nach länger Zeit hab ich nun wieder eine Geschichte für euch und wünsch euch viel Spaß beim Lesen.
HERZ WIE EIN BERGWERK
Aus den Augenwinkeln beobachtete er seine Kollegin und bemerkte wieder, dass sie schlechter aussah, als noch zu Beginn der Woche. Immerhin hatte er den Eindruck, als ob sie in den letzten Tagen wieder an Gewicht verloren hätte, von den unzähligen blauen Flecken wollte er erst gar nicht reden oder gar daran denken.
„Was ist los mit dir, Kollegin? Du bist so anders geworden in den letzten Tagen, seit du aus deiner Zwangspause zurückgekommen bist.“, stellte er fest. Mitleidig schaute er zum Schreibtisch der blonden Frau. „Alex, so rede doch endlich mit mir, ich möchte dir doch helfen können.“, fuhr er fort, sein Blick wurde flehend. Ihr Kopf fuhr herum, schweigend starrte sie Michael in die Augen und schüttelte wild den Kopf. „Lass es einfach bleiben und lass mich gefälligst in Ruhe.“, knurrte sie ungehalten, erhob sich und stürmte aus dem Büro. Irritiert blieb er zurück und fragte sich, was er denn Falsches gesagt hatte. Da außer ihm niemand mehr im Büro war, schaffte er es, in Ruhe über ihr Verhalten nachzudenken, vermochte jedoch absolut nicht zu verstehen, warum sie an diesem Vormittag so aggressiv war, sich so anders verhielt, als er es von ihr gewohnt war.
Am Abend vorher hatten sie gemeinsam Feierabend gemacht, doch anstatt wie so oft in den letzten Jahren mit ihm auf ein Bier zu gehen, war sie so rasch wie nur irgend möglich nach Hause gefahren. Erst heute Morgen hatte er sie wiedergesehen, verstörter und verängstigter als er es vom Vortag in Erinnerung gehabt hatte, auch hatte er sie in den letzten Wochen nie so streitsüchtig wie gerade eben erlebt. Das konnte er zwar verstehen, vermutlich würde ihm keiner ihre Veränderung erklären können, stellte er bekümmert fest.
Eine Tür wurde lautstark zugezogen, und dadurch wurde Michael aus seinen Gedanken gerissen. Erstaunt schaute er auf, bemerkte seinen Kollegen. „Gerrit, da bist du ja endlich.“, bemerkte er, noch immer nicht ganz aus seinen Träumereien erwacht, blickte deshalb etwas verwirrt auf den um einige Jahre jüngeren Mann, schüttelte kurz darauf den Kopf, um die leichte Benommenheit daraus zu vertreiben. „Ja, da bin ich. Ist etwas vorgefallen?“, erkundigte sich Gerrit mit hochgezogener Braue, wusste noch nicht, was er mit Michael anfangen sollte. Aus seinem Gesicht konnte Gerrit absolut nichts ablesen, was sonst nicht der Fall war, sein Freund und Kollege war für ihn sonst ein offenes Buch, zumindest bisher. „Nein, Gerrit, noch gibt es keinen neuen Fall, tut mir leid. Am meisten bereitet mir Alex Kopfzerbrechen.“, gab Michael nach sekundenlangem Überlegungen endlich zu. „Ach nein, tatsächlich? Ich weiß auch, dass sie sich verändert hat, hab dem aber keine Bedeutung beigemessen.“, erklärte Gerrit mit einer wegwerfenden Handbewegung, ihn interessierte im Moment das Gefühlsleben seiner Kollegen gar nicht, auch wenn er mit ihnen befreundet war, zu sehr war er im Moment mit sich selbst beschäftigt, wollte Alex und Michael an seinem Privatleben einfach nicht teilhaben lassen. In den letzten Wochen hatte er absolut keinen Bock, sich um die Belange anderer Leute zu kümmern.
Alex tauchte den restlichen Tag nicht mehr auf, war auch telefonisch nicht mehr zu erreichen. Verwundert nahm Michael das zur Kenntnis und war erstaunt darüber, dass es Gerrit absolut nicht zu berühren schien. „Ach lass mich doch mit Alex in Ruhe. Ich möchte heute nicht über sie reden.“, bemerkte er ungehalten, als er von Michael auf das eigenartige Verhalten der gemeinsamen Kollegin angesprochen worden war. Erstaunt und zugleich irritiert schaute er zu Gerrit, zog eine Augenbraue hoch und schüttelte kaum merklich den Kopf. Auch an dem sonst so freundlichen, hilfsbereiten Gerrit war etwas anders, noch wusste Michael nicht, was es genau war. Er nahm sich aber vor, es herauszufinden. „Was meinst du, Gerrit? Ihr beide versteht euch doch ausgesprochen gut, es muss etwas vorgefallen sein, dass du so über sie sprichst.“, stellte Michael fest. „Willst du mir nicht sagen, was es ist?“ Gerrit fuhr herum, stierte seinen Kollegen unwillig an. „Was soll schon passiert sein?! Ich sehe nicht ein, warum ich dir das erzählen sollte. So eng ist unsere Freundschaft nun auch wieder nicht.“, gab Gerrit zu bedenken, merkte jedoch nicht, was er damit in Michael auslöste.
Dieser hatte bisher nämlich geglaubt, dass ihre Freundschaft funktionierte, jeder für den anderen da war, wenn es darauf ankam. Sollte er sich so getäuscht haben, fragte er sich mit einem Anflug von Erschütterung. „Ich wusste bisher noch gar nicht, dass du das so siehst.“, murmelte er enttäuscht und beschloss endlich, einen der liegen gebliebenen Akten zu sich zu ziehen, um darin herum zu blättern. Auf seinen Kollegen vergaß er völlig und so wunderte er sich auch gar nicht, dass er alleine war, als er irgendwann wieder den Kopf hob. Michael seufzte nur kurz auf, ehe er sich wieder in seine Akte vertiefte, auch wenn er sich nicht mehr konzentrieren konnte. Er wusste später nicht mehr zu sagen, wann er seinen Stift zur Seite geworfen und die Akte lautstark zugeschlagen hatte. „Morgen ist doch auch noch ein Tag.“, murmelte er vor sich hin, während er seinen Rechner herunterfuhr.
Planlos fuhr er durch die Stadt, immer darauf hoffend, ihr zu begegnen und sie vielleicht zu überreden, mit ihm doch auf ein Bier zu geben. Aber sie lief ihm nicht über den Weg, natürlich hatte er das gewusst, enttäuscht war er dennoch. Also entschloss er sich schlussendlich dann doch, nach Hause zu fahren. Auf Umwegen fuhr er zu seiner Wohnung.
Es passte Michael überhaupt nicht, dass er alleine im Wohnzimmer saß, mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher hockend. Auch wenn er auf den Bildschirm starrte, bekam er nicht mit, was gespielt wurde. Zu sehr beschäftigte ihn noch immer der vergangene Arbeitstag, die kleinen aber so unnötigen Streitigkeiten mit Gerrit und Alex gingen ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ab und zu zog er am Bier und stellte mit Entsetzten fest, dass es ihm an diesem Tag absolut nicht schmeckte. Mit einem Anflug von Verachtung knallte er die Flasche auf den Tisch, ohne daran zu denken, dass das Glas bei dieser Behandlung durchaus brechen konnte. Erschrocken schaute er auf die Bierflasche, da einige wenige Tropfen auf seine Hand gekommen waren. Unwillig schüttelte er den Kopf, zu sehr ließ er sich von seinen Problemchen mit seinen Kollegen ablenken, stellte er ungehalten fest und nahm sich zwar vor, Alex und Gerrit sofort wieder zu vergessen, wusste zugleich aber auch, dass es ihm nicht gelingen würde.
Also war er dankbar dafür, dass es plötzlich an der Tür läutete, sehr ungeduldig, wie es Michael schien. Als er nicht rasch genug öffnete, wurde hart gegen das Holz der Eingangstür getrommelt. „Ja, ja, ich komme ja schon.“, rief er, bezweifelte jedoch, dass sein später Besucher ihn überhaupt hören konnte, wurde doch noch immer wie wild gegen die Wohnungstür gepocht. Rasch öffnete er und hinderte den Besucher dadurch, wieder anzuklopfen. Durch diese kleine Überraschung, machte eine kleine zierliche Person einige unkontrollierte Schritte auf Michael und stolperte auf ihn zu. Schnell fing er sie auf, hielt sie kurz fest. „Alex …!“, rief er überrascht aus. „Was willst du denn hier?“ Sie hob ihren Kopf, blickte ihm hilflos in die Augen und zuckte mit den Schultern. „Kann ich heute bei dir bleiben?“, wollte sie wissen, ohne vorerst auf seine Frage einzugehen. Irritiert nickte Michael, trat beiseite, um sie in den kleinen Vorraum zu lassen. „Natürlich kannst du bleiben, auch wenn ich noch nicht erkenne, was los ist.“, antwortete Michael verunsichert. Alex versteckte ihr Gesicht noch immer an seiner Brust, und er bildete sich ein zu spüren, dass sie leicht zitterte. Fieberhaft überlegte er, ob er sie darauf ansprechen sollte oder nicht. Etwas in ihren Augen hinderte ihn daran.
„Komm endlich ganz herein, Alex, ich komme mir vor wie in einer Auslage.“, murmelte Michael, während er sich im dämmrigen Stiegenhaus umschaute und bemerkte am unteren Treppenabsatz einen Schatten. Vergebens wartete er auf ein Wort von ihr. So zog er sie einfach weiter in die Wohnung, schloss mit der freien Hand die Tür hinter sich, nicht weiter darauf achtend, was der Fremde im Stiegenhaus zu suchen hatte.
Behutsam schob Michael seine späte Besucherin in sein Wohnzimmer, führte sie zum Sofa und drückte sie darauf nieder. Sekundenlang starrte er mitleidig auf sie hinab, vorerst wusste er aber nicht, was er mit dem Häufchen Elend anfangen sollte. „Willst du etwas zu trinken?“, fragte er hilflos, froh darüber, dass ihm überhaupt etwas eingefallen war. Langsam nickte Alex. „Hast du vielleicht Wein im Haus?“, wollte sie zaghaft, fast schon stockend wissen. Nachdenklich schaute er ihr in die Augen, ehe er langsam nickte. „Ja, ich denke schon … warte mal.“, murmelte er, wandte sich von ihr ab. Er beeilte sich in die Küche zu kommen, in einem der wenigen Kästchen wurde er endlich fündig. Mit zwei Gläsern und einer Flasche Rotwein kehrte er zu Alex zurück. Wenige Schritte vor ihr blieb er stehen, blickte entsetzt auf eine zusammengesunkene zierliche Person, deren Gedanken so weit weg zu sein schienen, und sie zitterte kaum merklich.
Vorsichtig ließ er sich neben sie nieder. „Alex ...“, begann er, schwieg gleich wieder hilflos. Sie schaute ihm zwar in die Augen, es kam Michael jedoch so vor, als würde sie durch ihn hindurchsehen. Es dauerte eine kurze Zeit, bis sie merkte, dass ihr ein Glas Wein entgegen gehalten wurde. Alex brummte kurz vor sich hin, was Michael als Danke auslegte und bemerkte mit Entsetzen, wie sie das gereichte Getränk in einem Zug leerte. Sie hielt ihm das Glas wieder entgegen, bittend schaute sie ihm in die Augen. „Ich hätte gerne noch eines.“, meinte sie flehend, ihr Blick wurde treuherzig. Mit ziemlich gemischten Gefühlen schenkte Michael nach, beobachtete wieder, wie sie den Wein in einem Zug hinunterstürzte. Er nahm es mit einem Anflug von Abscheu zur Kenntnis. Als sie ihm das leere Glas nochmals entgegenhielt, schüttelte er kurz den Kopf und nahm es ihr behutsam aus der Hand, um es so weit wie irgend möglich von ihr weg zu stellen. „Warum tust du das?“, fragte sie entsetzt und bereits mit einer schweren Zunge. Michael konnte nur leicht den Kopf schütteln, verstand er doch ihr Verhalten an diesem Abend nicht, zumindest noch nicht. Immerhin nahm er sich genau in diesem Moment vor, den Grund dafür herauszufinden.
„Du fragst, warum ich dir dein Glas nicht mehr gebe? Ich möchte doch, dass du einen klaren Kopf behältst.“, erklärte Michael ernst, bezweifelte jedoch aufgrund ihres Gesichtsausdruckes, dass sie ihn überhaupt verstand. „Ich brauche heute keinen klaren Kopf mehr, wofür auch.“, brummte Alex vor sich hin. „Und ich möchte auf jeden Fall noch ein Glas Wein, mir ist heute so danach, außerdem brauch ich das heute dringend.“ Aus großen Augen starrte er ihr ins Gesicht und wusste nicht, was er mit ihr anfangen sollte. „Alex, was ist mit dir eigentlich los? Du hast dich in den letzten Wochen und Monaten so sehr verändert, dass ich die Kollegin nicht mehr wieder erkenne, die ich so sehr schätze.“, bemerkte er traurig, legte seinen Kopf leicht schief und musterte sie kurz. „Was du schon wieder hast, Michael, du siehst Gespenster.“, stellte sie ungehalten fest, tat seine Bemerkung im Nachhinein mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Das glaube ich dir zwar nicht, Alex, aber es hat heute wohl keinen Sinn mehr, weiter mit dir darüber zu reden.“, meinte Michael nur, erkannte er doch, dass der Alkohol bereits seine Wirkung zeigte, auch wenn Alex davon nichts wissen wollte. Sie gähnte plötzlich herzhaft, langsam erhob sie sich. Nach wenigen Schritten schwankte sie. So rasch er konnte, war er an ihrer Seite. Behutsam legte Michael einen Arm um ihren Körper. „Setz dich, Alex.“, bat er leise und war erstaunt darüber, dass sie ihn widerstandslos zum Sofa folgte, worauf sie sich schließlich wieder plumpsen ließ. „Ich glaube, ich bleibe doch hier …“, hörte er sie sagen. „Aus irgendeinem Grund möchtest du das sowieso, Alex. Warte hier kurz, ich werde dir ein Bett richten, wo du heute Nacht schlafen wirst.“, erklärte Michael, denn er hatte bemerkt, dass ihre Augen immer wieder zufielen und mit Gewalt wieder aufgerissen wurden. Er bezweifelte zwar, dass sie noch wach sein würde, wenn er mit seinem Vorhaben fertig sein würde, hoffen konnte er immerhin. „Gut …“, murmelte Alex nur vor sich hin, ließ sich einfach zur Seite gleiten und legte sich mit einiger Mühe auf dem Sofa zurecht. Sie war rascher eingeschlafen, als er es für möglich gehalten hatte.
Kopfschüttelnd wandte er sich ab, um aus seinem Schlafzimmer eine Decke zu holen. Alex merkte gar nicht mehr, dass er ihr die Schuhe auszog und sie endlich zudeckte, so tief schlief sie nach der kurzen Zeit schon. Michael verstand ihr Verhalten an diesem Abend immer weniger und fragte sich zum wiederholten Male, wie viel sie an diesem Tag wohl schon getrunken haben mochte, denn die beiden Gläser Wein, die sie bei ihm in sich hinein geschüttet hatte, konnten ihr doch noch nichts anhaben. Alex vertrug doch sonst schon eine kleine Menge an Alkohol. Michael nahm sich jedenfalls vor, sie in den nächsten Tagen nochmals auf ihre Probleme anzusprechen und wollte auf eine vernünftige Antwort bestehen, auch wenn er sie vermutlich nicht bekommen würde.
Wie lange er gelesen hatte, konnte er nicht mehr sagen, am nächsten Morgen war er mit dem Buch auf seiner Brust wach geworden. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er sich befand. Erst das schrille Läuten des Weckers machte ihm klar, dass er aufstehen musste. „Mist …!“, murmelte er vor sich hin, während er sich aus seinem Bett quälte. Ziemlich verschlafen schlurfte er ins Bad, völlig darauf vergessend, dass Alex noch immer im Wohnzimmer schlafen musste. Erst als das Wasser schon auf ihn hinab prasselte fiel es ihm wieder ein und hoffte, dass er sie nicht durch den Lärm, den er verursachte, aufweckte.
Doch das hatte bereits das Läuten des Weckers erledigt. Alex war erschrocken aufgefahren. Irritiert schaute sie sich um, ihr Gesicht verzog sich vor Schmerzen, in ihrem Kopf begann es zu hämmern, so sehr, dass sie sich langsam wieder zurücksinken ließ. Mit beiden Händen versuchte sie, ihren schmerzenden Kopf zu stützen, obwohl es im Grunde gar nichts half. Alex begann, sich über sich selbst zu ärgern und konnte einfach nicht verstehen, warum sie sich am Tag zuvor hatte so gehen lassen. Doch die Streitereien mit den Kollegen, besonders mit Gerrit, waren ihr einfach zu viel gewesen. Sie wusste sich einfach nicht mehr anders zu helfen, auch wenn ihr klar war, dass sie von diesen Problemen nicht weglaufen konnte und sollte. Alex versuchte wieder, den Kopf zu heben, da die angenehme Ruhe durch tapsende Schritte unterbrochen wurde. Es drehte sich zwar alles um sie herum, aber die große Neugier siegte dann doch, und so sah sie noch einen nackten Michael im Schlafzimmer verschwinden. Alex erschrak zwar, wusste aber nicht, ob sie darüber lachen sollte oder nicht.
Ehe sie sich klar darüber werden konnte, schaffte sie es mit Mühe, sich endlich aufzusetzen und ließ ihren Blick durchs Zimmer wandern, auch wenn sie schon oft genug bei ihm gewesen war, entdeckte sie doch immer etwas Neues. Aber an diesem Morgen war etwas anders, noch wusste sie nicht, was genau es war. Plötzlich fiel es ihr ein. Es hatte irgendjemand Ordnung gemacht, und es wäre nicht Alex gewesen, wenn sie sich nicht fragte, wer das wohl gemacht hatte. Immerhin wusste sie, dass er alleine lebte.
Erschrocken fuhr sie zusammen, ein Räuspern hatte sie aufgeschreckt. Michael stand fertig angezogen in der Tür. „Hab ich dich aufgeweckt?“, fragte er, setzte einen entschuldigenden Blick auf. Langsam, fast schon behutsam schüttelte sie den Kopf. „Nein, Michael, das war der Wecker.“, gab Alex zu, sie schlug endlich die Decke zurück und schob ihre Beine vom Sofa. „Müssen wir schon ins Büro?“, wollte sie wissen, als Michael schwieg, sie nur beobachtete. „Ich muss ins Büro, Alex, du hast doch Spätdienst, soviel ich weiß. Soll ich dich nach Hause bringen?“, erkundigte er sich fürsorglich. „Nein, Micha, du kannst mich zu Claudi bringen, wenn es dir nichts ausmacht.“, murmelte Alex, nach einigen Augenblicken des Überlegens. Sie merkte nicht, dass Michael sie völlig irritiert anblickte, nicht zu wissen schien, was er von ihrer Bitte halten sollte. „Wie du meinst …“, meinte er vorerst nur ein wenig verstört. „Möchtest du Kaffee? Ich koche uns welchen!“ Entsetzt schaute sie ihm in die Augen. „Um Gottes Willen … nein! Heute bring ich doch keinen runter.“, stellte Alex bestürzt fest und stand viel zu rasch auf, blieb genauso schnell auch wieder stehen. „Dir geht es heute nicht gut, nicht wahr?“, fragte Michael neugierig, es war jedoch eine Feststellung, in seiner Stimme klang so etwas wie Mitleid mit, auch wenn er sich am Vorabend noch angeekelt abgewandt hatte. „Stimmt … Danke, dass ich hierbleiben konnte.“, lenkte Alex gekonnt vom Thema ab. „Das war doch selbstverständlich, Alex, dazu sind Freunde ja da. Bei Gelegenheit wirst du mir aber erzählen müssen, warum du hier warst.“, verlangte Michael energischer, als es eigentlich angebracht gewesen wäre. Hilflos zuckte Alex mit den Schultern. „Ob ich das tue, kann ich dir noch nicht versprechen. Wir sollten fahren, du willst doch nicht zu spät kommen.“, bemerkte Alex, nachdem sie einen kurzen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte. Michael nickte nur bestätigend, schaute ihr kurz nach und folgte ihr endlich, als sie sich an der Tür zu ihm umgewandt hatte.
Wie lange sie vor der verschlossenen Tür ihrer Freundin gestanden hatte, konnte sie später nicht mehr sagen. Ziemlich verschlafen öffnete Claudi dann doch. „Was machst du denn hier?“, wunderte sie sich. „Kann ich kurz reinkommen?“, wollte Alex wissen, flehend schaute sie Claudi in die Augen. Es dauerte eine kurze Zeit, bis sie endlich langsam nickte und zur Seite trat. Kopfschüttelnd folgte sie Alex, fragte sich, was die Freundin um diese Uhrzeit bei ihr wohl wollte.
Alex steuerte zielsicher die Küche an, verzog das Gesicht, als ihr Kopf wieder heftig zu pochen begann, als sie sich zu Claudi umwandte. „Ach, haben wir wieder zu lange gefeiert?“, erkundigte sich diese spöttisch, viel zu spöttisch, als es vielleicht angebracht gewesen wäre. Besonders vorsichtig schüttelte Alex den Kopf. „Ausnahmsweise war ich nicht die ganze Nacht unterwegs.“, gestand sie leise. „Kann ich vielleicht etwas Kaffee haben?“ „Natürlich kannst du den bekommen, wenn du mir erzählst, was vorgefallen ist.“, verlangte Claudi energisch, und trotz ihrer Müdigkeit begann sie geschäftig in der Küche herum zu hantieren. Vorerst schwieg Alex, schaute ihrer Freundin bei deren Arbeit zu und überlegte, wie sie mit der Geschichte beginnen sollte, die sie schon seit langem beschäftigte. Erst als sie am heißen Kaffee nippte, wurde ihr klar, wie sie Claudi alles erzählen sollte. Doch diese kam ihr zuvor. „Hat dich dein Typ wieder einmal geschlagen oder gequält?“, erkundigte sie sich, wusste nicht sicher, wie sie Alex richtig behandeln sollte. Diese nickte bedrückt. „Ja.“, gab sie endlich ziemlich gedrückt zu, senkte betreten den Blick. „Gestern bin ich noch durch München gezogen, nachdem ich mich mit Michael auch noch gezofft habe.“ Plötzlich fiel es ihr ausgesprochen leicht, über ihre Probleme zu reden, sie erzählte plötzlich alles, was ihr in den letzten Wochen das Leben zur Hölle gemacht hatte. Die Worte purzelten ihr nur so über die Lippen, und Alex wunderte sich selbst darüber, dass es ihr leicht fiel, darüber zu sprechen, merkte aber selbst, dass es ihr gut dabei ging. Sie Stieß Claudi aber oft genug mit ihrem Fuß gegen deren Schienbein, um sich ihrer ganzen Aufmerksamkeit sicher zu sein. Alex hatte Angst, dass ihre Freundin wieder einschlief, immerhin hatte sie Claudi zeitig genug aus dem Bett geholt.
„Alex …“, begann sie, nachdem sie einige Male aus purer Verlegenheit an ihrem Kaffee getrunken hatte und dennoch nicht wusste, was sie selbst von der Geschichte halten sollte. Viel zu rasch schwirrten Claudi die unzähligen, teils unnützen Gedanken im Kopf herum. „Warum um alles in der Welt trennst du dich nicht von diesem Typen. Ich kenne den zwar nicht, aber was du mir von ihm erzählt hast, reicht schon, um ihm aus dem Weg zu gehen.“, fuhr Claudi fort, ihr lief ein leichter Schauer über den Rücken, als sie wieder über Alex´ Worte nachdachte. „Ich weiß doch auch, dass es falsch ist, bei ihm zu bleiben, aber ich steh halt immer noch auf ihn.“, gestand Alex kleinlaut, zog den Kopf zwischen die Schultern, als sie den strafenden Blick von Claudi auf sich spürte. „Geht´s eigentlich noch, Alexandra Rietz … der Kerl hat dich kurz und klein geschlagen, als er erfahren hat, dass du schwanger bist. Du hast dein Kind deswegen verloren, obwohl du dir nichts sehnlicher wünscht, als eines zu kriegen. Das ist doch schon Grund genug, ihn einfach in die Wüste zu schicken.“, brauste Claudi auf. Verlegen blickte Alex zur Seite, wollte den forschenden Augen der Freundin einfach nur ausweichen, was ihr jedoch nicht wirklich gelingen wollte. „Wie blöd muss man eigentlich sein …“, brummte Claudi ungehalten vor sich hin, als keinerlei Reaktion von Alex kam, die plötzlich schwieg – vorsichtshalber. Sie fragte sich, warum sie eigentlich hier in dieser Küche saß und sich Vorhaltungen machen lassen musste, auch wenn sie selbst wusste, dass Claudi mehr als Recht hatte. Aber noch hatte Alex nicht die Kraft, den entscheidenden Schritt zu tun. Sie hob den Kopf, starrte ihre Freundin sekundenlang schweigend in die Augen, versuchte darin Antworten auf die unzähligen Fragen zu finden, die ihr im Kopf umher schwirrten. Natürlich war darin nichts zu erkennen.
Alex nahm den letzten Schluck ihres Kaffees, blickte kurz auf die Uhr und erschrak. „Ich sollte fahren, mein Dienst beginnt in einer Stunde, und ich sollte vorher noch unter die Dusche.“, gestand sie kleinlaut, rutschte plötzlich nervös auf dem Stuhl hin und her. „Das kannst du auch hier tun, wenn du das möchtest. Ich borge dir für heute frische Kleidung, wir haben ja die gleiche Größe, also dürfte das kein nennenswertes Problem sein.“, stellte Claudi fest, gähnte hinter vorgehaltener Hand herzhaft, der Kaffee hatte seine Wirkung noch nicht entfaltet. Alex´ Gesicht hellte sich auf, langsam nickte sie und verzog es auch gleich wieder, in ihrem Kopf pochte es wieder stärker. Obwohl Claudi sie beobachtete, überging diese ihr schmerzverzerrtes Gesicht, da Alex darauf ziemlich ungehalten reagieren würde.
Außer Atem erschien Gerrit im K11, blickte sich gehetzt im Büro um, während er mitten im Raum stehen blieb. „Was ist mit dir los?“, wollte Michael neugierig wissen, der durch das Hereinstürmen seines Kollegen aufgeschreckt worden war. Ehe er noch irgendetwas sagen konnte, fuhr Gerrit ihn an: „Wo ist sie?“ Hilflos zuckte Michael mit den Schultern. „Da ich nicht genau weiß, wovon oder von wem du eigentlich sprichst, kann ich dir leider nicht helfen.“, bemerkte er bedauernd. „Sie war heute Nacht nicht zu Hause, weißt du, wo sie ist?“, erkundigte sich Gerrit unwirsch. Er stand vor Michaels Schreibtisch, wippte auf den Zehenspitzen hin und her, starrte seinem Kollegen fest in die Augen. „Du bist heute ein Spinner. Hast du vielleicht schlecht geschlafen?“, erkundigte sich Michael, bereits ein wenig verunsichert, da er nicht genau wusste, wie er mit Gerrit an diesem Morgen umgehen sollte. „Lass die blöden Sprüche, Michael, darauf habe ich heute echt keinen Bock.“, herrschte er seinen Freund an. „Meine Freundin ist nicht nach Hause gekommen, ich möchte einfach nur wissen, wo sie ist.“ Michael holte tief Luft, hielt kurz den Atem an. Jetzt wusste er also, warum es Gerrit eigentlich ging. „Ich versteh´ nur nicht, warum du sie hier suchst.“, brummte er, wusste jedoch nicht, was er von Gerrits Ausbruch halten sollte. „Sie arbeitet doch hier.“, bemerkte Gerrit, deutete auf Alex´ Schreibtisch. Zu spät erst erkannte er, dass er das eigentlich nicht hatte verraten wollen. Erschrocken starrte er Michael in die Augen, darauf hoffend, dass dieser nicht näher auf seine Antwort eingehen würde. Fürs Erste tat es Michael tatsächlich nicht, zu sehr schockierte ihn die Tatsache, dass ausgerechnet sein bester Freund hier in München der geheimnisvolle Freund seiner Kollegin war. Aber noch verstand er nicht, was hinter Alex´ Verhalten vom Vortag und Gerrits Ausbruch im Büro auf sich hatte. Aber wollte er das an diesem Tag überhaupt noch hören?, fragte sich Michael, denn irgendwie hatte er keinerlei Lust darauf, Probleme zu wälzen, auch wenn es die seiner Kollegen und Freunde waren. Plötzlich fürchtete er sich vor dem Dienstbeginn von Alex und ihrem Zusammentreffen mit Gerrit. Michael konnte zwar nicht sagen, warum es so war. Aber es konnte durchaus wegen dem Verhalten der beiden sein, dachte er sich, schüttelte jedoch gleichzeitig den Kopf über seine Gedanken. Etwas stimmte daran nicht, fand er, wusste aber nicht zu sagen, was es sein könnte.
Langsam öffnete sich die Tür, erwartungsvoll blickte Michael auf, darauf vergessend, dass Gerrit noch immer vor ihm auf dem Besuchersessel saß und das Gespräch, das sie vor einer geraumen Zeit geführt hatten, eigentlich weiterführen wollte. Auch Gerrit wandte sich dem Eingang zu, gespannt darauf wartend, wer den Raum betreten würde. Es dauerte einige Minuten, bis sich Alex in den Raum schob. Michael erschrak sichtlich über ihr Aussehen, ihre gesamte Ausstrahlung drückte die Angst aus, die sie beim Betreten des Raumes empfinden musste. Warum fürchtete sie sich so, und vor wem?, fragte er sich erschüttert.
Langsam öffnete sich die Tür, erwartungsvoll blickte Michael auf, darauf vergessend, dass Gerrit noch immer vor ihm auf dem Besuchersessel saß und das Gespräch, das sie vor einer geraumen Zeit geführt hatten, eigentlich weiterführen wollte. Auch Gerrit wandte sich dem Eingang zu, gespannt darauf wartend, wer den Raum betreten würde. Es dauerte einige Minuten, bis sich Alex in den Raum schob. Michael erschrak sichtlich über ihr Aussehen, ihre gesamte Ausstrahlung drückte die Angst aus, die sie beim Betreten des Raumes empfinden musste. Warum fürchtete sie sich so, und vor wem?, fragte er sich erschüttert.
Als Gerrit sie sah, sprang er auf und ging rasch auf sie zu. „Alex …“, rief er aus, als er vor ihr stand. „Da bist du ja endlich! Wo warst du denn die letzten Stunden?!“ Von seinem Ton alarmiert, blickte Michael zwischen Gerrit und Alex hin und her, bemerkte mit Entsetzen, dass seine Kollegin den Kopf noch mehr einzog, als es bisher schon der Fall war. Was ging da bloß vor? Neugierig blickte er zwischen seinen Mitarbeitern hin und her, wurde aus deren Verhalten nicht schlau. Und er wartete gebannt darauf, was Alex Gerrit wohl antworten würde, denn bisher hatte sie sich davor gedrückt. Sie hob vorerst nur die Schultern, schien noch immer nach Worten zu suchen, die Gerrit erst gar nicht aufregten. „Na, Alex, was ist jetzt? Wo warst du denn letzte Nacht, ich hab mir doch Sorgen gemacht.“, bemerkte er aufgeregt. Irritiert hob Alex eine Augenbraue, war so sprachlos über seinen letzten Satz, dass sie nicht wusste, was sie darauf überhaupt sagen sollte. „Wirklich?“, brachte sie endlich über die Lippen. „Wieso hast du denn kein einziges Mal angerufen? Deine Sorgen können nicht besonders groß gewesen sein. Übrigens … ich war letzte Nacht bei Claudi.“ Michael hielt kurz die Luft an, während er zwischen seinen Kollegen hin und her blickte. Er war darüber erstaunt, dass Alex diese kleine Ausrede so leicht über die Lippen brachte. Vermutlich konnte sie seine Reaktion so viel besser einschätzen als er, Michael, selbst. Er fragte sich plötzlich, wie oft sie eine Lüge gebrauchen musste, um ja mit ihm nicht streiten zu müssen. An den Rest wollte er gar nicht denken.
„Claudi?! Die kenne ich ja noch gar nicht.“, knurrte Gerrit plötzlich ungehalten, drohend kam er wieder auf Alex zu und baute sich vor ihr auf, schaute strafend auf sie hinab. Etwas an seiner Körperhaltung sagte Michael, dass der Moment gekommen war, an dem er sich einmischen sollte. Langsam stellte er sich deshalb zwischen seine Freunde, blickte abwechselnd zwischen ihnen hin und her. „Wir sollten uns endlich an die vielen Akten machen, einige liegen schon ewig hier herum.“, stellte er fest, damit die unangenehme Stimmung im Raum unterbrechend. Ein wenig aus dem Konzept gebracht, schaute Gerrit ihm in die Augen, schüttelte kurz den Kopf, als wäre er gerade wach geworden, zu sehr hatte er sich auf Alex konzentriert und wollte eigentlich absolut von keinem gestört werden, auch von Michael nicht. Je länger Gerrit diesem in die Augen schaute, umso unsicherer wurde er selbst. Hastig wandte Gerrit sich ab und verließ eilig das Büro, die Türe lautstark ins Schloss ziehend.
Erleichtert atmete Alex aus, während sie dankbar zu Michael aufblickte. „Danke …!“, brachte sie endlich mühsam hervor. „Keine Ursache, Kollegin.“, nuschelte Michael, ging wieder zu seinem Schreibtisch. „Aber tue mir einen Gefallen und erkläre mir das alles bei Gelegenheit. Immer bin ich nicht da und kann dir helfen.“, fuhr er fort, nachdem er sie sekundenlang gemustert hatte. „Ich weiß, Micha, aber ich kann dir gar nicht sagen, wann das sein wird, denn noch kann ich das nicht.“, gestand Alex, schniefte kurz auf und wandte sich ihrem Computer zu, um zu verhindern, dass er ihre Tränen bemerkte. Es gelang ihr zwar nicht, aber Michael ging einfach darüber hinweg, beschäftigte sich mit den Akten, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten. Mit Mühe konnte er verhindern, dass er immer wieder zu ihr hinüber schaute, um sie nachdenklich zu mustern. Ihr Gesicht war bereits zu einer Maske erstarrt, deshalb konnte er daraus absolut nichts lesen. Es störte ihn zwar gewaltig, aber er wusste genau, dass er es nicht ändern konnte. Deshalb zwang er sich, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.
Alex starrte auf den Bildschirm vor sich, ohne etwas wahrzunehmen. Ihre Gedanken schwirrten nur so in ihrem Kopf herum, ohne sich ordnen zu lassen. Immer wieder sah sie das zornige Gesicht ihres Freundes vor sich, ehe er das Büro wutentbrannt verlassen hatte. Ihr war klar geworden, dass einiges auf sie zukommen würde, sobald sie wieder auf Gerrit treffen würde. Das wollte sie jedoch auf keinen Fall, fragte sich aber, wie sie dem wütenden Mann aus dem Weg gehen sollte, denn er würde sich nicht beruhigt haben, bis sie nach Hause kommen würde.
Alex seufzte vor sich hin, laut genug, um auch Michael auf sich aufmerksam zu machen. Irritiert wanderte sein Blick zu ihr, nicht wissend, was er von seiner sichtlich verzweifelten Kollegin halten sollte. Sekundenlang beobachtete er sie kurz, ohne zu wissen, was er mit ihr anfangen sollte. Verunsichert erhob er sich, ging langsam auf sie zu und blieb endlich neben ihr stehen. Betroffen starrte er auf sie hinab, sah ihr dabei zu, wie sie von einem Programm zum anderen sprang, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich las. Behutsam legte er eine Hand auf ihre Schultern, merkte, wie sie erschrocken zusammenzuckte. Ruckartig drehte sie ihren Kopf zu ihm und schaute aus großen Augen zu ihm auf. „Alex, sag mir doch, was mit dir los ist!“, bat er flehend. „Was genau ist zwischen dir und Gerrit?“
Alex hob hilflos die Schultern, Michael merkte sehr wohl, dass sie einer Antwort aus dem Weg gehen wollte. Er blieb jedoch hartnäckig neben ihr stehen, auch wenn er noch nicht wusste, was vorgefallen war. Das Einzige, was er bisher begriffen hatte, war, das seine beiden Kollegen ein Paar sein mussten. Aber woher hatte Alex die unzähligen blauen Flecken und die Hautabschürfungen?, fragte sich Michael irritiert. Die Gedanken, die sich ihm aufdrängten, erschütterten ihn zutiefst, er hoffte doch, dass sein Freund und Kollege nicht das tat, was er sich gerade vorstellte. „Alex, sollte irgendetwas passieren, mit dem du gar nicht fertig wirst, rufe mich einfach an, jederzeit. Verstehst du?! Zu jeder Zeit, bei Tag und Nacht, verstehst du mich?“, fragte Michael eindringlich, sein Blick fixierte den ihren, ohne jedoch zu wissen, ob sie ihn verstanden hatte. Ihr Gesichtsausdruck ließ ihn daran zweifeln. Ehe er jedoch irgendetwas sagen konnte, stand sie auf und ging rasch zur Tür. Dort wandte sie sich zu ihm um, starrte ihn kurz schweigend an. „Ja, ja, ich werd´s mir merken.“, brummte sie, ehe sie verschwand und einen ziemlich verunsicherten Michael zurückließ.
Ratlos blieb er vor ihrem Schreibtisch stehen, starrte kurz auf den leeren Sessel. Noch wusste er nicht, was er von ihrem letzten Satz halten sollte. Irgendwie spürte er, dass ihre Worte nicht mehr wert waren als nur Schall und Rauch. Warum er dann enttäuscht darüber war, konnte er anschließend nicht mehr sagen. Langsam kehrte er zu seinem Arbeitsplatz zurück, nachdenklich setzte er sich, seine Gedanken schwirrten noch immer in seinem Kopf hin und her. Da er sich mit den beiden ausgesprochen gut verstand, wusste er nicht so recht, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte. Auch wenn er nicht verstand, was falsch bei ihnen lief, begriff er nur, dass seine Kollegen ein Paar waren, ohne dass er es mitbekommen hatte. Erschrocken fuhr er zusammen, als das Telefon läutete. Im ersten Augenblick war er darüber sogar froh, zu sehr waren seine Gedanken abgedriftet in die Dinge, die ihn eigentlich gar nichts angingen.
Erfreut stellte er fest, dass ihn ein Freund aus Düsseldorf anrief, mit dem er schon lange nicht mehr gesprochen hatte. Es dauerte eine lange Zeit, bis Michael das Telefonat wieder beendete, und das auch nur deshalb, weil einer seiner unzähligen Kollegen das Büro betrat. Nach einem Blick auf seine Armbanduhr stellte er fest, dass er eigentlich schon Feierabend hatte. Da keine Akten mehr auf seinem Schreibtisch herumlagen, verließ er das Büro, auch wenn er im Moment nichts mit sich und seiner freien Zeit anzufangen wusste.
Sie konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, wie lange sie in München herumgelaufen war, ehe sie vor dem Haus stand, in dem sie mit Gerrit lebte. Sehr verunsichert blickte sie zu den Fenstern hoch, hinter denen sie ihn wusste und bemerkte, dass sie eigentlich gar nicht nach oben gehen wollte. Zu ihrem Bedauern hatte sie den Schlüssel zu ihrer eigenen Wohnung nicht eingesteckt, die sie trotz des Zusammenlebens mit ihm nicht aufgegeben hatte. Im Moment wollte sie einfach nur alleine sein, niemanden um sich haben, der sie mit unzähligen Fragen bombardieren würde. Alex wandte sich ab, begann wieder ziellos in der Stadt herumzulaufen, obwohl ihr bereits die Füße schmerzten. Die Schuhe, die sie trug, eigneten sich eindeutig nicht für Fußmärsche, die den ganzen Tag dauerten. Aber sie stellte auch fest, dass ihr die Bewegung gut tat, auch das Alleinsein störte sie an diesem frühen Abend keinesfalls, obwohl sie jemand war, der gerne unter Leuten war.
Wieder einmal läutete ihr Handy. Kurz überlegte sie, ob sie es überhaupt aus der Tasche nehmen sollte. Als es aber so gar nicht aufhörte zu schrillen, entschloss sie sich dann doch, das kleine Telefon aus ihrer Handtasche herauszusuchen. Natürlich war es dann ruhig, als sie es in Händen hielt. Rasch las sie den Namen, mit Entsetzen begriff sie, dass Gerrit schon einige Male angerufen hatte, ohne dass sie es bemerkt hatte. Sie schüttelte nur unwillig den Kopf, wandte sich ab. Jetzt erst stand für sie fest, dass sie mit ihm gar nichts zu tun haben wollte, zumindest an diesem Abend nicht. Deshalb wollte sie zurück ins K11, um den Schlüssel, der in ihrer Schreibtischschublade lag, zu holen. Während sie zum Kommissariat zurückging, schaltete sie das Handy aus, wollte sie doch nicht von ihm geortet werden. Sie traute ihm im Moment so einiges zu, und auf den vorprogrammierten Streit hatte sie absolut keine Lust.
Dass sie den aber auf den anderen Tag verschieben würde, auf diese Idee kam sie erst gar nicht. Mit Entsetzen nahm sie am folgenden Morgen zur Kenntnis, dass Gerrit an ihrem Schreibtisch lehnte und jeden Eintretenden musterte. Als Alex den Raum betrat, stieß er sich vom Tisch ab und lief die wenigen Schritte auf sie zu. Wild packte er sie an den Schultern, schüttelte sie unsanft, sodass ihr Kopf wild hin und her flog. „Lass mich los …“, bat sie inständig, hatte jedoch das Gefühl, dass er ihr gar nicht erst zuhörte, sein Schütteln wurde nur noch aggressiver. Inzwischen wusste sie schon nicht mehr, was um sie herum passierte. Erst als sie seine Hand und den anschließenden Schmerz auf der Wange spürte, erwachte sie wieder aus ihrer Erstarrung. Aus großen Augen blickte sie zu ihm auf, das Erste, das ihr einfiel, war, vor ihm zurück zu weichen, bis sie an der Wand anstieß. Erschrocken verfolgte sie jede seiner Bewegungen. Mit wenigen Schritten stand er wider sehr nah vor ihr, mit erhobener Hand! Mit für einen Schrei geöffnetem Mund sah sie zu ihm auf, es kam jedoch kein Ton über ihre Lippen. „Warum bist du nicht nach Hause gekommen?! Ich habe mir doch solche Sorgen gemacht!“, erklärte Gerrit in einem Tonfall, der Alex gar nicht gefiel, ja sogar so verängstigte, dass sie verschreckt den Kopf einzog und vergeblich versuchte, einige Schritte nach rückwärts zu gehen, die Wand hinter ihr hinderte sie daran. „Du machst dir um mich keine Sorgen, Gerrit, diese Zeiten sind schon lange vorbei!“, bemerkte Alex, mit Entsetzen nahm sie zur Kenntnis, dass ihre Stimme mehr als nur verängstigt klang. Wieder zog sie den Kopf zwischen ihre Schultern, aus Angst, geschlagen zu werden, Gerrit hatte die Hand bereits erhoben.
Alex hörte wohl Stimmen, die zwar hin und wieder vor der Bürotür zu hören waren, doch es betrat niemand den Raum. Gequält seufzte sie auf und fragte sich in diesem Augenblick zum ersten Mal, warum sie sich von Gerrit so sehr einschüchtern ließ und nicht die Kraft hatte, sich von ihm zu trennen. Beantworten konnte sie sich diese Frage jedoch nicht. Wieder drangen Stimmen an ihr Ohr, sie war sich ziemlich sicher, dass sie abermals weitergehen würden. Durch ihre Gedankenlosigkeit war sie abgelenkt, vergaß völlig auf Gerrits Anwesenheit. Erst als sie seine Hand erneut auf ihrer Wange spürte, nahm sie ihn erst wieder wahr, ehe sie die Schmerzen, die der heftige Schlag verursachte, spürte. Ihre erste Reaktion darauf war das Heben ihres Beines, wild stieß sie ihr Knie in seinen Körper. Es dauerte wenige Sekunden, bis sein Wimmern in ihr Bewusstsein drang, entsetzt starrte sie auf den sich windenden Körper, begriff, dass sie ihm unheimlich weh getan haben musste. Aber es tat ihr nicht Leid, stellte sie mit Entsetzen fest. Voller Verachtung wandte sie sich von dem Mann ab, der sie als Mensch völlig enttäuscht hatte, auch wenn sie ihn als Kollegen nicht unbedingt verlieren wollte.
An der Tür stieß sie auf Michael, der irritiert auf Gerrit starrte. „Was ist da passiert?“, fragte er interessiert, auf seinen Freund deutend. Alex drehte ihr Gesicht so, dass er die gerötete Wange sehen musste, abwartend schaute sie zu ihm auf. Gespannt wartete sie auf eine Reaktion von ihm, lange ließ diese auf sich warten. „Alex, was ist hier vorgefallen?“, wiederholte Michael seine Frage, auf Gerrit zeigend. Alex zuckte trotzig mit den Schultern. „Das ist doch im Moment völlig unwichtig, Michael. Gerrit und ich hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.“, knurrte sie und drängte sich an ihm vorbei. Sekundenlang blickte er ihr nach, nicht wissend, was er von ihrem Verhalten denken sollte. Kopfschüttelnd wandte er sich um, beobachtete Gerrit eine kurze Zeit schweigend.
„Was ist zwischen euch vorgefallen, Gerrit?“, erkundigte sich Michael nun auch bei dem noch immer wimmernden Gerrit. Der schaute ihm nur in die Augen, ohne irgendetwas zu sagen. Hilflos zuckte er die Schultern, wollte nicht zugeben müssen, dass Alex´ für ihn so schmerzhafte Reaktion nur eine von ihm ausgehende Handlung gewesen war. Schließlich war Gerrit der Meinung, dass sein Privatleben im Kommissariat ohnehin nichts verloren hatte und deshalb Michael absolut nicht zu interessieren hatte. Dass es seine eigene Ungeduld und die aufgestaute Wut waren, die ihn zu Dingen hinreißen ließen, verstand er im Grunde keinesfalls. Außerdem war er gar nicht bereit, etwas zu begreifen. „Das ist doch egal, jedenfalls für dich, Michael. Es geht nur Alex und mich etwas an.“, stellte Gerrit ungehalten fest, versuchte sich an Michael vorbei zu drängen. Der hielt ihn jedoch am Oberarm fest und schüttelte kaum merklich den Kopf. „So geht das nicht, Gerrit, wir sollten reden.“, bemerkte er nachdrücklicher, als er es eigentlich sollte. „Du hast ja keine Ahnung, Michael, absolut keine.“, knurrte Gerrit, es gelang ihm sich von Michael loszureißen und starrte seinen Kollegen zornig an, wollte ebenfalls das Büro verlassen. „Dann erkläre es mir, Gerrit, denn ich möchte dich und dein Verhalten verstehen können.“, erläuterte Michael kühl. Gerrit musterte ihn misstrauischer, als es eigentlich angebracht gewesen wäre und schüttelte endlich den Kopf. „Vergiss es einfach, Michael. Ich habe nicht vor, mein Privatleben vor dir auszubreiten. Einige Dinge gehen dich einfach gar nichts an.“, stellte Gerrit kalt fest. „Auch wenn wir so etwas wie Freunde sind. Und jetzt lass mich vorbei, ich habe noch zu tun.“ Mit diesen Worten schob er Michael zur Seite, zwängte sich schließlich an ihm vorbei und verschwand in seinem Büro am Ende des Ganges.
Dass er einen ziemlich verwirrten Kollegen zurück ließ, störte Gerrit nicht im Geringsten. Fast fluchtartig hatte er dessen Büro verlassen. Michael kam es vor, als wollte er dem klärenden Gespräch aus dem Weg gehen. Mit Mühe widerstand er dem Drang, seinem Kollegen nachzulaufen und eine Unterhaltung zu erzwingen. So ging er langsam zu seinem Schreibtisch zurück, versuchte seiner Arbeit nachzugehen, was ihm nicht zu gelingen schien. Immer wieder irrten seine Gedanken zu seinen Kollegen und deren eigenartigem Verhalten ab. Zu seinem Leidwesen musste er sich eingestehen, dass er die zwei nicht mehr verstehen konnte. Bisher war er, Michael, der Meinung gewesen, dass er, Alex und Gerrit auch befreundet waren. Warum sich in den letzten Wochen alles so verändert hatte, konnte er noch immer nicht begreifen, so oft er darüber auch nachdachte, und keiner darüber reden wollte oder konnte. Kurz aber heftig schüttelte Michael wegen seiner Gedanken den Kopf, darauf hoffend, die besonders Unsinnigen daraus zu vertreiben.
Früher als sonst machte er Feierabend. Der Hauptgrund dafür war der, dass er sich absolut nicht mehr auf das Wesentliche konzentrieren konnte, weil er sich einfach zu sehr mit den Problemen im Büro beschäftigte. Vor den Aufzügen traf er auf Robert, der Michael aus großen Augen musterte. „Wieso gehst du schon? Dein Dienst dauert doch noch etwas.“, stellte der Jüngere leicht irritiert fest. „Das weiß ich doch auch, Kollege, aber im Augenblick habe ich die Nase echt gestrichen voll …!“, bemerkte Michael ungehalten, versuchte sich an Robert vorbei zu drängen, als sich eine der Aufzugtüren öffnete. Zu seinem Leidwesen folgte ihm sein junger Kollege. „Das musst du mir erklären, Michael, damit ich dich auch verstehen kann.“, meinte Robert, sein Blick wurde bittend. Lustlos lachte Michael auf. „Ich kann es dir nicht erklären, ich verstehe die Dinge, die im Moment um mich herum passieren selbst auch nicht.“, gab er zu, leicht verlegen wandte er seine Augen ab. Robert schüttelte nur verständnislos den Kopf, durchschaute Michael immer weniger und genau das sagte er dann auch.
Michael gefiel diese Offenheit zwar nicht, entschloss sich dann aber, sie einfach zu akzeptieren, denn er fand auch, dass Robert zum Einen auch ein klein wenig recht hatte. „Weißt du, Robert, ich komme mir teilweise so hilflos und unnötig vor, wenn ich Gerrit und Alex beobachte. Er übt eine Macht aus, unter der sie leidet und sich dennoch nicht von ihm lösen kann. Es kommen mir Gedanken, die ich lieber nicht aussprechen möchte, weil ich mich dann in Gerrit getäuscht haben muss, dass es mich sogar erschreckt.“, presste Michael hervor, als er mit Robert dem Ausgang zustrebte. Der wesentlich jüngere Kollege begleitete ihn, ohne dass er selbst es wirklich wollte, und nur die Angst vor dem Alleinsein hinderte ihn daran, Robert wieder weg zu schicken.
Michael war erstaunt darüber, dass der Abend doch angenehmer verlief, als er es vorerst angenommen hatte. Robert entpuppte sich an diesem Abend als aufmerksamer Gesellschafter, und er selbst war sogar froh darüber, dass er sich an einer Unterhaltung nicht all zu sehr beteiligen musste. In diesen Stunden schaffte es Robert sogar ganz gut, ihn von seinen trüben Gedanken abzulenken, bei ihm selbst schlich sich ein Hauch von Dankbarkeit ein und hütete sich, mit seinem Gegenüber darüber zu reden. Michael musste sich eingestehen, dass ihm die etwas einseitige Unterhaltung sogar ganz gut tat und fragte sich zum wiederholten Male, weshalb ihm die Probleme, die seine Kollegen vor sich hin wälzten und ihn eigentlich gar nichts angingen, so sehr beschäftigten. Vermutlich lag es an der Tatsache, dass sie miteinander so eng befreundet waren und sogar füreinander durchs Feuer gehen würden. Das einzig störende an den Dingen war, dass er nicht bemerkt hatte, dass Alex und Gerrit ein Paar waren, gemeinsam gerade etwas durchlebten, dass einfach aus dem Ruder zu laufen schien.
„Wo bist du mit deinen Gedanken, Michael Naseband?! Du scheinst mir damit verdammt weit weg zu sein.“, bemerkte Robert plötzlich und stieß mit dem Fuß sachte gegen Michaels Bein, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Hilflos zuckte Michael mit den Schultern. „Ich beschäftige mich mit Dingen, die mich zwar nicht unmittelbar betreffen, mir trotzdem näher gehen, als mir eigentlich gut tut.“, gestand er endlich nachdenklich, warf einige Euromünzen vor sich auf den Tisch und fuhr fort. „Ich werde heute schon Schluss machen, Robert … und danke für den schönen Abend.“ „Passt schon, war mal was anderes.“, stellte Robert fest. „Alleine bleibe ich auch nicht hier, habe einigen Schlaf nachzuholen. Die letzten Nächte waren lange …!“ Michael überging diese Bemerkung zwar, konnte sich ein leichtes Lächeln jedoch nicht verkneifen, und sie verließen gemeinsam die kleine Kneipe, in der sie die letzten Stunden verbracht hatten.
„Sieh einer an, da bist du ja endlich.“, knurrte ihn eine bekannte Stimme äußerst ungehalten entgegen. Erschrocken starrte er auf eine blonde zierliche Person, die vor seiner Wohnungstür kauerte und leicht vor sich hin zitterte. Sie musste schon eine ganze Weile hier sitzen, bemerkte Michael. „Alex …!“, rief er leicht irritiert aus, während er hastig nach seinem Schlüssel suchte. „Warum hast du mich nicht angerufen, ich wäre doch sofort gekommen.“ Alex lachte kurz freudlos auf. „Pah … glaubst du, was du da von dir gibst? Wer weiß, mit welcher Frau du den Abend verbracht hast.“, brummte sie böse. Fassungslos starrte er auf sie hinab, hielt ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Es fiel auf, dass sie seine Finger sehr zaghaft berührte, um sich hochzuziehen zu lassen. Ziemlich verängstigt stand sie vor ihm, drängte sich in eine der Ecken neben der Tür. Erschrocken nahm Michael es vorerst schweigend zur Kenntnis, beabsichtigte, sie auf ihr Verhalten anzusprechen und das, so rasch wie nur irgend möglich. Doch im Moment machte sie einen viel zu verschreckten Eindruck, als dass ein klärendes Gespräch zum Erfolg geführt hätte.
„Komm erst mal rein, Alex, ich werde dir Tee kochen. Und irgendwo hab ich sicherlich noch ein Suppenpäckchen.“, meinte Michael, während er versuchte, sie in seine Wohnung zu schieben. „Wie ich dich kenne, hast du heute noch nichts gegessen!“ Sie schwieg beharrlich, doch er wusste auch so, dass er recht hatte und war froh darüber, dass es ihm gelang, sie in die Wohnung zu ziehen. Sie blieb jedoch ziemlich verschreckt mitten in dem kleinen Vorraum stehen. Michael merkte es erst, als er bereits an der Küchentür stand und sich zu ihr umwandte. Als er sah, dass sie noch immer dort stand, wo er sie verlassen hatte, schüttelte er leicht den Kopf. „Komm doch mit, kleine Alex.“, meinte er nach kurzem Überlegen. „Es kann dir doch hier nichts geschehen, was dir auch immer passiert sein mag.“ Da sie sich noch immer nicht bewegte, ging er auf sie zu und streckte ihr seine Hand entgegen. Zu seinem Entsetzen zog sie sich weiter von ihm zurück. „Alex …“, flüsterte er entgeistert, Fassungslosigkeit breitete sich auf seinem Gesicht aus, blieb sekundenlang schweigend vor ihr stehen und starrte ihr kurz in die Augen, ehe er wieder in die Küche zurück ging, darauf hoffend, dass sie ihm früher oder später auch folgen würde.
Nicht darauf achtend, was Alex in seinem Vorzimmer tat, begann Michael mit seinem Vorhaben, ihr Tee zu kochen. Während er darauf wartete, dass das Wasser zu brodeln begann, suchte er in der kleinen Küche nach dem letzten Suppenpäckchen. Es dauerte eine geraume Zeit, bis er es auch gefunden hatte, am Rande bekam er mit, dass das Wasser bereits vor sich hin brodelte. Rasch goss er es in eine Tasse, in dem bereits ein Teebeutel hing. Da er das heiße Getränk ziehen lassen wollte, begann er, die Suppe zuzubereiten, und er vergaß völlig darauf, dass sich Alex noch immer in seinem Vorzimmer aufhalten musste. Erst als die Ruhe in sein Bewusstsein drang, ließ er von seiner Arbeit ab. Erschrocken stellte er fest, dass Alex bereits am Küchentisch saß und ihn noch immer sehr verschreckt beobachtete. „Da bist du ja schon, Alex … seit wann sitzt du schon hier?“, wollte er neugierig wissen, betroffen bemerkte er, dass er nicht gehört hatte, wie sie zu ihm in den kleinen Raum gekommen war. Hilflos zuckte sie mit den Schultern, sprechen wollte sie noch immer nicht. Ungehalten schüttelte er den Kopf, auch wenn er wusste, dass sie ihn zu beobachten schien. Im Moment wusste er nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Ihre verschlossene, ja verängstigte Art brachte ihn noch an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.
Mit der dampfenden Tasse kam er zu Alex, stellte den Tee vor ihr ab, ehe er sich ihr gegenüber setzte. Abwartend schaute er in ihre Augen, vergeblich wartete er darauf, dass sie endlich den Mund aufmachte. „Alex, rede endlich mit mir, wie soll ich dir denn helfen können, wenn du mir nichts erzählen willst.“, meinte Michael behutsam, sanft lächelte er ihr zu. Mit Entsetzen nahm er zur Kenntnis, dass sie den Kopf schüttelte, zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich schaffe es doch nicht, darüber zu reden.“, murmelte Alex verzweifelt, schniefte kurz auf, ehe sie die Tasse Tee zur Hand nahm und zum Mund führte. Langsam begann sie schluckweise zu trinken, stellte aber erschrocken fest, dass das Getränk noch ziemlich dampfend heiß war. „Der ist ja noch viel zu warm.“, bemerkte sie erstaunt. Erfreut stellte Michael fest, dass sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Natürlich ist dein Tee noch heiß, hab ja dazu kochendes Wasser verwendet.“, meinte Michael belustigt, sprang auf, da es auf dem Herd zu blubbern begonnen hatte. „Sieh an, deine Suppe ist ja auch schon fertig.“ Geschäftig hantierte er herum, um endlich einen gut gefüllten Teller vor Alex auf den Tisch zu stellen.
Mit großen Augen starrte sie vor sich auf die Speise, hob endlich den Blick und schaute ihn entgeistert an. „Das schaffe ich doch gar nicht.“, stellte sie entsetzt fest. Milde lächelte er Alex an. „Wie ich dich kenne, hast du den ganzen Tag noch nichts gegessen. Also fang jetzt damit an, auch wenn ich dir nur Packerlsuppe anbieten kann.“, erwiderte er, sein Gesicht nahm einen entschuldigenden Ausdruck an. Betroffen nickte sie nach kurzem Überlegen. „Ich hab´ einfach darauf vergessen.“, gab sie kleinlaut zu, senkte verlegen den Blick und starrte in die noch immer dampfende Suppe. Endlich nahm sie den neben dem Teller liegenden Löffel zur Hand, rührte kurze Zeit in der Mahlzeit herum, ehe sie endlich langsam zu essen begann.
Mit Freude nahm Michael das zur Kenntnis, genussvoll leckte sie sich über die Lippen und schob ihm den leeren Teller hin. „Hast du noch etwas für mich?“, fragte Alex erwartungsvoll, grinste ihn schief an. „Natürlich ist noch etwas für dich da.“, stellte Michael erfreut fest. Mit dem Teller in der Hand ging er wieder zurück zum Herd, um ihn wieder mit Suppe aufzufüllen. „Hier hast du …“, murmelte er vor sich hin, während er das Geschirr vor ihr abstellte. „Lecker … ich wusste gar nicht, dass solche Suppen so gut schmecken können.“, murmelte Alex anerkennend vor sich hin, wieder fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. „Da siehste mal …“, meinte er nur, freute sich darüber, dass sie mit einem Appetit aß, den er vor wenigen Minuten so nicht vermutet hätte. „Kann ich heute wieder hier bleiben?“, fragte Alex plötzlich, schluckte zwischen den Worten die Suppe hinunter. „Natürlich, Alex, welche Frage, bleibe hier, solange du möchtest.“, forderte Michael sie auf, zwinkerte ihr aufmunternd zu. Dankbar schaute sie zu ihm auf, erleichtert atmete sie auf. „Danke …“, brachte sie mühsam hervor. „Kein Ding … dafür sind ja Freunde da, kleine Alex.“, meinte Michael, begütigend lächelte er ihr zu. „Ich weiß …“, nuschelte Alex nur und schaufelte den Rest ihrer Suppe in sich hinein. Erfreut schaute er ihr dabei zu, konnte keinem sagen, wie sehr ihm ihr Appetit beruhigte.
Mit einem kurzen Seufzen schob sie den leeren Teller in die Tischmitte und lehnte sich behaglich zurück. „Ich bin so satt, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Jetzt bin ich sicherlich kugelrund.“, bemerkte Alex. Michael lachte leise vor sich hin. „Quatsch, Alex, es dauert eine ganze Weile, bis du rund bist.“, widersprach er, als er sich wieder beruhigt hatte. „Du hast doch in den letzten Wochen genug abgenommen. Es ist höchste Eile geboten, dass du endlich etwas zunimmst.“ Entsetzt schaute Alex ihm in die Augen, schüttelte schließlich den Kopf. „Das geht gar nicht …“, stellte sie entrüstet fest und gähnte herzhaft. Auch wenn sie sich mit Michael unterhielt, spürte sie bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen. Sie schob es auf die ungewöhnlich große Menge an Essen und die Ruhe um sich herum. „Es wird Zeit, dass ich dich ins Bett bringe.“, bemerkte Michael belustigt. „Es stört dich doch nicht, wenn ich wieder hier bleibe?“, wollte sie wissen, schaute ihn erwartungsvoll an. „Alex, wie oft denn noch? Natürlich bleibst du hier. Solange ich noch nicht weiß, was zwischen dir und Gerrit vorgefallen ist, werde ich dich nicht nach Hause schicken und dir helfen.“, erklärte er ernst. Alex hielt die Luft an und blickte ihn schweigend an, wusste nicht, wie sie auf seine Worte reagieren sollte. Sie konnte nicht einschätzen, wie er diese gemeint haben könnte und nahm sich vor, diesen Satz in den nächsten Tagen zu hinterfragen. Da sie wieder herzhaft gähnte, erhob sich Michael, um aus seinem Schlafzimmer die Decke zu holen, die Alex bereits vor wenigen Tagen verwendet hatte. „Lass mal, Michael, ich mach mir mein Bett selbst. Es reicht doch schon, wenn ich hier schlafen kann.“, murmelte Alex vor sich hin, beschämt wandte sie ihren Blick von Michael ab, der es gar nicht mehr der Mühe wert fand zu antworten.
Sie konnte ihn davon überzeugen, mit ihm gemeinsam zum Kommissariat zu fahren, ohne dass sie ihn den Grund dafür nannte, und lange brauchte sie nicht, ihn dazu zu überreden. Während der Fahrt fragte er sich immer wieder, warum sie darauf bestanden hatte, mit ihm zu fahren, kam jedoch selbst nicht dahinter. Auch als er ihr Tun hinterfragte, schwieg sie beharrlich. Kopfschüttelnd fügte er sich, beschloss aber, den restlichen Weg einfach auch nichts mehr zu sagen.
Je näher sie ihrer Dienststelle kamen, umso mehr sank Alex in sich zusammen, sie vergrub sich einfach in ihren Sitz. Michael merkte es erst, als er sie nach dem einparken auffordern wollte auszusteigen. Betroffen starrte er sie kurz an, ohne wirklich zu wissen, was er mit ihr tun sollte. Im war plötzlich klar geworden, dass sie ihm unendlich leid tat und war erschüttert, dass er ihr nicht helfen konnte, weil sie es einfach nicht zu lassen wollte oder konnte. Sein Blick wurde mitleidig, als er merkte, dass sie seinen erwiderte. „Was ist los?“, wollte sie wissen. Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Ganz genau weiß ich das auch nicht, Alex, ich frage mich nur die längste Zeit, was mit dir los ist.“, murmelte Michael vor sich hin, überlegend, ob er überhaupt die richtigen Worte gewählt hatte. Alex tat seine Antwort mit einer wegwerfenden Handbewegung ab, schien wieder ihre Gefühle unter Kontrolle gebracht zu haben. Doch Michael wusste sehr wohl, dass es vor wenigen Augenblicken noch nicht so gewesen war. „Steigen wir aus, wenn du nicht mit mir reden möchtest.“, meinte er seufzend. „Ich hätte dir so gerne geholfen.“ Er wartete ihre Antwort erst gar nicht ab, sondern öffnete die Autotür und stieg aus. Abwartend blieb er stehen, darauf wartend, dass sie ihm folgen würde. Als es ihm zu lange dauerte, warf er einen Blick durchs Seitenfenster ins Wageninnere. Erschrocken sah er die Furcht in ihrem Gesicht und merkte, dass sie sich nur wegen ihm zusammengenommen hatte.