem gemeinsamen Büro. Je näher sie diesem kamen, umso mehr sank sie in sich zusammen. Furchtsam schaute sie zu ihm auf, als sie vor der Tür stand und schüttelte schließlich den Kopf. „Ich gehe da nicht hinein, nicht heute.“, murmelte sie angstvoll vor sich hin. Hilflos seufzte Michael auf, da er nicht mehr wusste, wie er sie dazu bringen sollte, den Raum vor ihnen zu betreten. Etwas an ihrem Blick sagte ihm, dass es besser wäre, nichts mehr zu sagen. Deshalb öffnete er schwungvoll die Tür, betrat das Büro und begrüßte Gerrit mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ Aber anstatt etwas zu sagen, schlug Gerrit einfach zu und traf Michael am Auge. Erschrocken hielt dieser die Luft an, ließ sie rasch wieder entweichen, als er den Schmerz zu spüren begann. Seine Hand fuhr zum Auge, drückte die Finger dagegen.
„Spinnst du?“, war das Erste, was er hervor brachte. „Geht´s noch?“ Während er seinen Kopf dorthin drehte, wo er Gerrit vermutete, stöhnte er kurz auf. Hinter sich hörte er einen erschrockenen, fast schon schrillen Schrei, Alex drängte sich an Michael vorbei, lief auf ihren Freund zu und stieß ihre flache Hand gegen seine Brust. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, schrie sie ihn an. Erstaunt starrte Gerrit auf Alex hinunter, mit diesem Ausbruch ihrerseits hatte er absolut nicht gerechnet. Langsam schüttelte er den Kopf. „Wo kommst du denn auf einmal her? Ich habe dich die halbe Nacht gesucht.“, stellte er ungehalten fest. „Ach nein … und weil du nicht ausgeschlafen bist, prügelst du auf Michael ein?“, rief sie aufgeregt, schüttelte ungehalten den Kopf. „Wieso steigst du aus seinem Auto aus, Alex?“, wollte Gerrit in einem Tonfall wissen, der Alex sofort alarmierte. Irritiert blickte sie zu ihm auf, genau in seine eisblauen Augen. Sie zuckte vorerst nur mit den Schultern, überlegte krampfhaft, was sie ihm antworten sollte. Ihr Blick wanderte zu dem von Michael, der seine Hand noch immer auf sein Auge presste. In seinem Gesicht sah sie die Verunsicherung, die er im Moment empfinden musste. „Ich habe sie unterwegs aufgegriffen, und ich wundere mich noch immer, warum sie nicht mit ihrem Wagen gefahren ist.“, half Michael kurzerhand aus und fragte sich, warum er das überhaupt tat. Nach Gerrits Reaktion zu schließen, würde er das nicht so einfach so stehen lassen. „Sie hat sicherlich den Schlüssel irgendwo liegen lassen.“, erwiderte Gerrit abfällig, zwängte sich zwischen seinen Kollegen durch und verließ fast fluchtartig den Raum.
Sehr erstaunt schauten Alex und Michael ihm nach, nicht wissend, was sie davon halten sollte. Es dauerte eine längere Zeit, bis sie aus ihrer Erstarrung erwachten. „Lass mal sehen …“, bat Alex, mit sanfter Gewalt zog sie seinen Arm von seinem Gesicht weg. Bestürzt bemerkte sie, dass die Haut bereits eine verdächtig rote Färbung angenommen hatte. Als sie darüber strich, stöhnte er leicht auf und verzog das Gesicht. „Tut es sehr weh?“, wollte sie besorgt wissen. Lustlos lachte Michael auf. „Halb so wild …“, beruhigte er Alex, behutsam streichelte er über ihren Arm. „Aber ihr solltet miteinander reden, Liebelein. Unter euren Streitereien leidet doch auch unser Arbeitsklima!“
Erschrocken schaute sie zu ihm auf. Bedächtig nickte Michael. „Ja, Alex, im Augenblick ist es fürchterlich, du brauchst dir nur Gerrit eigenartige Begrüßung anschauen. Etwas geht in eurem Leben schief.“, stellte Michael fest. „Möchtest du mir nicht erzählen, was bei euch los ist?“ Entsetzt beobachtete er, wie sie heftig den Kopf schüttelte, die Augen wurden immer größer. Ihr Atem ging so rasch, dass sie nicht in der Lage war, zu antworten. Etwas an ihrer Mine und den Gesten sagte Michael, dass sie wieder nichts erzählen würde, außerdem hatte er nicht vor, in sie zu dringen, wusste er doch, dass er auf diesem Wege nichts erfahren würde. Seufzend wandte er sich ab und ging zu seinem Schreibtisch, nahm sich im Vorbeigehen eine Tasse Kaffee mit. Ehe er den ersten Schluck trank, tastete er das schmerzende Auge ab und verzog leicht das Gesicht.
„Es tut sehr weh, nicht wahr?“, fragte Alex vorsichtig, inzwischen war sie ihm bis zu seinem Schreibtisch gefolgt. Mit einem besorgten Blick musterte sie ihn. „Geht schon, mach dir keinen Kopf …“, bat Michael, vorsichtig lächelte er ihr zu. Beruhigen ließ sie sich von seiner Antwort jedoch nicht. Deshalb kam sie um den Tisch herum, drehte mit sanfter Gewalt seinen Sessel zu sich. Behutsam nahm sie seine Hand, die noch immer sein Auge betastete, und zog sie weg. Lange betrachtete sie die schmerzende Stelle, die sich bereits zu verfärben begann. Alex hatte plötzlich dass Bedürfnis, sehr sanft über die kleine Verletzung zu streichen, so behutsam und fast schon zärtlich, dass ihm ein leichter Schauer über den Rücken lief. Rasch hielt er ihre Hand fest. „Alex …“, kam es leise über seine Lippen. Erwartungsvoll musterte sie ihn, wartete vergebens darauf, dass er weiter sprechen würde. Doch er schüttelte nur leicht den Kopf, lauschend drehte er diesen in Richtung Tür. Davor war ein leiser Streit zu hören. Alex und Michael verstanden zwar nicht, warum es darin ging, erkannten aber die Stimmen.
Erschrocken schauten sie sich in die Augen. Alex ging rasch zu ihrem Schreibtisch, denn sie hatte absolut keine Lust, von Gerrit zu allem Überfluss auch noch neben Michael gesehen zu werden, wusste sie doch nicht, was ihr überaus eifersüchtiger Freund hinein interpretieren würde. Sie wurde durch das heftige Öffnen der Tür aus ihren Gedanken gerissen, irritiert beobachtete sie Gerrit und Robert, wie sie sich um den Vortritt stritten. Der jüngere der Kollegen wartete nach der kurzen Auseinandersetzung dann doch darauf, bis Gerrit in den Raum getreten war. Mit einem äußerst spöttischen Lächeln auf den Lippen knallte er Michael einen großen Stoß Akte auf den Tisch. „Die werden heute noch gebraucht.“, meinte Gerrit mit einem süffisanten Unterton in seiner Stimme. „Außerdem kommt ihr nicht auf dumme Gedanken, wenn ihr euch darum kümmert!“ Er warf Michael einen schnellen und sehr interessierten Blick zu, musterte ihn kurz. „Tut es noch sehr weh?“, fragte er und deutete auf Michaels Auge, ein leichtes Grinsen umspielte Gerrits Lippen. Aufgrund seines Tonfalles und seines Verhaltens sprang Alex auf, um zu ihrem Freund zu laufen. Mit der flachen Hand schlug sie ihm auf die Brust. „Geht´s noch …?!“, fuhr sie ihn an, wusste plötzlich nicht mehr weiter, und ihre Gedanken überschlugen sich. Aus reiner Verlegenheit schlug sie wieder auf ihn ein, solange, bis er sie am Handgelenk festhielt und versuchte, es ihr umzudrehen.
Michael, der das Ganze mit einem leichten Anflug von Entsetzen beobachtete, hielt es für angebracht, sich in das Gespräch seiner Kollegen einzumischen. Er erhob sich langsam, ging um seinen Schreibtisch herum und trat mit einer Ruhe zwischen die Menschen, die ihm in München am nächsten standen, diese Ruhe überraschte ihn Tage später noch immer. „Hört auf, Leute …“, bat er eindringlicher, als es vielleicht notwendig gewesen wäre. Gerrit fuhr zu Michael herum, starrte ihn kurz an und tippte ihn mit dem Finger gegen die Brust. „Setz´ dich wieder, das hier geht dich nichts an.“, stellte Gerrit ungehalten fest, wandte sich wieder Alex zu, ohne sich weiter um Michael zu kümmern. Dieser drängte Gerrit einfach zur Seite. „Ach so, mich geht das Ganze hier nichts an? Ich sehe das nicht so!“, bemerkte er ernst. „Lass mich ausreden, Gerrit. Es geht mir ziemlich an die Nieren, wie ihr euch in den letzten Tagen verhaltet. Unser ausgesprochen gutes Arbeitsklima leider sehr darunter! Und da ihr euch hier nur mehr aus dem Weg geht, bleibt die Arbeit an mir und Robert hängen. Außerdem bin ich über dein Benehmen Alex gegenüber sehr entsetzt.“ Gerrit tat diese Rede mit einer wegwerfenden Handbewegung ab, ehe er sich umwandte und ein paar rasche Schritte auf Michael zumacht. Auf Alex wirkte es so, als wollte Gerrit auf ihn losgehen. Dazwischentreten wollte sie nicht mehr, aus Angst, dass ihr Freund wieder auf sie angreifen würde.
Aber Michael wusste sich zu helfen. Er hielt Gerrit am Oberarm fest, als der sich doch zu Alex umwandte, auch er befürchtete, dass sie wieder belästigt werden würde. Gerrit riss sich jedoch los. „Ich sagte doch, dass du dich nicht einmischen sollst, das ist eine Sache zwischen Alex und mir.“, wurde Michael angefahren, der Gerrit vorerst nur aus großen Augen anstarrte und endlich den Kopf ungehalten schüttelte. „Gerrit, du machst mir Angst, das ist dir hoffentlich klar. Du verhältst dich in den letzten Tagen erschreckend anders, sodass ich dich nicht wieder erkenne.“, bemerkte Michael nachdenklich, die Tatsache stillschweigend ignorierend, dass seine beiden Kollegen seit einiger Zeit ein Paar waren. Irgendwann würde er es ihnen vorhalten, so einfach würden sie ihm nicht davon kommen, nahm er sich vor. Wieder schüttelte er den Kopf, dieses Mal nur aus dem Grund, um seine unsinnigen Gedanken zu vertreiben. Außerdem wunderte er sich, dass Gerrit Büro nicht wieder fluchtartig verließ und einem Gespräch aus dem Weg ging.
Erstaunlicherweise ließ er Alex im Moment in Frieden, wandte sich Michael endgültig zu. Seine in den letzten Tagen aufgestaute Wut schien Gerrit nun an seinem Kollegen auslassen zu wollen, auch wenn dieser ihm absolut nichts getan hatte, sich nicht einmal einer Schuld bewusst war, und mit einem Mal verstand er ihre Angst, auch wenn er noch immer nicht begriff, warum Alex sich von dem zu Gewalt neigenden Gerrit nicht trennen konnte oder wollte. Etwas an ihm musste sie veranlassen zu bleiben. Noch wusste Michael nicht, ob er den Blick abwenden sollte oder nicht, da ihm von vornherein klar war, dass das als Schwäche ausgelegt werden würde, und damit wäre Alex eindeutig nicht geholfen gewesen.
„Ach, ich mache dir also Angst?“, fragte Gerrit kalt, es schien ihm zu gefallen, denn auf seinen Lippen war ein kleines Lächeln zu erkennen, auch wenn seine Augen nichts davon wussten. „Kaum zu glauben, nicht wahr, Alex? Jedenfalls war diese Angst bei den vielen Einsätzen nicht zu erkennen.“, fuhr Gerrit äußerst spöttisch fort. Michael war sichtlich irritiert über diese Aussage. „Was hat das eine mit dem anderen zu tun, Gerrit, erkläre es mir.“, bat er sanft, versuchte durch ein mildes Lächeln Gerrits Zorn ein wenig zu mildern, darauf hoffend, dass es ihm auch gelingen würde. „Ich habe es doch geahnt …!“, rief Gerrit erbost aus. „Warum rede ich mit dir überhaupt noch, wenn du nicht verstehst, warum ihr beide gemeinsam gekommen seid. Läuft da was?“ Ruckartig fuhr sein Kopf zwischen Alex und Michael hin und her. Bei dieser Frage war die Spannung im Büro fast schon greifbar, Robert war aus diesem Grund vorher schon aus dem Raum gegangen, die Laune unter seinen Kollegen war ihm einfach zu vergiftet, und er war froh darüber, dass niemand es mitbekommen hatte.
Entsetzt hielt Alex die Luft an, ließ sie geräuschvoll wieder entweichen. Sie hätte es wissen müssen, dass er auf eine solche Idee kommen musste. Rasch warf sie Michael einen Blick zu und merkte, dass dieser auch empört über Gerrits Vermutung war und deshalb leicht den Kopf schüttelte. „Du bist ein Spinner, echt … Warum du in Hilfsbereitschaft mehr sehen musst, begreife ich einfach nicht.“, brummte Michael und überlegte, ob er Roberts Beispiel folgen und das Büro ebenfalls verlassen sollte, um dieser so unnötigen Unterhaltung aus dem Weg gehen sollte. Aber es würde nach Flucht aussehen, stellte er bei sich fest, und eigentlich hatte er genau das bei Gerrit verurteilt gehabt. Aus diesem Grund blieb er auf seinem Sessel sitzen, klopfte mit den Fingern auf dessen Lehne einen Marsch und befühlte mit der anderen Hand sein noch immer schmerzendes Auge.
„Ist es tatsächlich nur Hilfsbereitschaft?“, riss Gerrit Michael aus seinen Gedanken. Beide schauten zu Alex, da sie einen spitzen Schrei ausgestoßen hatte und zu überlegen schien, was sie von der Frage ihres Freundes halten sollte. „Ich weiß nicht, wie lange ihr bereits ein Paar seid, da solltest du wissen, dass Alex nicht fremd geht. Und ich finde es traurig, dass du ausgerechnet mir und Alex mehr als nur Freundschaft unterstellst.“, meinte Michael kopfschüttelnd, sein Blick wanderte zwischen seinen Kollegen hin und her. „Wundert dich das? Ihr steckt doch sowieso immer zusammen, da kommt man automatisch auf solche Gedanken.“, bemerkte Gerrit, sein zorniger Blick wanderte zu Alex. Automatisch duckte sie sich, da sie sofort annahm, dass er wieder einen Streit vom Zaun brechen und sie im Zuge dessen auch schlagen würde.
Erst das Läuten des Telefons auf Michaels Schreibtisch lenkte sie von dem eben geführten Gespräch ab. Er meldete sich, lauschte einige Augenblicke und beendete das Telefonat auch schon wieder. Alex war neugierig geworden, vergaß plötzlich die Ungereimtheiten zwischen ihr und den Kollegen. „Das Gespräch hat aber nicht lange gedauert.“, stellte Gerrit fest. Im Moment machte er einen sehr gefassten Eindruck, schien den Streit erfolgreich verdrängt zu haben. Bestätigend nickte Michael. „Stimmt, Robert hat mir nur gesagt, dass er im K13 aushilft, ein Kollege ist plötzlich krank geworden.“, erklärte Michael ernst, und Gerrit wurde sofort misstrauisch. „Schau mich nicht so an, Gerrit, ich leite nur weiter, was mir gesagt wurde. Ich muss sagen, dass ich Robert sogar verstehen kann, immerhin herrscht hier dicke Luft.“, fuhr Michael mit einem Seitenblick auf Gerrit fort. Der wusste zwar, was sein Kollege ihm damit sagen wollte, tat es jedoch mit einer sehr unwilligen Handbewegung ab und wandte sich selbst der Tür zu. „Ich werde beim Drogendezernat vorbeischauen und meine Kenntnisse von damals auffrischen. Ihr braucht heute nicht mehr mit mir zu rechnen.“, bemerkte Gerrit, die Hand bereits an der Türschnalle. „War ja klar … aber ihr solltet dennoch reden, und das so schnell wie möglich.“, bat Michael, wohl wissend, dass er auf taube Ohren stoßen würde. Gerrits Bemerkung „Vergiss es“ bestätigte seine Vermutung. Michael seufzte kurz auf und nahm sich vor, sich nicht mehr einzumischen, auch wenn es ihm verdammt schwer fiel. Sein Blick wanderte zu Alex, nahm einen mitleidigen Gesichtsausdruck an, als er bemerkte, wie sie immer mehr in sich zusammen sank und sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren konnte, mit der sie mittlerweile begonnen hatte. Was mochte wohl in ihrem Kopf vorgehen?, fragte sich Michael, konnte gerade noch verhindern, dass er den seinen schüttelte. Immerhin fühlte er sich beobachtet.
Das Knallen einer Tür schreckte ihn aus seinen Gedanken, irritiert blickte er sich um und bemerkte, dass Gerrit endgültig das Büro verlassen hatte. „Er ist endlich fort …!“, stellte Alex unnötigerweise fest, auf ihren Kollegen machte sie einen sehr erleichterten Eindruck. Plötzlich warf er sein Vorhaben wieder über Bord, sich nicht mehr einzumischen, und so nahm er sich vor, so rasch wie möglich einzugreifen, egal, was dabei auch herauskommen mochte. Inzwischen befürchtete Michael nämlich das Schrecklichste, auch wenn er sich gleichzeitig einredete, dass es nicht so schlimm sein konnte.
Er hörte ein leises Schniefen, drehte seinen Kopf den kaum hörbaren Geräuschen zu. Erschrocken sah Michael, dass Alex vor sich hin weinte. Entsetzt sprang er auf und lief auf sie zu. Er lehnte sich an ihren Schreibtisch, legte eine Hand tröstend auf ihren Arm. Ohne erkennbare Regung schaute sie ihn mit tränennassen Augen an, während sie laut auf schniefte. Sie erschrak erst, als sie seine Hand auf ihrer Wange spürte, die besonders behutsam liebkost wurde. Entsetzt starrte Alex zu ihm auf, wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, ohne Michael vor den Kopf zu stoßen. Immerhin erkannte sie genau, dass er es nur gut meinte. Aber nach Gerrits Reaktion von vorhin war es ihr nicht besonders recht, sodass sie ihr Gesicht rascher abwandte, als sie es eigentlich sollte. Mit Entsetzen nahm es Michael zur Kenntnis, akzeptierte ihre Geste aber und zog seine Hand aus diesem Grund zurück. „Alex, bitte, rede mit mir!“, bat er flehend, musste aber zur Kenntnis nehmen, dass von ihr wieder nichts kam, kein Wort, keine Geste, worauf er hätte etwas schließen können. Daher zuckte er nur hilflos die Schultern und entschloss sich, wieder zu seinem Schreibtisch zurück zu kehren. Mit traurigem Blick musterte er sie noch eine Weile, ehe er endlich wieder mit seiner Arbeit begann, auf die er sich trotz verzweifelten Versuchen nicht konzentrieren konnte, zu sehr beschäftigte er sich mit dem Verhalten seiner beiden Kollegen.
Auch wenn Alex im selben Raum saß und arbeitete, war von ihr den restlichen Tag nichts mehr zu hören. Vermutlich wollte sie Michaels Aufmerksamkeit nicht mehr auf sich ziehen, sagte er sich und fühlte sich immer unbehaglicher, vor allem deshalb, weil er sich nicht mehr zu helfen wusste. Hin und wieder warf er ihr einen kurzen Blick zu, um dann mit dem Kopf zu schütteln, den Alex schien immer mehr zu verfallen, je länger der Tag dauerte. Zum wiederholten Male verfluchte er Gerrit und fragte sich, was sein Freund mit der früher so lebenslustigen Frau angestellt haben mochte. Mit einem leisen Seufzen wandte er sich wieder seiner Arbeit zu, auch wenn er sich nicht darauf konzentrieren konnte.
Gerrit tauchte den restlichen Tag nicht mehr auf, auch wenn er einige Male vergeblich versucht hatte, Alex zu erreichen. Mit Absicht hatte sie ihr Handy auf lautlos gestellt, denn sie wollte von Gerrit nicht erreicht werden und wunderte sich, dass er nicht mehr wieder ins K11 zurückgekommen war, um herauszufinden, warum sie die unzähligen Gespräche nicht entgegen genommen hatte. Alex wusste nur, dass sie gerne darauf verzichten konnte, hatte sie schließlich keine Lust auf seine Wut. Über seinen Zorn machte sie sich keinerlei Illusionen, denn wären sie alleine, würde Gerrit wieder und immer wieder auf sie einschlagen, ohne dass sie sich hätte wehren können.
„Ich mache Feierabend, Alex, kommst du auf ein Bier mit?“, wollte Michael plötzlich wissen, schaute neugierig und abwartend zu seiner Kollegin hinüber. Erschrocken hob sie den Kopf, starrte ihm sekundenlang in die Augen, ohne tatsächlich zu wissen, was sie darauf antworten sollte, ihre Gedanken überschlugen sich. Endlich nickte sie. „Ich komme mit, Michael, vielleicht ist es nicht so schlecht, wenn ich mich ablenke.“, erwiderte Alex nachdenklich und merkte am Strahlen seiner Augen, wie sehr er sich freute, es bedurfte keinerlei Worte mehr. Ein „Dann komm“ war alles, was sie von ihm hörte.
Wieder dachte sie nicht daran Gerrit zu sagen, dass sie noch mit Michael unterwegs war. Erst am späteren Abend kam ihr zu Bewusstsein, dass er wieder nichts davon wusste, wo sie sich aufhielt. Jetzt aber hatte sie keine Lust mehr, mit ihm zu telefonieren oder ihm ein SMS zu schreiben. Doch ihre vor kurzem noch so gute Laute war mit einem Schlag auf den Nullpunkt gesunken, je länger sie an ihn dachte. Ihrer Begleitung entging diese Veränderung natürlich nicht. „Erzähle mir, was dich bedrückt.“, bat Michael deshalb behutsam, wusste er doch um ihre Seelenqual Bescheid, jedoch nicht, was genau es war. Plötzlich hatte er den Drang, es herausfinden zu wollen, nicht wissend, ob sie ihm ihre Probleme, die sich in den letzten Wochen angesammelt hatten, auch erzählen wollte. Er wollte ihr doch helfen, meinte er, jedoch konnte er es nicht, weil sie schwieg … so wie jetzt. „Ich halte es für besser, wenn du nichts von dem weißt, was unsere Beziehung so vergiftet. Ich weiß doch, dass du mit Gerrit befreundet bist und befürchte, dass du mir nicht glauben wirst.“, erwiderte Alex leise und kaum verständlich, senkte den Blick aus Angst, dass ihre Augen diese verrieten. Aber sie wusste auch, dass er sie gut genug kannte, um schon aus ihrer Stimme zu erkennen, wie es ihr ging und was sie gerade fühlte. „Jetzt mache aber einmal halblang, Alex.“, erwiderte Michael entrüstet und viel zu laut. „Ich sehe doch, wie du leidest, und du brauchst seit ein paar Tagen meine Hilfe, deshalb möchte ich wissen, weshalb das so ist. Leider komme ich nicht an dich heran.“ Beschämt schaute sie wieder weg, konnte ihm einfach nicht ins Gesicht sehen. Sie wusste nur zu genau, dass er recht hatte. „Gerrit hat schon irgendwie recht, es ist eine Sache zwischen ihm und mir.“, murmelte Alex verstört. Erschrocken über ihre Worte hielt Michael die Luft an, schüttelte schließlich leise den Kopf, als er begriffen hatte, was sie gerade schon erwähnt hatte.
„Weißt du überhaupt, was du da sagst, Alex? Du leidest so sehr unter seinem Verhalten, dass du es vor Robert und mir nicht mehr verheimlichen kannst. Von den blauen Flecken, die man ab und zu an deinen Armen sehen kann, möchte ich gar nicht erst reden. Aber vielleicht hast du sogar recht, wenn du mir nicht erzählst, woher du sie hast, ich könnte mich vielleicht sogar vergessen.“, stellte Michael fest. Alex starrte ihn nun doch in die Augen, musterte sein verschlossenes Gesicht, ohne daraus erkennen zu können, was in ihm gerade vorging. „Was genau meinst du damit?“, fragte sie und war sich gleichzeitig sicher, dass sie seine Antwort erst gar nicht hören wollte. „Auch auf die Gefahr hin, dass du mir nicht glaubst, erzähle ich es dir trotzdem. Lass mich einfach nur reden, Alex, und höre nur zu. Es gab einmal eine Zeit, da habe ich für dich dasselbe empfunden wie Gerrit. Es dauerte einige Zeit, bis ich erkannte, dass du an mir nicht interessiert bist, erst vor wenigen Tagen habe ich den Grund dafür erkannt, und irgendwie bin ich entsetzter darüber, als ich es vielleicht sein sollte.“, bemerkte Michael leise, verlegen lächelte er ihr zu. „Aber es ehrt mich, dass dir an unserer Freundschaft noch etwas liegt.“ Bestätigend nickte sie vorerst nur, ein Wort brachte sie im Moment nicht über die Lippen, zu sehr brachten seine Worte Aufruhr in ihre Gedanken. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie diese wieder ordnen konnte und fragte sich, was sie überhaupt antworten sollte.
„Warum sagst du mir das heute, Michael?“, wollte Alex wissen, neugierig schaute sie ihm in die Augen, wartete eine lange Zeit darauf, etwas von ihm zu hören. Michael zuckte mit den Schultern, ehe er endlich etwas sagte: „Das kann ich dir auch nicht genau erklären, Alex, vielleicht wollte ich dich ein klein wenig von den Problemen ablenken.“ Nachdenklich erwiderte er ihren Blick, versuchte vergeblich ein Lächeln. „Im Moment ist dir das ganz gut gelungen.“, stellte Alex belustigt fest. „Ich wundere mich nur, dass du heute mit der Wahrheit herausgerückt bist!“ Ihr Lächeln vertiefte sich, und es machte sie nur noch schöner. Michael versank im Braun ihrer Augen, mit Mühe konnte er sich wieder davon losreißen. Immerhin wollte er ihr helfen, die Problemchen zu lösen, die ihr das Leben so schwer machten und sich nicht noch mehr in sie verlieben als er es ohnehin schon war.
Das Läuten eines Handys hielt ihn von seinem Vorhaben ab. Irritiert blickte er sich suchend um. „Das ist mein Telefon, Michael.“, murmelte Alex und machte sich gar nicht die Mühe, das Gespräch entgegen zu nehmen. Erstaunt schaute er ihr in die Augen, sie schüttelte nur den Kopf. „Es ist sicherlich nur Gerrit, der wissen möchte, wo ich mich herumtreibe.“, erklärte sie nach kurzem Überlegen. „Dann solltest du endlich mal drangehen, Alex, du verärgerst ihn ja noch mehr.“, bemerkte Michael. „Ich weiß, aber ich denke, dass es egal sein wird, wann ich mit ihm telefoniere, er wird immer wütend sein.“, meinte sie bekümmert, fischte ihr Handy dann doch aus ihrer Hosentasche und las auf dem Display, dass es doch Gerrit gewesen war, der angerufen hatte. Seufzend entschloss sie sich, ihn zurückzurufen, insgeheim darauf hoffend, dass er dieses Gespräch nicht entgegen nehmen würde. Natürlich meldete er sich.
„Warum meldest du dich nicht, wenn ich anrufe?“, wollte er ungehalten wissen und lauter, als es eigentlich notwendig gewesen wäre. Erschrocken hielt sie das Handy vom Ohr weg, schaute es kurz irritiert an und hörte Gerrit auch hier noch reden, vermutlich brüllte er gerade wieder ins Telefon. Verzweifelt suchte sie nach Worten, um ihm ihre Abwesenheit plausibel zu erklären. Denn sie wollte ihm auf keinen Fall erzählen, dass sie noch mit Michael bei einem Glas Bier saß und es sogar genoss, nicht in Gerrits Begleitung zu sein. „Ein dringender Fall …“, sagte Alex deshalb nur vage, darauf hoffend, dass Gerrit ihr diese Ausrede auch glauben würde. „Ein neuer Fall also?! Warum weiß ich denn davon nichts?“, erkundigte sich Gerrit, neugierig geworden. Alex lachte kurz und freudlos auf. „Du warst doch nicht erreichbar, jedenfalls nicht für mich.“, warf sie ihm vor. „Wie hätte ich dich denn erreichen sollen?“ Diese Frage konnte er natürlich nicht beantworten, Alex war sich sicher, dass er ihre kleine Lüge geschluckt hatte. Sie beendete das Gespräch rascher als sonst, aus Angst, sich doch zu verraten.
„Findest du das gut?“, wollte Michael interessiert wissen. Sie schüttelte nur leicht den Kopf. „Ich finde das nicht gut, Michael, aber es ist besser, wenn er nicht weiß, dass wir beide hier sitzen und ein Bier trinken. Gerrit kann so furchtbar eifersüchtig sein.“, stellte Alex fest. „Und was stellt er mit dir an, wenn er hinter deine kleinen Ausreden kommt?“, erkundigte sich Michael neugierig. Sie beantwortete diese Frage erst mit einer wegwerfenden Handbewegung, ehe sie meinte: „Das möchtest du gar nicht wissen, und es ist vielleicht auch besser so!“ Sie bemerkte seinen erstaunten Blick, der auf ihr ruhte, hielt kurz die Luft an und überlegte krampfhaft, wie sie sich vor weiteren Fragen seinerseits schützen konnte. Doch sie hatte das Gefühl, dass seine Augen in ihr Innerstes eindringen konnten, ohne jedoch etwas vorzufinden. Gekonnt wusste sie ihre Gefühle vor ihm zu verschließen. Noch war sie nicht bereit, diese vor ihm auszubreiten, auch wenn ihr klar war, dass sie Michael irgendwann einmal die Wahrheit würde sagen müssen, nur den genauen Zeitpunkt wusste sie noch nicht.
Seufzend lehnte sie sich zurück, starrte ihm in die Augen, ohne die Umgebung auch wirklich wahrzunehmen. Sei Blick wurde mitleidig, er enthielt sogar so etwas wie Wärme, als er sie zu mustern begann. „Du hast dich seit dem Gespräch verändert.“, bemerkte Michael leise, ein verstohlenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Erstaunt erwiderte sie seinen Blick. „Findest du?“, erkundigte sie sich neugierig. Michael nickte bestätigend, während sie überlegte, wie sie ihn dazu bringen sollte, sie zu Gerrit zu fahren. „Bringst du mich nach Hause?“, wollte Alex vorsichtig wissen. „Natürlich, wenn du mir sagst, wo das sein soll.“, bat Michael. Zaghaft nickte sie vor sich hin, ehe sie jedoch noch etwas sagen konnte, wusste er bereits, wohin er sie bringen sollte. Auch wenn er wusste, dass es nicht richtig war, was sie vor hatte, wiedersprach er nicht, sondern schüttelte nur den Kopf über sie. „Du findest es nicht richtig, nicht wahr?“, wollte Alex wissen. „Stimmt, kleine Alex, aber wie ich dich kenne, lässt du dich von mir nicht von deinem Vorhaben abbringen.“, bemerkte Michael bekümmert. „Du weißt doch, dass du jederzeit zu mir kommen kannst!“ Sie nickte nur, wollte darauf einfach nichts sagen. Sie wusste, dass es Michael nicht verstehen würde, und beobachtete ihn dabei, wie er ihre kleine Rechnung beglich.
Während der Fahrt zu der Wohnung, in der Alex mit Gerrit seit wenigen Wochen lebte, verlief schweigend. Ab und zu warf Michael ihr einen kurzen Blick zu, erschrak jedoch über den Verfall, den er an ihr wahrnahm. Je näher sie sie zu ihrem neuen Zuhause kamen, umso unsicherer und kleiner wurde Alex, Michael hatte diesen Eindruck gerade eben gewonnen. „Bist du dir sicher, dass du da hinauf möchtest?“, fragte Michael, seine Stimme klang fürsorglicher, als sie es von ihm kannte. Langsam, beinahe schon zaghaft, nickte sie, warf einen Blick zu den Fenstern hinauf, hinter denen sie Gerrit wusste. „Hast du nicht heute Abend gesagt, dass ich jeden Streit aus dem Weg gehen sollte. Und wenn ich wieder zu dir komme, kommt vielleicht auch noch so etwas wie Eifersucht dazu.“, vermutete Alex leise. „So habe ich es zwar nicht gesagt, aber du könntest vielleicht recht haben. Ich werde dich bis zur Tür begleiten.“, meinte Michael. „Widersprich mir nicht, kleine Alex, ich möchte nur sicher sein, dass du wohlbehalten ins Haus kommst.“ Er versuchte ein leichtes Lächeln, um die Situation ein wenig aufzulockern und hatte das Gefühl, dass es ihm nicht gelingen wollte. Alex hielt es nicht für notwendig, darauf etwas zu sagen, sie kroch einfach aus dem Auto. Sie hatte einfach keine Lust, auf ihn zu warten, und so ging sie einfach alleine auf die Eingangstüre zu.
Die raschen Schritte, die ihr folgten, versuchte sie zu ignorieren, wollte sie plötzlich nicht mehr, dass er ihr half. In den letzten Tagen war er immer für sie da gewesen, hatte seine Interessen hinten an gestellt und war nur auf sie eingegangen. Während der Autofahrt war ihr diese Hilfe mit einem Mal zu viel geworden, und sie hatte absolut keine Ahnung, wie sie ihm das jetzt sagen sollte. „Warte …“, bat eine vertraute Stimme. Mit einem plötzlich auftretenden Widerwillen wandte sie sich um, abwartend blieb sie stehen, ihr Blick schaute ihm erwartungsvoll entgegen. Mit Mühe konnte sie die Frage „Was ist denn los?“ unterdrücken, denn kränken wollte sie ihn auf keinen Fall. „Pass auf dich auf, Alex?“, verlangte Michael behutsam, lächelte ihr gleichzeitig aufmunternd zu. „Ja …“, murmelte sie nur vage. Sie ahnte, dass Gerrit ihre Ausrede nicht so einfach hingenommen hatte, und Alex hatte absolut keine Lust darauf, mit ihm zusammenzutreffen. Es würde ihr jedoch nicht erspart bleiben. „Sehr überzeugend klingst du nicht, ich möchte dir aber glauben.“, erklärte Michael ernst, hielt sie am Arm fest, als sie sich wieder der Eingangstüre zuwenden wollte. „Gute Nacht …“, fuhr er fort und beugte sich zu ihr hinab, begann sanft mit ihren Lippen zu spielen. Er war überrascht, dass sie diese nach wenigen Sekunden öffnete und einen wunderbaren Kuss zuließ, ja sogar selbst hinein kippte und ihn leidenschaftlicher erwiderte, als Michael es für möglich gehalten hatte. Rascher als erwartet beendete sie ihn auch wieder, drehte sich hastig um und verschwand im Haus, die Tür hinter sich zuwerfend. Irritiert blieb Michael zurück, wusste vorerst nicht, wie er sich verhalten sollte. Nachdem er sekundenlang vor der geschlossenen Holztür gestanden hatte, drehte er sich eilig auf einem Absatz herum und stapfte zu seinem Auto zurück. Dort blieb er kurz stehen, ohne tatsächlich zu wissen, was er tun sollte. Endlich stieg er in seinen Wagen, startete und brauste mit quietschenden Reifen davon.
Langsam, fast schon zaghaft, stieg Alex zu dem Stock hinauf, in dem sie zusammen mit Gerrit wohnte. Mit schlechtem Gewissen wegen des Kusses schlich sie in die Wohnung, darauf bedacht, ihn nicht auf sich aufmerksam zu machen. Natürlich gelang ihr das nicht, denn er schien auf sie gewartet zu haben. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, stand er auch schon hinter ihr, und sie bemerkte es erst, als sie sich umwandte und gegen ihn prallte. Erschrocken starrte sie ihm in die Augen, wusste im ersten Moment nicht, was sie sagen sollte. „Ach, sieh einer an … da bist du ja schon.“, hörte sie ihm mit einer Stimme sagen, die vor Spott nur so triefte. „Ja, da bin ich also wieder. Der Einsatz war rascher erledigt, als ich es für möglich gehalten habe.“, meinte Alex leise. „Tatsächlich?!“, erwiderte er hart, etwas an seiner Stimme sagte ihr, dass er ihr die Ausrede nicht abnahm und hatte keine Lust, den Grund dafür zu hinterfragen. Immerhin kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass ihre Neugier ihn nur noch mehr auf die Palme bringen würde, als er es ohnehin schon war. „Du hattest doch keinen Dienst mehr, Alex, wieso übernimmst du einen Einsatz, wenn es nicht mehr notwendig ist?“, fuhr er fort, ohne ihr den Weg freizugeben. Alex hatte das Gefühl, dass er sie nicht nur mit Worten in die Ecke treiben wollte. Und es erschreckte sie, dass sie sich in allen Bereichen unterlegen fühlte, sich aber auch nicht zu helfen wusste. „Ich war gerade in der Nähe …“, antwortete sie ungewiss. „So, so … du warst also ganz in der Nähe? Alex, wie geht denn das, wo du doch heute ohne Auto unterwegs warst?“, wollte Gerrit, misstrauisch geworden, wissen. Mit angehaltener Luft starrte sie ihm in die Augen. Sie hatte völlig darauf vergessen, dass er diese Kleinigkeit gewusst hatte. Vorsichtshalber schwieg sie, denn irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie ihm in diesen Minuten unterlegener war, als es sonst schon üblich war. Vergeblich versuchte sie, sich an ihm vorbei zu drängen. „Lass es einfach bleiben.“, knurrte Gerrit ungehalten, der Blick, den sie ihm zuwarf, wurde ängstlich. Sie merkte sehr wohl, dass er die Angst spüren musste, die sie in diesem Moment empfand. In seinen Augen sah sie die grenzenlose Freude ob seines kleinen Sieges und wurde sich bewusst, dass sie sich aus ihrer Zwangslage wohl nicht selbst befreien konnte.
Mit Entsetzen stellte sie fest, dass es ihr Wunsch gewesen war, nach Hause gebracht zu werden und fragte sich, ob das nicht ein großer Fehler gewesen war. Zaghaft wanderte ihr Blick zu Gerrits Gesicht, erschrak über dessen Mienenspiel. Er musste so zornig sein, dass er sich nur noch mit großer Mühe unter Kontrolle halten konnte. Was würde wohl mit ihr geschehen, wenn er diese Wut nicht mehr im Zaum halten konnte? Diese und ähnliche Fragen spukten in ihrem Kopf herum, ohne dass sie Antworten darauf finden konnte. Ihre Angst stieg mit jeder Sekunde, die sie vor Gerrit stand und von ihm gegen die Wand gedrückt wurde. „Lass uns doch ins Wohnzimmer gehen!“, bat Alex wimmernd, in der Zwischenzeit hatte er sie am linken Arm gepackt und fügte ihr dadurch starke Schmerzen zu. Durch ihre Bitte hoffte sie, dass er sie wieder loslassen würde. Vergebens! Sein Griff verstärkte sich jedoch nur noch mehr, während er sie brutal hinter sich ins Wohnzimmer zog. Er ignorierte ihr klägliches Wimmern einfach, auch wenn es an diesem Abend schwerer fiel als an den Tagen und Wochen zuvor. Erstaunt fragte er sich, warum das mit einem Mal so war, konnte sich diese Frage jedoch nicht selbst beantworten.
Er stieß Alex so heftig auf das Sofa, dass sie durch den Schwung fast wieder auf die Beine gekommen wäre. Erschrocken schrie sie auf, wusste vorerst nicht, wie sie sich richtig verhalten sollte, ohne Gerrit noch mehr zu reizen. Angstvoll starrte sie zu ihm auf, er stand breitbeinig vor ihr, schaute drohend auf sie herab. „Also, Alex, ich glaube dir diesen Einsatz einfach nicht. Wo warst du tatsächlich?“, wollte er gefährlich leise wissen. Hilflos seufzte sie auf, in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. „Das sagte ich dir doch schon …“, murmelte sie. Mit großen Augen beobachtete sie ihn, bemerkte seine Hand, die auf sie zukam, viel zu spät, um den Kopf noch abwenden zu können. Äußerst brutal schlug er zu, sodass sie mit Mühe aufrecht sitzen bleiben konnte. Entsetzt blickte sie zu ihm auf, während sie langsam ihren Arm hob und die Hand auf die inzwischen brennende Wange legte, man musste bereits alle fünf Finger darauf sehen. „Mit wem warst du unterwegs, mit welchen Typen bist du durch München gezogen?“, fuhr er sie an. Sie überlegte krampfhaft, ob sie ihm tatsächlich die Wahrheit erzählen sollte. Immerhin war ihr klar, dass er in Michael einen Gegner und nicht seinen Freund sehen würde. Alex konnte keinem sagen, wie hilflos sie sich in diesem Augenblick fühlte, genau wissend, dass sie niemanden erreichen konnte, der ihr würde helfen können, denn all ihre Freunde waren viel zu weit entfernt, um das auch zu können. Während sie ihren Gedanken nachhing schlug er nochmals zu. Da sie nicht mehr damit gerechnet hatte, fiel sie auf das Sofa. Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen blickte sie zu ihm auf, wurde ihrer großen Hilflosigkeit nur noch mehr bewusst. Ihr Mund war zwar für einen Schrei geöffnet, zu hören war jedoch nur ein leises Krächzen, da ihre Stimme versagte. Wie aus weiter Ferne hörte sie sein spöttisches, in bösartig übergehendes Lachen, nahm einige Wortfetzen wahr, die Gerrit von sich gab, begriff aber nicht, was er ihr sagte, denn in ihrem Kopf dröhnte es nach dem wuchtigen Schlag immer noch.
Zu ihrem Leidwesen wusste sie, was auf sie zukommen würde, fand aber auch an diesem Abend nicht die Kraft, davon zu laufen und die Beziehung zu ihm einfach zu beenden. Etwas in ihr sagte ihr, dass das genau der richtige Weg wäre, eine andere Stimme riet ihr jedoch davon ab. Und sie hörte auf das Falsche. Lange ertrug sie stumm die unzähligen Schmerzen, die Gerrit ihr zufügte, irgendwann, als sie unerträglich wurde, hörte sie ihr eigenes Wimmern, das oft genug durch sein lautes Brüllen übertönt wurde. In ihren Augen hörte es sich fast wie ein Siegesschrei an, je öfter er getroffen hatte. Erst ein äußerst heftiger Stoß, der sie taumeln und gegen den neben ihr stehenden Kasten fallen ließ, entlockte ihr ein Brüllen, welches vermutlich im ganzen Haus zu hören war. Ruckartig hob sie ihren Arm, griff sich an die Stelle des Kopfes, mit der sie an die Kante des Möbelstückes geschlagen war. Erschrocken bemerkte sie die Feuchtigkeit auf den Fingerspitzen. Langsam hob sie den Blick, schaute Gerrit direkt in die Augen und zeigte ihm ihre Hand. „Ich blute …“, meinte sie nur zaghaft. Gerrit zuckte nur mit den Schultern und wandte sich ab. „Wo gehst du hin? Rufe zumindest einen Arzt …“, rief sie ihm nach, als sie merkte, dass er den Raum verlassen wollte. Er drehte sich zu ihr um, schaute ihr erstaunt in die Augen und schüttelte endlich den Kopf. „Wie komme ich dazu?“, wollte er wissen. Wieder kam er auf sie zu und schlug ihr mit der Faust mit voller Wucht in den Bauch. Während sie aus Leibeskräften schrie, krümmte sie sich und ließ sich auf den Boden sinken, wo sie wimmernd liegen bleib. Am Rande nahm sie sein bösartiges Lachen war und hörte Geräusche, die eindeutig nicht in die Wohnung gehörten. Dann bekam sie nichts mehr mit, sie konzentrierte sich nur noch auf die Schmerzen, die in ihrem Körper tobten.
Immer unruhiger werdend blickte er auf ihren nach wie vor leeren Platz und fragte sich zum wiederholten Male, wo sie wohl blieb, hatte sie doch schon vor Stunden Dienst gehabt, und Alex war doch die Pünktlichkeit in Person. Auch Gerrit war noch nicht aufgetaucht, auch wenn er nicht so früh hätte da sein sollen wie Alex. Da Michael von seinen beiden Kollegen noch nichts gehört hatte, wurde er immer unruhiger und nervöser, sodass es sogar Robert auffiel. Er räusperte sich kurz, um Michaels Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Wo bleiben Alex und Gerrit bloß? Sie sollten doch schon hier sein!“, stellte der junge Kollege fest. „Ich weiß … ich weiß … Als du vorhin unterwegs warst, habe ich versucht, sie zu erreichen …“, hilflos zuckte Michael mit den Schultern. „Leider habe ich keinen von beiden erreicht, ich habe ihnen aber auf die Mailbox gesprochen.“ Verträumt blickte er vor sich hin, seine Gedanken schweiften zum Vorabend ab und verloren sich darin, ohne dass es ihm bewusst geworden wäre, dass Robert noch im Büro saß. Erst ein lautes Räuspern riss ihn aus seinen Träumereien. Verstört blickte er zu Robert hinüber, der an Alex´ Schreibtisch saß und die Tastatur bereits wild bearbeitet hatte. „Und du meinst, dass sie dich zurückrufen werden?“, wollte er neugierig wissen, interessiert schaute er Michael in die Augen. Hilflos hob der die Schultern. „Das kann ich dir nicht sagen, ich hoffe es doch.“, murmelte Michael vor sich hin, langsam erinnerte er sich an Teile des Gespräches, das er am Tag zuvor mit Alex geführt hatte. Plötzlich kamen ihm Zweifel wegen der Richtigkeit seines Tuns und machte sich die ersten Vorwürfe, weil er sie zu Gerrit gebracht hatte, obwohl sie immer mehr Angst vor ihrem Freund gezeigt hatte. Warum war er darauf nicht eingegangen?, fragte er sich und schüttelte den Kopf über sich selbst.
Robert beobachte ihn schweigend, da er merkte, dass es in seinem Kollegen arbeitete, viel zu sehr arbeitete und fragte sich, was am Abend zuvor wohl vorgefallen war. „Was geht in dir vor?“, fragte er schließlich, als ihm die Ruhe, die im Büro herrschte bereits zu viel wurde. „Genau kann ich dir das auch nicht sagen, aber es hat mit Gerrit und Alex zu tun, das weiß ich, und ich verstehe Gerrit immer weniger, je öfter ich über seine Beziehung zu Alex nachdenke. Es erschreckt mich zu wissen, dass ich nicht gemerkt habe, dass sie mehr verbindet als nur Freundschaft. Und genau in diesem Verhältnis spielen sich Dinge ab, von denen wir beide absolut keine Ahnung haben. Ich möchte doch helfen, kann es jedoch nicht, weil sie mit mir nicht reden.“, antwortete Michael betrübt, ihm war die ganze Hilflosigkeit anzusehen, die er im Augenblick empfinden musste. Mit einem leichten Anflug von Entsetzen hörte Robert ihm zu, ohne zu wissen, was er antworten sollte. Ratlos starrte er zu Michael hinüber, bemerkte dessen Fassungslosigkeit. „Ich habe ihre Veränderung bemerkt und gehofft, dass sie irgendwann mit mir redet.“, brachte Robert endlich mühsam hervor. „Sie hat es nicht getan, denke ich mir … Ich verstehe nicht, warum keiner anruft. Es muss etwas geschehen sein.“, stellte Michael in einem Ton fest, der seinen Kollegen aufhorchen ließ. Robert schaute ihm in die Augen, sein Blick wurde fragend. Auch er erhob sich und folgte Michael zur Tür. „Wo möchtest du hin? Ich komme auf alle Fälle mit, du solltest heute auf keinen Fall alleine unterwegs sein.“, bemerkte Robert. „Und ich werde fahren.“ Auch als er Michaels erstaunten Blick beobachtete, ließ er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen.
Auf schnellstem Weg und unter Michaels genauer Anleitung waren sie bald bei Gerrits Wohnung angelangt. Mit einem Anflug von Erstaunen nahmen sie die Anwesenheit von einigen Kollegen wahr. Michael und Robert warfen sich einen raschen Blick zu, ehe sie sich ausweisen, um so ins Haus zu gelangen. „Was um alles in der Welt ist in diesem Haus wohl geschehen?“, sprach Michael seine Gedanken laut aus. Robert zuckte vorerst nur mit den Schultern. „Das kann ich dir auch nicht sagen! Weißt du, in welchem Stock Gerrits Wohnung liegt?“, wollte er wissen, interessiert blickte er sich im Treppenhaus um. „Tut mir Leid, ich hatte noch nicht die Gelegenheit, ihn zu besuchen. Es bleibt uns nur die Möglichkeit, jedes Namensschild zu lesen.“, murmelte Michael kaum verständlich vor sich hin. Sofort begann er mit seinem Vorhaben und war sichtlich enttäuscht darüber, dass er in die nächste Etagen hinauf steigen musste. „Hab dich doch nicht so. Es schadet dir doch nicht, wenn du über die paar Stufen steigen musst.“, lachte Robert, leichtfüßig lief er über die paar Stiegen und wartete schließlich doch auf Michael. „Komm schon, alter Mann, wir haben ja nicht den ganzen Tag Zeit.“, fuhr er nach wenigen Augenblicken fort, nachdem Michael es nicht für notwendig gehalten hatte, sich zu beeilen und dessen Antwort nur eine wegwerfende Handbewegung war.
Robert war die kurze Wartezeit zu lange geworden, während Michael die letzten Stufen in den ersten Stock nahm, begann er bereits mit dem Lesen der ersten Namensschilder. Sein Gesicht wurde immer länger, als er vergeblich nach Gerrits oder Alex´ Namen suchte. „Warte doch …“, hörte er Michael hinter sich leise rufen, wandte sich jedoch nicht zu seinem Kollegen um, sondern starrte nur auf einen der Streifenpolizisten, der vor der dritten Tür auf diesem Flur stand. Nach einem kurzen Blick auf das Schild neben der Glocke glotzte er nur verwirrt auf den jungen Polizeibeamten, nicht wissend, was er davon halten sollte. Langsam wandte er sich Michael zu und schaute den fragend an. „Das ist Gerrits Wohnung.“, stellte Robert irritiert fest, deutete mit dem Daumen auf die Türe hinter sich. „Was um alles in der Welt macht die Polizei hier?“ Äußerst verwundert drehte er sich wieder zum jungen Kollegen, schüttelte noch immer sehr erstaunt über dessen Anwesenheit seinen Kopf. „Da stimmt etwas nicht, Robert, lass uns da hinein gehen.“, verlangte Michael energisch, als er neben Robert getreten war. Beide zeigten ihren Dienstausweis, um die Wohnung ungehindert betreten zu können.
Irritiert schauten sie sich kurz um. „Ich verstehe noch immer nicht, was der Kollege vor der Tür soll.“, murmelte Michael vor sich hin, während er sich suchend umblickte. Erstaunt bemerkte er, dass ihm Vorraum Licht brannte, wie in den angrenzenden Räumen auch. Betont langsam gingen sie durch die kleine Diele, nicht ohne sich genau in den unzähligen Winkeln umzusehen. Auffälliges entdecken konnten sie nicht. Erst im Wohnzimmer trafen sie auf Gerrit und einen weiteren Mann, den Michael und Robert nur flüchtig vom Sehen her kannten, er war ebenfalls ein Kollege, an dessen Namen sich keiner der beiden erinnerte. „Was geht denn hier ab?“, wunderte sich Michael, hilflos schaute er zu Gerrit, der wie ein Häufchen Elend auf seinem Sofa saß, gedankenverloren und verstört vor sich hinstarrte. Der wesentlich jüngere Kollege erhob sich und kam auf Michael zu, musterte Robert nur am Rande. „Darf ich fragen, wie Sie hier herein kommen?“, erkundigte er sich kühl. „Natürlich …!“, erwiderte Michael und zog wiederum seinen Ausweis aus der Tasche. „Damit. Können mir sagen, was hier los ist?“ Michael warf Gerrit einen schnellen Blick zu, der noch immer regungslos auf dem Sofa saß und geradeaus starrte, während er seinem jungen Kollegen zwar nur mit halbem Ohr, aber doch genau zuhörte. Als von Alex die Rede war, wurde Michael wieder aufmerksamer. Das Gespräch begann ihn zu interessieren, auch wenn er genau wusste, dass es eigentlich gar nicht stattfinden hätte dürfen.
Da Michael noch immer schwieg und Gerrit nachdenklich beobachtete, räusperte sich Jonas Müllner lautstark, um die volle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Michael wandte sich dem jungen Mann zu, sein Blick wurde fragend. „Warum seid ihr gekommen? Ich habe niemand um Verstärkung gebeten.“, bemerkte Jonas. „Ich weiß, aber ich wollte nur meinen Kollegen hier zum Dienst abholen, da ich der Meinung war, dass er wie so oft verschlafen hat.“, erklärte Michael, blickte wieder zu Gerrit. „Was ist geschehen, Gerrit? Erzähle es mir endlich, damit ich dir helfen kann.“, fuhr Michael bittend fort, während Müllner zwischen ihm und Gerrit trat. „Er spricht die letzten Stunden schon nicht mit uns, und wir sind deswegen hier, weil Nachbarn wegen Ruhestörung bei uns angerufen haben.“, erklärte Müllner endlich sein Hiersein. Erstaunt zog Michael eine Augenbraue hoch, versuchte einen Blick von Gerrit zu erhaschen. „Ruhestörung?!“, fragte Robert, umrundete seine Kollegen und blieb vor Gerrit stehen. „Was war hier los, Gerrit? Du weißt so gut wie ich, dass Nachbarn nicht ohne einen guten Grund bei der Polizei anrufen. Was hast du mit Alex gemacht?“, wollte Robert wissen, und Michael war über die Kälte in der Stimme des kaum Dreißigjährigen so erstaunt, dass er ihn vorerst aus großen Augen sprachlos anstarrte. Gerrit hob seinen Kopf, sah Robert schweigsam an und zuckte nur mit den Schultern.
Jonas schaute zwischen den Männern hin und her, wunderte sich über die Vertrautheit, die zwischen ihnen herrschte, konnte jedoch mit der Kälte nichts anfangen, mit der Robert eben gesprochen hatte. „Wenn Sie von der Frau sprechen, die hier auf dem Boden lag, so wurde sie ins Marien-Krankenhaus gebracht.“, sagte Müllner plötzlich übergangslos. Michael blickte ihn vorerst nur sekundenlang schweigend an, ehe er zu Gerrit herumfuhr und zu ihm ging. Breitbeinig blieb Michael vor ihm stehen, packte ihn mit beiden Händen am Pullover und zog ihn zu sich hoch. Wenige Augenblicke schüttelte er Gerrit, der es sich kurz gefallen ließ und endlich Michaels Arme wegschlug. „Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen.“, fuhr Gerrit ihn an. „Ich bin schon tiefer hineingeraten als mir lieb ist und frage mich noch immer, warum ich sie gestern Abend überhaupt hier abgesetzt habe, sie hatte doch unheimliche Angst vor dir, und ich habe sie nicht Ernst genommen.“, rief Michael aufgebracht aus, war noch immer über diese Tatsache erschüttert. Erregt wandte er sich von Gerrit ab und stürmte aus der Wohnung, die Tür hinter sich ins Schloss werfend.
Planlos fuhr er durch die Stadt, ohne sagen zu können, wie lange. Irgendwann parkte er sich vor dem Krankenhaus ein, in das Alex gebracht worden war. Lange starrte er auf den Eingang, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Noch wusste er nicht, was er tun sollte, doch das Verhalten von Gerrit wühlte ihn nach all den Stunden noch immer auf. Michael konnte nicht sagen, wie er sich gegenüber seinem Freund verhalten sollte, sollte er ihm in den nächsten Tagen wieder begegnen. Während er sich darüber noch Gedanken machte, war er bereits beim Portier angelangt. Sehr unschlüssig blieb er vor dem Glasverschlag des älteren Mannes stehen, der ihn nur erwartungsvoll ansah. Er räusperte sich kurz, da er das Gefühl hatte, einen ausgetrockneten Hals zu haben.
„Junger Mann, kann ich Ihnen helfen?“, wurde Michael angesprochen, nachdem er minutenlang bewegungslos dagestanden hatte. Langsam nickte er, rasch überlegte er, wie er seine Frage formulieren sollte, um seinem Gegenüber klarzumachen, was er hier eigentlich wollte. Michael wurde milde angelächelt, als der Portier dessen große Unsicherheit bemerkte, tippte nach ein paar geschickt gestellten Fragen an seinem Computer herum und wies Michael schließlich den Weg.
Ziemlich verstört folgte er den Anweisungen des Portiers, landete schließlich in einem Zweibettzimmer, das im ersten Moment leer auf ihn wirkte. Erst als er sich genauer umschaute, bemerkte er eine zusammengekrümmte Person im Bett neben dem Fenster. Langsam und auf leisen Sohlen ging er darauf zu, blickte fassungslos auf die zierliche Person nieder. Alex kam ihm an diesem Tag noch zerbrechlicher vor als noch an denen davor, und er machte sich wieder die größten Vorwürfe deshalb, weil er sie doch zu ihm gebracht hatte, ohne darauf zu achten, dass sie ihn durch ihre Körpersprache davon hatte abbringen wollen. Warum er nur auf ihre Worte gehört hatte, konnte er bei ihrem Anblick nicht mehr sagen.
Erschrocken nahm er ein leises und schmerzerfülltes Stöhnen wahr, setzte sich besonders vorsichtig auf ihr Bett und hoffte, dass die leichte Erschütterung für sie nicht allzu unangenehm war. Michael merkte, dass sie sich vorsichtig bewegte. Sie versuchte zwar, sich zu ihm zu drehen, unterließ es dann doch. Mit schmerzverzerrtem Blick blieb sie liegen, ihre Arme wanderten um ihren Bauch. Mit Entsetzen sah er die Tränen in ihren Augen. Wie in Trance wanderte seine Hand zu ihrer Wange, streichelte behutsam und beinahe schon zärtlich darüber. Alex zuckte leicht zusammen, wandte den Kopf jedoch wieder ab. Mit Erschütterung nahm er es zur Kenntnis, mit Mühe konnte er verhindern, dass er ihr Verhalten hinterfragte. An ihrer Ausstrahlung konnte er es sowieso erkennen.
„Wieso weißt du, dass ich hier bin?“, erkundigte sich Alex plötzlich leise, verzog wieder ihr Gesicht vor Schmerzen, da sie sich leicht bewegt hatte und näher an ihn heran rutschte. „Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht pünktlich zum Dienst erschienen bist. Robert und ich sind zu eurer Wohnung gefahren.“, begann Michael mit seiner Geschichte, mitleidig blickte er auf sie herab und lächelte leicht vor sich hin. „Und ich habe mich schon sehr gewundert, dass die Kollegen vor dem Haus gestanden haben, Alex …“ Er brach ab, konnte gerade noch verhindern zu fragen, was nach ihrem gemeinsamen Abend passiert war. Sie sah nur zu ihm auf, sagte vorerst kein einziges Wort. Stille senkte sich über den kleinen Raum, keiner der beiden konnten die Gedanken in Worte fassen. Michael gab seinem Drang nach, nach ihrer Hand zu fassen und in seine zu nehmen. Behutsam drückte er sie, freute sich, dass sie ihm nicht entzogen wurde und ignorierte sogar, dass sein Handy in der Hosentasche vibrierte. Um das kleine Telefon wollte er sich später kümmern, im Augenblick war nur Alex wichtig.
Vorsichtig bewegte sie sich, wollte sich zu Michael drehen. Wieder verzog sie ihr Gesicht vor Schmerzen, ließ sich diesmal aber nicht kleinkriegen. Trotzdem lächelte sie zu ihm auf, auch wenn dieses Lächeln nur angedeutet war. „Ich sollte dir vielleicht etwas erzählen …“, murmelte sie vor sich hin, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Langsam nickte er, schien zu überlegen, wie er es formulieren sollte, was ihm durch den Kopf ging. Er wartete einige Zeit schweigend darauf, dass sie endlich weitersprach. Doch auch sie suchte lange nach den richtigen Worten, schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Alex schaute ihm nur in die Augen, hielt seinen Blick gefangen, der ihre trübte sich einige Male, als sich ihre Körper wegen der Schmerzen leicht verkrampfte.
„Er hat mir nicht geglaubt, dass ich bei diesem Einsatz war. Also hat er auf mich eingeschlagen.“, sagte Alex plötzlich, wandte ihre Augen ab, in seine konnte sie nicht mehr schauen. Sie hatte Angst davor, wie er wohl reagieren würde. Immerhin wusste sie, dass er Männer verabscheute, die ihre Partnerinnen schlugen. Aber was würde er zu Gerrits zweiter Seite sagen, immerhin waren sie miteinander eng befreundet. Doch dieses Mal irrte sie sich. Fürs Erste schwieg Michael, denn er war schlichtweg entsetzt von dem Gehörten. Sprachlos starrte er auf sie herab, wusste einfach nicht, was er auf ihre wenigen Worte sagen sollte. Alex deutete sein Schweigen als Aufforderung weiter zusprechen. Ohne von Michael unterbrochen zu werden, redete sie über die Dinge, von denen bisher noch niemand gewusst hatte, in den kurzen Pausen, die sie doch machte, trank sie den auf dem Nachtkästchen stehenden Tee in kleinen Schlucken. Von Michael hörte sie noch immer nichts, zu sehr brachte ihm ihre Geschichte aus der Fassung. An seinem Gesicht konnte sie lesen, was er davon hielt. „Alex …“, flüsterte er nur, zu sprachlos war er von dem Gehörten. Er starrte in ihre rehbraunen Augen, ohne an diesem Tag darin zu versinken, zu sehr war er darüber entsetzt, dass ausgerechnet Gerrit, sein bester Freund hier in München, sie so zugerichtet haben sollte. Aber warum sollte gerade Alex ihn in dieser Situation belügen?, fragte er sich und konnte seine Gedanken nicht ordnen, zu viele wirbelten in seinem Kopf herum.
Alex drehte nun völlig ihm zu, verzog wieder das Gesicht. Gerrit wusste ganze Arbeit geleistet haben, und seinen Abscheu wuchs mit jeder Minute, die er sie beobachtete. Michael lächelte vor sich hin, als sie sich an ihn lehnte, nach seiner Hand suchte und die Finger mit seinen verknotete. „Bleibst du heute hier? Ich könnte vielleicht deinen Trost gebrauchen.“, meinte sie, Michael war über ihre Offenheit erstaunt und nickte rasch, ohne daran zu denken, dass er eigentlich noch Dienst und hier im Grunde genommen nichts verloren hatte. „Natürlich bleibe ich, gestern habe ich dir doch versprochen, immer für dich da zu sein.“, erwiderte er leise, ließ sie bei seinen Worten nicht aus den Augen. Alex nickte leicht, reden wollte sie im Moment überhaupt nicht, und Michael akzeptierte es, denn er wusste, dass seine Anwesenheit alleine schon genügte, um sie zu beruhigen. Alex war dankbar, dass er schwieg, nichts Überflüssiges sagte, da er mit Gerrit und ihr selbst befreundet war, so eng, dass sie füreinander da waren. Michael war jedoch an einem Punkt angelangt, an dem es ihm schwer fiel zu entscheiden, was er tun sollte, zu wichtig waren ihm doch seine Freunde geworden.
Durch ihr Seufzen wurde er aus seinen Gedanken gerissen. „Ich habe genug Zeit gehabt, um zu überlegen …“, begann Alex plötzlich zu sprechen, holte tief Luft, so, als wollte sie noch einmal darüber grübeln, welche Worte sie wählen sollte. „Ich habe darüber nachgedacht, ob ich mich von ihm trennen sollte und ich finde, dass es jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür wäre.“ Beklommen lächelte sie zu ihm auf, schien froh darüber zu sein, dass sie diesen Entschluss überhaupt gefasst und ihn sogar ausgesprochen hatte. Erleichtert atmete Michael auf, auch wenn Gerrit sein Freund war, so war er glücklich darüber, dass sie sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Er wusste aber nicht, was er darauf sagen sollte, deshalb schmunzelte er ihr nur zu und drückte sanft ihre Hand.
Wieder vibrierte sein Handy. Ursprünglich wollte er es wieder ignorierte, da sie jedoch so nahe bei ihm lag, konnte sie es ebenfalls spüren, außerdem war es auch an seiner Hose zu sehen, der Stoff bewegte sich leicht. „Dein Telefon …“, murmelte Alex. „Ich weiß, kleine Alex … aber ich habe keine Lust abzuheben.“, gestand er, seine Lippen verzogen sich und deuteten so etwas wie ein Lächeln an. Erstaunt erwiderte sie seinen Blick, endlich fragte sie: „Und wenn es wichtig ist?“ Mit diesen Worten konnte sie ihn davon überzeugen, das Handy nun doch aus der Hosentasche zu fischen. Natürlich hatte der Anrufer die Geduld verloren, kaum dass Michael es in Händen hielt. „War ja klar …“, brummte er vor sich hin und erhob sich, während er an der Tastatur wild herum drückte. „Ich rufe zurück …“, sagte Michael nur vage, als er ihren fragenden Blick auf sich spürte. Vor dem Fenster blieb er stehen und wandte sich wieder um, während er darauf wartete, dass sein Gesprächspartner das Telefonat endlich entgegen nahm. Es dauerte jedoch einige Sekunden, in denen Michaels Geduld auf eine harte Probe gestellt wurde.
„Endlich …“, meinte er endlich, anstatt den Anderen zu begrüßen. Das Erste, was er von Robert zu hören bekam, war ein äußerst ungehaltenes Schnauben. „Das könnte ich genauso gut sagen.“, brummte er ungeduldig. „Aber ich sollte wohl froh sein, dass du dich überhaupt meldest.“ „Stimmt, ich wollte nur wissen, was in der Wohnung noch so geschehen ist.“, gab Michael zu, erntete vorerst nur Roberts leises Lachen. „Warum habe ich mir das gedacht. Gerrit wurde mitgenommen und von den Kollegen verhört. Solange nicht geklärt ist, was er mit seiner Freundin angestellt hat, wurde er beurlaubt.“, erzählte er endlich. „Ach nein, ist das so? Was er mit Alex angestellt hat, kann ich dir sagen, sie hat es mir endlich erzählt.“, erwiderte Michael schnaubend, noch immer machte ihn das Geschehene vom Vorabend derart wütend, dass er sich nur mit Gewalt unter Kontrolle halten konnte. Da Robert einige Sekunden schwieg, fuhr er fort: „Ich bleibe noch eine Zeit hier bei Alex im Krankenhaus und werde anschließend ins K11 kommen.“ „Geht in Ordnung, sage ihr nur, dass Gerrit einige Zeit aus dem Verkehr gezogen wird und sie vor ihm keine Angst mehr zu haben braucht.“, bat Robert, ehe er sich rasch verabschiedete und das Gespräch beendete, ohne Michael die Möglichkeit zur Antwort zu geben. Der ließ das kleine Telefon langsam sinken, während er Alex eingehenst musterte und ihrem Blick nicht auswich.
Was er zu sehen bekam, war ein Häufchen Elend, das noch genau so zusammen gekrümmt dalag wie noch vor wenigen Minuten, als er zum Fenster gegangen war. „Mit wem hast du gesprochen?“, fragte sie zaghaft. Michael sagte es ihr und erzählte ihr von dem Teil des Gespräches, das sie nicht gehört hatte. Alex war sichtlich entsetzt darüber, das hatte sie nicht gewollt. „Muss das denn nun sein?“, erkundigte sie sich leise und zögernd. Michael ließ diese Frage noch auf sich wirken, ehe er darauf überhaupt reagieren konnte. Er stellte mit einem Anflug von Entsetzen fest, dass Alex diese Worte ähnlich sahen, zeugten sie doch davon, dass sie ein ausgesprochen großes Herz besaß und daher die Kraft hatte jedem zu verzeihen, und allem Anschein nach auch Gerrit. Michael hielt es nicht für besonders klug, darauf überhaupt noch etwas zu sagen. Schließlich wusste sie genauso gut wie er, was auf Gerrit zukommen würde. Im Moment konnte sie nicht einmal sagen, ob sie das überhaupt wollte. Erst als sie sich wieder ein klein wenig bewegte, um Michael besser sehen zu können, die Schmerzen in ihrem Körper wieder zu toben begannen, wurde ihr bewusst, dass es wohl das Beste sein würde, dass Gerrit für eine Weile weggesperrt wurde. Es war völlig egal, ob sie noch für ihn Gefühle hegte oder nicht. Aber er sollte für das bestraft werden, dass er ihr angetan hatte.
„So bleibe doch ruhig liegen, Alex, ich sehe doch, dass dir noch alles weh tut.“, begann Michael leise zu schimpfen, während er wieder auf das Bett zuging. Alex verzog nur ihr Gesicht, hielt es nicht für nötig, darauf überhaupt etwas zu sagen. Sie beobachtete ihn nur beim Setzen und war sichtlich erstaunt darüber, wie vorsichtig, ja sogar behutsam er das tat. „Danke, dass du bleibst …“, brachte sie nach Minuten nur hervor, nachdem Michael nicht mehr weitergesprochen hatte. „Das ist doch selbstverständlich, Alex … jemand muss ja für dich da sein.“, stellte er belustigt fest. Wieder nahm er ihre Hand in seine, wunderte sich darüber, dass sie es zuließ und sogar diesen Hauch von Nähe akzeptierte. Es war ja erst wenige Minuten her, dass sie sich zu einer Trennung entschlossen hatte.
Stille senkte sich über das kleine Krankenzimmer, sie empfanden das als beruhigend, zu sehr hatte sie die Situation der letzten Stunden aufgewühlt. Michael merkte, dass ihr die Augen immer wieder zufielen, sie aber immer mit Gewalt wieder öffnete. Auch wenn sie unheimlich müde sein musste, wollte sie doch nichts versäumen. Zumindest hatte er diesen Eindruck in den letzten Minuten gehabt. Etwas hinderte sie jedoch daran einzuschlafen, noch wusste sie nicht, wie sie ihre Worte formulieren sollte. „Wirst du auch für mich da sein, wenn ich aus dem Krankenhaus entlassen werde, wenn ich gegen ihn aussagen muss?“, fragte sie leise. Michael bemerkte, dass es ihr unheimlich schwer fiel, mit ihm zu sprechen. „Ich werde solange für dich da sein, solange du mich brauchst.“, versprach er, hielt ihren Blick gefangen und versuchte darin zu lesen, wenn auch ohne Erfolg. Alex legte ihren Kopf leicht schief, musterte sein Gesicht, auf das sich ein leichtes Lächeln geschlichen hatte. „Und was ist darüber hinaus? Es könnte doch sein, dass ich dich brauche, solange ich lebe.“, meinte sie leise, wieder hielt sie sich mit Mühe wach. „Dann werde ich eben so lange da sein, Alex, mach dir darüber keine Gedanken.“, bat Michael, mit der freien Hand liebkoste er ihre Wange. „Ich bleibe dir solange erhalten, wie du mich brauchst, und wenn du mich mein ganzes Leben lang brauchst, so wird das eben so sein.“ Dankbar schaute sie ihm in die Augen, wagte ein leichtes Schmunzeln. Vorsichtig beugte sich Michael ihr hinab, hauchte ihr behutsam einen Kuss auf die Lippen, spielte kurz mit diesen und erhob sich, als er keinerlei Reaktionen ihrerseits erkennen konnte. Dass er das Krankenzimmer verließ, bekam sie schon gar nicht mehr mit. Alex war eingeschlafen …