Diese Story gehört in die Reihe mit Gerrit und dem 'Red Tycoon' (Bordell) und der Nachfolgestory, in welcher Branco die Milieugrößen killt. Ich hatte ja versprochen, dass ich die Reihe fortsetze und das Schicksal von Branco aufkläre. Das tue ich hiermit.
Viel Spaß beim Lesen.
Wieder Zuhause?
Der Regen prasselte gegen das Fenster, lief in Bahnen hinab, tropfte auf das Fensterbrett und bildete einen kleinen See. Von dort tropfte er hinab auf die Blumenrabatte davor, wo jetzt allerdings Schnee lag. Es würde sehr glatt werden, wenn der Regen auf den eisigen Boden fiel. Da würde sicher niemand kommen, ihn zu besuchen. Und vielleicht war das auch gut so. Er schaffte es ja kaum, sie anzusehen, wenn sie hier waren. Gequält von Schuldgefühlen, gejagt von den Bildern seiner Gefangenschaft, konnte er ihnen nicht in die Augen sehen. Er seufzte, lief in seinem kleinen Zimmer hin und her. Dieses Gefühl kam wieder in ihm hoch. Das Gefühl, was ihn verleitet hatte, neun Menschen umzubringen. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können? Eigentlich hatte er nur eines gewollt. Seine Familie wieder sehen. Seine Verlobte und sein Baby. Er wusste nicht einmal, ob er einen Sohn oder eine Tochter gehabt hatte, seine Entführer hatten es ihm nicht gesagt. Sein Körper bebte, seine Hände waren zu Fäusten geballt und zitterten. Er lief immer schneller, bis er schließlich neben dem Fenster stand und mit einer unglaublichen Kraft mit der linken Hand gegen die Mauer schlug. Mit einem Aufschrei sank er zu Boden, als ihm mehrere Knochen in der Hand brachen. Tränen schossen ihm in die Augen und liefen über sein schmales, blasses Gesicht. Ein Pfleger riss die Tür auf, sah den Mann vor dem Heizkörper liegen und fragte misstrauisch: "Was ist passiert?" "Ich habe… mit der Faust… gegen die… Wand geschlagen", presste er mühsam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Die Wand hat gewonnen?" "Ja." "Ich hole Hilfe." Sein Blick war ausdruckslos, da er diese Anfälle schon kannte. Branco rappelte sich ein wenig auf. "Hey, Moment." Der Mann sah ihn fragend an. "Können Sie vorher noch einen Kaffee trinken gehen? Ich will das einfach noch ein wenig spüren." "Okay. Wenn Sie es nicht mehr aushalten, klingeln Sie." Die Pfleger des Krankenhauses hatten die Anweisung bekommen, kleinere Verletzungen, die der Patient sich zufügte, einfach zu ignorieren, bis der um Hilfe bat. Der Arzt hatte es damit begründet, dass der Patient die Schmerzen im Moment noch brauchte, um Gefühle wahrnehmen zu können. Branco lachte und sah seine Hand an, die rot und blau anschwoll. Er hatte durch die gute Verpflegung des Krankenhauses und durch das regelmäßige Training, was er unter Aufsicht durchführen durfte, wieder richtig an Kraft gewonnen. Eine gewisse Grundkraft hatte er sich im Kosovo schon angeeignet, diese bildete er jetzt wieder kontinuierlich aus. Langsam drückte er auf seine Hand, stöhnte vor Schmerzen auf und schloss die Augen. Die Tür ging langsam auf. Es war Nachmittag, also mussten es seine Freunde sein. Sie kamen immer zu dritt, jeden Tag. Anfangs hatte er nicht reden wollen, also hatten sie einfach im Zimmer gesessen und ihm so gezeigt, dass sie für ihn da waren. Dann hatte er sie angeschrieen, weil er mit Freundschaft nicht umgehen konnte. Er hasste sich selber für seine Taten und wollte, dass auch andere ihn hassten. Und dass sie das nicht taten, hatte ihn rasend gemacht. Einmal war er sogar auf Michael losgegangen, aber der hatte ihm eine Ohrfeige verpasst und ihn dann in den Arm genommen. Alle drei, selbst Gerrit, der ihn kaum kannte, hatten ihm immer wieder gezeigt, dass sie hinter ihm standen und wohl auch stehen würden. "Hey, Branco, was ist mit dir los?" Es war Gerrit. Wieso fragte er ihn? Normalerweise tat Alex das immer und erkundigte sich, wie es ihm ging. Langsam hob er den Blick. Überrascht stellte er fest, dass der blonde Kommissar allein war. Er war noch nie allein gekommen. "Gerrit?", fragte er vorsichtig und schob sich an der Wand hoch. Der nickte ihm zu und wedelte mit einer Tüte. Er warf sie ihm auf das Bett und setzte sich dann auf einen der weichen Stühle. "Michael und Alex sind bei einer Vorsorgeuntersuchung, wegen Alex Baby, du weißt schon." "Ja, ich weiß schon." Trauer blitzte in seinen Augen. Gleichzeitig sah er Gerrit dankbar an. Niemand, nicht einmal ein Arzt würde es wagen, das Wort Baby in seiner Gegenwart auszusprechen. Gerrit war anders, er hatte zwar auch Mitleid, zeigte das aber nicht so. Er behandelte Branco fast normal. "Ich hoffe, du hast keine Problem damit, dass ich allein gekommen bin." Langsam ging er zu seinem Bett und blickte die Tüte an. "Nein, habe ich nicht. Warum auch?" "Naja… ich meine, wir zwei kennen uns noch nicht so lange." Branco nahm die Tüte Gummibärchen, biss in eine Ecke und riss sie auf. Einige der Bären fielen auf die Bettdecke. Er nahm zwei rote und schob sie sich in den Mund. "Du meinst, wir haben noch nie allein miteinander geredet." "Ja, das meine ich." Gerrit grinste, weil sein Geschenk so gut angekommen war. "Was hast du mit deiner Hand gemacht?" "Mich hat die Wand geärgert." "Lass es behandeln." "Nachher." Er blickte auf die Bären und fing an, sie nach Farben zu sortieren. Gerrit stand langsam auf und setzte sich auf die Bettkante. Er nahm eines der Gummitiere und aß es. Branco funkelte ihn böse an, sagte aber nichts. "Doktor Kreiler hat mir erzählt, du würdest gute Fortschritte machen, hättest dich aber leider nicht sehr gut unter Kontrolle." "Er meint, ich kann nicht fühlen. Darum tue ich mir immer wieder weh." "Und was meinst du?" Langsam hob der den Blick. "Ich langweile mich hier zu Tode." "Solange du gegen Wände schlägst und dir damit selbst die Knochen brichst, kommst du hier nicht raus." Er hielt Brancos Kinn fest, damit der den Blick nicht abwenden konnte. "Hör mir mal zu. Micha und vor allem Alex leiden wie die Tiere, weil sie sich schuldig fühlen. Das ist Blödsinn und das wissen wir beide. Die einzigen, die Schuld haben, sind die Männer, die dir das angetan haben, weshalb du letztendlich hier gelandet bist. Kreiler sagt, du hältst dich selber hier, weil du Angst davor hast, raus zu kommen." "Ich habe es nicht verdient." Er wollte den Kopf wegdrehen, aber Gerrit hielt ihn eisern fest. "Das Gericht hat dich frei gesprochen, dafür habe ich gesorgt." "Was?" "Kreiler war ein Kunde meines Bordells und er schuldete mir einen großen Gefallen. Denkst du wirklich, du wärst frei gesprochen worden? Du hast neun Menschen umgebracht, Branco. Neun." "Ich weiß das", fluchte der und riss sich los. Er nahm einen der Bären und biss ihm den Kopf ab. "Wieso hast du mir geholfen?" "Wegen Alex. Sie wäre kaputt gegangen, hätte man dich in den Knast gesteckt, denn lange hättest du dort nicht überlebt. Du bist jung und siehst gut aus. Für die Kerle da drin wärst du ein gefundenes Fressen gewesen und das weißt du, verdammt noch mal." Branco war aufgebracht und fuhr Gerrit laut an: "Ja. Und ich hätte es nicht besser verdient." "Deine Schuldgefühle werde ich dir nicht abnehmen. Die hast du tatsächlich verdient. Aber du solltest lernen, damit zu leben. Hier in dieser Anstalt zu sitzen oder sich in den Knast zu wünschen, macht es nicht besser. Dort würdest du auch nur vom Staat leben, der deine Eskapaden noch bezahlen muss." Tränen glitzerten in Branco Augen, aber er wusste, das Gerrit Recht hatte. Und er war ihm dankbar, dass der so offen mit ihm sprach. "Hast du das wirklich ernst gemeint im Gerichtssaal? Dass ich für dich arbeiten kann?" "Ja. Ich werde sehen, wie du dich machst. Anfangs sind es Handlangerjobs. Kisten schleppen, saubermachen. Ich muss sehen, ob ich mich auf dich verlassen kann. Wenn du dich gut machst und noch etwas an Gewicht und Kraft zulegst, kannst du als Türsteher bei mir arbeiten. Du bist zwar alles andere als groß und breit, aber ich habe gesehen, was du drauf hast. Du kannst bis zu meiner rechten Hand aufsteigen, da mein bisheriger Geschäftsführer heiraten will und seine Verlobte nicht möchte, dass er in einem Puff arbeitet." Branco nickte langsam. Das waren Aussichten. Aussichten auf ein nahezu normales Leben. "Und du glaubst, ich kann das?" "Willst du es denn?" "Natürlich", murmelte er leise. "Aber ich hab eine Scheißangst." "Wovor? Wovor bitte schön? Dass dir jemand eins auf die Nase gibt, weil du im Milieu Leute gekillt hast? Vor Schmerzen wirst du wohl kaum Angst haben, wenn ich deine Hand so ansehe. Vor dem Tod hast du anscheinend auch keine Angst. Was ist es dann?" Branco zögerte. Selbst seinem Arzt hatte er diese Frage noch nicht beantwortet. "Ich habe Angst zu versagen. Weißt du, als ich damals in den Kosovo gegangen bin, habe ich hier einen verdammt guten Job zurück gelassen, Freunde. Ich wollte mehr, Leuten helfen. Statt dass ich hier geblieben bin, wollte ich Abenteuer, der große Held sein, so wie Micha es immer für mich war." Gerrit grinste leicht. "Ja, er ist irgendwie schon schwer zu ertragen. Ein Vorbild, was man nur schwer erreichen kann." Er wurde wieder ernst. "Du wolltest Abenteuer. Das ist dermaßen gründlich nach hinten losgegangen, das weißt du ja nun. Aber wieso um Gottes Willen, bist du nicht bei ihm oder Alex aufgeschlagen, als du aus dem Krankenhaus abgehauen bist?" "Das ging nicht, Gerrit. Das ging einfach nicht. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wer ich bin. Ich habe mich als totaler Versager gefühlt, weil ich meine Freundin und mein Baby nicht retten konnte. Nicht einmal rächen konnte ich ihren Tod. Jede Nacht hatte ich ihren Tod vor Augen, die Gesichter der lachenden Rebellen, die das fünfte Gebot gemurmelt haben: 'Du sollst nicht töten.' Ich weiß nicht, wie ich auf die schwachsinnige Idee gekommen bin, Milieugrößen umzubringen. Keine Ahnung. Ich habe dermaßen Schuldgefühle, Alex und Micha gegenüber, dass ich mich am liebsten unter dem Bett verstecken will." Doktor Kreiler betrat den Raum und blickte verwundert auf seinen Patienten und auf Gerrit. Dann sah er die Gummibärchen auf dem Bett. Er schüttelte den Kopf. "Störe ich?" "Nein, Doc. Ich muss eh ins 'Tycoon'." Gerrit stand auf und sah Branco an. "Wenn deine Hand wieder fit ist, meldest du dich gefälligst bei mir. Klar?" Branco nickte ergeben. "Klar… Boss."
Vielen Dank für das Kommi und hier der nächste Teil:
Gerrit war direkt ins 'Red Tycoon' zurück gefahren und betrat seufzend den Barraum. Hier standen zwei Männer in Anzügen mit Brille und Klemmmappen in den Händen. "Finanzamt, Gewerbeaufsicht, Ordnungsamt?" "Gesundheitsamt." "Knapp daneben. Was wollen Sie?" Mürrisch sah Gerrit den Mann an. "Wir haben uns nur mal in Ihrem Etablissement umgesehen." "Und? Kommt da noch was? Leute, ich hab Ostern noch was vor." Finster schauten ihn die beiden an. "Hier." Der Kleinere drückte ihm ein einen Zettel in die Hand. "Beseitigen Sie die Missstände. Wir kommen wieder." Er tippte sich gegen die Stirn und die beiden gingen. "Missstände", brummte Gerrit. "Da steht ein Punkt. Was soll das überhaupt… Mülleimer nicht gereinigt? Berta, Diana", brüllte er in einer Lautstärke, dass man es im ganzen Bordell hören konnte. Die beiden Frauen kamen Sekunden später von oben die Treppe hinunter gelaufen. "Sagt mal, wie dämlich seid ihr eigentlich?", zischte Gerrit leise, wurde aber mit jedem weiteren Satz lauter. Ben kam aus Gerrits Büro gelaufen und schaute dem Disput interessiert zu. "Wie oft habe ich euch gesagt, ja sogar gezeigt, wie ich die Zimmer gereinigt haben will? Habe ich doch, oder?" Die Frauen nickte leicht. "Noch einmal zum Mitschreiben für euch. Eimer auskippen, auswaschen und desinfizieren." Er betonte jede Silbe des letzten Wortes. "Ich werde das jetzt kontrollieren und sollte da noch mal was vorfallen, seid ihr beide raus. Verstanden?" "Ja, Boss", sagten die beiden Frauen kleinlaut und gingen wieder an ihre Arbeit. Ben trat vorsichtig neben Gerrit. "Kriegen wir nun unseren neuen Mitarbeiter?" "Ich denke schon. Er scheint von der Idee begeistert zu sein, sich hier selber durch niedere Arbeiten bestrafen zu dürfen." "Wann kommt er?" Gerrit verdrehte die Augen. "Wenn es gut geht in einigen Wochen, wenn seine Hand wieder gesund ist." "Was ist mit seiner Hand?" Gerrit riss überrascht die Augen auf und blickte an Ben vorbei. Michael und Alex saßen in einer gemütlichen Nische und sahen ihn fragend an, wobei Alex halb stand und ein sehr besorgtes Gesicht machte. "Was macht ihr denn hier?" "Wir wollten wissen, wie es unserem Sorgenkind geht." Michael fordert ihn mit einem Blick auf, endlich zu erzählen. "Ben, kümmere dich um den Laden und ich bin erst mal nicht zu sprechen." Er winkte Alex und Michael ihm zu folgen und ging vor in sein Büro. Hier ließ er sich hinter seinem Schreibtisch in seinen schwarzen Ledersessel fallen. "Branco hat mit der Hand gegen eine Wand geschlagen und jetzt muss ich auf ihn warten, bis der Gips abkommt." Alex ließ sich auf einem Stuhl vor Gerrits Schreibtisch nieder und legte ihre Hände auf ihren Bauch, der jetzt Anfang des fünften Schwangerschaftsmonats etwas dicker geworden war. Sie senkte traurig den Kopf. "Wieso tut er sich das immer wieder an?" Michael legte seine Hände sanft auf ihre Schultern und zog sie an sich heran. Er stand hinter Alex. "Du weißt doch, warum er das tut. Der Doc meinte, er kann nur so im Moment Gefühle spüren. Er ist innerlich wie tot und da sind Schmerzen wohl doch besser." "Wie hat er auf deinen Besuch reagiert?" Ein wenig unsicher kratzte sich Gerrit am Kopf. "Positiv. Meine Art mit ihm zu sprechen und ihn zu behandeln, die ihr als schroff und unsensibel empfindet, scheint ihm entgegen zu kommen. Wir haben uns unterhalten." "Was?" Michael sah ihn verwirrt an. "Mit uns wollte er nie reden, mit seinem Arzt auch nicht so, wie der es möchte." "Aber mit mir hat er gesprochen. Branco schämt sich vor euch. Er wollte mehr sein als euer Hilfskommissar, wollte dir nacheifern, Micha. Und was ist bei rausgekommen? Er sitzt in einer Nervenheilanstalt, nachdem er neun Menschen ermordet hat." Gerrit seufzte leise. "Er schätzt euch, ihr seid immer noch seine besten Freunde und deshalb kann er euch einfach nicht in die Augen sehen. Weil er weiß, wie sehr er euch enttäuscht hat und wie sehr es euch weh tut, ihn so zu sehen." "Und das hat er dir erzählt?", fragte Alex. Sie saß nach vorn gelehnt auf dem Stuhl. "Ja, genau das. Etwas umständlicher, weil er es wohl selber nicht so sehen kann. Aber das ist genau das, was ihn quält." "Aber er braucht sich doch vor uns nicht zu schämen." Michael strich Alex über den Kopf. "Wahrscheinlich macht diese Gewissheit, dass wir trotz allem immer noch hinter ihm stehen, alles noch schlimmer." Er sah Gerrit an. "Kannst du dich um ihn kümmern?" "Tue ich doch bereits, sonst wäre ich doch heute nicht bei ihm gewesen und hätte ihm Gummibärchen gebracht." "Gummi… das hast du nicht wirklich?" Alex lächelte. "Wie hat er darauf reagiert?" "Er hat die Tüte aufgerissen, zwei Bären gegessen und die restlichen nach Farben sortiert." Gerrit grinste. "Seinen Blick hättet ihr sehen sollen, als ich eines der Bärchen gegessen habe. Er kann richtig gefährlich gucken und von wegen, keine Gefühle empfinden…" Michael und Alex lachten, aber in ihren Stimmen schwang doch eine gewisse Angst mit. Sie machten sich eben doch Sorgen und Gerrit konnte mittlerweile verstehen, dass Branco das gehörig auf den Geist ging, beziehungsweise ihn unter Druck setzte. "Ich weiß, es ist schwer für euch beide, aber er muss erst mal zu sich selber finden. Gebt ihm die Zeit. Ich passe auf ihn auf, bis er so weit ist, um mit euch zu reden. Kümmert euch um eure kleine Familie." Michael lächelte und strich Alex leicht über den Bauch. "Wir versuchen es, aber halt uns bitte auf dem Laufenden." "Selbstverständlich."
Nach zwei Wochen stand Branco plötzlich bei Gerrit im Büro und sah ihn an. Seine Hand war noch eingegipst und er hatte Schmerzen, aber es war für ihn erträglich. Und sein Arzt hatte sich zusammen mit ihm dafür entschieden, dass er arbeiten durfte. Aber Gerrit sollte ihn unter Beobachtung halten. Und Branco musste sich natürlich mehrfach die Woche in der Klinik melden und berichten, wie es ihm ging, wie er sich fühlte und ob es ihm schlechter ging, wenn er sich außerhalb der Klinik befand. Gerrit saß in seinem gemütlichen Sessel und blickte Branco eine ganze Weile schweigend an, der mit gesenktem Kopf vor seinem Schreibtisch stand. "Du willst arbeiten? Aber wie mit der Hand?" "Ich hab die andere noch." "Okay. Du kannst in der Bar Staub wischen. Hilf den Mädels beim Getränke auffüllen, wisch die Tische ab und putz die Fenster. Wo alles steht, können dir die anderen sagen." Branco nickte und drehte sich um. "Branco…" Gerrits Stimme klang drohend. "Finger weg von den Mädchen. Sie gehören den Kunden… und mir." Der nickte. Eigentlich war die Warnung überflüssig gewesen, da Branco gefühlsmäßig noch so sehr an seiner Verlobten hing, dass er eh kein Interesse an anderen Frauen hatte. Aber er wollte Branco ja behandeln wie jeden anderen Angestellten und Beziehungen unter Angestellten mochte er nun mal nicht. In diesem Milieu ging das nie gut. Er war nach unten in die Bar gegangen, wo die Frauen ihn ein wenig misstrauisch beäugten. Die Narbe auf seiner Wange gab ihm ein leicht gefährliches Aussehen. In dem Moment als er einmal kurz den Blick hob und sie seine dunklen, traurigen Augen sahen, änderte sich das jedoch. "Ich bin Nina, Bardame und Gerrits Freundin", sagte sie und reichte ihm die Hand. "Branco. Ich soll hier etwas sauber machen…" In diesem Moment betrat Ben die Bar. Er ging direkt zu Branco und reichte ihm die Hand. "Ben, ich bin noch Gerrits Geschäftsführer. Komm, ich zeig dir mal alles, damit du sofort loslegen kannst." Er führte ihn herum, erklärte schnell und knapp, wo was war und ließ ihn dann allein. Branco war da auch ganz Recht so. Er nahm sich einen Eimer und einen Lappen, füllte Wasser und Spülmittel hinein und fing an, die Bar, die Tische und die Stühle abzuwaschen. Dann suchte er sich die Sachen zum Fensterputzen zusammen und reinigte alle Fenster. Melanie und Nina sahen ihm dabei zu. "Der kann bei mir zu Hause gleich weitermachen", sagte Melanie grinsend. "Er hält die Klappe und arbeitet." Nina sah ihn mitfühlend an. "Er tut mir leid." "Hey, er ist ein Killer. Klar ist es Scheiße, was ihm passiert ist, aber ich würde ihn nicht unterschätzen." Sie nickte und sah Branco weiter zu. "Gerrit mag ihn, obwohl er ihn kaum kennt. Und trotzdem behandelt er ihn nicht gerade nett. Sagen zumindest Michael und Alex." "Du weißt selber, dass Gerrit ziemlich gut mit Menschen kann. Er wird sich schon was dabei denken." Melanie sah dem neuen Mitarbeiter nach, der seine Putzeimer wegbrachte und dann hinter die Bar kam. "Gerrit meinte, hier wären noch Getränke aufzufüllen?" "Richtig. Hier, der Whiskey ist alle. Unten im Lager stehen noch Kisten. Bring mir bitte zwei Flaschen von dieser Marke hoch. Gerrit möchte nicht, dass wir da runter gehen. Er meinte, die Spinnen würden uns erschrecken und erschrockene Mädchen sind in der Bar nicht verkaufsfördernd." Branco lächelte leicht und verschwand. Melanie grinste breit. "Der ist echt süß. Wenn der erst mal mit beiden Händen zupacken kann, brauchen wir hier gar nichts mehr zu machen." Sie stockte. "Außer unsere Kunden zu versorgen."
Alex freute sich über ihren anschwellenden Babybauch. Aber sie konnte es auch kaum noch erwarten, das Kind endlich im Arm halten zu können. Michael hegte und umsorgte sie, wo er nur konnte. Aber zum Glück ging er dabei nie zu weit. Er ließ ihr genau die Freiräume, die sie brauchte, um sich wohl zu fühlen. Das einzige, was Michael störte, war ihr Wunsch, weiterhin zu arbeiten. Brummend hatte er es akzeptiert. Alex hatte sich im Gegenzug bereit erklärt, nicht mehr zu Außeneinsätzen mitzufahren. Damit war der Friede im Haus Rietz/Naseband wieder hergestellt. Beruflich hatten die beiden momentan nicht so viel zu tun. Deshalb war Gerrit auch kaum noch im Büro anzutreffen. Er arbeitete zwar nach wie vor mit, aber die gesamte Aktenarbeit erledigte er im Red Tycoon. Abends trafen sie sich dann auch meistens im Club. Die Gäste störte es mittlerweile überhaupt nicht mehr, dass dort ständig Polizisten herumsaßen. Gerade dadurch hatte der Club einen sehr guten Ruf. Er galt als sauber. Ein anständiger Zuhälter, obwohl Gerrit diese Bezeichnung immer noch nicht gern mit seinem Namen in Verbindung brachte, gesunde, gut bezahlte Prostituierte, Sauberkeit, Ordnung. Was den beiden Kommissaren auffiel, war Gerrits Strenge. War er am Anfang sehr fürsorglich gewesen und hatte Angst gehabt, etwas falsch zu machen, bestand er jetzt darauf, dass alles so zu laufen hatte, wie er es wollte. Und er duldete keinen Widerspruch mehr von seinen Angestellten. Bei den meisten war es Alex und Michael ziemlich egal. Die Leute waren erwachsen und wenn sie sich von Gerrit durch die Gegend scheuchen ließen, lachten sie dabei meist noch. Bei Branco war das anders. Sie hatten ihren Freund das erste Mal kaum bemerkt, als sie ihm eines abends im Tycoon über den Weg gelaufen waren. Er war wie ein Schatten, erledigte schnell seine Arbeit und verschwand dann wieder. Er redete nicht, lachte nicht und sah niemanden an. Und Gerrit gab ihm nicht nur Anweisungen, wenn er ihm eine Arbeit auftrug, er erteilte Befehle. Alex fand das unmöglich und regte sich immer wieder darüber auf. Michael sah aber etwas anderes. Branco wurde kräftiger. Er saß immer wieder zwischendurch und er redete auch, wenn auch nur mit Gerrit. Er vertraute Gerrit, warum auch immer und schien sich in seiner Gegenwart sehr sicher zu fühlen. Diese innere Sicherheit verschwand immer dann, wenn er vor seinen Freunden stand. Dann bekam er meist kein Wort heraus. Das war für ihn natürlich kein gutes Gefühl, aber so war es nun mal. Und mit viel Geduld schaffte er es irgendwann auch, Alex die Situation so zu zeigen, wie sie war und nicht so, wie sie sie sah. "Ich möchte ihn am liebsten in den Arm nehmen und festhalten", murmelte sie eines abends, als sie das Bordell verließen. "Aber er möchte das nicht. Du würdest ihm damit nicht helfen, du würdest ihm weh tun." "Ich weiß." Sie seufzte leise und hakte sich bei Michael ein. "Aber schau doch, wie er lebt. In diesem kleinen kahlen Zimmer und schuften tut er von früh bis spät. Seit der Gips ab ist, schiebt er 16-Stunden-Schichten. Ohne dafür auch nur einen Cent zu sehen." "Alex. Denk daran, was der Doc uns erklärt hat. Es ist für ihn eine Art Buße. Er will es so. Wenn er nicht arbeitet, fängt er an nachzudenken, also lässt Gerrit ihn machen. Mach dir keine Sorgen um ihn. Gerrit wird es in einem vernünftigen Rahmen halten, glaub mir." "Ich weiß nicht. Er hat sich auch sehr verändert. Ich habe das Gefühl…" Sie zögerte. Michael blieb stehen und sah sie an. "Was für ein Gefühl hast du?" "Ich denke, dass wir ihn verlieren werden über kurz oder lang. Er ist doch jetzt schon fast nur noch im Tycoon." Der Kommissar lachte. "Alex, ich bitte dich. Er ist im Moment hauptsächlich da, um Branco im Auge zu behalten, damit wir uns keine Sorgen um den Kleinen machen. Wie kommst du darauf, dass er hauptberuflich diesen Laden leiten will?" "Nur so ein Gefühl."
Mensch Branco kann einem echt Leid tun, das er soviel schuften "muss". Aber vll.tut ihm das genau gut und kann so etwas Abstand von seiner Vergangenheit nehmen. Hoffentlichhat Alex nicht Recht, das Gerrit sich mehr um den Laden kümmern will.
Aber ich hab da so ein Gefühl, das da noch i-was passiert.
Danke für dein Kommi, Nic *knuddel* Und was das Leidtun angeht... dieses Gefühl könnte sich noch verstärken.
"Hey, du Spacko", sagte Iwan mit einem starken russischen Akzent und stieß Branco hart gegen die Schulter, als der im Hinterhof des Red Tycoon stand. Der zuckte erschrocken zusammen und taumelte gegen die Wand. Der Müll, den er in einer Tüte gehabt hatte, fiel zu Boden und verteilte sich dort. "Für ´nen Serienkiller bist du eine ganz schön ärmliche Gestalt." Er lachte fies. Ein zweiter Mann trat aus dem Schatten. Schwarze Jacke, Stiefel. Er hieß Hannes und war ein bekannter Schläger. Er und Iwan erledigten Überzeugungsarbeit für jeden, der genug zahlte. Die Männer zogen Branco von der Wand weg. "Du solltest aus der Stadt verschwinden, Kleiner. Es gibt hier eine Menge Leute, die ein wenig in Sorge sind, dass sie vielleicht auf irgendeiner Abschussliste von dir stehen." "Ich mach das nicht mehr", sagte Branco, die Augen fest auf den Boden gerichtet. Den Schlag, der ihn im Gesicht traf, konnte er so nicht sehen. Er taumelte und stieß gegen Hannes, der hinter ihm stand und ihm jetzt brutal die Faust in die Seite jagte. Keuchend ging Branco in die Knie. "Verschwinde aus München." Iwan holte aus und trat seinem hilflosen Opfer hart gegen das Kinn. Branco wurde nach hinten geschleudert und rollte ein Stück über den Boden. Doch die Männer ließen ihn nicht in Ruhe. Sie gingen drohend auf ihn zu, zerrten ihn vom Boden hoch und Hannes schleuderte ihm mit einem Kinnhaken mitten in die Mülltonnen und -säcke. "Verschwinde, sonst machen wir dich kalt. Und eine kleine Kostprobe bekommst du jetzt und hier." Branco sah sie wieder auf sich zukommen, er wollte aufspringen und sich wehren oder sich wenigstens schützen, aber hatte er das Recht dazu? Er hatte so viel getan, er durfte nicht noch mehr Menschen verletzten. Außerdem fühlte er sich angesichts dieser großen, starken Männer so unglaublich klein und hilflos. Also blieb er einfach liegen und nahm die folgenden Schläge und Tritte schweigend hin. Er fühlte sich genauso hilflos wie damals im Kosovo, wo er gefesselt gewesen war und sich nicht hatte wehren können. Er konnte die Stricke auch jetzt noch fühlen. Und sie saßen verdammt fest.
Ich denke, dass Gerrits Art Branco eher gut tut. Er will offenbar momentan kein Mitleid. Die Schuld, so viele Menschen getötet zu haben, kann man wahrscheinlich eh nie wieder ablegen.
Ich bin mal gespannt, was Gerrit sagt, dass Branco auf seinem Hinterhof niedergeschlagen wird.
Ich glaube nicht das Branco die Stadt verlässt...hoffentlich fällt er nicht wieder in seine Vergangenheit,als Mörder zurück. Vorallem was unternimmt Gerrit, jetzt?
Gerrit hörte Männerstimmen und ein lautes Klappern und Poltern, als er auf der Suche nach Branco kurz auf den Hinterhof trat. Dort sah er zwei kräftige, bullige Typen, die auf ein am Boden liegendes Bündel eintraten und es beschimpften. Natürlich erkannte er seinen Angestellten und wollte aus Reflex im erste Moment auch hinlaufen, aber dann hielt er inne. Neben ihm tauchte Ben auf und wollte Branco zu Hilfe eilen, doch Gerrit streckte den Arm zur Seite auf und schüttelte den Kopf. In diesem Moment sah Iwan hoch. Er stutzte und tippte Hannes an. Die beiden wollten im ersten Moment verschwinden, aber da Gerrit weder etwas sagte noch tat, blieben sie stehen. Provokant trat Iwan leicht gegen Brancos Brust. Der stöhnte leise auf und hob den Kopf. Er sah Gerrit an. Sein Gesicht war blutüberströmt, in seinen Augen leuchtete nackte Angst. "Geh rein, Ben", sagte Gerrit leise. Er wand den Kopf in seine Richtung und sah ihn ernst an. "Los." Ben zögerte kurz, dann nickte er und verschwand nach drinnen. Gerrit blickte Branco an. "Steh auf und wehr dich gefälligst. Diese beiden Gorillas solltest du lässig im Griff haben." "Dieser Schwächling schafft es doch nicht mal gegen eine Fliege", sagte Iwan. "Du hast viel Vertrauen in deine Angestellten." Gerrit ignorierte ihn. "Branco, hoch mit dir", fuhr er ihn an. "Wehr dich endlich, wenn man dich angreift. Du kannst es jetzt tun." Der blickte auf seine Hände. Gerrit hatte Recht, da waren keine Fesseln mehr. Obwohl sein Herz und seine Seele sie noch fühlen konnten, waren sie nicht mehr da. Also konnte er sich vielleicht auch wieder wehren. Aber durfte er das? Langsam und unter Schmerzen stemmte er sich hoch und stand taumelnd den beiden Männern gegenüber. "Das ist doch kein Gegner, Gerrit. Hilf ihm doch ein wenig." "Er braucht meine Hilfe nicht." Gerrit nickte Branco zu. "Verscheuch die Typen. Hier hinten stehen zwar die Mülltonnen, aber Sondermüll darf hier nicht gelagert werden." Damit ging er wieder rein und ließ Branco mit den Männern allein. Die beiden sahen ihn grinsend an. "Dein Boss ist ja echt ein Arsch. Du bist doch vollkommen fertig. Komm, Kleiner, leg dich wieder hin." Er holte aus und ließ seine Faust in Richtung von Brancos Gesicht schnellen. Doch dort kam die nicht an. Sie prallte gegen Brancos Handfläche, als der die Hand hob. Er trat einen Schritt zurück. "Ihr sollt gehen, hat der Boss gesagt", murmelte er leise und hob langsam den Blick. Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten sah er einem Menschen wieder direkt in die Augen. Die beiden Schläger lachten unsicher. "Wow, er wacht auf." Der Russe holte erneut aus und schlug zu, doch seine Faust wurde wieder von Branco abgefangen. Dieses Mal hielt der die Hand seines Gegners aber fest, drehte sie um und zog den Mann an sich heran. Er legte ihm den Unterarm um den Hals und hielt ihn zwischen sich und Hannes. "Ihr hattet euren Spaß und jetzt verschwindet." Damit stieß er ihn von sich weg. Hannes dachte gar nicht daran und griff Branco jetzt an, doch der fing den Angriff ab und hieb ihm hart auf den Arm. Der nächste Schlag landete im Gesicht des Schlägers, der sich die Nase hielt. Mit einer Serie aus harten Schlägen und Tritten trieb Branco die beiden Männer über den Hof und raus auf die Straße, wo die beiden dann doch lieber die Flucht ergriffen. Zufrieden mit sich selber ging er ins Haus, wo Gerrit im Flur auf ihn wartete. Er hielt ihn wortlos fest und hob dessen Kopf hoch. Aufmerksam sah er sich die Verletzungen an, die die beiden Schläger ihm zugefügt hatten. Es war alles nicht sehr schlimm. "Geh dich waschen, zieh dich um und dann räumst du auf dem Hof auf." "Ja, Boss." Gerrit sah, dass Branco lächelte, als er sich wegdrehte. Der junge Ex-Kommissar fühlte sich gut und stark. So stark wie seit langem nicht mehr. Und das sah man ihm auch deutlich an. Gerrit war zwar ein wenig besorgt, aber so wie er sich bewegte, waren die Verletzungen wirklich nur oberflächlich. Er würde es überstehen. Branco war verdammt hart im Nehmen und da er Mitleid sowieso hasste, ließ Gerrit ihn einfach in Ruhe. Wenn der reden wollte, würde er schon kommen.
Spät an diesem Abend standen Iwan und Hannes in einer Bar und tranken Bier. Ein dritter Mann trat neben sie und schob ihnen einen Briefumschlag zu, der schnell in Iwans Jacke verschwand. "Eigentlich müssten wir mehr Geld bekommen, für die Schläge, die wir kassiert haben. Du hast nicht gesagt, dass der Kleine sich so gut austeilen kann." "Das war ja Sinn und Zweck der Aktion. Er sollte merken, dass er sich noch wehren kann." "Der hat doch ´nen Schaden." Hannes kippte sein Bier hinter. "Wenn du dem noch mal eine Lektion erteilen willst, frag nicht wieder uns. Mein Kiefer tut höllisch weh." "Keine Sorge, ich glaube, er ist aufgewacht." Iwan blickte den Mann an. "Du hast eine sonderbare Art mit Angestellten umzugehen, Gerrit. Und das als Bulle." "Ich kann mich auf euer Schweigen verlassen?" "Sicher. Aber du schuldest uns was." Gerrit nickte den beiden Schlägern zu und verließ die Bar wieder. Er hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber Brancos Verhalten seit dem Angriff nach zu urteilen, hatte es was gebracht. Der schaute die Leute nämlich plötzlich wieder an und er sprach wieder. Gerrit hatte genau das erreicht, was er wollte. Branco hatte gemerkt, dass er sich wehren konnte und durfte. Er war nicht mehr in Gefangenschaft, er war kein Opfer mehr. Und nicht jede Aktion von ihm wurde als Straftat gewertet.
Das war alles nur gefakt??? Böser Gerrit, aber so hat er ereicht das Branco aus seiner "Starre" erwacht. Und hat jetzt somit einen guten "Aufpasser" im Puff. Na hoffentlich kommt das nie raus...
"Hey Ali, Daniel. Ist euer Chef da?" Ali nickte dem kleinen rundlichen Mann zu, der vor ihm stand. Die langen, leicht gewellten graubraunen Haare hüpften bei jedem watschelnden Schritt des Mannes auf und ab, als er dem Türken folgte. "Was willst du vom Boss? Du machst doch keinen Ärger hier, oder muss ich mit rein kommen?" "Hallo. Du kennst mich doch. Ich will nur mit Gerrit reden." Alexander Kreuzach war Zuhälter und ein wenig zwielichtig. Allerdings hielt er sich persönlich immer aus Ärger raus, weshalb man ihm bisher noch nie etwas nachweisen konnte. Gerrit hatte hin und wieder mal mit dem Mann gesprochen, weil der immer wieder versuchte, ihn mit in seine Geschäfte rein zu ziehen. Mal ging es um die Eröffnung eines neuen Clubs, wo sich Kreuzach Gerrits guten Namen zu Nutze machen wollte, mal war es der Kauf eines Pornokinos, wofür ihm noch ein wenig Kleingeld fehlte. Bisher hatte Gerrit immer abgelehnt, allerdings so höflich, dass der Mann keine Angst hatte, wieder mal mit einer neuen Geschäftsidee aufzutauchen. Ali brachte ihn zu Gerrits Büro, klopfte und öffnete die Tür, als Gerrit von drinnen etwas murmelte. "Kreuzach ist hier, Boss. Er will dich sprechen." "Ja, klar." Gerrit sah Branco an, der vor seinem Schreibtisch stand. "Geh du mit raus an die Tür, Ali bleibt hier vor meinem Büro. Nur zur Sicherheit." "Ja, Boss", sagte Branco und verließ den Raum. Kreuzach sah dem jungen Mann irritiert nach und betrat dann das Büro. Er ließ sich in den Sessel fallen, der vor Gerrits Schreibtisch stand und sah den empört an. "Du lässt einen Mörder für dich arbeiten?" "Soweit ich weiß, ist Gerd, dein Leibwächter, wegen Totschlags vorbestraft." "Ach, das ein Unfall." "Und Branco war einfach krank. Und jetzt ist er wieder gesund und arbeitet für mich. Ja. Hast du damit irgendein Problem?" Gerrit sah die Antwort in Kreuzachs Gesicht, da brauchte der gar nichts zu sagen. "Was kann ich für dich tun? Oder willst du nur über meine Personalpolitik reden?" "Nein…" Kreuzach schüttelte kurz den Kopf und wand seine Aufmerksamkeit dann wieder seinem Gegenüber zu. "Es geht um die Geschäftskette von Peking-Paule." Peking-Paule hieß eigentlich Paul Egmont. Er war Geschäftsinhaber mehrerer gut laufender Erotikläden und hatte seinen Spitznamen seiner Liebe zur Peking-Ente zu verdanken. Der Mann war bei einem Verkehrsunfall gestorben, der wohl wirklich nur ein Unfall war, was im Milieu selten vorkam und nun kreisten die Geier, in Form von diversen Rotlichtgrößen, über seinem Erbe. Im Moment liefen die Läden ohne Führung über eine Anwaltskanzlei und sollten an den Meistbietenden verkauft werden. Das Geld würde dann die Witwe von Egmont bekommen. Gerrit kannte die Geschäfte, sie waren eine Goldgrube und dementsprechend hoch war der Preis. Er selber bezog die Spielzeuge für seine Mädchen aus dem Laden und auch einiger der Klamotten, die sie für ihre Freier benötigten, die einen besonderen Geschmack hatten. Als er von Paul Egmonts Tod gehört hatte, hatte er selber schon darüber nachgedacht, ob die Läden nicht eine gute Ergänzung zu seinem Club waren. Aber das war natürlich Unsinn. Seine Vorgesetzten im K11 hätten das nie geduldet. "Was hast du vor, Kreuzach? Ich kann die Läden nicht kaufen. Sie sind zu teuer und ich krieg Ärger mit meinen Vorgesetzten." "Steig doch bei den Bullen aus." "Das ist meine Sache, klar." Alexander Kreuzach hob abwehrend die Hände. "Okay, okay. Kein Problem. Klar ist das deine Sache. Aber mal zu meiner Idee. Dein Laden läuft gut, sagen die Gerüchte. Und du weißt, dass Milieugerüchte immer wahr sind. Du könntest also eine Menge Geld locker machen." "Möglich." "Ich möchte dich als stillen Teilhaber. Ich kauf den Laden offiziell und zu einem gewissen Prozentsatz gehört er dir. Die Gewinne teilen wir uns dann." Gerrit grübelte. "Wie viel Geld brauchst du?" "Ich kann 50 000 zahlen." "Die wollen aber 200 000 Euro haben." Gerrit riss die Augen auf. "Du willst 150 000 von mir? Sag mal, seh ich aus wie Dagobert Duck?" "Komm schon, Gerrit. Du bist Bulle, du kannst jederzeit einen Kredit auf den Laden aufnehmen. Deine Geschäftsbücher sind garantiert zu 100 Prozent sauber." Der Kommissar schwankte. Er hatte mit dem Bordell tatsächlich eine Menge Geld verdient und an einem guten Abend kamen schon mal einige Tausend Euro in die Kasse. Und zwar nach Abzug aller Kosten, die er hatte. Das Risiko war für ihn relativ gering. 100 000 konnte er so locker machen und einen Kredit über 50 000 würde er mit seinem Laden ohne weiteres bekommen. Die Banken würden sich da sicher nicht quer stellen, er hatte schließlich zwei sichere Jobs. "Ich stell den Vertrag aus, mit Hilfe meiner Anwälte. Der Laden wird mir zu 76 Prozent gehören, die Gewinne teilen wir 75 zu 25. Außerdem bekommst du von mir ein Gehalt von 2500 Euro im Monat für den Posten als alleiniger Geschäftsführer. Einmal im Monat wirst du mir über jeden Cent Rechenschaft ablegen und wenn auch mal nur ein Euro verkehrt gegangen ist, bring ich dich in den Bau." Alexandra Kreuzach überschlug kurz seinen eigenen Gewinn und sein Risiko und nickte dann schnell. Er hatte zwar auf etwas mehr Gewinnbeteiligung gehofft, aber auch so würde er in wenigen Jahren stinkreich sein. Dann machte er eben die Drecksarbeit für Gerrit, die in diesem Fall hieß, dass er sich in einen bequemen Sessel setzen konnte und zwei oder drei Buchhalter überwachen musste. Die restlichen Angestellten wussten nämlich verdammt gut, was sie zu tun hatten. Lächelnd erhob der Mann sich und reichte Gerrit die Hand. "Einverstanden." Der stand ebenfalls auf und schüttelte dessen Hand. Auf seinem Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. "Das Geld bekommst du in einer Woche. 24 Stunden später habe ich die Kaufverträge für den Laden hier auf diesem Tisch liegen. Sonst mach ich dich kalt." Seine blauen Augen funkelten und Kreuzach wusste, dass Gerrit es in diesem Fall verdammt ernst meinte. Deshalb nickte er nur hastig, versprach dass alles klappen würde und verzog sich schnell, um sich darum zu kümmern, dass nicht jemand anders sich die Läden unter den Nagel riss. Gerrit lehnte sich in seinem Sessel zurück, nahm sein Handy und rief seine Bank an. Als er sein Anliegen vorbrachte, wurde er umgehend zum Bankdirektor durchgestellt, der sich fürsorglich erkundigte, ob Gerrit mit der Bank nicht zufrieden war. Der lachte, als er begriff, worauf der Mann hinaus wollte. "Hören Sie. Ich brauche eine Menge Bargeld für die Übernahme eines weiteren Ladens. Das bleibt natürlich unter uns." "Selbstverständlich." "Ich habe nicht vor, mein Konto aufzulösen oder ihre Bank zu verlassen. Im Gegenteil, ich möchte kurzfristig investieren um dann in einigen Jahren ein schönes, prall gefülltes Konto bei Ihnen zu haben." "Ach so…" Der Mann schien sehr erleichtert. "Wie viel Geld brauchen Sie denn?" "Von meinem Konto 100 000 und noch mal 50 000 als Kredit. Wenn das möglich ist." "Wenn Sie Ihren Club als Sicherheit bieten, ist das überhaupt kein Problem. Ich habe natürlich keine Zweifel, dass Sie Ihre Raten bezahlen können, Herr Grass. Aber ich brauche halt…" "Das ist kein Problem. So habe ich mir das ja auch gedacht." Der Bankdirektor war sehr zufrieden und bot Gerrit einen Termin für den nächsten Tag, damit man den Vertrag unterschreiben konnte. Der grübelte eine ganze Weile. Wenn das schief ging, würde er alles verlieren. Und seine Leute, die ihm vertrauten, auch. Es klopfte. "Herein." "Entschuldige, Boss", sagte Daniel. Gerrits Türsteher schien ein wenig unsicher. "Ich glaub, der Neue ist noch nicht ganz so weit. Der steht an der Tür rum und weiß nicht, was er tun soll." "Dachte ich mir schon, aber ich wollte es mal probieren. Schick ihn mal zu mir." Gerrit war da eine Idee gekommen. Branco mochte noch nicht das Selbstbewusstsein haben, was ein Türsteher brauchte, aber er hatte andere Qualitäten und Fähigkeiten und genau die brauchte er jetzt. Als es klopfte, rief Gerrit Branco rein. "Setz dich mal hin, ich muss mit dir reden." Branco ließ sich auf die Kante eines Sessels nieder und sah seinen Chef fragend an. "Was ist? Hat Kreuzach Ärger gemacht?" Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. "Nein, hat er nicht. Er hat mir einen guten Deal angeboten. Ich werde stiller Teilhaber einiger Erotikläden. Das bleibt aber unter uns. Kein Wort davon zu Michael und Alex." Branco schüttelte eilig den Kopf. "Ich muss Kreuzach das Geld in bar übergeben. Du verstehst sicher, dass das ein großes Risiko für mich ist." "Ja. Wie viel Geld?" "150 000 Euro." Branco stieß einen leisen Pfiff aus. "Der haut doch ab." "Nein. Denn du wirst ihm folgen. Es sind 24 Stunden, die er Frist hat, bis ich ihm meine Leute hinterher schicke. Ich will, dass du ihn nicht aus den Augen lässt. Nicht für eine Sekunde. Kann ich mich darauf verlassen?" "Klar. Kein Problem. Das habe mit meinen Opfern ja auch gemacht." Er senkte ein wenig den Kopf. "Außerdem war ich ja mal Bulle." Gerrit grinste. "Eben. Ich verlass mich auf dich." "Das kannst du auch, Gerrit." Branco stand auf und wollte das Büro verlassen. "Branco, warte mal. Ich muss dir noch etwas gestehen." Er stand auf und ging langsam auf ihn zu. "Ich war Schuld an dem Überfall auf dich. Ich habe die Typen bezahlt." Empört sah Branco ihn an. "Du hast…" "Es tut mir leid. Aber ich wusste mir nicht zu helfen. Irgendwie musste ich dich doch aus deiner Lethargie reißen." Er senkte unsicher den Kopf. "Es tut mir leid, dass sie dir weh getan haben." Eine ganze Weile schwieg der junge Mann, dann sagte er leise: "Danke." Branco ging zur Tür und öffnete sie. "Und keine Angst. Du kannst dich auf mich verlassen. Ich behalte den Kerl im Auge." Erstaunt sah Gerrit ihm nach, als er mit einem Lächeln die Tür schloss. Er war wahrscheinlich der erste Bordellbesitzer, der ein Dankeschön von einem Angestellten erhielt, weil er ihm zwei Schläger auf den Hals gehetzt hatte.