Da hatte Robert mal glück und für Gerrit, Branco und Alex kam auch noch Pech dazu... So ein mist... Bin mal gespannt, was Robert sich jetzt einfallen lässt.... Bitte schreibe schnell weiter!!! Lg
Sorry an die Robert-Fans noch mal. Aber einer musste eben der Fiesling vom Dienst sein. Danke für die Kommis und für das Interesse.
Kapitel 17 - Schicksalstag
Gerrit wachte am Morgen mit einem unheimlich schlechten Gefühl im Bauch auf. Wenn er einfach liegen blieb und so tat, als wäre er krank, dann würde nichts geschehen. Seine Wachen würden keinen Ärger bekommen, er hätte weiterhin sein stabiles Leben. Branco würde die Haft überleben und irgendwann wieder frei sein. Und Alex? Das neue Haus war fast fertig. Sie würde sterben, noch in diesem Jahr. Langsam schlug er die Decke zurück und erhob sich. Waschen, rasieren, anziehen. Alles ging schleppend, als würde ihn innerlich etwas bremsen. Und doch war er genauso schnell fertig wie sonst. Er sah in den Spiegel, schloss kurz die Augen und drehte sich dann mit einem Ruck zur Tür herum. Als er sie öffnete, erwartete er etwas. Was genau, konnte er nicht sagen, aber so aufgewühlt, wie er innerlich war, musste draußen einfach etwas auf ihn warten. Aber hier war nichts. Einige Gefangene waren bereits aufgestanden und vertraten sich die Beine. Die Hunde liefen zwischen den Zäunen hin und her. Es war Wachwechsel, einige Wachleute begaben sich müde in ihre Betten, andere fast genauso müde zum Dienst. Sie grüßten Gerrit, als sie ihn sahen und widmeten sich wieder ihrer Arbeit. Alles war normal, alles war ruhig, nur in ihm tobte nach wie vor ein Sturm. Langsam ging er in das Büro seines Vorgesetzten, der dort hinter seinem Schreibtisch saß, so wie jeden Morgen. Sie gingen kurz die Dienstpläne durch und Michael erkundigte sich, warum Gerrit den Gefangenentrupp zur Heuernte selber begleiten wollte. Mit der Begründung, dass er einfach mal wieder raus musste, war er zufrieden. Er sah sich die Gefangenen an, die Gerrit eingeteilt hatte und stutzte erneut. "Alexandra Rietz, Branco Vukovic? Wir brauchen sie hier, nicht draußen auf den Feldern." "Sie haben mich schon lange gebeten, mal wieder mit raus zu dürfen. Ich dachte, beim Heu machen und reinholen kann nicht viel passieren." Er hatte das Gefühl, sein Gesicht würde glühen, aber anscheinend sah er normal aus. Denn der Oberst nickte und senkte den Blick. "Gut. Pass auf, dass ihnen nichts passiert. Sie haben noch die ganzen Abschlussberechnungen zu machen und die Vorplanung für das nächste Jahr. Das ist viel Arbeit." "Ich möchte auch nicht plötzlich noch neue Leute anlernen müssen, keine Sorge." Michael nickte. "Gut, dann haben wir uns ja verstanden." Gerrit stand auf, verabschiedete sich und verließ das Büro. Ungläubig ging er zu den Gefangenenbaracken hinüber. Nichts, Oberst Naseband hatte keinen Verdacht geschöpft. Das war doch unmöglich. Der Mann hatte ihm von Anfang an tief in die Seele geblickt, immer sofort gemerkt, wann etwas nicht stimmte, wann er andere belog oder sich selber. Aber dieses Mal, wo Gerrit dabei war, alles zu verraten an was er glaubte, dieses eine Mal merkte der Mann es nicht. So in Gedanken versunken kam er an Baracke zwei an. Dass Robert über den Hof zum Büro des Oberst schlich, bekam er nicht mit.
"Herein." Oberst Naseband hob den Blick und sah Robert kurz an. "Was gibt es? Ich habe viel zu tun, Ritter." Robert merkte den Unwillen des Mannes, ihn anzuhören. "Es tut mir leid, dass ich störe, aber es ist wichtig. Traurig, aber sehr wichtig." Jetzt hatte er die volle Aufmerksamkeit des Mannes. Er strafte sich. "Gerrit plant, einigen Gefangenen die Flucht zu ermöglichen. Ich habe ein Gespräch in diese Richtung belauscht." "Das kann nicht wahr sein." Der Mann richtete sich langsam auf. "Loyalität, Respekt, kennst du diese Wörter?" "Ja, Oberst." Robert war irritiert. "Weißt du eigentlich, wo du wärst, wenn du Gerrit nicht hättest? Denk ja nicht, ich hätte nicht schon längst gemerkt, dass du auf seinen Posten aus bist. Ich habe Gerrit immer vor dir gewarnt, aber er glaubte ja an eure Freundschaft. Du solltest dich schämen. Hast du einen Beweis, einen objektiven Beweis für deine Anschuldigungen?" "Nein, Oberst." "Raus hier." "Oberst…" Das Gesicht des Mannes war rot. "Raus." "Wenn Alex und Branco heute Abend weg sind, werden Sie sehen, dass ich Recht hatte." Damit drehte er sich um und ging zur Tür. "Moment." Langsam drehte er sich um. "Ja, Oberst?" Dessen Blick war vollkommen irritiert. Er setzte sich und nahm wieder die Liste zur Hand, wo die Gefangenen aufgelistet waren, die Gerrit zur Heuernte mitnehmen wollte. Es waren nur zehn Gefangene, deshalb nur drei Wachen und eine davon war Gerrit. "Wieso sollte Gerrit alles aufs Spiel setzen, nur für diese zwei Menschen?" "Branco ist ihm scheißegal. Es geht ihm um Alex. Er liebt sie, immer noch. Sie waren jahrelang zusammen." "Aber sie ist doch fast mit diesem Branco verheiratet? Wieso sollte Gerrit den beiden helfen? Dann verliert er sie doch auf jeden Fall." "Weil er Branco aus irgendeinem Grund vertraut. Er hasst ihn, verabscheut ihn, aber gleichzeitig vertraut er ihm blind. Denn auch Branco würde alles für Alex tun." Robert sah aus, als sei ihm schlecht. "Beide sind krank vor Angst, dass die Frau bald in der Gaskammer enden wird, wo sie auch hingehört. Gerrit hat es ihnen verraten." "Deine Meinung ist mir egal." Oberst Naseband legte die Handflächen gegeneinander und presste hart die Lippen zusammen. "Branco weiß von der Gaskammer und soll es keiner weiteren Person in diesem Lager verraten haben?" Wieder schwieg er kurz. "Ich glaub dir nicht. Ich will dir nicht glauben, denn dann hätte ich mich in Gerrit komplett geirrt und das würde bedeuten, ich bin auf meinem Posten vollkommen falsch. Denn Menschenkenntnis ist eine Grundvoraussetzung, um so ein Lager zu leiten." "Oberst, diese Frau hat Gerrit den Kopf verdreht. Sie hat ihn eingewickelt, wie eine Spinne die Fliege. Wenn sie weg ist, wird er wieder ganz normal sein. Er ist mein Freund und ich möchte ihn vor einem schlimmen Fehler bewahren." Die blauen Augen des Oberst musterten ihn kühl. "Du lügst. Und das sehr schlecht. Ich kann Gerrit nicht einfach so sagen, er soll hier im Lager bleiben, denn ich belüge niemanden. Du wirst dir zwei Leute nehmen und ihm unauffällig folgen. Es ist ein Wald direkt neben der Wiese, versteckt euch dort und sorgt dafür, dass erstens niemand flieht und zweiten niemand euch sieht. Solltest du dich irren, wirst du noch heute deine Koffer packen und dieses Lager verlassen. Die andere Möglichkeit möchte ich mir gar nicht vorstellen, denn die brächte für uns alle riesigen Ärger."
Die zwei Wachen, die Gerrit begleiten würden, waren junge Männer, die gerade von der Schule hierher gekommen waren. Sie würden nicht so schnell reagieren, dass sie ihn gefährden konnten. Branco und Alex würden schneller weg sein, als die zwei gucken konnten. Er würde die Wachmänner so lange in Schach halten und danach ebenfalls fliehen. Die Wachen würden damit zu tun haben, die anderen Gefangenen zusammen zu halten und hatten damit keine Zeit, ihn zu verfolgen. Alles war durchdacht, alles geplant, alles schien recht einfach. Er ging in Gefangenenbaracke 2 und rief die Namen der sieben Männer, die er mitnehmen wollte. Branco sah er nicht einmal an. Die Männer folgten ihm zur Bracke 4. Dort holte Gerrit die drei Frauen ab. Alex reihte sich hinter den Männern ein. Gerrit sah den Blick, den Branco und Alex sich zuwarfen, sehnsuchtsvoll und voller Angst. Er sah, wie Branco ihr zunickte. Dieser Blick tat ihm weh, so wie jeder, den die beiden miteinander wechselten. Sich vorzustellen, wie sie glücklich miteinander alt wurden, brach ihm fast das Herz. Seufzend straffte er sich. "Also los, Leute. Das Wetter ist gut und wir müssen heute fertig werden." Sie nickten leicht. Gerrit wand sich um und ging vor, verließ mit den Gefangenen den Hof und lief dann Richtung Süden an einem kleinen Wäldchen entlang. Gedankenverloren lief er langsam den Weg entlang, ging noch einmal seinen Plan durch. Die anderen Gefangenen waren allesamt verängstigte Hasenfüße. Keiner von denen würde auch nur einen Finger regen, wenn etwas geschah. Sie würden nur die Köpfe einziehen und warten, dass alles wieder ruhig war. Er hatte genau solche Leute ausgewählt, damit niemand auf die Idee kam, ihn aufzuhalten, Alex und Branco zu verraten oder sich gegen die zwei verbleibenden Wachen zu wenden. Er wollte kein Blutvergießen, weder bei seinen Leuten, noch bei den Gefangenen. Immer wieder rieb er sich die Hände, die schweißnass und gleichzeitig eiskalt waren. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und sein Magen zog sich regelrecht zusammen. Er konnte nur ahnen, wie Branco und Alex sich in diesem Moment fühlen mussten. Vor allem Alex verging wahrscheinlich vor Angst. Er hielt in seinen Gedanken inne. Alex hatte er von seinem Plan nichts erzählt und sie wirkte auch ziemlich gelöst und ruhig, sah man von der allgegenwärtigen Sorge ab, die die Gefangenen immer zu umgeben schien. Er sah sich noch einmal um, schaute dann kurz Branco fragend an. Der schüttelte leicht mit dem Kopf. Er hatte sie also nicht eingeweiht, um sie nicht zu beunruhigen. Sein Blick richtete sich wieder nach vorn. Hoffentlich würde alles gut gehen.
Der Tag verging mit relativ leichter Arbeit. Die Gefangene wendeten das Heu, konnten sich dann ausruhen. Sie saßen in kleinen Gruppen zusammen und redeten. Alex und Branco nutzen die Chance, ein wenig Zeit miteinander verbringen zu können. Sie lagen auf der Wiese, redeten leise und schliefen noch etwas. Gerrit hielt sein Gewehr in den Händen und saß mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt. Er grübelte, als er hinter sich ein Knacken hörte. Hastig drehte er sich um, sah im Unterholz aber nichts. Wahrscheinlich war es nur ein Tier gewesen. Er atmete tief durch und versuchte, sich etwas zu beruhigen. Wenn er seine Nerven nicht in den Griff bekam, würde er noch alles kaputt machen.
Gegen Nachmittag harkten die Gefangenen das Heu zusammen und luden es auf zwei bereitstehende Wagen. Gerrit sah in die inzwischen recht blasse Sonne. Es war jetzt ungefähr fünf Uhr. Die Wachen dösten in der Sonne, sahen Gerrit an, als der an ihnen vorbei lief. Als Gerrit ihnen die Gewehre entriss, wurden ihre Blicke verständnislos, aber sie taten nichts. "Tut mir leid, Leute. Bleibt ruhig, dann passiert euch nichts." Die Männer starrten ihn entsetzt an, blieben aber sitzen. Die Gefangenen schauten sich das Schauspiel interessiert an, aber niemand unternahm einen Versuch zu fliehen. Ihnen war die lockere Gefangenschaft lieber als ein Leben auf der Flucht. Branco zog Alex hoch. Er sah Gerrit kurz an und nickte ihm zu. "Komm, Alex, weg hier." "Aber, Gerrit…" Verwirrt schaute sie ihn an, dann ihren Freund, der sie zum Waldrand zog. Sie verstand nicht, was vor sich ging und vor allem verstand sie nicht, warum Gerrit ihnen half. Branco erklärte es ihr flüsternd und in kurzen Worten. Ihr Gesicht wurde aschfahl. Gerrit sah ihnen kurz nach und ging langsam rückwärts, ebenfalls in Richtung Wald. "Lasst eure Revolver stecken. Kümmert euch um die Gefangenen und meldet dem Oberst, dass ich euch überwältigt habe. Ihr bekommt sicher keinen großen Ärger." Die Wachmänner waren immer noch zu verblüfft, um großartig zu reagieren. Sie nickten nur leicht und hielten die Hände in die Luft gestreckt. Bis Alex plötzlich aufschrie. Gerrit fuhr herum und erfasste eine Szene, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Branco stand mit erhobenen Händen vor zwei Wachleuten, Alex hing mit schreckensgeweiteten Augen in Roberts Griff, der ihr eine Waffe gegen den Kopf hielt. Er grinste sie an. "Danke, Alex. Ich danke dir von ganzem Herzen. Seit du ins Lager gekommen bist, wusste ich, du bist meine Fahrkarte nach ganz oben." Er stieß sie rüber zu einem der Wachmänner, der sie grob festhielt. Gerrit hatte noch immer seinen Revolver in der Hand und nach vorn gerichtet. Aber die Hand mit der Waffe zitterte. Gedanken jagten durch seinen Kopf. Er konnte es nicht fassen, was er sah. Die ganze Planung, alles war umsonst gewesen. Und nicht nur das. Man hatte sie gefasst, erwischt. Dieser Moment war sein Untergang. Seiner und der von Alex. Er konnte nicht mehr klar sehen, als Tränen seinen Blick trübten. Seine überspannten Nerven drohten ihm vollkommen den Dienst zu versagen. Und Robert tat das, was Michael vor langer Zeit voraus gesagt hatte. Er trat nach. "Och, was hast du denn, Gerrit? Sei nicht traurig. Einmal gewinnt man, einmal verliert man. Und du hast heute verloren. Und zwar alles." Er lachte dreckig. "Der Oberst wollte mir erst gar nicht glauben. Aber jetzt muss er es. Alle hier können bezeugen, dass du ihnen geholfen hast. Das wird natürlich die beiden nicht vor einer Strafe schützen." Wieder dieses Lachen, was Gerrits eh schon dünnes Nervenkostüm noch mehr anspannte. "Um Alex Bestrafung kümmere ich mich ganz persönlich, glaube mir. Dich wird man wegen Hochverrats hängen und sie wird leiden. Jeden verdammten Tag bis sie eines Tages qualvoll sterben wird." "Du Mistkerl", flüsterte Gerrit. Seine Stimme zitterte vor unkontrollierbarer Wut. Wieder fühlte er den Revolver in seinen Händen. Den Revolver, den Michael ihm damals im Jugendlager gegeben hatte und der jetzt auf den Boden gerichtet war. Hasserfüllt riss er die Waffe wieder hoch. "Nimm die Pistole runter, oder die anderen Wachen durchlöchern dich." Mit einem Mal wurde er ruhig und eiskalt. "Das erspart mir die Verhöre", zischte er, krümmte den Finger und drückte ab. Er sah den Blutschwall, der Robert über den Hals strömte, sah ihn zusammenbrechen und die starren Augen seines ehemals besten Freundes, als dessen Körper auf die Wiese aufschlug. "Du hast immer zuviel gequatscht", sagte er, als ihn zwei Kugeln trafen. Er ließ die Waffe fallen und fasste sich an die Schulter. Die zweite Kugel hatte seinen rechten Oberschenkel erwischt und ließ ihn hart auf die Wiese stürzen. Er lag auf dem Rücken, den Blick in den Himmel gerichtet, als er Alex entsetzten Aufschrei hörte. Sie rief seinen Namen. Er spürte ihre Hände, als sie sich neben ihm ins Gras sinken ließ und über sein Gesicht streichelte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er sie an. Er wollte sich bei ihr entschuldigen, aber in ihren Augen leuchtete so viel Schmerz und auch Vergebung, dass jedes Wort vollkommen überflüssig gewesen wäre. Er hatte alles versucht. Mehr hatte er nicht tun können, das wusste sie. Sein Blick glitt an ihr vorbei und traf auf den von Branco, der ihn traurig und so unendlich hoffnungslos ansah. "Es tut mir leid, dass ich dir die Kindheit zur Hölle gemacht habe. Es tut mir unendlich leid, Branco." Der nickte und schluckte die Tränen hinunter, die in seinen Augen glitzerten. "Du hast viel wieder gut gemacht", presste er mühsam hervor. "Nein. Es war alles umsonst. Ich habe es nur noch schlimmer gemacht", murmelte Gerrit, dann verlor er das Bewusstsein.
Robert dieser Mistkerl,muss alles kaputt machen. Ist Gerrit tot? Oder ist er nur bewusstlos? Werden die 2 gerettet? Oh man, so hippelig war ich lange nicht mehr auf einen neuen Teil.
Der Himmel war blassblau, der Sommer näherte sich dem Ende, das Wetter hatte aber noch nicht auf Herbstanfang umgeschalten. Die Sonne ging langsam auf, kletterte höher und höher, das Blau wurde dunkler, die Temperaturen stiegen. Die Strahlen der Sonne fielen blass ins Zimmer und weckten langsam dessen Bewohner auf. Gerrit wartete auf das Rascheln seiner Mutter, die ihren Morgenkaffee machte, um dann zur Arbeit zu gehen. Er hob einen Arm, der andere wollte nicht so recht, wie jeden Morgen und strich über die Wand, um die alte Tapete zu fühlen, die ihn daran erinnerte, was er im Leben erreichen wollte. Er wollte hier raus. Aber er fühlte keine Tapete. Nur Holzbretter. Die Holzbretter der Baracke, in welche Einzelhäftlinge eingesperrt wurden. In einer der kleinen Zellen lag er jetzt auf einer harten Pritsche und öffnete langsam die Augen. Schmerzen wühlten in seinem Körper. Er hatte Hunger und Durst. Als der Oberst von dem Ausbruchsversuch erfahren hatte, war er außer sich gewesen. Er hatte Gerrit jegliche weitergehende medizinische Versorgung verweigert und ihn hier einsperren lassen. Als man ihn ins Lager geschleppt hatte, war er an ihm vorbei gelaufen, wortlos, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Jahre vorher hatte er Gerrit geschworen, dass der es bitter bereuen würde, wenn er ihn jemals wieder hinterging. Jetzt würde er dafür die Rechnung bezahlen. Und er hatte panische Angst vor dem, was ihn erwartete. Gerrits Gedanken glitten vom vergangenen Tag in Richtung seiner Zukunft. Was würde mit ihm wohl jetzt passieren? Wahrscheinlich würde sich die Gestapo um ihn kümmern. Er hatte Hochverrat begangen und einen Mord und darauf stand der Tod. Man würde ihn hinrichten, die Frage war nur, wie schnell. Er hatte Angst, vor dem Gefängnis, vor den Verhören und vor dem Tod. Über die Gestapo-Befragungen waren Schauergeschichten im Umlauf, die waren nicht von schlechten Eltern. Wenn nur die Hälfte davon wahr war, … Die Eingangstür quietschte und unterbrach seine Gedanken. Oberst Naseband kam herein. Er wies die Wachen an, draußen zu bleiben und schloss die Tür. Er öffnete die Zellentür und blieb neben Gerrits Bett stehen. Der stemmte sich unter Schmerzen hoch bis er schwankend vor ihm stand. "Bist du dir eigentlich bewusst, was du getan hast?" Seine Stimme war leise und hart. "Ja, Oberst." "Nein, das bist du nicht. In einer Stunde werden zwei Gestapo-Beamte hier sein. Sie bringen einen neuen Leiter für das Lager mit. Robert hat sich schon mehrfach über meinen Führungsstil beklagt, Briefe nach München und Berlin geschickt und du hast den Leuten jetzt den Beweis für meine Unfähigkeit geliefert. Ich habe gekündigt und werde in einem Büro in der Stadt arbeiten." Gerrit schwieg. Was sollte er dazu auch sagen? Dieser Mann fiel immer auf die Beine, er würde sich auch weiterhin durchmogeln. Hart biss er die Zähne zusammen, um die Schmerzen ertragen zu können. "Pah." Oberst Naseband lief hin und her. "Du Idiot. Wegen einer Jüdin, wegen einer Frau alles aufs Spiel zu setzen." "Ich liebe sie. Ich bereue es nicht." "Oh, das wirst du noch, mein Junge. Du hast keine Ahnung, wie die Gestapo dafür sorgen wird." Er drehte sich zur Zellentür um. "Oberst, ich bedaure meine Taten nicht, aber es tut mir leid, Sie enttäuscht zu haben." Er hob den Blick, sah wie der Mann sich ihm zuwandt. "Aufrichtig leid." "Du hast alles verraten. Es gab Zeiten, da habe ich mir gewünscht, einen Sohn wie dich zu haben. Heute wäre ich vor Scham gestorben, wenn es so wäre." Gerrit schlug die Augen nieder. Die Worte taten ihm mehr weh als sie sollten, vertrieben sogar für wenige Sekunden die Todesangst, die sein Herz umklammert hielt. Eigentlich war der Mann nur sein Vorgesetzter, oder? Innerlich schüttelte er den Kopf. Oberst Naseband hatte ihm so viel beigebracht, vor allem Selbstbewusstsein. Er hatte ihm gezeigt, dass seine Herkunft unwichtig war, dass er nicht so war wie sein alkoholsüchtiger Vater. Er hatte ihn gefördert und ihm eine Zukunft eröffnet. Er war für ihn wie ein Vater gewesen, auch wenn Gerrit das erst jetzt bewusst wahrnahm. Unnahbar zwar, aber immer beschützend hinter ihm. Und er hatte das mit Füßen getreten. "Ich glaube nicht mehr, dass wir das Richtige tun, Oberst. Wir können diesen Krieg nicht gewinnen. Und unsere Ideologie…" Der Mann sah sich um und winkte dann ab. "Natürlich nicht", sagte er leise. "Aber ich dachte, du hättest gelernt, dass man gut leben kann, indem man mitläuft, ohne sich umzudrehen, ohne Fragen zu stellen." "Ja, Oberst. Aber hier konnte ich nicht zusehen. Nicht dieses Mal." Sein Blick wurde unendlich traurig. "Was wird aus Alex und Branco? Ich habe sie überredet zu fliehen, sie konnten in ihrer Situation überhaupt nicht nein sagen. Das hätte kein Mensch dieser Welt fertig gebracht." "Das sollte nicht deine Sorge sein." Aufgebracht sah der Oberst Gerrit an. "Hast du keine anderen Probleme? Du hast Gefangenen zur Flucht verholfen und du hast Robert erschossen, wobei sich der Verlust für uns in Grenzen hält." "Nein, Oberst. Welche anderen Sorgen sollte ich denn noch haben? Ich kann nicht fliehen, ich habe keine Möglichkeit der Gestapo zu entgehen. Wenn ich die Verhöre überlebe, wird man mich hinrichten, wegen Mordes und Hochverrats. Ich werde gestehen und ihnen sagen, was sie hören wollen, vielleicht geht es dann schneller." Oberst Naseband ging zur Zellentür und öffnete sie. Langsam trat er nach draußen. "Wenn du versuchen würdest zu fliehen, müsste ich dich erschießen." Kurz schwieg er, bevor er leise hinzufügte: "Das ginge am Schnellsten." Damit ging er weiter zur Tür und trat auf den Hof. Er ließ die Wachen abtreten, die Türen ließ er hinter sich offen.
Gerrit schluckte nervös und humpelte hinter ihm her. Durch den Blutverlust, den Durst und die Schmerzen konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Aber er hatte den Wink verstanden und das unglaubliche Angebot, was sein Vorgesetzter ihm hier machte. Folter und ein qualvoller Tod oder ein schneller, den er kaum mitbekommen würde. Der Oberst würde ihn nicht entkommen lassen, dafür war er zu sehr gekränkt, aber er konnte gut zielen. Besser als jeder andere Mann in diesem Lager. Langsam streckte Gerrit den Kopf zur Tür heraus. Sein Vorgesetzter lehnte an seiner Bürotür neben dem Tor, welches ebenfalls offen stand. Die Wachen standen mit versteinerten Gesichtern auf ihren Plätzen, die meisten Gefangenen befanden sich in den Baracken. Alex stand an ihren Freund gelehnt da, das Gesicht in seinen schmutzigen Sachen vergraben. Ihr Schluchzen störte die morgendliche Stille ein wenig. Gerrit schaute an seiner Uniform hinab, die er mit so viel Stolz getragen hatte. Unter Schmerzen zog er sie aus und hängte sie an die Türklinke. Er schaute auf die blutverkrustete Schusswunde in seiner Schulter. Ein glatter Durchschuss. Sein Bein war nur gestreift worden, was ihm jetzt diesen vorgetäuschten Fluchtversuch ermöglichte. Noch einmal überschlug er seine Möglichkeiten und traf dann seine endgültige Entscheidung. Langsam ging er auf das Tor zu. Seine Stiefel knirschten bei jedem Schritt im Schmutz. Ansonsten war es totenstill. Gerrit hatte die Augen starr nach vorn gerichtet, er sah die Torflügel bei jedem Schritt auf- und abhüpfen, während er das Lager durchquerte. Als er an Oberst Naseband vorbei ging, salutierte er kurz. "Gerade, Gerrit. Halte den Rücken gerade und den Kopf oben", sagte der leise und trat dann hinter ihn. 'Sein letzter Befehl an mich', dachte er nickend, straffte sich und ging weiter. Sehr schnell, fast zu schnell erreichte er den inneren Zaun. Einer der Hunde jaulte ihm zu, Gerrit lächelte leicht, streckte seine Hand durch das Absperrgitter und strich dem Tier über den Kopf. Dann richtete er den Blick wieder nach vorn. Er war jetzt kurz vor dem äußeren Zaun, sah vor sich die grünen Wiesen und abgeernteten Äcker. Über ihm flog ein Greifvogel, stieß hinab auf den Acker und flog wieder hoch. Es war ein wunderschöner Anblick. Die Luft dieses Morgens war klar und warm, es würde ein herrlicher Tag werden. Ob so das von der Kirche gepredigte Paradies aussah?
Die Hand des Oberst glitt zu seinem Gürtel, langsam zog er die Waffe und hob sie hoch. Ohne ein Zögern oder Zittern richtete er den Lauf auf das Genick des Mannes, der soeben den zweiten Zaun erreichte. Er sah dessen gerade Haltung, dieses Ziel war leicht zu treffen. Langsam entsicherte er die Waffe.
Gerrit bemerkte nicht, dass er die Grenze des Lagers erreichte und auf den Weg trat, der sich durch die Wiesen und Wälder nach München schlängelte. Er dachte an den Tag, als er hierher gekommen war. Ihm war es damals vorgekommen, als träte er von seiner bunten Kinderwelt in die Welt des tristen Erwachsenendaseins hinüber. Jetzt verließ er sie wieder, kehrte zurück zu den Farben. Er schloss die Augen, atmete den würzigen Duft des Grases und spürte den Wind auf seiner Haut. Den Schuss bekam er nur im Unterbewusstsein mit, ebenso den Schlag gegen seinen Nacken. Er öffnete die Augen, sah die Welt um sich herum verschwimmen. Das Blau des Himmels und das Grün der Wiesen vermischten sich, wurde zum Braun des Weges, welchem er entgegen fiel. Sein Herz blieb stehen und noch ehe sein Körper hart auf den Boden aufschlug, war sein Geist im ewigen Schwarz versunken.
Die Gestapo-Beamten waren ungehalten, dass der Gefangene sich durch einen erneuten Fluchtversuch seinem Verhör entzogen hatte, aber was sollten sie tun? Sie zogen wieder ab, die Akte Gerrit Grass wurde geschlossen. Michael ließ sich auf eigenen Wunsch in ein Büro der SS in München versetzen, wo er Dinge tat, die eigentlich niemand brauchte. Als Deutschland den Krieg verloren hatte, wurde er arbeitslos. Die Alliierten unterzogen ihn Verhören und befragten auch ehemalige Gefangene. Da diese nicht viel Schlechtes über den Mann zu berichten hatten, kam er glimpflich davon. Man verurteilte ihn wegen einiger Körperverletzungen, ließ ihn aber auf Bewährung laufen und kümmerte sich lieber um die richtig dicken Fische. Jahrelang lebte er zurückgezogen, suchte sich wieder eine Arbeit in einem unwichtigen Büro in einer noch unwichtigeren Firma. Erst als er Rentner war, nicht mehr arbeitete und mehr Zeit hatte, fing er an, über frühere Tage nachzudenken. Er besuchte das ehemalige Lager, welches kurz nach seinem Weggang geschlossen worden war. Hier war alles verfallen. Er dachte an den einzigen Menschen, den er in diesem Lager getötet hatte und auch warum. Er wollte sehen, was aus den beiden Menschen geworden war, deretwegen Gerrit damals alles hingeschmissen hatte und zum Verräter wurde. Lange musste er nicht suchen, bis er herausfand, dass man Alexandra und Branco damals nach Dachau gebracht hatte. Das Lager war besser bewacht gewesen und man wollte den beiden jegliche Hoffnung auf eine weitere Flucht nehmen. Er fand einen ehemaligen Wachmann, der sich an die beiden Gefangenen erinnerte. Gegen ein paar Bier erzählte der Mann ihm eines Abends in einer Kneipe, was vor vielen Jahren geschehen war. "Sie kamen getrennt zu uns. Die Jüdin starb bei einem Unfall in der Fabrik, kurz bevor sie an der Reihe war… naja, Sie wissen schon. Der Mann lebte nur wenige Tage länger. Er war die Arbeit nicht gewöhnt. Hat sich gut geschlagen am Anfang, aber als er erfuhr, dass sie tot war, verließ ihn der Wille zu kämpfen. Er weigerte sich zu essen, niemand zwang ihn dazu. Irgendwann ist er vor Schwäche einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Die beiden haben sich nach dem Abtransport aus dem Lager Silberhöhe nie wieder gesehen."
Ende
So, das war meine bisher schwerste Story, wer sich also über das Gesamtwerk äußern möchte, möge dies gern tun. Ich würde mich darüber freuen.
Ich finde, die Geschichte ist Dir von vorne bis hinten einmalig gelungen.
Ich habe sie sehr gerne gelesen, auch wenn ich bis zum Schluss gehofft habe, dass sie alle irgendwie davon kommen. Aber schlussendlich ist der Schluss, den Du gewählt hast, die logische Konsequenz der Geschichte und daher auch stimmig.
Man kann dir zu dieser Story wirklich nur gratulieren. Sie ist einfach fanststisch, gerade weil sie so ein schwieriges Thema behandelt. Es ist dir super gelungen dies in eine sehr gute Handlung um zusetzen.
Nochmals Gratulation und Respekt vor deiner Leistung!!!!!!!!
Ich bin ja nicht so der große Kommentarschreiber... Aber ich muss schon sagen, diese Story ist sehr gelungen! Ein Happy End wäre ja auch nicht sehr logisch gewesen, auch wenn das Ende deiner Story etwas traurig ist *schnüff* Danke für diese tolle Geschichte!! Lg
Ich bin auch nicht der große Kommischreiber...ich sag nur eines bei dieser Story blieben mir die Kommis regelrecht im Hals stecken...sowas zu schreiben..einfach nur echt klasse Respekt vor dieser Story
Man, die Story ist klasse ... die ging mir sowas von nahe ... war selten so. Einfach nur Gratulation! Weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll - bin sprachlos! RESPEKT!!!!