“Bitte sagen Sie mir, dass das wieder wird.” Michael blickte starr aus dem Fenster, die Hände auf das Fensterbrett gepresst, als würde er sonst umkippen. “Körperlich, ja, keine Frage. Aber seelisch…” Sie schwieg einen Moment. “Ich wollte das mit der Spritze vermeiden. Ich will sie nicht jedes Mal medikamentös ruhigstellen, wenn sie sich mit dem Thema auseinandersetzt. Aber sie reagiert doch sehr extrem.” “Extrem?” Verwirrt blickte Michael die Frau an. “Wie sollte sie denn Ihrer Meinung nach reagieren, nach so einem Überfall?” “Mehr so wie Sie.” Sie sah ihn an. “Sie ist innerlich vollkommen zerrissen. Sie weiß nicht, wie sie ihre Gefühle rauslassen soll.” “Ja, schön, das merke ich auch. Aber Sie haben doch hier sicher Psychologen, die ihr helfen können.” “Sicher, eine Stunde am Tag und die restlichen 23 verkriecht sie sich wieder. Ich mache mir wirklich Sorgen um sie. Ich halte sie für hochgradig selbstmordgefährdet.” “Selbstmord? Alex? Nie…” Er dachte an die Szene von vorhin. “Naja… sie hat sowas angedeutet, dass sie sterben will, aber das meint sie nicht ernst. Alex lebt viel zu gern.” “Ich hoffe, Sie haben Recht, aber ich bin da nicht so optimistisch wie Sie.” Sie wand sich um. “Ich werde einen Kollegen zu ihr schicken. Bleiben Sie hier?” “Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass sie das will.” “Sicher nicht. Aber ich halte es für besser, wenn sie nicht allein ist. Hat sie eine beste Freundin?” Michael lachte dumpf. “Ja, mich.” Damit blickte er wieder aus dem Fenster.
Nachdem er sich etwas gesammelt hatte, ging Michael wieder in das Zimmer zurück. Wieder schockierte ihn der Anblick seiner Kollegin zutiefst. Sicher, sie war gewaschen und versorgt worden, aber vielleicht war gerade das der Punkt. Sie sah blass aus, fast weiß, die Verletzungen, die ihr mit brutaler Gewalt zugefügt worden waren, traten überdeutlich hervor. Ihr Gesicht war eine Mischung aus Pflaster, leichten offenen Wunden und blauen Flecken. Auch die Arme, die auf der Decke lagen, waren mit Hämatomen übersät. Ihr Körper war verkrampft. Sie hatte die Augen halb geschlossen, der Mund war zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Auf ihren Wangen sah Michael immer noch nasse Spuren. Als sie schließlich wahrnahm, dass sie nicht mehr allein im Zimmer war, zuckte sie zusammen. Sie griff nach der Bettdecke und zog sie sich hastig bis unter das Kinn. Die Augen hatte sie jetzt aufgerissen, ebenso den Mund. Stoßweise atmete sie ein und aus. Michael hob die Hände, um ihr zu zeigen, dass sie keine Angst haben musste, dann zog er einen Stuhl neben die Tür und setzte sich dorthin. “Ich komme dir nicht zu nahe. Keine Angst, Alex.” Sie beruhigte sich wieder etwas, zog aber ihre Decke noch etwas höher. Ein Funkeln trat in ihre Augen, was Michael zusammenzucken ließ. Die Angst war daraus verschwunden, jetzt sah er wieder diesen bohrenden Hass. “Was willst du hier? Ich habe mich doch behandeln lassen.” Alex sah, wie er zusammenzuckte, ob der Kälte in ihrer Stimme. Sie tat ihm weh, das spürte sie. Und das wollte sie auch. “Die Ärztin meinte, es sollte besser jemand bei dir sein. Vielleicht willst du ja reden. Oder brauchst etwas.” “Reden? Worüber? Was soll ich dir erzählen? Wie es war…” “Alex, bitte…” Wieder schimmerten Tränen in seinen Augen. Michael hasste sich dafür. Er hätte sich für wesentlich stärker gehalten. Aber wenn er sie ansah, spürte er einfach nur Mitleid. Die Wunden und Hämatome waren deutliche Anklagen. Auch an ihn. Alex Augen hingegen sprühten vor Zorn. Sie waren dunkel, immer wieder wirkten sie dumpf und ausdruckslos. In Bruchteilen von Sekunden änderte sich ihre gesamte Haltung, ihr gesamtes Auftreten. “Ich wünschte, ich hätte dir helfen können”, sagte er leise. “Du warst nicht da. Und gegen fünf Männer hättest du auch nichts ausrichten können.” Michael schluckte schockiert. “Fünf?”, hauchte er. “Ja.” “Hast du einen erkannt?” “Nein. Warum auch?” “Aber sie müssen bestraft werden.” Alex lachte. Es war ein hämisches Lachen, gleichzeitig aber auch ein schmerzerfülltes. “Und dann? Dann gehen sie für maximal vier Jahre in den Bau. Davon wird es nicht besser, Michael. Wenn sie rauskommen, werden sie ihr Leben einfach weiterleben.” Hilflos sah er sie an. Sie hatte im Grunde Recht, aber es widersprach seinem ganzen Fühlen und seinem Beruf. “Sie müssen bestraft werden”, beharrt er. “Damit du dich besser fühlst?”, fragte sie hart. “Lass mich allein, Michael. Geh einfach.” “Aber, Alex…” “Hau ab”, schrie sie aufgebracht. In ihren Augen glomm ein Funke Wahnsinn. Sie redete sich in Rage. “Verschwinde. Los, raus hier. Lass mich allein.” Eine Schwester kam herein und versuchte vergeblich, Alex zu beruhigen. Die ignorierte sie jedoch vollkommen und schrie weiter Michael an. Schließlich holte die Schwester zwei Kolleginnen, die Alex mit Gewalt auf das Bett drückten und ihr eine Spritze verabreichten. Die Frau wurde ruhiger, das wütende Gesicht entspannte sich zusehends, die Augen wurden dumpf und ausdruckslos. Michael liefen Tränen der Verzweiflung über das Gesicht. Er konnte den Anblick nicht mehr ertragen. Er drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Blind lief er durch die Gänge, stieß mit Menschen zusammen und rannte schließlich schluchzend aus dem Krankenhaus hinaus. Er stolperte über den Parkplatz zu seinem Auto, ließ sich hineinfallen und brach schließlich weinend über dem Lenkrad zusammen.
Nach über einer Stunde hatte er sich wieder soweit gefangen, dass er ins K11 fahren konnte. Nach Hause wollte er nicht, obwohl sein Schädel zu platzen schien und er sich sein Bett herbeisehnte. Aber er hätte eh nicht schlafen können. Er fuhr los, kroch regelrecht durch die Straßen, da seine Augen vom Weinen verquollen waren und brannten und er nicht richtig sehen konnte. Er wollte nicht noch einen Unfall provozieren, das war das letzte, was er jetzt brauchte. Bleich, mit roten Augen, schleppte er sich ins Büro und sank fort wortlos auf das Sofa. Er stützte den Kopf in die Hände und seufzte. “Herr Naseband? Alles in Ordnung?” Der Staatsanwalt, der bis jetzt an Alex Schreibtisch gelehnt dagestanden hatte und Gerrit lauschte, sah ihn verwirrt an. Er trat neben den Kommissar. Gerrit, der am Fenster stand und einen Bericht vorlas, legte den Hefter weg, drehte sich um und ging zu Michael. Er setzte sich neben ihn auf das Sofa. “Wie geht es Alex?”, fragte er besorgt. Michael hob den Blick und sah, dass Gerrit regelrecht erschrak. Traurig sah er seinen Kollegen an und rang nach den richtigen Worten. “Das… ich… du…” Er brach ab und atmete tief durch. “Miserabel”, brachte er schließlich trocken hervor. “Sie ist einfach nicht mehr sie selber.” Gerrit nickte verständnisvoll. “Ob sie sich über Besuch…” Michael schüttelte den Kopf. “Nein. Sie hat mich rausgeschmissen. Sie will allein sein.” Er schluchzte auf und Gerrit legte fürsorglich einen Arm um dessen Schulter. “Du kannst dir nicht vorstellen, mit welchem Hass sie mich angesehen hat. Als ob ich ihr das angetan hätte. Und im nächsten Moment ist ihr Blick so teilnahmslos und leer, als würde sie nichts auf diesem Planeten etwas angehen.” Besorgt blickten sich Gerrit und der Staatsanwalt an. So verzweifelt hatten sie Michael noch nie erlebt.” Herr Naseband, geben Sie ihr Zeit. Frau Rietz ist stark, sie wird es schaffen, das Geschehene zu verarbeiten.” Michael hob den tränennassen Blick und sah den Staatsanwalt an. “Ich würde alles, wirklich alles, dafür geben, wenn Sie Recht hätten, Herr Kirkitadse. Aber ich habe echte Zweifel daran.” Er schluckte. “Sie ist nicht das erste Vergewaltigungsopfer, was ich sehe. Aber gerade ihre innere Stärke, die sie immer so ausgezeichnet hat, scheint jetzt ihr Problem zu sein. Die Täter wollten sie zerstören. Sie sind so unglaublich brutal vorgegangen, so demonstrativ gewalttätig und unbesiegbar. Alex muss sich so… so schwach und hilflos gefühlt haben wie nie zuvor. Ich habe das Gefühl, hinter dem Angriff steckt mehr. Sie war kein zufälliges Opfer, man hat das ganze vorbereitet. Die Täter wollten sie zerstören und sie haben es geschafft.” “Nein, das kann und will ich nicht glauben. Michael, du verrennst dich da, weil du nicht an Zufälle glauben willst. Weil der Gedanke, dass das hätte vermieden werden können, wenn Alex eine andere Schicht gehabt hätte, zu schwer zu ertragen ist, aber…” “Nein, Gerrit. Hier stimmt was nicht.” Traurig blickte er auf den Boden. “Was mache ich hier eigentlich? Ich sollte bei ihr sein.” “Wir brauchen dich hier”, sagte Gerrit, erschrocken wie schnell Michaels kämpferische Miene in sich zusammengebrochen war. Mit hängenden Schultern saß er jetzt wieder neben ihm. “Wir fangen die Mistkerle, ob geplanter Angriff oder Zufall. Wir fangen sie und der Staatsanwalt buchtet sie ein.” “Genau”, bestätigte Kirkitadse. “Selbst das ist Alex egal.” Gerrit und der Staatsanwalt sahen sich erneut an. Die Besorgnis in ihnen wuchs. Die Täter hatten anscheinend mit ihrem Angriff nicht nur Alex erwischt. Gerrit glaubte nicht, dass Michael bei den kommenden Ermittlungen eine große Hilfe sein würde. Und was passieren würde, wenn Michael auf Alex Peiniger traf, wollte er sich lieber gar nicht ausmalen.
Seite 1, Teil 1 Das ist ziemlich harter Tobak, wie Du das beschreibst, man kann sich das leider zu genau vorstellen, was da vor sich geht. Hast Du Dich da mit K11f abgesprochen oder wolltest Du einfach auch mal so eine Story schreiben?
Seite 1, Teil 2 Verständlich das Micha sauer ist, mitten in der Nacht geweckt zu werden. Armer Micha bzw. arme Alex. Lieb von Micha, das er gleich ins Krankenhaus fahren will.
Seite 1, Teil 3 Wie soll er ihr in dieser Situation denn helfen, das geht wohl ein wenig schlecht, außer für sie da zu sein.
Seite 1, Teil 4 Arme Alex, sie sieht ja ziemlich mitgenommen aus. Hätte da nicht ’ne Kollegin vom K11 zu ihr ins Krankenhaus fahren können, es ist ja offensichtlich das sie keinen Mann sehen will.
Seite 1, Teil 5 Warum lässt sie sich nicht helfen? Danach geht’s ihr bestimmt ein bisschen besser. Alex kann einem richtig Leid tun.
Seite 1, Teil 6 Alex ist zwar ziemlich hart zu Micha, aber sie scheint im Moment nicht anders zu können als ihm weh zu tun zu wollen.
Seite 1, Teil 7 Hoffentlich versucht sie nicht sich umzubringen. …“Hat sie eine beste Freundin?“ – „Ja, mich.“ Super. Aber sie hat bestimmt eine andere beste Freundin, eine weibliche, oder?
Seite 1, Teil 8 Sie kann sich vllt damit abreagieren, wenn sie Micha weh tut.
Seite 1, Teil 9 Man Micha ist ja ziemlich fertig, er kann Alex nicht helfen und das macht ihn fertig. Gerrit und der Staatsanwalt sind ja sehr besorgt wegen Alex. Oh je, arme Alex, das ist doch sowieso schon zuviel für sie, das alles, wenn sie jetzt noch erfährt, das der Überfall auf sie geplant war, dann Prost Mahlzeit.
Doch die Story ist ziemlich schockierend. Da muss ich Dir zustimmen, das in manchen Storys das so abgehandelt wird wie morgens Zähne zu putzen, da wird sich keine Gedanken darüber gemacht, das es der Person wirklich hinterher sehr schlecht geht, da wird munter fröhlich weiter zur Arbeit gegangen und diejenige schläft weiterhin mit ihrem Freund, immer klasse, wenn man so was liest.
Vllt wollten die Täter nicht nur Alex Schach Matt setzten, sondern auch Micha, weil er jetzt ganz besorgt um sie ist. Wer weiß was wirklich hinter diesem perfiden Plan steckt?
Bin schon gespannt, wie es weiter geht. Hast Du wirklich wieder sehr gut beschrieben, ein echter Thompson eben. Bravo.
Erst mal, danke für das tolle und umfangreiche Kommi. Freu mich über sowas immer wieder. Aber: Nein, ich habe mich nicht abgesprochen, es war eine eigene, selbständige und NICHT geklaute Idee. Und wenn man die Stories genau liest, sieht man auch große Unterschiede, finde ich zumindest. Es kommt nun mal vor, dass zwei Leute dieselbe Idee haben.
Zitat von KittyThompsonErst mal, danke für das tolle und umfangreiche Kommi. Freu mich über sowas immer wieder. Aber: Nein, ich habe mich nicht abgesprochen, es war eine eigene, selbständige und NICHT geklaute Idee. Und wenn man die Stories genau liest, sieht man auch große Unterschiede, finde ich zumindest. Es kommt nun mal vor, dass zwei Leute dieselbe Idee haben.
Kitty
War ja auch nicht böse gemeint, war mir halt nur so aufgefallen. Wollte Dir doch jetzt nicht unterstellen, dass Du die Idee geklaut hast oder so. Sorry falls das so rüber gekommen ist, sollte es nicht. Klar sind da Unterschiede in den Storys, wollte halt nur mal nachfragen.
Kein Problem. Danke für die Kommis und hier ein neuer Teil nach längerer Zeit. Ich weiß, er ist kurz, aber es kommen noch ein paar:
Mit Beruhigungsmitteln hatte man Alex ruhig gestellt. Sie schlief tief und fest bis am frühen Morgen, als die Medikamente nachließen und damit die Träume kamen. Sie sah wieder ihre Peiniger, maskiert, mit schwarzen Sachen. Sie spürte die Schläge und Tritte, das brutale Eindringen der Männer in sie. Sie wimmerte, schlug um sich. Ihr Körper war schweißnass. Als eine Schwester sie so vorfand, weckte man sie vorsichtig. Schluchzend lag Alex im Bett, als sie einigermaßen bei sich war. Immer stärker spürte sie die realen Schmerzen, die die Männer ihr zugefügt hatten. Sie rollte sich zusammen, wickelte sich in ihre Decke ein und versuchte, etwas zu schlafen. Aber sobald sie die Augen schloss, waren die Männer wieder da.