Ich habe gerade deine Geschichte entdeckt und beim Lesen total die Zeit vergessen! Deine Geschichte ist super geschrieben, man kann sich alles gut vorstellen und der Schreibstil gefällt mir auch! Freue mich schon auf die Fortsetzung! gglg
Als Gerrit den ersten Blick auf das Lager warf, stockte ihm der Atem und er wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen und weggelaufen, so schnell und so weit wie möglich. Der Tag war sonnig, die Umgebung mit Feldern, Wäldern und Wiesen einfach traumhaft. Das alles hatte ihn seine Ängste vergessen lassen. Und dann war da dieses Lager. Es schien die wunderschönen Farben förmlich zu verschlucken. Vom Bunt der Umgebung hob es sich durch seine Eintönigkeit ab, alles schien Braun zu sein. Der Boden, der aus Lehm und Sand bestand, die Baracken aus Holz und einige kleinere Häuser aus Stein, die zumindest ein Grau in die Eintönigkeit brachten. Dazu die Zäune. 'Ich will hier weg', dachte Gerrit, als sie das Tor erreichten. Es bestand aus schweren Holzbalken, dazwischen enger, stabiler Maschendraht. Die Zäune bestanden ebenfalls aus Draht, oben waren unförmige Stacheldrahtrollen befestigt. Oberst Naseband drehte sich zu Gerrit und Robert um. "Da sind wir. Das Arbeitslager 'Silberhöhe'. Benannt nach dem Hügel, auf welchem es steht. Ein Bauer der Umgebung hat dem Hügel den Namen gegeben, als er eines Nachts hier vorbei ging und der Vollmond die Umgebung in ein silbriges Licht tauchte. Wie ihr seht, gibt es einen äußeren und einen inneren Zaun. Oben, wo die Pfosten zu Ende sind und der Stacheldraht anfängt, ist Strom in den Draht eingespeist. Die Voltzahl liegt so hoch, dass jede Berührung absolut tödlich ist. Zwischen den Zäunen laufen scharfe Schäferhunde herum. Die Wachtürme, die ihr an den vier Ecken des Lagers seht und auch die dazwischen sind mit starken Weißlichstrahlern und Maschinengewehren ausgerüstet." Die beiden jungen Männer nickten und als Gerrit Robert zum ersten Mal, seit sie das HJ-Lager verlassen hatten, ansah, erkannte er auch in dessen Gesicht ein gewisses Unbehagen. Das Auto erreichte ein Gebäude, links direkt am Zaun. Alle stiegen aus, der Fahrer fuhr den Wagen weg. Michael Naseband nahm die beiden mit sich mit. "Das ist mein Büro, hier sind auch die Aktenschränke. In den Baracken daneben wohnen die normalen Wachleute. Es gibt insgesamt 150 Wachen. Die meisten sind alleinstehend und wohnen hier. Einige wenige haben Familien und leben die Woche über hier, oder wenn sie Dienst haben, sonst fahren sie nach Hause. In dem kleineren Steinhaus daneben sind Zimmer für die sechs Leiter der einzelnen Wachgruppen und den Oberbefehlshaber der Wachleute. Dahinter das lange Gebäude beherbergt die Duschen für uns, Toiletten, unseren Lagerarzt, das Hospital, das Depot für die Nahrung, Waffen und so weiter." Es zog sich von einem Zaun bis ungefähr zur Hälfte das Lagers. "Dahinter ist auch der Fuhrpark für die Autos. Gegenüber seht ihr die fünf Gefangenenbaracken. In jeder wohnen 50 Häftlinge. Die kleinere Baracke dahinter ist unser Gefängnis, dorthin kommen Einzelhäftlinge. Der Platz vor den Gefangenenbaracken ist der Appellplatz für die Häftlinge. Der freie Platz hier vor dem Tor ist der Appellplatz für die Wachleute. Alles verstanden?" "Ja, Oberst", sagten die beiden gleichzeitig. Ihre Augen irrten von einem Haus zum anderen. Dann sahen sie, wie zwei Wachleute einen spindeldürren Mann aus einer der Baracken zerrten und auf ihn einschlugen. Der Häftling hatte keine Chance gegen die ausgebildeten Wachen und ging stöhnend und wimmernd zu Boden. Gerrit sah emotionslos, wie die Schlagstöcke immer wieder auf den Körper trafen, dann wand er sich seinem Vorgesetzten zu. "Oberst, was hat der Mann verbrochen?" Die Idee, dass es sich hier gar nicht um eine Bestrafung handeln könnte, kam ihm nicht. "Ich weiß es nicht", gestand der. "Ich war lange nicht hier." Er blickte hinüber und rief zwei Namen. Die Wachen hielten inne. Der Häftling lag blutend am Boden und regte sich nicht mehr. "Er hat genug, bringt ihn rein." "Ja, Oberst", sagten sie und schleppten ihn in die Baracke zurück. "Willkommen zu Hause", riefen sie ihrem Vorgesetzten zu, als sie zu ihrem Arbeitsplatz am Zaun zurück gingen. "Danke, Jungs." Gerrit sah, wie die beiden ihre Schlagstöcke abwischten und er ärgerte sich im Stillen, dass er immer noch nicht wusste, was der Mann getan hatte, um bestraft zu werden. Wie sollte er so lernen? Und den Oberst schien es nicht zu interessieren. "Die ersten drei Baracken werden von Männern bewohnt, die letzten beiden von Frauen. Kontakt zwischen den männlichen und weiblichen Gefangenen, der über das normale Reden hinaus geht, ist strikt untersagt. Das gilt auch für inhaftierte Ehepaare." "Oberst?" "Ja, Robert?" "Welche Art von Straftätern sitzen hier?" "Wir haben hauptsächlich Kommunisten hier und andere Menschen, die versuchen, durch Zeitungen, Flugblätter und illegale Treffen die Autorität des Staates zu untergraben. Dazu einige Arbeitsunwillige, die Ärger gemacht haben, ein paar Juden, wobei das immer mehr werden, ein paar Zigeuner. Hier sitzen keine Schwerkriminellen und die wenigsten, die hier sind, werden hier im Lager sterben. Viele sitzen Haftstrafen ab und werden danach wieder entlassen, hoffentlich ohne ihre Flausen, aber der Staat möchte eben, dass sie nicht im Gefängnis vor Langeweile umkommen, sondern etwas tun. Darum gibt es das Arbeitslager." "Was arbeiten die Häftlinge, Oberst?" Gerrit sah sich um. Möglichkeiten zur Betätigung gab es hier nicht wirklich. "Es gibt viele große und mittlere Höfe in der unmittelbaren Umgebung. Außerdem die staatliche Forstwirtschaft. Die Häftlinge arbeiten dort für die Bauern, die Forstleute und Jäger, die dafür Nahrungsmittel und Geld an unser Lager abführen. Darüber finanzieren wir uns." Gerrit und Robert nickten verstehend. "Welche Rechte haben die Häftlinge?" "Keine. Wer sich so an diesem Land versündigt, dass er in einem Arbeitslager landet, verliert die Rechte, als Mensch behandelt zu werden. Nun habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass ein vernünftiger Strafrahmen und ein vernünftiges Strafmaß bei Vergehen die Häftlinge ruhiger hält. Jeder Häftling bekommt von uns Kleidung, Schuhe und einmal am Tag etwas zu Essen. Frisches Wasser ist immer in den Baracken vorhanden. Duschen und Toiletten gibt es in den hinteren Teilen der einzelnen Baracken, abgetrennt durch eine Holzwand mit Tür. Je 10 pro Baracke. Die Duschen werden nicht über Wasserleitungen sondern über Wassertanks betrieben." "Wie sieht es mit Bestrafungen aus?" "Fluchtversuche, wenn auch nur geplant, werden mit dem Tod durch Erschießen bestraft. Das regeln wir selber und bisher musste diese Strafe noch nicht vollstreckt werden. Widerstand gegen Regeln, Faulheit und Unordnung werden mit Prügelstrafen geahndet. Nicht mehr als 20 Stockschläge, so wie die Behörde in Berlin es vorschreibt. Strafen werden zur Abschreckung aller immer beim Morgenappell vollzogen. Appell ist morgens und abends. Sollten Häftlinge die Wachen beleidigen oder tätlich angreifen, dürfen die sich natürlich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren." "Was, wenn Häftlinge durch die Behandlung sterben?" "Dann schreibe ich einen Bericht und in Berlin packt ihn ein Sachbearbeiter in eine Akte." Oberst Naseband sah Gerrit und Robert ernst an. "Es ist selbstverständlich verboten, Häftlinge zu töten. Der einzige, der diesen Befehl erlassen darf, ist ein Regierungsbeamter im Dienst der SS, der in München sitzt. Und ich möchte eigentlich nicht gezwungen sein, den Namen des Mannes herausfinden zu müssen. Ich halte meine Wachen an, vernünftig mit den Häftlingen umzugehen, das ist besser für beide Seiten. Sie können sich an den Männern oder auch mal an den Frauen abreagieren, aber es muss im Rahmen bleiben." "Was war das dann eben, Oberst? Wieso wurde der Mann geschlagen? Und wie lange hätten die Wachen weitergemacht, wenn Sie sie nicht aufgehalten hätten?" "Du stellst unangenehme Fragen, Gerrit. Gewöhne dir das ab. Zu viel Denken ist ungesund." Trotz der strengen Worte lag eine gewisse Milde in den blauen Augen des Mannes. "Sie hätten ihn nicht umgebracht. Aber sie hatten sicher ihre Gründe für ihr Vorgehen. Fandest du es zu hart?" "Nein, Oberst", sagte der sofort. "Ich wollte nur die Regeln kennen lernen und die Grenzen." "Die lernt ihr zwei noch sehr schnell kennen." Plötzlich erschien in den Augen ein Funkeln. "Irgendwie ärgert es mich, dass ich nicht weiß, was hier in den letzten Monaten los war. Ich bin jetzt seit fast einer halben Stunde hier und keiner erstattet mir Bericht. Mein Stellvertreter lässt sich nicht sehen und der Leiter der Wachen ebenfalls nicht. Das wirft ein schlechtes Licht auf meinen Führungsstil, nicht wahr?" "Nein, Oberst", sagte Robert und hob abwehrend die Hände. Gerrit sah den Mann fest an, als dessen Blick ihn streifte. "Doch, Oberst." Der lachte auf. "Eine andere Antwort hätte ich nicht erwartet. Aber du hast Recht, Gerrit. Ich habe meine Pflichten hier sehr vernachlässigt und werde Wochen brauchen, um das aufzuholen. Ich brauche einen Mann an der Spitze der Wachen, auf den ich mich verlassen kann. Bernhard, der bisherige Leiter, will aufhören. Er ist alt und konnte sich eigentlich nie wirklich durchsetzen. Hier hat sich ein wenig Anarchie breit gemacht. Aber den Laden bekomme ich schon wieder auf Vordermann." Er ging zu seinem Büro. An der Tür drehte er sich noch einmal um. "Stellt eure Sachen vor die Tür und schaut euch etwas um. Die Gefangenenbaracken betretet ihr nicht allein. In einer halben Stunde ist Appell, dann lernt ihr die Leute kennen, die heute arbeiten. Und dann stelle ich euch auch den neuen Leiter der Wachmänner vor, euren obersten Vorgesetzten. Nach mir und meinem Stellvertreter natürlich." "Jawohl, Oberst." Sie sahen ihm nach, wie er in seinem Büro verschwand. "Da wären wir", murmelte Gerrit leise. "Was der Häftling wohl angestellt hat? Für mich sah es nach Willkür aus." "Ist doch egal. Tut dir der Kerl etwa leid?" "Der ist mir vollkommen egal. Er ist selber Schuld, dass er hier ist. Wer sich mit dem Staat anlegt, zieht den Kürzeren. Aber es geht ums Prinzip, Robert. Bestrafungen sind klar geregelt, das hat der Oberst gerade durchblicken lassen und wenn die Wärter hier nach Lust und Laune rumprügeln, kann der Oberst Probleme bekommen. Und wenn er Probleme bekommt, haben wir, als seine Untergebenen, diese automatisch mit zu tragen." Sein Freund stöhnte auf. "Musst du immer Recht haben? Die Wachen wollten sich vielleicht nur austoben. Ist echt ziemlich trostlos hier, da kriegt man schon mal Zuckungen." Er grinste ihn an. "Bin mal gespannt, wie unsere Kollegen so sind und vor allem unser neuer Chef." "Ich auch. Hoffentlich kann er sich durchsetzen. Dieses Lager, vor allem die Wachen, brauchen Disziplin." Mit einem leichten Lächeln stellte Robert fest: "Du klingst schon wie der Oberst."
Wahnsinn! Das du dich überhaupt an dieses Thema herantraust... Wir waren mal von der Schule aus in einem KZ (Mauthausen) und das hat mich ziemlich beeindruckt... Freue mich schon auf den nächsten Teil! LG
Super Geschrieben!! Bin mal gespant, wie Gerrit und Robert sich da 'Einleben' .... Und ob sie auf Alex und Branco treffen werden, was ja nicht unmöglich sein kann, wie man beim lesen gesehen hat!!! Bin super gespannt, wie es weiter geht!!!
Ich danke euch für die Kommis und für die lieben Worte. Das ist wirklich supernett, danke schön.
Kapitel 7 - Eine schnelle Beförderung
"Ruhe, Männer", brüllte Michael. Die Leute standen sofort stramm, alle Augen waren auf den Lagerleiter gerichtet. "Ich weiß, ich war lange weg, aber es hat sich gelohnt. Wie ihr seht, ich habe ich zwei neue Wachleute mitgebracht." Er deutete auf Robert. "Das ist Robert Ritter, er ist 17." Seine Hand deutete zur rechten Seite. "Das ist Gerrit Grass. Ebenfalls 17." Die Männer lächelten den neuen zu. "Bernhard hat heute seine Kündigung eingereicht und ich habe diese akzeptiert. Für euch bedeutet das eine personelle Veränderung." Michael sah Gerrit an. "Ich ernenne dich vorübergehend zum Leutnant auf Probe." Gerrit riss die Augen auf. "A… Danke, Oberst." Womit hatte er das denn verdient? Die Männer klatschten und sahen nicht sehr irritiert aus, also waren sie solche Kapriolen ihres Vorgesetzten gewöhnt. "Und da Gerrit jetzt den entsprechenden Rang hat, ernenne ich ihn hiermit zum Leiter der Wachen dieses Lagers." Er salutierte und verschwand ohne ein weiteres Wort in seinem Büro. Wie vom Donner gerührt, standen die Männer da. Gerrit in seiner Ausbildungsuniform, den Rucksack inzwischen wieder auf dem Rücken. Die Soldaten, viele von ihnen doppelt so alt wie er, in ihren Furcht einflößenden, schwarzen Uniformen, bewaffnet, schauten erst verblüfft, dann immer wütender. Ein blonder, etwas dicklicher Mann namens Markus Gerber schaute den jungen Mann empört an. Er war Leiter einer der Wachabteilungen und hätte Gerrits jetzigen Posten eigentlich bekommen sollen. "Was hast du mit dem Oberst gemacht, dass der sowas anordnet?" Er kam drohend auf ihn zu, doch ein anderer Mann hielt ihn zurück. Er war ebenfalls Leiter einer Abteilung, hatte pechschwarze Haare und eine schiefe Nase. Er schien den meisten Einfluss auf die Männer zu haben. "Du Grünschnabel sollst uns Befehle erteilen? Ausgerechnet du Wicht?" Rainer Wolfrahm sah ihn grinsend an. Die anderen Männer lachten höhnisch. Gerrit erwiderte den Blick fest, sah weder rüber zu Robert, noch zum Fenster des Büros, wo Oberst Naseband sicher stand und ihn beobachtete. Wahrscheinlich wollte der ja wissen, was mit dem Opferlamm passierte, welches er hier seinen Löwen zum Fraß vorgeworfen hatte. "Anscheinend soll ich das", sagte er und versuchte, das leichte Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Der Mann vor ihm war zwar mehr 20 Jahre älter, so sah er zumindest aus und wesentlich erfahrener als er, aber er war auch gute 20 Zentimeter kleiner. "Und was den Wicht angeht… Das sollten Sie mal in einem Wörterbuch nachschlagen. Denn der Wicht von uns beiden sind Sie." "Huuuuuu", raunten die Männer. "Der Neue hat Mut." Wolfrahms Gesicht wurde ernst. "Oder er ist einfach saudumm. Ein dummes, kleines Arschloch mit einer verdammt großen Schnauze." Er tippte ihn mehrfach hart gegen die Brust, während er sprach. "Hör mal, du Hosenscheißer. Ich habe solche Emporkömmlinge wie dich zum Frühstück verspeist, als du dir noch in die Windeln geschissen hast, du Pisser." Alle lachten. Gerrit spürte den Wind, der über sein erhitztes Gesicht strich. Er biss die Zähne zusammen und trat einen Schritt zurück, als wolle er sich verziehen. Dann holte er aus und hieb dem Mann vor sich die Faust ins Gesicht, so dass der sehr unsanft an die vier Meter nach hinten katapultiert wurde und dort hart auf dem Boden zu liegen kam. Innerlich bedankte er sich für die harte körperliche Arbeit im Jugendlager. Mit drei lagen Schritten war er bei dem Mann und umklammerte mit einer Hand den Kragen von dessen Uniform. Mit festem Griff zog er ihn ein Stück vom Boden hoch. Die anderen Männer wichen unsicher einen Schritt zurück. "Ich habe nie Windeln getragen. Mein Vater hat mir meine vollgeschissenen Hosen ins Gesicht geschleudert und mir dann den Arsch versohlt und zwar so lange, bis ich alleine aufs Klo gegangen bin. Die Methode war verdammt effektiv." Hart stieß er ihn wieder auf den Boden und ging vier Schritte rückwärts. Er sah die Leute an. "Ich weiß nicht, warum Oberst Naseband mich zu eurem Vorgesetzten gemacht hat, obwohl ihr alle schon viele länger hier seid als ich. Sagt ihr es mir, ihr kennt ihn besser als ich." Schweigen, niemand sah ihn an und wenn doch mit offenem Mund und aufgerissenen Augen. "Aber es ist sein Befehl und ich werde ihm gehorchen, denn so hat man es mir beigebracht. Und wenn euch das nicht passt, werde ich jedem einzelnen von euch zeigen, dass ich sehr wohl in der Lage bin, mich durchzusetzen." Damit drehte er sich um und ging. Er kochte vor Wut auf den Oberst, der ihn immer wieder in solche Situationen brachte. Verdutzte Blicke folgten ihm, während Wolfrahm sich schwankend aufrichtete. Er tastete über sein schmerzendes Kinn und sah Robert an. "Du bist doch sein Kumpel. Ist der immer so drauf?" "Nein", sagte der zögernd. "So gute Laune hat er leider nur sehr selten." Eilig folgte er seinem Freund, damit die anderen nicht auf die Idee kamen, ihren eventuellen Frust an ihm auszulassen. Michael Naseband, der nicht am Fenster, sondern in der Tür gestanden hatte, schloss diese und nahm sich Gerrits Akte. Sein Neuer war besser, als er zu hoffen gewagt hatte. Er würde ihn ausbilden, formen, ihm alles beibringen, was er selber wusste und ihm im Lager der Hitlerjugend noch nicht beigebracht hatte. Im Moment konnte Gerrit erst einmal die unangenehme Arbeit erledigen, wieder Ordnung ins Lager zu bringen und ihm somit den Rücken freihalten. Zum Glück deckte sich dessen Auffassung von Ordnung und Disziplin vollständig mit seiner eigenen.
Die Verwirrung der Wachleute hielt leider nicht so lange, wie Gerrit sich das gewünscht hätte. Er versuchte Ordnung in die einzelnen Wachabteilungen zu bekommen und war froh über jeden, der ihn nicht offen boykottierte. Dass keiner begeistert war, konnte er verstehen, aber dass man ihn so offen anfeindete, war irgendwann nicht mehr akzeptabel. Also griff er auf die Methoden zurück, die er im Hitlerjugendlager gelernt hatte. Strafexerzieren bis zum Umfallen und andere körperliche Strafen. Wer sich weigerte, den schickte er direkt zu Oberst Naseband. Zwei Rauswürfe später herrschte eine gespannte Ruhe. Die meisten befolgten Gerrits Befehle und Anordnungen schweigend und ohne große Begeisterung. Aber da er niemanden schikanierte oder ausgrenzte, wie es ihr ehemaliger Vorgesetzter gemacht hatte und sich auch nicht davor drückte, seine eigenen Schichten bei jedem Sauwetter zu übernehmen, ließ der Widerwille immer mehr nach. Es gab an dem jungen Offizier fachlich eigentlich nichts auszusetzen, vor allem, da er sich sehr gern die Vorschläge der älteren Wachen anhörte, abwog und teilweise auch umsetzte, wenn es etwas brachte. Er schämte sich nicht, offen zu zeigen, dass er noch viel lernen musste. Damit gewann er langsam, im Laufe von vielen Monaten, die Akzeptanz und auch ein wenig Respekt der anderen Männer. Am meisten Pluspunkte brachte ihm seine Haltung zu den Gefangenen, welche in seinen Augen immer die Schuldigen waren, wenn es Probleme gab. Er stand uneingeschränkt hinter den Wachen und sah auch mal weg, wenn diese etwas grob wurden, solange es sich in Grenzen hielt und nicht gegen die geltenden Richtlinien und Gesetze verstieß. Diese Gradwanderung beherrschte er binnen eines halben Jahres nahezu perfekt.
Gerrit macht echt riesige Sprünge... Wirklich klasse geschrieben!!! Bin mal gespannt was weiter passiert!!!! Die Geschichte ist echt super mitreißend von dir geschrieben!!!
Super, wie Gerrit sich durchsetzt! Robert erscheint eher als sein unauffälliger Schatten... Eine Kombination von emotional und hart, wahnsinn! Schreib schnell weiter! LG
Der Schnee fiel in dichten Flocken auf das Lager. Die Häftlinge verbrachten die meiste Zeit in ihren Baracken, es sei denn, sie mussten Schnee schieben, die Wachen ärgerten sich, dass sie draußen stehen mussten. Ein eisiger Wind pfiff und trieb die liegenbleibenden Flocken zu großen Wehen zusammen, die dann von den Menschen mit Mühe dort zu großen Haufen zusammengetragen wurden, wo sie nicht störten. Gerrit stand am Tor, sein Blick glitt wachsam über das Lager. Es wurde schnell dunkel, seine Schicht war bald rum und er freute sich auf sein warmes Bett. Seine Finger lagen steif um den Lauf seiner Waffe, aber wenn es drauf angekommen wäre, hätte er im Bruchteil einer Sekunde reagieren können. Er hatte den Kragen seines Mantels hochgeschlagen, um seinen schmerzenden Hals ein wenig warm zu halten und dachte darüber nach, ein oder zwei Tage krank zu machen. Doch sofort schüttelte er den Kopf. Seit eineinhalb Jahren war er jetzt im Arbeitslager Silberhöhe. Seit eineinhalb Jahren war er die rechte Hand von Oberst Naseband und seit eineinhalb Jahren wussten die anderen Wachen, dass er streng war, fast nie lächelte und immer mit gutem Beispiel voranging. Also konnte er nicht einfach krank machen. Gerrits Führungsstil war inzwischen unerbittlich, wo er sich bis vor einiger Zeit noch hin und wieder hatte ausspielen lassen. Was er sagte, war Gesetz und entsprach immer zu 100 Prozent dem Willen und Befehl des Oberst. Er setzte seine Befehle mit klaren, kurzen Anweisungen durch und schon sehr lange wagte es keiner der anderen Wachmänner mehr, auch nur ein Wort von ihm in Frage zu stellen. Bei den Häftlingen war Gerrit gefürchtet, da er seinen Wachen relativ freie Hand ließ. Die weiblichen Häftlinge litten besonders unter den meist ledigen Wachmännern, die sich immer wieder an ihnen bedienten. Gerrit duldete diese Übergriffe, solange die Frauen es überlebten, hielt es die Gefangenen doch ruhig in ihrer Angst, es noch schlimmer zu machen und seine Leute bei Laune. Was er bei den Gefangenen überhaupt nicht duldete, waren Krankheiten, die man nicht sofort sah und die in seinen Augen damit nicht vorhanden waren, noch Widerwillen bei der aufgetragenen Arbeit. Wenn es sein musste, prügelte er die Gefangenen nach draußen, sollten die sich in ihren Betten verschanzen, um wenigstens einmal einen Tag ausruhen zu können. Ohne Gnade und ohne Ansehen der Personen verteilte er Arbeiten und sorgte dafür, dass diese zur vollkommenen Zufriedenheit der Auftraggeber und des Oberst erledigt wurden. Für Oberst Naseband wurde die Arbeit durch den neuen Leiter der Wachen sehr erleichtert. Er bekam jeden Abend einen Bericht, was am Tag geschehen war und stellte meist erfreut fest, dass es genau das war, was er und Gerrit bei ihren morgendlichen Besprechungen festgelegt hatten. Die Wachleute hörten auf ihren neuen Chef und die Gefangenen verhielten sich ruhig, um ja keine Aufmerksamkeit zu erregen. Leider war Gerrit nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor wenigen Monaten immer mehr damit beschäftigt, Vorräte, Maschinen und Medikamente zu sichern. Der Oberst kümmerte sich jetzt sehr intensiv um die Bauern und Forstarbeiter, damit die Lebensmittel und das Holz auch weiterhin gut flossen, denn davon lebten die Insassen und auch die Wachen. Die Arbeit für die Häftlinge wurde dadurch mehr, es kam zu einigen unerfreulichen Todesfällen. Robert nieste und erregte damit Gerrits Aufmerksamkeit. "Hau ab, Mann. Deine Schicht ist um." "Oh." Der schüttelte leicht den Kopf. "Ich war in Gedanken. Frohe Weihnachten, Robert." "Dir auch." Während Robert seinen Platz einnahm, ging Gerrit langsam über den frisch gefallenen Schnee zur Bürobaracke. Da Oberst Naseband darüber wohnte, würde er ihn wohl in dem Haus antreffen. Er wollte ihm noch kurz Bescheid geben, dass nichts vorgefallen war und den Rest des Weihnachtstages dann endlich im Bett verbringen. Als er auf das 'Herein' des Oberst hin die Tür zu dessen Büro öffnete, erwartete ihn eine Überraschung. Der Mann, den er nur in korrekt sitzender Uniform kannte, trug nur ein Hemd, seine Jacke hing halb vom Tisch herunter. Auf diesem stand eine Flasche mit einer hellbraunen Flüssigkeit, die nicht einmal mehr halbvoll war. "Gerrit, mein Junge, komm rein und setz dich." Die schwere Zunge des Oberst und seine glänzenden Augen ließen Gerrit erahnen, dass die Flasche heute morgen noch voll gewesen war. "Ja, Oberst." Er ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder und fragte sich, ob der überhaupt an einem Bericht von ihm interessiert war. "Ich wollte Ihnen eigentlich nur mitteilen, dass es keine besonderen Vorkommnisse gibt." "Überflüssig. Hätte es welche gegeben, hättest du es mir sicher sofort mitgeteilt." Gerrit zuckte mit den Schultern und nickte. "Das ist richtig. Aber die Lagerordnung, die Sie selber aufgestellt haben, verlangt diesen Bericht." "Was sind wir doch manchmal für Bürokraten, findest du nicht?" Gerrit enthielt sich lieber einer Antwort. Der Alkohol löste einem Mann manchmal die Zunge und es war besser, nicht darauf einzugehen, um nicht am nächsten Morgen ein ernstes Problem zu bekommen. "Ich hasse Weihnachten, Gerrit, weißt du das?" Das Thema schien unverfänglich. "Nein, Oberst. Aber ich mag dieses Fest auch nicht." "Warum nicht? Weil du nie Geschenke bekommen hast?" "Nein. Weil während der Weihnachtszeit keine Schule war und ich die kalten Tage zu Hause verbringen musste." Mit Abscheu schaute er die Flasche mit dem Alkohol an, die der Oberst hochhob und an die Lippen setzte. "Verstehe." Der Mann nahm einen tiefen Schluck. "Früher habe ich Weihnachten geliebt. Also, nach dem Krieg, als ich meine Frau kennen gelernt habe." Sein Blick glitt ins Leere. "Als mein Sohn auf die Welt gekommen war, war es plötzlich eines der schönsten Feste überhaupt." Erstaunt riss Gerrit die Augen auf. Der Mann, der ihm gegenüber saß, hatte nie eine Familie erwähnt. Nicht ein Mal in den vergangenen zwei Jahren. Zögernd stellte er deshalb eine eigentlich überflüssige Frage. "Sie sind verheiratet?" "Nein. Ich bin Witwer. Meine Frau ist tot, genauso mein Sohn." "Das tut mir sehr leid, Oberst." Der sah ihn forschend an. "Gerlinde, meine Frau, hat mir vor 18 Jahren einen wunderbaren Sohn geschenkt." Gerrit blickte den Mann jetzt offen erstaunt an. Dessen Sohn wäre jetzt 18, also genauso alt wie er. Langsam ging ihm ein Licht auf, warum der Mann ihn so sehr gefördert hatte. Der Oberst lehnte sich zurück und blickte an die Decke. "Weißt du, wir waren nicht reich. Ich hatte eine Arbeit in einem Büro, unbedeutende Firma, unbedeutende Stelle. Meine Frau hat als Hausmädchen gearbeitet, bis unser Sohn zur Welt kam, dann wurde sie Hausfrau und Mutter. Sie war so gut, in beidem." Der liebevolle Tonfall erstaunt Gerrit. Er lehnte sich ein wenig zurück. "Sie sagten unbedeutende Firma. Waren Sie dort glücklich?" "Du hörst doch die Versprechen, die den Soldaten gemacht werden, die im Moment in den Krieg ziehen." Der nickte. "Auch uns hat man diese Versprechen gemacht. Ich bin 1916 an die französische Front gegangen. Damals war ich 16 Jahre alt, hatte keine Ahnung, was Krieg bedeutet, welche Grauen mich erwarten würden. Und ich wusste nicht, dass man uns Soldaten bei unserer Heimkehr einfach im Stich lassen würde. Deinem Vater wird es ähnlich ergangen sein, dafür solltest du ihn nicht verurteilen. Es waren schlimme Erfahrungen und niemand hat uns geholfen. Einige konnten sich selber helfen, viele gingen unter. Ich fand einen Beruf, dank eines guten Freundes." "Sie hatten Glück?" "So kann man es nennen. Aber vor allen Dingen habe ich gelernt. Ich habe gelernt in kritischen Situationen den Kopf einzuziehen ohne feige zu wirken und ich habe gelernt, einfach die Schnauze zu halten. Falsche Fragen zur falschen Zeit am falschen Ort können sehr gefährlich sein. Ich entkam der Front unverletzt, weil ich mich immer unter die anderen gemischt habe. Nie war ich ganz vorn, nie ganz hinten. Manche mögen es feige nennen, ich nenne es erfolgreich." "Sehr erfolgreich, Oberst. Wenn man sieht, wo Sie jetzt sind." "Das war ein langer und schmerzhafter Weg. Ich hätte es vorgezogen, in dieser Firma zu bleiben, klein und unbedeutend. Ja, man kann sagen, ich war dort glücklich. Aber im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1929 ging sie pleite. Alle verloren ihre Stellung. Ich stand praktisch auf der Straße, meine Frau und mein Sohn mit mir, da haben auch die neu eingeführten Versicherungen und Sozialreformen nichts gebracht. Wir verloren irgendwann unsere Wohnung, konnten aber eine ganze Weile bei Freunden unterkommen. Leider gab es ohne Geld kein Essen, wir lebten sehr schlecht. Ich hatte das schon im Krieg kennen gelernt, meine Familie traf es härter. Im Winter 1930 wurden sie krank. Ich hatte immer noch keine Arbeit, kein Geld, um Medikamente zu kaufen. Meine Frau starb so schnell, dass ich es überhaupt nicht begreifen konnte. Mein Junge schien sich wieder zu erholen, bis er Weihnachten 1930 hohes Fieber bekam und noch am selben Abend starb." Tränen schimmerten in den Augen des Mannes, als er sich wieder seiner Flasche widmete. Schweigend saß Gerrit vor ihm. Er empfand tiefes Mitleid für seinen Vorgesetzten, aber jedes Wort, was er hätte sagen können, kam ihm so platt, so banal, so unpassend vor, dass er es nicht wagte auszusprechen. Noch nie hatte er Michael Naseband so schwach und zerbrechlich erlebt. Der blickte nach einigen Minuten auf. "Du fragst dich vielleicht, warum ich dir das erzähle. Ganz einfach. Ich habe niemanden, dem ich meine Sichtweise und meine Erfahrungen weitergeben kann. Du scheinst mir einfach würdig zu sein, einige meiner Lebensweisheiten kennen zu lernen, das habe ich schon bemerkt, als du mir zum ersten Mal aufgefallen bist. Vielleicht können sie dir helfen, im Leben voran zu kommen." Langsam nickte der. "Ja, Oberst. Ich danke Ihnen. Sie haben mir eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben." Lächelnd sagte der Oberst mit einer Geste in Richtung Tür: "Geh jetzt. Weihnachten sollte man besinnlich verbringen. Und mit den Gedanken bei der Familie. Geh in dein Zimmer und schreibe deiner Mutter. Dein Vater muss dich nicht interessieren, aber ihr schuldest du Respekt, denn sie hat dich zumindest ernährt und gekleidet. Sage ihr, dass du deinen Weg gefunden hast. Hast du doch, oder?" "Ja, Oberst. Ich habe ein Zuhause gefunden, eine Arbeit und eine Zukunft." Er erhob sich langsam und verließ schweigend den Raum. Obwohl er eigentlich hatte schlafen gehen wollen, setzte er sich an seinen kleinen Schreibtisch, nahm ein Blatt Papier, einen Stift und fing an, seiner Mutter zu schreiben. Zwei Jahre, nachdem er sie verlassen hatte, dachte er wieder an sie. Anfangs wusste er nicht, was er schreiben sollte, doch dann schrieb er genau das, was ihm der Oberst indirekt gesagt hatte. Er erzählte ihr, was er so erlebt hatte, wo er jetzt war, was er tat und wie viel Verantwortung seine Arbeit mit sich brachte. Er schrieb, dass es ihm gut ging und dass er gefunden hatte, was er sich immer erträumt hatte. Dann dankte er ihr ausführlich für ihre Mühen und Opfer und bat sie, zurück zu schreiben und ihm mitzuteilen, wenn sie etwas brauchte. Zuletzt wünschte er ihr eine besinnliche Zeit. Auf die Idee die wenigen Kilometer nach München zu fahren und sie zu besuchen, kam er nicht. Er wollte seinen Vater nicht sehen und eigentlich wollte er auch sie nicht sehen. Er hatte keine Sehnsucht, aber Respekt und das nicht erst, seit der Oberst ihn daran erinnert hatte. Zwei Wochen später kam die Antwort seiner Mutter. Gerrit merkte, wie er beim Öffnen des Briefes zitterte. Aber seine Aufregung verschwand beim Anblick der gleichmäßigen Buchstaben. Es schien ihr zumindest körperlich besser zu gehen. Leise murmelnd las er, was sie ihm geschrieben hatte:
"Mein kleiner Junge, ich war so glücklich, als ich deinen Brief in den Händen gehalten habe. Ich frage mich, wer dich wohl dazu gebracht hat, ihn zu schreiben. Es muss ein guter Mensch sein. Du solltest mehr auf ihn hören. Ich freue mich sehr, dass du deinen Weg gemacht hast. Natürlich hatte ich Angst um dich, wie wohl jede gute Mutter es hätte. Aber ich war mir immer sicher, dass du es schaffst, deine Ziele zu erreichen. Denn sie waren einfach. Du hast dir immer eine sichere Zukunft gewünscht. Hoffentlich hast du sie wirklich gefunden, denn die Zeiten sind alles andere als sicher. Ich muss dir noch eine Nachricht überbringen, die dich hoffentlich so wenig berührt wie mich. Dein Vater ist vor einem Jahr gestorben. Halte mich nicht für kalt und undankbar, aber ich habe meinen Mann im Krieg verloren. Der Mann, der zurück kam, war für mich immer ein Fremder. Seit er nicht mehr ist, kann ich gut von meinem Geld leben. Ich muss nicht einmal mehr so hart arbeiten und mir geht es viel besser als früher. Ich brauche deine Hilfe nicht, mein Sohn. Mir geht es gut. Jetzt da ich weiß, dass du lebst und gesund bist, ist mein Leben perfekt. Erinnerst du dich an den Hausmeister unseres Hauses? Er ist Witwer, sehr nett, nicht reich, aber auch nicht bettelarm und er umwirbt mich seit einiger Zeit. Ist es eine Schande, diesem Werben nachzugeben und etwas Glück zu finden? Nur ein wenig, für die restlichen Tage meines Lebens? Schreib mir mal wieder, wenn es deine Zeit zulässt, Gerrit. In Liebe
Mama."
Gerrit wischte sich über die Augen. Keine der Tränen galt seinem Vater, es waren Freudentränen, die er für sich und seine Mutter vergoss. Dann schrieb er ihr einen kurzen Brief zurück. Nur eine einzige Zeile: "Greif dein Glück mit beiden Händen und halte es fest, Mama."
Nachdem er den Kontakt zu seiner Mutter herbestellt hatte, hielt er ihn auch aufrecht. Da sein Vater nicht mehr lebte, waren die Briefe sehr offen und liebevoll und was er zurück bekam, füllte die Leere in ihm aus, die sein Beruf und sein neues Zuhause nicht ausfüllen konnten. Dies erzählte er auch dem Oberst und bedankte sich für die fast dienstliche Anweisung, den Weihnachtsbrief zu schreiben. Der nahm die Entwicklung mit einem milden Lächeln zu Kenntnis und kommentierte den guten Kontakt zwischen Gerrit und seiner Mutter mit den passenden Worten: "Beruf ist eben nicht alles."
Ein klasse Teil!!! Echt super, das Gerrit wieder in Kontakt mit seiner Mutter ist!!! Der Oberst ist ein netter Menscht, seine kleine Geschichte erklärt sehr viel... Ich bin mal gespannt, wie du weiter schreibst und was noch passiert!!!! Freue mich schon auf einen neuen Teil!!!
Sowas in etwa . Danke euch für die Kommis und natürlich fürs Lesen der Story.
Kapitel 9 - Verrat
Die Zeit rann dahin, unerbittlich, unaufhörlich. Und überall machte sich der Krieg mehr oder weniger bemerkbar. In der Stadt vor allem durch zwei Dinge. Die immer stärker werdende Präsenz von Anhängern der NSDAP und aller anhängender Gruppierungen, damit verbunden auch die Verbreitung von deren Gedankengut bis in die verborgensten Winkel der Häuser. Und zum zweiten eine leichte Mangelwirtschaft, da die Truppenversorgung natürlich gewährleistet werden musste. Solange der Krieg für Deutschland gut lief, war es zu verkraften. Erst als das Land mehr und mehr an Boden verlor, als die ersten Rückschläge kamen, griff man auf Reserven in den Städten zurück. Reserven, die inzwischen aber woanders gebraucht wurden, nämlich um die Bevölkerung zu versorgen und zu ernähren. Vor allem für die, die am Rand der Gesellschaft standen, wurde es immer gefährlicher und immer ärmlicher. So ging es auch der Familie Rietz. Natürlich waren die Stadtoberen interessiert am Privatvermögen der halbjüdischen Familie, aber da Jürgen Rietz aus seiner Firma einen guten Gewinn abschöpfte und so regelmäßig eine Menge Steuern zahlte, nahmen sie die regelmäßigen Gelder lieber als einmal etwas mehr zu bekommen und dann den Geldfluss versiegen zu sehen. Als mit der Zeit immer mehr Geschäftspartner aus Angst vor Anfeindungen zurück traten und die geschäftlichen Beziehungen verweigerten, so dass der Gewinn im Laufe der Monate immer mehr sank, änderte sich die Haltung der Obrigkeit. Im Februar 1941 war es dann vorbei mit dem Glück. Die Stadt konfiszierte das gesamte Privatvermögen und ließ der Familie nur das Haus. Und dafür mussten sie noch dankbar sein, das wussten sie. Bekannten und Freunden war es schlechter ergangen, viele waren verhaftet worden und saßen nun in Lagern, ohne Anklage, ohne Verhandlung und ohne die Hoffnung, je wieder frei zu kommen. Während Jürgen Rietz sich eine ganze Weile seiner Verzweiflung hingab, kümmerte sich dessen Frau weiterhin um die Kinder von Sandra Vukovic, die vor einem halben Jahr an einer Lungenentzündung gestorben war. Branco hatte unter dem Tod seiner Mutter sehr gelitten, vor allem weil sie hätte gerettet werden können. Die arischen Ärzte hatte sich aber geweigert und die jüdischen, die noch in der Stadt lebten, hatten nicht die Medikamente gehabt, die nötig gewesen wären. Alex versuchte, ihren Freund so gut wie möglich zu trösten, ließ ihn aber gern laufen, als der sich aus Wut und Verzweiflung immer mehr der kommunistischen Untergrundgruppe zuwandte. Sie selber war seit vielen Monaten aktiv von früh bis spät damit beschäftigt, Flugblätter zu entwerfen, zu drucken und auch zu verteilen. Aufmerksamkeit erregen, Verbrechen des Regimes anprangern und Widerstand schüren, waren die Hauptziele der Gruppe. Das Problem war nur, dass die Obrigkeit inzwischen sehr aufmerksam geworden war und Mitglieder der Gruppe bereits in Haft saßen. Zum Glück hatten sie bei den Verhören bisher geschwiegen, denn im Geheimquartier war die SS noch nicht aufgetaucht. Im Moment stand eine große Aktion bevor, denn in Berlin fand gerade ein Parteitag statt und alle Augen und Ohren waren für kurze Zeit weg von den eigenen Problemen und auf die Politik hin gerichtet. Jetzt konnte man Wahrheiten in die Köpfe von Menschen bekommen, die sich sonst nicht für das interessierten, was außerhalb ihrer eigenen vier Wände passierte und lieber den Kopf in den Sand steckten, um ja nicht zuviel mitzubekommen. Alle Mitglieder der Gruppe arbeiteten fleißig, druckten im Akkord und gingen die Verteilungsgebiete durch. Universitäten, Fabriken, Bibliotheken, überall wo gebildete Menschen waren, wollten sie ihre Botschaften loswerden. Branco kniete sich jetzt sehr in die Arbeit und hatte kaum noch Zeit für seine Freundin. Als sie sich leise und nicht ganz ernst gemeint bei ihm darüber beklagte, winkte er ab. "Alex, sei nicht sauer. Ich brauche die Arbeit im Moment einfach, sonst muss ich nur an Mama denken. Außerdem bekommen wir hier wenigstens noch einige Nahrungsmittel. Einen bezahlten Posten haben wir beide nicht, ich komme mir total nutzlos vor." "Ich weiß. Trotzdem würde ich gern mal wieder einen Abend mit dir verbringen." Er hielt kurz inne und legte den Stapel Flugblätter weg, die er in den Händen gehalten hatte. Dafür nahm er ihre Hände und streichelte sie sanft. "In zwei Monaten sind wir verheiratet und dann werde ich mir für meine Frau auch ganz viel Zeit nehmen. Versprochen." "Ganz ehrlich?" Sie lächelte leicht. "Ja, ganz ehrlich." Nach einem flüchtigen Kuss kümmerte er sich wieder um seine Arbeit und auch Alex ging den anderen Mitgliedern zur Hand. Dabei fiel ihr auf, dass jemand fehlte. "Wo steckt eigentlich Gustav?", fragte sie in die Runde. "Der hat sich doch jedes Mal vor Angst fast in die Hosen gemacht, wenn wir Flugblätter verteilen haben. Ich denke mal, die Sache ist ihm zu heiß geworden." Gerda, eine alte Dame, die immer wieder mit Kaffee, Schnittchen und gutem Rat aushalf, lächelte Alex zu. Einige andere nickten zustimmend. In dem Moment als die Tür zu dem alten Kellerraum krachend aufgebrochen wurde und eine Welle schwarz uniformierter Männer unter lautem Gebrüll hereinstürmte, wussten sie, dass Gustav einen guten Grund hatte, heute nicht hier zu sein. Mit brutaler Härte gingen die Männer gegen die Landesverräter vor, als sie diese festnahmen, ins Gefängnis brachten und kurzen Verhören unterzogen. Da die Stadt im Moment auch so genug zu tun hatte, die Gerichte eh schon überlastet waren, wurden die Menschen zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt und in Gefängnisse verbracht. Die Leiter der Gruppe, zu denen auch Alex und Branco inzwischen zählten, wurden in ein Lager außerhalb der Stadt geschickt, ein Arbeitslager mit dem schönen Namen 'Silberhöhe'.
Oh, jetzt treffen die zwei Handlungen und so auch Alex und Gerrit wahrscheinlich wieder aufeinander... Ich finde es super, dass deine Story gleichzeitig spannend und informativ ist! (Da mein Geschichtelehrer drei Jahre lang meist jedes Jahr den selben Stoff gemacht hat...) Lg
Ein klasse Teil!!! Ich bin mal gespannt, was jetzt passiert... Wie Gerrit reagiert ... Das ist total spannend.... Du hast den Teil wieder super klasse geschrieben!!!! Wirklich spitze!
Ich danke euch beiden. Dass das Treffen von Alex und Gerrit nicht schön wird, muss ich nicht extra erwähnen, oder?
Kapitel 10 - Lehrgang in Berlin
Vor zwei Wochen war Oberst Naseband zu Gerrit gekommen und hatte ihm die Einladung zu einem Fortbildungslehrgang gegeben. Dass ihm dieser Lehrgang in Berlin so viel bringen würde, hatte er nicht erwartet, aber etwas Abwechslung war doch angenehm. Also war Gerrit gefahren. Beeindruckt von dieser Weltstadt hatte er sich durch die zwei Wochen treiben lassen und es genossen, mal nicht arbeiten zu müssen. Was den Inhalt des Lehrgangs anging, waren es Parolen. Stupide Parolen, die er noch aus der Schule kannte. Er sah keinen Sinn darin, sich im Unterricht besonders hervorzutun und saß deshalb die Zeit nur ab, bis er endlich wieder hinaus konnte. Er besuchte abends oft Bars, wo Musikkapellen spielten oder eines der zahlreichen Lichtspielhäuser. Begeistert schaute er die Filme, die die Menschen der Stadt ein wenig von den alltäglichen Sorgen ablenken sollten. Stundenlang lief er durch die Stadt an der Spree und entspannte sich. Er konnte sich ein Leben in so einer Stadt gut vorstellen. München kam ihm gegenüber Berlin klein und dunkel vor. Nach den zwei Wochen saß er im Zug zurück zu seiner Arbeit und er bedauerte das wirklich. Der einzige Mensch, auf den er sich freute, war der Oberst. Er hatte dem Mann eine hübsche Pfeife als Geschenk gekauft, ein Dank, weil der ihn hatte fahren lassen und ihm damit die Möglichkeit gegeben hatte, einmal einen anderen Teil seiner Heimat kennen zu lernen. Gedankenverloren sah er aus dem Zugfenster, als der Zug langsam in den Bahnhof von München einrollte. Seufzend bereitete er sich auf die Arbeit vor, die er heute noch erledigen musste. Es war viel und er war sehr erschöpft von der Reise. Am liebsten würde er gleich ins Bett fallen, aber seine Pflichten konnte er förmlich rufen hören.
Auf der Ladefläche eines Lastwagens sitzend, bewacht von schwer bewaffneten Männern, blickten sich Alex und Branco schweigend an. Beide waren froh, dass der jeweils andere überhaupt noch am Leben war, denn in dem Moment als der Keller gestürmt worden war, hatten sie sich aus den Augen verloren. Branco hatte damals befürchtet, seine Freundin nie wieder zu sehen. Jetzt, auf dem Weg in ein Arbeitslager, wünschte er sich, seine Befürchtungen hätten sich bestätigt. Er hatte über solche Lager viel gehört und hoffte, dass vieles davon nur böse Gerüchte waren. Als er den Stacheldrahtzaun, die Wachen und die schmalen Gefangenen sah, erkannte er die Wahrheit. Seine Befürchtungen wurden übertroffen und Alex hier zu wissen, war grausam. Er würde sie täglich sehen, aber ob er die Möglichkeit haben würde, auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln, stand in den Sternen. "Runter, ihr rotes Pack, los", donnerte eine Stimme, nachdem der Wagen angehalten hatte. Alex und Branco sahen sich verwirrt an, dann den Offizier. Der erwiderte ihren Blick kurz, bis er sich mit einem bösen Grinsen abwandte. 'Robert', dachte Branco entsetzt. Robert Ritter tat hier Dienst. Dies war die Hölle. Es musste einfach die Hölle sein. Er war sich sicher, dass Gerrit nicht weit sein konnte, wenn sein Lakai hier war. Wie würde der auf ihn und auf Alex reagieren? Langsam bekam er es mit der Angst zu tun, denn hier konnte er nicht einmal vor den Grausamkeiten seiner ehemaligen Klassenkameraden davonlaufen. Er und auch Alex waren ihnen hilflos ausgeliefert. Die Gefangenen wurden nach Geschlechtern getrennt, Robert kümmerte sich nicht weiter um die Frauen, was Branco mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. Dann bekamen alle ihre Anstaltskleidung, die sie zur Belustigung der Wachen auf dem Hof anziehen mussten. Zuletzt wurden ihnen die Haare geschoren. Mit knappen Anweisungen wies man ihnen ihre Baracken zu, dann war die Aufnahmeprozedur vorbei. Es gab keine Erläuterungen der Richtlinien, diese würden erst am nächsten Tag folgen, da der Leiter der Wachen heute nicht im Lager war. Alles hatte nicht länger als eine Stunde gedauert. Dass Branco Roberts Blick diese Stunde ausgeliefert war, hatte es zu einer Tortur werden lassen. Der ließ auch nicht lange auf sich warten, als Branco in der leeren Baracke saß. Die anderen Häftlinge waren arbeiten. Robert betrat langsam den Raum und zog die Tür hinter sich zu, zwei weitere Männer blieben vor der Tür stehen. "Hallo, Branco. Ich dachte zuerst, ich gucke nicht richtig. Aber du bist es wirklich." Er kam immer weiter auf ihn zu. "Steh gefälligst auf, wenn ich mit dir rede." "Vergiss es. Dann falle ich nur tiefer." Er schluckte und deutete auf den Schlagstock in Roberts Hand, mit dem dieser sich leicht gegen den Oberschenkel tippte. "Hast du Angst vor mir?" "Natürlich habe ich Angst, aber nicht vor dir, sondern vor deiner Waffe, ohne die du dich nicht an mich rantrauen würdest. Hättest du an meiner Stelle auch." Robert lachte. Er stand jetzt genau vor Branco und zog ihn derb auf die Füße. "Ich wusste immer, dass du einmal genauso ein Verräter werden würdest wie dein alter Herr." "Lass meinen Vater da raus." Der Schlag in den Magen ließ ihn in die Knie gehen. "Mein Vater ist ein Held. Er denkt selber." Langsam stemmte er sich wieder hoch, sein Atem ging keuchend. "Dein Vater ist ein Arschloch. Und ein Verräter. Verrecken soll er." Wieder schlug er hart zu. "Besser ein Verräter als ein Feigling", brachte Branco mit Mühe hervor, verwundert über seine eigene Courage, die er im selben Moment bitter bezahlte, als Robert mit Wucht auf ihn einprügelte und trat. Seine anfänglichen Schmerzensschreie drangen bis an die Ohren der Wachen vor der Tür, die dieses Willkommenheißen von Robert mit einem gehässigen Lachen und dummen Sprüchen quittierten. Als Robert sich wieder etwas beruhigt hatte, blickte er auf das Bündel vor seinen Füßen. "Das war nur ein Vorgeschmack, mein Lieber. Morgen kommt Gerrit zurück. Er wird dir sicher auch 'Hallo' sagen wollen. Er ist übrigens der Kommandant der Wachen in diesem Lager." Branco hustete, Blut quoll aus seinem Mund. Eine weitere Reaktion kam von ihm nicht. "Mehr hast du nicht zu sagen? Schade. Naja, egal. Ich gehe jetzt. Du wirst morgen in deinem Bett bleiben, nicht dass ich wegen deiner paar Schrammen noch Ärger bekomme. Wage dich ja nicht vor die Tür, sonst bring ich dich um." Sein fiesestes Lächeln zuckte über sein Gesicht, als er sich umdrehte. "Morgen knöpfe ich mir mal eine der neuen Damen vor. Eigentlich habe ich jetzt schon Lust auf sie, aber man soll sich die Geschenke ja einteilen, die das Leben einem überreicht." Die Angst um sich hatte Robert ihm gerade aus dem Leib geprügelt. Es konnte für ihn nicht schlimmer werden, was sollte man ihm hier noch antun? An die Schläge würde er sich gewöhnen. Aber die Angst um seine Freundin brach jetzt mit Macht aus ihm hervor. Er fing an zu zittern als er an sie dachte, Tränen standen in seinen Augen. Er wusste, was Robert vorhatte und dass er nichts, aber auch gar nichts dagegen tun konnte, war schlimmer als alles, was man je mit ihm machen konnte. Mühsam stemmte er sich ein Stück hoch und überlegte, ob er sich Robert entgegen stellen sollte, wenn der sich für Alex entschied. Er mochte die Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht ziehen, es war einfach zu schlimm, sich das vorzustellen. Mit dem Oberkörper hing er auf seinem Bett, den Geruch nach Schweiß, Blut, Krankheit und Tod in der Nase, den die Decke verströmte. Seine Gedanken rasten, suchten einen Ausweg. Nicht für sich, sondern für sie, für die Frau, die er mehr liebte als sein eigenes Leben. Man würde ihn einfach erschießen, wenn er etwas unternahm. Das war ihm klar und es war ihm egal. Aber leider würde dabei nicht mehr als das herauskommen. Die Kugel schien ihm eine einfache Möglichkeit zu sein, den Qualen des Lagerlebens zu entgehen, aber auch die feigste. Seine Hand kraftlos in die dünne Decke gekrallt, rutschte er schluchzend und ganz plötzlich von Schmerzen überwältigt, auf den schmutzigen Boden zurück, wo er zusammengekrümmt liegen blieb.
Na mal sehen wie Gerrits Begrüßung im Gegensatz zu Roberts sein wird.... Bin mal echt gespannt, wie Gerrit reagiert, wenn Robert sich Alex für seine Freuden aussucht... Echt klasse geschrieben der Teil!!! Bin echt gespannt, wie es weiter geht!!!