Mit starrem Blick hörte ich der Ärztin zu, die mir mit unbeweglicher Miene erklärte, dass etwas mit meinen Augen nicht stimmte. Sie könne mir nicht wirklich sagen, was es war, aber es schien ziemlich ernst zu sein. Ich wusste zwar, dass ich verdammt schlecht sah, aber durch Kontaktlinsen konnte ich das bisher ganz gut verheimlichen. Die üblichen Routineuntersuchungen würde es vielleicht einmal ans Tageslicht bringen, dass ich mit meinen siebenundzwanzig Jahren verdammt schlecht sah. Aber was sah diese Frau hinter ihren Apparaten, fragte ich mich. Langsam wurde ich ziemlich nervös. „Sagen Sie, Frau Rietz, kann es möglich sein, dass Sie immer wieder Probleme mit dem Lesen und ähnlichem haben?“ wollte sie wissen. Zögernd nickte ich. „Ich habe doch immer Brillen getragen, was aber nicht wirklich tragisch war. Immerhin konnte ich die Anforderungen für den Polizeidienst ohne Probleme erfüllen.“ brummte ich. Bedächtig nickte die Ärztin. „Das stimmt schon, Frau Rietz. Seit Ihrer letzten Untersuchung hat sich etwas geändert, noch bin ich nicht dahinter gekommen, was es ist.“ erklärte sie mir. Ich konnte mit ihren Ausführungen nicht viel anfangen, stellte ich fest, und hoffte, dass sie mir alles noch erklären würde. Doch weit gefehlt, ich merkte, dass sie immer unsicherer wurde und mit dem Ergebnis wirklich etwas anfangen konnte. „Ich werde Ihnen den Nahmen einer Kollegin geben, die sich auf die Netzhaut spezialisiert hat. Machen Sie sich so rasch wie möglich einen Termin aus, Frau Rietz.“ bat mein Gegenüber. „Etwas stimmt nicht mit Ihren Augen. Klären Sie es bitte rasch ab!“ Die Ärztin sagte das so sachlich und – wie ich fand – ziemlich kühl. Sie zog ein Blatt Papier zu sich heran und begann darauf herumzukritzeln. „Ich habe Ihnen den Namen meiner Kollegin aufgeschrieben, sie ist Netzhautspezialistin, denn damit ist bei Ihnen etwas nicht in Ordnung.“ erklärte sie mir, während sie mir das Blatt zuschob, auf dem sie mir Name, Adresse und Telefonnummer der Ärztin aufgeschrieben hatte. „Das ist ja in Osnabrück“ stellte ich entsetzt fest. Bedauernd sah sie mich an. „Ich weiß, dass es für Sie ein wenig umständlich ist, aber es gibt nicht viele Kollegen in Deutschland, die sich darauf spezialisiert haben.“ antwortete sie ernst. Ich schluckte. Auf dieses Ergebnis war ich nicht wirklich gefasst gewesen. In den letzten Wochen oder Monaten war mir zwar aufgefallen, dass ich schlechter sah, doch bisher hatte ich es tadellos mit Kontaktlinsen hin bekommen. Niemand hatte mitbekommen, dass etwas mit den Augen nicht in Ordnung war. Aber bei der üblichen Untersuchung aufgrund meiner Tätigkeit musste diese Ärztin dahinter kommen, dass da außer meiner Kurzsichtigkeit noch etwas anderes nicht stimmte. Ich war dementsprechend fertig. Am liebsten wär ich einfach davongelaufen, so schlecht fühlte ich mich!
Danke für die beiden Kommis, hier gibt es wieder einen Teil:
Doch meine Erziehung hielt mich einfach davon ab. Also blieb ich wo ich war. Aber im Grunde genommen war schon alles gesagt worden, und so schlich ich wie ein getretener Hund auf meine Dienststelle zurück.
Dort verhielt ich mich ausgesprochen still, arbeitete mehr als sonst und war froh, dass mich niemand wirklich beachtete oder gar störte. Noch wusste ich nicht, wie ich mit dem Ergebnis meiner Untersuchung umgehen sollte, auch wenn ich noch nicht wusste, wie es nach dem Besuch bei dieser Ärztin in Osnabrück aussehen würde. Niemandem fiel auf, das ich mich nicht so verhielt, wie die Kollegen es von mir gewohnt waren. Ab und zu merkte ich zwar, dass der eine oder andere mich fixierten und dann zu wispern begannen, als ich nicht wirklich reagierte.
An diesem Abend störte es mich überhaupt nicht, dass ich allein in meiner Wohnung saß. Ich lag auf dem Sofa, die Arme unter dem Kopf verschränkt und starrte zur Decke. Es war ruhig im Raum, da weder Fernseher noch Radio lief. So konnte ich meinen eigenen Atem hören. Ich war erstaunt, dass er nicht hektisch ging, sondern ausgesprochen ruhig. Meine Nerven waren jedoch zum Zerreißen gespannt, da ich nicht wirklich wusste, was in den nächsten Wochen und Monaten auf mich zukommen würde. Ich seufzte laut auf, als das Telefon läutete und brauchte eine Weile,um zu überlegen, ob ich überhaupt abheben sollte. Die Entscheidung wurde mir abgenommen, es hörte nach Minuten wieder auf zu läuten. Ich war darüber erfreut, obwohl ich sonst ausgesprochen gerne telefonierte und musste über mich selbst den Kopf schütteln. Was so eine Untersuchung alles anrichten konnte, ich war noch immer durch den Wind.
Natürlich schlief ich diese Nacht kaum oder sehr schlecht. Immer wieder schreckte ich hoch, weil ich sehr oft die Stimme Ärztin zu hören glaubte, als sie mir zu verstehen gegeben hatte, wie es um meine Augen bestellt war. Zum hundertsten Mal schaute ich auf die Uhr, mit Mühe konnte ich die Zeit erkennen, immerhin lagen meine Kontaktlinsen im Bad, es war erst drei Uhr morgens. Ziemlich müde und geschlaucht schlüpfte ich aus dem Bett und schlurfte ich in die Küche. Seufzend setzte ich mich auf einen der Stühle und starrte vor mich hin. Ich spürte, wie ich nervös wurde. Deshalb stand ich auf und begann in der Wohnung auf und ab laufen. Dabei schwirrten meine Gedanken im Kopf umher, und ich wurde immer verwirrter. Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte und ich auch wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich nahm mir vor, diese Sache so rasch wie möglich hinter mich zu bringen. Als erstes würde ich diese Augenärztin in Osnabrück anrufen und einen Termin ausmachen, dann würde ich mal abwarten, was noch auf mich zukommen würde. Ich bemerkte, dass ich plötzlich Angst bekam, weil ich nicht wusste, was mir noch bevorstehen würde. Ich seufzte und blieb auf meiner Wanderung vor dem Kühlschrank stehen. Ich nahm die Milch heraus, um sie in einer Tasse in der Mikrowelle heiß zu machen. Währenddessen suchte ich in meinen Schränken nach Honig. Leider konnte ich keinen finden, also musste ich wohl und übel darauf verzichten. Mit der Tasse in der Hand setzte ich mich an den Tisch und begann, langsam die Milch auszutrinken. Fortsetzung folgt
Danke für die Kommis, hier gibt es wieder einen Teil:
Dementsprechend verschlafen saß ich an meinem Schreibtisch und war froh, dass mich meine Kollegen einfach ignorierten. In der Mittagspause verließ ich das Bürogebäude, in dem mein Kommissariat untergebracht war, und versuchte die Augenärztin in Osnabrück zu erreichen. Ich war erstaunt, dass sie bereits nach dem dritten Läuten abhob. Irgendwie hatte ich den Eindruck, als hätte sie auf diesen Anruf gewartet. Ehe ich noch mit meinem Problem beginnen konnte, meinte Doktor Becker: „Frau Rietz, ich kenne Ihr Problem bereits. Meine Kollegin Bauer hat mich gestern noch angerufen und Ihr Problem geschildert.“Es war kurz still, und ich befürchtete, dass Doktor Becker das Gespräch bereits beendet hatte. Doch ich hörte ein leises Räuspern, und sie sprach weiter: „Frau Rietz, ich möchte Sie so bald wie möglich hier sehen! Ich würde vorschlagen, dass Sie am 5. August am Nachmittag gegen fünfzehn Uhr bei mir vorbei kommen. Geht das für Sie in Ordnung?“ Einige Sekunden überlegte ich. Endlich sagte ich: „Ja, Frau Doktor, dieser Termin passt mir genau! Ich werde pünktlich sein!“ Und damit war dieses Gespräch auch schon vorbei, und wir verabschiedeten uns voneinander.
Nachdenklich ging ich noch durch die Straßen von München, ehe ich wieder ins Büro zurückging. Jakob, mit dem ich direkt zusammenarbeitete, sah mich erwartungsvoll an. „Alex, fein, dass du wieder zurück bist. Ich möchte mit dir sprechen.“ erklärte er, nachdem ich mich schweigend an meinen Schreibtisch gesetzt hatte. Ich erschrak. Zaghaft hob ich meinen Kopf und blickte zu Jakob. Was würde da jetzt auf mich zukommen, fragte ich mich. „Alex, was ist mit dir los? Seit du gestern bei der dieser Routineuntersuchung gewesen bist, bist du wie ausgewechselt. Was ist dabei denn herausgekommen, Alex?Denn genau das hat dich nämlich aus der Bahn geworfen!“ stellte Jakob fest. Hilflos zuckte ich mit den Schultern. „Ich weiß doch auch nicht, die Bauer hat mich weiter geschickt. Etwas gefällt ihr an meinen Augen nicht.“ erklärte ich kleinlaut. Entsetzt schaute Jakob mich an. „Du weißt doch, was das heißt, Alex?“ fragte er interessiert. Betroffen nickte ich. „Natürlich weiß ich das, Jakob. Mein Job hängt davon ab, und genau deshalb fürchte ich mich, Jakob. Ich habe Angst davor zu erfahren, was mit den Augen los ist. Du weißt, dass ich an meinem Job hänge, ich mag gar nicht wissen, was mit mir passiert, wenn ich untersucht worden bin.“ brummte ich. Nachdenklich blickte Jakob mich an. „Du wirst vermutlich nur noch Innendienst schieben dürfen. Das wird noch das Harmloseste sein, das dir blühen wird.“ vermutete er. Ich nickte bedächtig. Genau das befürchtete ich auch. Ich konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. „Ich habe mir einen Termin Anfang August ausgemacht. Leider ist diese Spezialistin in Osnabrück.“ erzählte ich plötzlich und konnte nicht sagen, warum ich das eigentlich tat. „Spezialistin?!? Welche Spezialistin denn?“ fragte Jakob interessiert nach. „Die Bauer hat mich zu einer Netzhautspezialistin überwiesen. Etwas gefällt ihr nicht an meinen Augen.“ gestand ich und merkte, dass Jakob mich ziemlich bestürzt anschaute. Ehe er weiter auf dieses Thema eingehen konnte, fuhr ich fort: „Belassen wir es einfach dabei, Jakob. Ich möchte darüber nicht mehr reden. Und ..... Jakob ...... vorerst bleibt dieses Problem unter uns, noch braucht es keiner zu wissen.“ Eine Weile starrte er mich einfach nur an, dann nickte er verstehend. „Geht in Ordnung, Alex. Aber du solltest dir etwas einfallen lassen, wenn du die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorliegen hast.“ konnte er sich nicht verkneifen. Ich nickte nur, denn das Telefon läutete, und ich konnte keinem sagen, wie froh ich darüber war.
Je näher der Termin für meine Untersuchung rückte, um so unruhiger und nervöser wurde ich. Deshalb hatte ich mir vorher einige Tage frei genommen, ich wollte keinem zur Last fallen, noch immer spukten mir Worte der Ärztin in meinem Kopf herum. Wieder spürte ich die Unsicherheit, als sie vor mir saß und ihren Kopf hin und her wiegte und krampfhaft versuchte, mir zu sagen, was mit meinen Augen los war. Dass ich in den letzten Monaten immer schlechter gesehen hatte, war mir selbst aufgefallen. Noch konnte ich mir mit Brillen oder Kontaktlinsen helfen, aber wie lange noch, fragte ich mich. Irgendwie hatte Doktor Bauer ja doch recht, ich musste etwas wegen meiner schlechten Augen unternehmen, doch ich fürchtete mich noch immer vor einem Ergebnis. Mein Kollege Jakob versuchte zwar, mich immer wieder zu erreichen. Ich wollte einfach nicht mit ihm reden. Obwohl ..... wir waren so etwas wie Freunde, warum sollten wir also nicht miteinander sprechen? Aber im Moment hatte ich einfach kein Bedürfnis, mit jemanden zu reden, auch wenn wir mehr als nur Kollegen waren und hoffte, dass er nicht auf die absurde Idee kam, bei mir einfach so vorbei zu kommen. Gott sei Dank tat er es nicht!
Hey die Fortsetzung gefällt mir...alles ist so rätselhaft!!! Was ist nur genau mit Alex los?Was steckt dahinter? Das ist einfach furchtbar...alex darf auf keinen Fall ihr augenlicht verlieren!!! Ihr Kollege,dieser Jakob, könnte ihr ruhig mal ein wenig Mut machen,anstatt ihr nochmehr Angst und negative Gedanken zu bereiten!!!
Was mir an deiner Story allerdings fehlt sind Michael und Gerrit! Warum hast du denn diesen Jakob verwendet und nicht Michael und Gerrit? Hat das einen speziellen Grund? Irgendwie gehören die drei zusammen,finde ich (Micha und Gerrit würden Alex wenigstens Mut machen)!!!
Bin gespannt,wie die Story noch weiter geht!!?? Alex Augenproblem und was es mit dem Titel auf sich hat!!! Bin echt gespannt!!!!!!!
Natürlich hat es einen Grund, dass es dieses Mal ein Jakob ist, wird aber im Laufe der Geschichte gelöst werden, das versrpeche ich dir. Aber nun genug gequatscht, hier kommt wieder ein Teil:
[i]Am Montag setzte ich mich am Vormittag in den Zug, um nach Osnabrück zu kommen. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht selbst mit dem Auto fahren, obwohl ich es mir sogar zutrauen würde. Doch der eigenen Sicherheit wegen ließ ich es bleiben, jedenfalls redete ich mir das während der Fahrt immer wieder ein. Da ich wusste, dass ich meine Kontaktlinsen bei Arztbesuchen nicht tragen sollte, hatte ich es in den letzten Tagen auch nicht getan, sondern meine Brille auf die Nase gesetzt. Das war zwar ungewohnt für mich, aber ausnahmsweise war es mir egal, denn ich hatte in den letzten Tagen Zeit gehabt, über meine Situation nachzudenken. Ich hatte eingesehen, dass es besser sein würde, diese Untersuchung über mich ergehen zu lassen, damit ich endlich Klarheit hatte.
Natürlich war ich viel zu früh in Osnabrück, wie konnte es anders sein. Da ich mir aus dem Internet eine Wegbeschreibung ausgedruckt hatte, tat ich mich natürlich leicht, den Weg zu der Ärztin zu finden. Daher hatte ich noch ein wenig Zeit, mir ein bisschen die Stadt anzusehen. Ab und zu blieb ich vor den Auslagen stehen und betrachtete die Kleidungsstücke, die ausgestellt waren. Einige Sachen gefielen mir ganz gut, hatte aber nicht wirklich einen Kopf dazu, in eines der Geschäfte zu gehen und dort zu stöbern. Vielleicht würde ich nach dem Arztbesuch etwas kaufen, als Trost sozusagen. Ich wusste es noch nicht und machte mich nun endgültig auf den Weg zu Doktor Becker.
Völlig verunsichert saß ich vor der Ärztin und redete so wenig wie möglich, sodass sie mir jedes Wort aus der Nase ziehen musste. „Frau Rietz, so kommen wir nicht weiter“, stellte sie plötzlich belustigt fest. „Ein bisschen mehr müssen Sie schon von sich erzählen, so kann ich Ihnen nicht helfen!“ Betreten nickte ich und wich ihrem Blick aus. Natürlich hatte sie Recht, aber ich wurde nur noch unsicherer, bemühte mich aber trotzdem ihre unzähligen Fragen zu beantworten. Es dauerte doch noch eine Weile, bis sie die Informationen hatte, die sie brauchte. „Also, Frau Rietz ....... wir machen jetzt eine Augenhintergrunduntersuchung, ich habe nämlich so eine böse Vorahnung!“ erklärte Frau Becker. Fragend blickte ich sie an. Was würde da jetzt wieder auf mich zukommen? „Was wird da gemacht?“ wollte ich, neugierig geworden, wissen. „Das ist eine Spiegelung des Augenhintergrundes mit einer stark vergrößernden Lupe und hellem Licht. Um einen Überblick über den gesamten Augenhintergrund zu erhalten, muss die Pupille mit Hilfe von Tropfen ganz geweitet werden“, erklärte mir Doktor Becker. Ich hörte ihr interessiert zu. Mir schwirrten so viele Fragen in meinem Kopf herum, doch ich wusste nicht, wie ich sie formulieren sollte. „Das ganze ist schmerzfrei, Frau Rietz. Sie können sich darauf verlassen! Allerdings sind Ihre Pupillen dann recht blendungsempfindlich, Sie sehen verschwommen und sollten nicht Autofahren. Ich hoffe, dass ist kein Problem für Sie?“ fragte die Ärztin betroffen. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin mit dem Zug unterwegs. Vom Bahnhof nach Hause komme ich zu Fuß oder mit dem Taxi“, antwortete ich nachdenklich. „Das ist gut, da Sie aufgrund der Tropfen verschwommen sehen werden“, sagte Frau Becker. „Ich werde Ihnen die Augentropfen geben. Allerdings braucht es einige Zeit, bis diese Tropfen ihre Wirkung zeigen.“ Ich nickte, sekundenlang starrte ich nachdenklich vor mich hin. „Wenn Sie diese Untersuchung gemacht haben, wissen Sie dann, was ich habe?“ wollte ich wissen. Bedächtig wiegte sie ihren Kopf hin und her. „Im Großen und Ganzen schon, Frau Rietz, ich werde aber trotzdem noch die eine oder andere Untersuchung machen, damit wir auch Sicherheit haben“, erwiderte Doktor Becker. „Können Sie in einer Woche wieder hier her kommen? Ich möchte hundert Prozent sicher sein, Frau Rietz!“ Nachdenklich blickte ich sie an und überlegte bereits krampfhaft, wie ich das meinen Kollegen wieder beibringen sollte. Dafür würden sie kein Verständnis haben, befürchtete ich, obwohl ich mich mit Jakob ganz gut verstand. Aber ich war mir nicht ganz sicher, ob er soviel Loyalität haben würde, um an solchen Tagen einfach meine Arbeit mit zu erledigen. Je länger ich darüber nachdachte, umso unsicherer wurde ich. „Ich weiß nicht, Frau Doktor!“ murmelte ich, denn plötzlich wurde mir bewusst, dass es eine schwerwiegende Krankheit sein musste, wenn die Ärzte noch Untersuchungen machen wollte, um absolut sicher zu sein.i] Fortsetzung folgt
Danke für die Kommis, hier gibt es wieder einen Teil:
Natürlich kam es genauso, wie ich es mir gedacht hatte. Die Kollegen hielten es nicht für besonders gut, wenn ich schon wieder zu Hause bleiben wollte. Ausgerechnet Jakob meckerte am lautesten, obwohl gerade er mir zugeredet hatte, mich gründlich untersuchen zu lassen. Ich war so wütend, dass ich das Büro verließ, die Türe hinter mich zuschlagend, und den ganzen Tag auch dort nicht mehr auftauchte. Ziellos lief ich durch Bad Oeynhausen, ohne wirklich darauf zu achten, wo ich mich befand. Daher stand ich im Laufe des Nachmittags vor dem Haus, in dem ich wohnte, und wusste nicht, ob ich überhaupt schon nach Hause wollte. Trotzdem betrat ich meine Wohnung und fand die Ruhe um mich herum an diesem Tag ziemlich bedrückend. Daher drehte ich das Radio laut genug auf, um die Musik in der ganzen Wohnung hören zu können. Während der Kaffee durch die Maschine lief, beschloss ich, mir ein Bad einzulassen und mich mit der Tasse Kaffee, sowie einem Buch, in die Wanne zu legen. Ich wollte mich einfach nur mehr entspannen, etwas anderes interessierte mich an diesem Tag nicht mehr.
Wie konnte es anders sein: die Tests, die die Ärztin noch machte, bestätigten ihre erste Diagnose, ich hatte eine Krankheit namens „juvenile Makuladegeneration“. Mein Gesichtsausdruck musste ihr verraten haben, wie ratlos und verunsichert ich war. Deshalb nahm sie sich die Zeit, mir in groben Umzügen etwas über diese Krankheit zu erzählen. Interessiert hörte ich ihr zu, ab und zu unterbrach ich sie mit Fragen, die sie mir geduldig beantwortete. Am meisten war ich darüber entsetzt, dass man mir nicht wirklich helfen konnte, da sie sehr selten und aus diesem Grund nicht besonders erforscht war. Noch konnte sie mir nicht sagen, wie rasch sich meine Sehstärke verringern würde, es war aber unaufhaltsam. Vollkommen blind würde ich jedoch nicht werden. Ich schluckte. „Ein schwacher Trost!“ brummte ich verdrossen. Doktor Becker antwortete nicht, und ich war ausgesprochen dankbar dafür.
Wieder lief ich durch die Stadt, ohne wirklich zu begreifen, wo ich überhaupt war. Immer wieder spukten mir die Ausführungen der Ärztin durch den Kopf. Und ich hörte zum wiederholten Mal, dass man mir nicht helfen konnte, und ich in einigen Jahren Hilfe brauchen würde. Darauf hatte ich eigentlich gar keinen Bock. Wütend kickte ich eine Dose, die mir im Weg lag, gegen einen Laternenmast und erschrak selbst über den Wirbel, den ich selbst veranstaltete. Leichter war mir trotzdem nicht, stellte ich fest. Ich ging weiter, irgendwann fand ich mich vor dem Bahnhof wieder. Erschrocken merkte ich erst jetzt, dass es höchste Zeit war, zum Zug zu gehen. Die Fahrkarte hatte ich mir schon bei der Herfahrt gelöst, sodass ich dadurch keine Zeit verlor.
Während der Zugfahrt telefonierte ich mit meiner Mutter, um ihr zu sagen, dass ich noch bei ihr vorbei schauen wollte. „Heute noch?“ wunderte sich Anette Rietz. „Ja, Mama. Ich habe das Bedürfnis, mit euch zu reden“, erklärte ich. „Bisher war es doch immer egal, wann ich zu euch gekommen bin, dich hat es doch nie gestört, wenn ich um diese Zeit vorbei geschaut habe.“ Betroffen schwieg meine Mutter einige Sekunden lang. „Du hast natürlich Recht, Alex. Komm ruhig zu uns“, meinte sie und klang irgendwie entschuldigend. Zumindest kam es mir so vor. Rasch sagte ich ihr noch die Zeit, um die ich bei meinen Eltern sein wollte, ehe wir unser Gespräch schließlich beendeten.
„Aber jetzt rede mal Klartext mit uns“, bat Jürgen Rietz energisch. Meine Eltern und ich saßen uns schon eine ganze Weile gegenüber, ohne dass wir etwas geredet hatten. Erwartungsvoll sahen beide mich an. Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis, weglaufen zu müssen. Was war mir eigentlich dabei eingefallen, hierher zu kommen, fragte ich mich. Mein Vater räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. „Also, kleinen Prinzessin, warum bist du um diese Zeit hier, das hat doch sicherlich einen Grund“, stellte er fest. Langsam nickte ich und dachte angestrengt darüber nach, wie ich beginnen sollte. Am Anfang stotterte ich noch ein wenig herum, nach und nach wurde meine Geschichte flüssiger. Ich merkte an den Gesichtern meiner Eltern, wie schockiert sie waren. Im Moment waren sie schlichtweg sprachlos, keiner der Beiden wussten etwas zu sagen. Endlich begann meine Mutter leise vor sich hin zu weinen. Erschrocken blickte ich sie an. Mit einem hilflosen Blick auf mich nahm Jürgen sie in den Arm und versuchte, sie ein wenig zu trösten. Es gelang ihm nicht richtig und es verursachte mir Gewissensbisse. Ich senkte den Blick und machte mir die größten Vorwürfe, dass ich es ihnen überhaupt erzählt hatte. Der Blick meines Vaters schien dasselbe zu sagen. Je länger ich im Wohnzimmer meiner Eltern saß, umso hilfloser fühlte ich mich. Noch immer wusste ich nicht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten sollte, ohne ihnen wirklich weh zu tun. Da ich keine Ahnung davon hatte, was ich überhaupt tun sollte, beschloss ich, die Nacht bei ihnen zu verbringen.
Danke für die Kommis, hier gibt es wieder einen Teil:
Zehn Jahre später
Es war nicht leicht gewesen in den letzten zehn Jahren. Meine Mutter hatte es bis jetzt noch nicht verarbeitet, dass ich krank war und man mir trotz allem nicht helfen konnte. In den letzten Wochen war mir der Gedanke gekommen, dass sie daran sogar zerbrechen würde, ihre Ehe war es schon. Sie hatte sich, nach fünfunddreißig Jahren, endgültig von meinem Vater getrennt, und das zu akzeptieren fiel mir unheimlich schwer. Ich selbst hatte mich nach München versetzen lassen, da ich mir dort bessere Chancen in meinem Beruf ausrechnete. In den letzten Jahren hatte ich mich immer mehr zurückgezogen und hatte mich dadurch sehr verändert. Einige Jahre hatte ich aber doch einen Freund gehabt, lange hatte ich ihm von meiner Krankheit nichts erzählt, aus Angst, meine Beziehung würde den Bach hinuntergehen. Und genau das tat sie dann auch, als ich dann doch von meinem Problem erzählte. Dadurch wurde ich noch verschlossener und kontaktarmer. Ich vermied es, Freundschaften zuzulassen und vereinsamte immer mehr.
Inzwischen war ich bereits einige Jahre im K11, verstand mich mit meinen Kollegen zwar gut, blockte aber oft ab, wenn es darum ging, mit ihnen etwas zu unternehmen. Aber ich konnte es nicht verhindern, dass ich mich in einen meiner Kollegen unsterblich verliebte. Ich wusste nicht mehr genau zu sagen, warum ich nichts unternahm, um ihn für mich zu gewinnen. Wahrscheinlich war es wieder meine Angst, enttäuscht zu werden.
Konzentriert starrte ich auf meinen Bildschirm. Widerwillig musste ich mir eingestehen, dass ich mich seit Wochen wieder schwerer tat, darauf zu lesen. Natürlich fiel das auch Michael auf. Er schien nicht zu wissen, wie er mich darauf ansprechen sollte. Wie so oft rettete Gerrit die Situation, indem er einfach vorschlug, nach Feierabend auf ein Bier zu gehen. Da ich es satt hatte, wieder alleine in meiner Wohnung zu sitzen, sagte ich zu. Natürlich hob Michael erstaunt seine Augenbraue. „Was ist denn mit dir los, Kollegin?“ fragte er verwundert. „Ich weiß es nicht, vielleicht möchte ich einfach nicht in meiner Wohnung herum sitzen“, erwiderte ich ein wenig kleinlaut. Belustigt blickte Michael mich an. „Wird auch Zeit, dass du mal etwas mit uns unternimmst. Ich habe bis jetzt noch immer nicht verstanden, warum du das bisher noch nicht getan hast“, meinte er. „Wir sind doch keine Aussätzigen oder etwa doch?“ Ich zuckte nur mit den Schultern, denn noch immer wollte ich den wahren Grund nicht erzählen, obwohl ich mich von Michael schon sehr oft beobachtet fühlte. Ich wusste zwar nicht, warum er nichts sagte, sonst nahm er doch kein Blatt vor den Mund und neugierig genug für solche Fragen war er auch!