So, hier noch ein kurzer Teil vor dem letzten. Den stell ich heute Abend noch on:
Nachdem sie ihre Patientin versorgt hatte, ging die Ärztin mit Michael vor die Tür. “Ich weiß nicht, warum sie sich so in sich zurück zieht. Sie reagiert so extrem wie ich es selten erlebt habe.” “Wieso? Ich verstehe es nicht. Wieso hat sie sich so vollkommen aufgegeben?” “Das müssen die Therapeuten herausfinden. Ich kann ihr nicht helfen.” Die Ärztin seufzte. “Ich werde sie in eine Klinik überweisen, wo man ihr hoffentlich helfen kann.” Schockiert blickte Michael die Frau an. “Sie meinen…? Aber wie lange denn?” “Keine Ahnung. Das wird die Zeit zeigen.” Michael blickte zur Tür. Er konnte nicht glauben, was hier geschah. Sicher, es war schlimm, was Alex geschehen war. Und dass sie sich schuldig fühlte, war auch verständlich. Aber wieso kämpfte sie nicht? Wieso hatte sie aufgegeben?
Der Prozess war kurz gewesen, die Urteile so hart wie die Tat. Alle Täter waren zur Höchststrafe von 10 Jahren verdonnert worden. Michael fand es viel zu gering, sah aber ein, dass das Gesetz nicht mehr hergab. Aber eigentlich interessierte es ihn nicht sonderlich, dann er hatte andere Sorgen. Er kümmerte sich rührend um Alex, besuchte sie täglich, hatte sich aber inzwischen selber psychologische Hilfe besorgen müssen, da er ihre Art nicht verarbeiten konnte. Er fing immer mehr an, sich selber Vorwürfe zu machen. Vielleicht hätte er ihr nicht sagen dürfen, wer die Täter waren und warum sie es getan hatten. Zumindest nicht, bis sie psychisch wieder stabil war. Es war wirklich zum Verzweifeln. Er hatte die Hilfe eines Therapeuten in Anspruch genommen, nachdem er das dritte Mal zusammengebrochen war, nachdem er Alex besucht hatte. Michael seufzte und legte seine Hand auf die Türklinke. Er hatte die Augen geschlossen, lauschte der Stille im Gang. Plötzlich ein Schrei in einem Zimmer, am anderen Ende des Flures. Michael öffnete die Augen und sah hinüber. Pfleger liefen in den Raum, ein Gurgeln war zu hören, dann wieder Stille. Langsam drückte er die Klinke herunter und schob die Tür auf. Im Zimmer roch es nach Desinfektionsmitteln, alles war klinisch sauber. Ein Bett mit gepolsterten Rändern stand darin, am Fenster ein Sessel. Sonst gab es nichts. Nichts, was in das triste Weiß etwas Farbe brachte, nichts, woran man sich verletzen könnte. Gewollt oder ungewollt. Bleich, mit gebeugtem Rücken saß sie am Fenster im Sessel und starrte hinaus. Ihr Bademantel war weiß, unterschied sich kaum von ihrer Haut. Ihre Haare waren gewachsen, was Michael nicht so gefiel. Es ließ sie älter aussehen. Er trat einen Schritt auf sie zu, sah, wie sie sich versteifte und blieb stehen, so wie jeden Tag. “Alex… ich…“ Er zögerte. Konnte er es verantworten? Sie war seine Freundin, seine beste Freundin. Aber sein Arzt hatte Recht. Sie machte ihn mit kaputt. “Alex, ich kann demnächst nicht mehr herkommen. Ich halte es einfach nicht aus.” Tränen traten in seine Augen. “Ich will dich nicht im Stich lassen, wirklich nicht, aber…” Eine Träne rollte über seine Wange. “Ich kann nicht mehr”, sagte er mit erstickter Stimme und sah sie an. Keine Reaktion, nichts. Sie starrte weiter aus dem Fenster, Michael wusste nicht einmal, ob sie ihn gehört hatte. Ihr Körper war angespannt und zitterte leicht. So wie immer, wenn er im Raum war. “Mach´s gut, Alex, alles Gute. Und wenn du mich sprechen willst, dann ruf mich an.” Wieder wartete er, ob sie etwas sagte. Dann senkte er leicht den Kopf und drehte sich um. Mit hängenden Schultern verließ er den Raum. Seine Schritte waren schleppend und er schluchzte leise. Als die Tür ins Schloss fiel, drehte Alex langsam den Kopf und sah in Richtung der Tür. Ihr Blick war stumpf, bis auf ein winziges trauriges Fünkchen, was in ihnen brannte. “Es tut mir leid”, flüsterte sie. Dann wand sie den Blick wieder dem Fenster zu.