Danke schön *knuddel* Kommen wir nun zum ernsten Teil der Story.
Das große Beben
"Wo sind Christian und Niki?", fragte Kai und blickte nervös auf seine Uhr. "Ich habe doch gesagt, das gesamte Team soll Punkt 20 Uhr hier sein, verflucht noch mal. Das gilt auch für die Experten." Peter, einer der Kameramänner, winkte ab und nippte an seinem Bier. "Heiko sucht die beiden. Er glaubt, er weiß, wo sie sind und will sofort mit ihnen her kommen." Das Team von RTL saß in der Lobby des Hotels und wartete gespannt, was Kai zu sagen hatte. Die Leute genehmigten sich einen Feierabenddrink, scherzten, tratschten und freuten sich auf morgen. Die leichten Erschütterungen des Bodens schienen sie schon gar nicht mehr wahr zu nehmen. "Okay, ist mir auch egal. Hört mir mal zu." Alle wurden ruhig. "Wir werden jetzt hoch gehen und unsere Sachen packen. Zügig. Und dann werden wir diesen Ort verlassen. Wir fahren zum Flughafen und fliegen mit einer Privatmaschine nach Tokio. Die Sendung machen Flo, Niki und ich von dort. Heiko und Christian müssen sehen, wie sie es machen, nur die Fernsehbilder zu kommentieren." Verblüfft schauten die Journalisten, Kameraleute und Techniker Kai an. "Wieso?", fragte Jan Krebs. "Die Erdbeben sind euch wahrscheinlich nicht entgangen?" Kai blickte sich um und senkte die Stimme. "Ich denke, dass der Mount Fuji ausbrechen wird. Und die Experten im Ausland fürchten das auch." "Aber die japanische Regierung…" Kai winkte ab und Michael Niermann verstummte. "Die japanische Regierung, die japanische Regierung… die haben vor einigen Jahrzehnten auch zugelassen, dass Nagasaki zerstört wurde, obwohl man bereits an Hiroshima sehen konnte, dass man den Zweiten Weltkrieg längst verloren hatte. Ich werde mein Leben und das meines Teams nicht in die Hände solcher Menschen legen." Er ignorierte die tadelnden Blicke seiner Leute bezüglich dieses Vergleichs. "Jetzt hör aber auf", brummte Jan, aber seine Stimme zitterte leicht. "Wenn wirklich… ich meine… sollte die Möglichkeit bestehen, dass der Vulkan wieder aktiv sein könnte, würde man doch die Leute nicht noch hierher locken mit einem Formel 1 - Rennen." "Die Leute, die darüber entscheiden, ob die Bevölkerung gewarnt wird oder nicht, sind nicht hier." Kai stand auf und sah sich um. "Ich weiß, dass einige hier denken, ich hab ´ne Schraube locker. Aber wir verschwinden. Ich bin lieber ein lebendiger Feigling als ein toter Held." Jetzt sahen einige andere Leute zu den Journalisten hinüber. Es wurde getuschelt und einige lachten. Kai hielt den Blicken stand, die ihn teils spöttisch, teils ein wenig unsicher musterten und wandte sich wieder seinen Leuten zu. "Wer bleiben will, kann bleiben. Als Privatperson. Aber die Sendung wird nicht von hier aus gemacht." "Ich komme mit." Florian stand auf. "Mir wird das Ganze hier einfach zu unheimlich. Und mein Instinkt sagt, wir sollten verschwinden." Unbehaglich sahen sich die Kollegen der zwei an. Eigentlich hielten sie die Möglichkeit eines Vulkanausbruches für sehr unwahrscheinlich. Sowas passierte doch immer nur woanders. Jan sagte das dann auch. "Wir sind woanders", gab Kai zu bedenken. Sein Blick glitt nach draußen und die Straße hinunter, die vom Mount Fuji her direkt auf das Hotel zu führte. Sie ging leicht bergauf und war gesäumt von hohen Ahornbäumen und Straßenlaternen. Kai stutzte. Das Licht schien leicht zu flackern und die Blätter der Bäume zitterten, obwohl draußen kein Lüftchen wehte. Er ging zur Tür. "Was soll die Panikmache?", wandte sich Mario, Florians Kameramann, jetzt an Florian. "So kenne ich Kai ja gar nicht." "Sagen wir so… er hat gute Argumente. Und sollte er Recht haben, will ich nicht hier sein, wenn es passiert." Jan folgte Florians Blick, der nach draußen auf Kais Rücken starrte. "Du glaubst ihm?" "Ich glaube meinem Instinkt… Was guckt er denn da draußen?" In dem Moment drehte Kai sich um. Sein Blick war panisch und seine Augen weit aufgerissen. Er riss die Glastür auf, die er hinter sich hatte zufallen lassen. "Raus hier", brüllte er in den Raum. "Sofort." Florian nahm zwei Dinge wahr. Das ungläubige Gemurmel der Menschen um sich herum und die plötzliche Betriebsamkeit. Obwohl sie Kais Ideen keinen Glauben zu schenken schienen, bewegten sie sich auf ihn zu. Ziemlich schnell sogar. Und sie sahen, was Kai so in Panik versetzte. Das Licht draußen flackerte, weil die Straßenlampen schwankten. Die Bäume bewegten sich. Nicht die Blätter, sondern die dicken Stämme. Sie zitterten, schwankten und kippten zur Seite. Einer nach dem anderen, vom Mount Fuji in Richtung des Hotels, so als hätte man bei einer Reihe Dominosteine einen angestoßen. Begleitet wurde das sonderbare Schauspiel von einem immer lauter werdenden Grollen. Die Menschen spürten das Zittern des Bodens, wellenförmig und immer heftiger. Dann versank die bunte, abendliche Stadt um sie herum in einer grauen Staubwolke, aufgewirbelt von Tausenden Gebäuden, die in sich zusammen fielen.
Hustend kam Kai auf die Beine. Er hatte sich nach vorn auf die Straße geworfen und den Kopf so gut es ging mit den Armen geschützt. Jetzt hob er langsam den Blick. Der Mount Fuji stand noch, das sah er trotz der Dunkelheit, die jetzt herrschte. Denn der Berg hob sich unverändert im hellen Mondlicht vom Sternenhimmel ab. Also war das nur der letzte Warnschuss gewesen. Langsam nahm er auch die Szenerie um sich herum wahr. Menschen lagen auf dem Boden, doch keiner bewegte sich. Einige wenige stöhnten, waren wahrscheinlich verletzt. Einige lagen halb unter Trümmern begraben. Er ließ den Blick über die Ruinen schweifen, die das kurze Erdbeben hinterlassen hatte. Die meisten der eigentlich erdbebensicheren Häuser waren in sich zusammen gestürzt. Es standen nicht mehr sehr viele und ganz geblieben schien kein einziges. Gasgeruch lag in der Luft und es brannte an einigen Stellen. In der Nähe rauschte es, wahrscheinlich war die Wasserleitung geborsten. Langsam richtete der Reporter sich auf, kniete jetzt auf der Straße und tastete schnell seinen Körper ab. Er schien unverletzt. Das war schon mal nicht schlecht für den Anfang. Er kam zitternd auf die Beine und tat das, wovor er Angst hatte. Er drehte sich um und sah sich das an, was vom Hotel übrig war. Wie die meisten anderen Häuser hatte es der unglaublichen Wucht des Bebens nicht stand gehalten. Die Vorderseite war teilweise auf die Straße gefallen, der rechte Flügel stand noch, sah aber ziemlich verschoben aus. Kai wurde von einem kurzen Schwindelgefühl erfasst, fing sich aber schnell wieder. Denn vor ihm lag Florian auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Der Moderator hatte hinter Kai gestanden und war von Betonbrocken getroffen worden. Er hatte eine blutend Wunde am Kopf, wie Kai im Licht seines Handys erkannte. Seine Beine lagen unter Schutt begraben. Kai räumte hastig die großen Brocken beiseite und zog ihn dann weiter vom Hotel weg und in eine vorläufige Sicherheit, sollte es zu einem Nachbeben kommen. Dann ließ er sich auf den Boden nieder und tastete Florians Beine ab. Er spürte das Blut an seinen Händen. Nicht viel, aber es war da. "Florian", sagte er leise. Seine Stimme klang rau. "Flo, komm schon. Wach auf." Der stöhnte leise, kam aber nicht zu sich. In dem Moment klingelte Kais Handy. Verwundert sah er dieses kleine technische Wunder an. In der näheren Umgebung stand sicher keine Sendemast mehr, aber das Telefon hatte doch ein Netz gefunden. Er schaltete es ein und stellte den Lautsprecher an. "Ja?", fragte er verwundert. "Kai? Gott sei Dank…" Die Stimme des Nachrichtensprechers klang zwar etwas blechern, aber er war sehr gut zu verstehen. "Peter…" Der Mann schwieg kurz. "Wie geht es dir?", fragte er jetzt ruhig und vorsichtig. Er merkte, dass sein Kollege unter Schock stand. "Gut… denke ich…" "Wir haben von dem Beben gehört, im Fernsehen." "Beben? Das war… heftig." "Wie sieht es bei euch aus?" "Es ist dunkel", murmelte Kai. "Und irgendwie bin ich ganz froh darüber." Florian regte sich und schlug die Augen auf. Er stöhnte schmerzerfüllt und rollte sich auf die Seite. "Meine Beine", murmelte er. "Ich weiß", sagte Kai leise und strich ihm leicht über den Arm. "Wahrscheinlich sind sie gebrochen. Bleib ruhig liegen." Der Moderator sah das Handy in Kais Hand. "Geht das?" Seine Stimme klang plötzlich hoffnungsvoll. "Ja… ich habe Köln an der Strippe. Und irgendwie ist das unglaublich beruhigend." "Wir sitzen hier bei der Besprechung der Hauptnachrichten. Kai, ich zeichne das Gespräch auf, für unsere Chefs. Und vielleicht für die News ein oder zwei Sätze." Er bekam einen Zettel zugeschoben. Eine Kamera wurde aufgebaut und man schaltete ihn ins laufende Programm. "Vergiss, was ich gerade gesagt habe. Der Sender hat das Programm unterbrochen, wir sind live auf Sendung." "Super", murmelte der Reporter. Arbeiten konnte er jetzt wirklich nicht. Und auch nicht so tun, als wäre mit ihm alles okay. Auch wenn er versuchte, sich das krampfhaft selber einzureden. Er lauschte Peter Kloeppel, wie der kurz zusammenfasst, was geschehen war und warum das Programm unterbrochen worden war. Dann erinnerte er die Zuschauer an das Formel 1 - Rennen, was jetzt nicht mehr stattfinden würde und sagte auch, dass er Kai live am Telefon hatte. "Wie sieht die Stadt aus, zumindest um euch herum", band er ihn jetzt in die Sendung ein. "Stadt? Die Stadt gibt es nicht mehr. Welche Stärke hatte dieses verfluchte Beben? Die Häuser hier sollen doch erdbebensicher sein." "Bei einer Stärke von 8.2 aber nicht mehr." Peter schwieg kurz. "Flo, wie geht es dir?" "Beschissen. Ich habe Schmerzen…" Er sah Kai an, der erwiderte den Blick. "Was ist mit dem Rest von eurem Team?", fragte Peter jetzt und sprach damit das aus, was Florian und Kai am liebsten verdrängt hätten. "Ich schau mich mal um", sagte Kai leise und erhob sich. "Ich muss meine Leute erst mal zusammensuchen", erklärte er Peter. "Heiko, Chris und Niki waren in der Stadt unterwegs, der Rest des Teams stand im Eingangsbereich des Hotels." Er lief durch die Dunkelheit und war sehr froh über den hellen Mond an diesem Abend. "Da drüben ist Jan", erzählte er. Irgendwie hielt es Kai davon ab, durchzudrehen, wenn er hier so tun konnte, als würde er arbeiten. Er hockte sich neben seinen Kollegen und tastete nach dessen Puls. Aber er fand nichts. "Kai?" Peter klang sehr besorgt und im Hintergrund murmelten einige Leute. "Kai… was ist mit Jan?" "Er ist tot", sagte Kai tonlos. Betäubt stand er auf und ging weiter. 'Nur die Bedeutung dieses Satzes nicht an mich ranlassen', sagte er sich immer wieder. Schuttberge und die Dunkelheit versperrten ihm den Weg. Er fand noch seinen Kameramann, der ebenfalls nicht mehr am Leben war. "Ich kann die anderen nicht finden…", sagte er leise. "Sie liegen wahrscheinlich unter den Trümmern. Es ist zu dunkel hier." "Laut meiner Informationen sind bereits Rettungsteams auf dem Weg in die Stadt. Bleibt einfach, wo ihr seid." "Auf keinen Fall", sagte Kai leise aber aufgebracht und ging zurück zu Florian. "Ich schnappe mir jetzt Flo und dann gehen wir." "Er kann nicht laufen", rief Peter Kai ins Gedächtnis. "Aber ich kann ihn tragen. Das wird nicht angenehm für ihn, aber das ist mir scheißegal." Seine Stimme zitterte jetzt leicht, Panik stieg in ihm hoch. "Ich bleibe nicht hier, bis dieser verdammte Vulkan ausbricht und…" "Was ist los? Kai? Bist du noch dran?" Peters Stimme klang alarmiert, als der Reporter plötzlich schwieg. "Ja… da ist ein Licht." Kai kniff die Augen zusammen und schaute dem kleinen weißen Licht entgegen, was sich zitternd, aber relativ schnell, auf ihn zu bewegte. Er hörte Schritte und die Stimmen von Männern. Stimmen, die er kannte. Sein Herz überschlug sich fast. "Heiko", rief er in die Dunkelheit. "Da drüben", sagte der laut. "Kai, alles klar?" Der schluckte hart, als er den Kommentator auf sich zulaufen sah. "Jetzt geht es mir zumindest etwas besser", sagte er mit erstickter Stimme. "Bist du verletzt?", fragte er, als Heiko vor ihm stand. "Nein. Uns ist nichts passiert." Er hielt eine kleinere Kamera in der Hand, an der oben eine helle, weiße Lampe angebracht war. "Wo sind Flo und die anderen?" "Hier unten", presste Florian hervor. "Kai, alles in Ordnung bei euch…" Niki sah zu Florian hinab, der jetzt vom Schein der Lampe erfasst wurde. "Okay… anscheinend nicht." "Mir geht es gut, Flo auch einigermaßen, wenn man sich hier so umsieht." Er hockte sich hin und sah sich Florians Beine jetzt genauer an. Christian hockte sich neben ihn. "Gebrochen, aber wie es aussieht, sind es keinen offenen Frakturen." "Was ist mit den anderen?" Kai deutete nach hinten in Richtung des Hotels. Die Lampe zeigte die wahre Zerstörung, auch wenn sie nur die Schuttberge aus der Dunkelheit riss, die sich vor dem ehemaligen Eingang auftürmten. Jetzt sah Kai auch, woran Jan gestorben war. Eine Glasscherbe stecke wie ein Dolch in seinem Rücken. Heiko keuchte erschrocken auf, als er das sah. "Die anderen…" "Leute…" Peters Stimme klang ruhig durch die Nacht. "Seht zu, dass ihr da weg kommt. Auf CNN hat gerade ein Seismologe gesagt, er rechnet binnen der nächsten 24 Stunden mit einem Ausbruch des Mount Fuji. Und der Mann wirkte nicht so, als wolle er sich wichtig machen." Kai nahm die Kamera, die eine der teuren war und schaltete den Sender ein. "Peter, hat die Regie das Signal?", fragte er. "Ja. Ich sehe dich. Wo ist die Kamera her?" "Niki und Christian hatten sie dabei. Sie wollten anscheinend eine eigenen Reportage drehen. Wir haben Saft für ungefähr 10 Stunden, dann ist der Akku leer." Kai sah sich um. Sein Blick fiel auf das Auto, welches am Straßenrand stand. Es war sein Mietwagen. "Wartet mal." Es war verbeult, aber sah noch relativ gut aus. Er schlug die Scheibe auf der Fahrerseite ein und schloss den Wagen kurz. Der Motor sprang an. "Keine Ahnung, wie weit man damit kommt." Er öffnete den Kofferraum und zog seine Reisetasche heraus, die er bereits hier verstaut hatte. Auch einiges vom Equipment hatte er mit eingepackt, unter anderem die kleinen Empfänger, die man sich ins Ohr steckte. Er verteilte die Sachen an seine Kollegen und schaltete das Handy aus. "Irgendwie beruhigend mit dem anderen Ende der Welt verbunden zu sein." Niki schien die Ruhe selbst zu sein, aber wenn man in seine Augen sah, erkannte man die Wahrheit. Christian Danner hatte noch nicht ein Wort gesprochen, so sehr stand er unter Schock. Aber als Kai ihn bat, mit anzupacken, hob er Florian mit hoch und trug ihn zum Auto. Sie setzten ihn auf den Beifahrersitz und die drei anderen schoben sich auf die Rückbank. Heiko hielt die Kamera, während Kai das Licht einschaltet und fuhr. "Es geht nur im Schrittempo vorwärts, weil ich nicht gegen Trümmer fahren will… oder über herumliegende Menschen." Kai schluckte hart, konzentrierte sich aber auf die Straße. Peter brach die Verbindung nicht ab. Erstens fanden die Zuschauer die Unterbrechung des Programms und die Live-Schalte nach Fuji anscheinend sehr interessant, auch wenn das im Moment mit professioneller Berichterstattung nichts zu tun hatte… oder gerade deswegen… und zweitens wollte er seine Kollegen einfach nicht allein lassen. Die fünf schienen unglaublich erleichtert, diese Verbindung zur Außenwelt zu haben. "Wir hätten den anderen helfen müssen", murmelte Christian leise. "Dazu haben wir keine Zeit. Wenn der Vulkan ausbricht, müssen wir hier weg sein." "Vulkan?" Niki klang sehr skeptisch. Doch dann grübelte er. "Naja… bei so einem Beben… und das direkt neben einem erloschenen Vulkan…" "Er ist nicht erloschen, Niki. Er ist inaktiv… gewesen." Kai bremste und stieg aus dem Wagen. Er zog eine Leiche von der Straße, schob einige Schuttbrocken beiseite, stieg wieder ein und fuhr weiter, als sei nichts gewesen. "Was nützt es uns, wenn wir die anderen finden, sie aber nicht raus bringen können. Sollte der Vulkan ruhig bleiben, wird die japanische Regierung sicher umgehend Rettungstrupps schicken. Die Gegend hier ist nicht so gefährdet bei einfachen Nachbeben, dass Rettungsteams hier nicht zügig arbeiten könnten. Aber wir allein im Dunkeln…" "Du hast ja Recht…", murmelte er. Sein Handy klingelte und er ging ran. Er schaltete den Lautsprecher ein und die Stimme von Norbert Haug kam aus dem kleine Gerät. "… ein Glück, dass du noch lebst…" "Norbert… wie geht es dir?" "Nichts Schlimmes. Ich habe mir das Handgelenk gebrochen. Aber es geht schon." Seine Stimme klang brüchig. Auch er stand völlig unter Schock. "Wo bist du? Ist jemand bei dir?" Der Mercedes-Chef schluckte hörbar und rang nach Fassung. "Gerhard ist hier und Adrian Sutil." Er sprach leiser. "Wir sind in der Nähe der Rennstrecke. Sie wurde völlig zerstört. Es hat eine riesige Explosion gegeben und jetzt brennt es überall." Kai und den anderen wurde schlecht bei der Vorstellung, wie viele der Opfer, die es dort gegeben hatte, sie kannten. Denn, dass dort keiner verletzt worden war, war eigentlich unmöglich. Und mit den nächsten Worten bestätigte Norbert das auch. "Lewis ist tot", hauchte er und schluchzte. "Timo glaub ich auch. Zumindest ist er schwerst verletzt. Ich hoffe, dass er das nicht merkt. Und Flavio liegt unter einem Schuttberg, wenn der Arm mit der Uhr ihm gehört, die ich dort drüben sehe." Eine Stimme war zu hören, ein schmerzvoller Aufschrei, Schluchzen. "Sebastian kam gerade angehumpelt. Es hat ihn auch ein wenig erwischt, aber er lebt und kann selber laufen." Der Mann schluchzte leise und man hörte ihn mit Sebastian Vettel reden. "Mit wem telefonierst du?", fragte der junge Fahrer. Seine Stimme klang tief und dumpf. "Mit Niki." "Niki? Wo bist du?" Der Österreicher seufzte glücklich. Er war froh über jeden, der diese Naturkatastrophe überlebt hatte. Das war einfacher, als zu verdauen, dass viele es nicht geschafft hatten. "Bei unserem Hotel. Oder besser gesagt auf dem Weg raus aus der Stadt. Und das solltet ihr auch tun. Verschwindet. Nehmt ein Auto oder lauft. Ihr seid ja eh einige Kilometer weiter weg vom Mount Fuji als wir." "Wir?", fragte Adrian schluchzend, aber seine Stimme klang jetzt sehr hoffnungsvoll. "Kai, Flo, Heiko, Christian und ich." "Wie geht es euch?", fragte Norbert sofort. "Ganz gut, bis auf Flo. Ein Trümmerstück hat ihm die Beine gebrochen." "Aua", murmelte Sebastian leise. "Es tut gar nicht so weh. Adrenalin und ein Schock sind besser als Morphium", sagte Florian ernst. Kai lächelte ihm zu, versuchte ihn so, ein wenig aufzumuntern. "Verschwindet vom Berg", sagte er zu Norbert. "Nehmt mit, wer immer laufen kann und geht. So schnell und so weit ihr könnt." "Aber hier in der Nähe ist ein Krankenhaus. Sebastian und Adrian könnten einen Arzt gebrauchen…" Norbert stockte. "Oder glaubst du immer noch an deine Theorie?" "Wenn ich Recht habe, war das Beben der Startschuss." Gemurmel war zu hören, Gerhard und Norbert diskutierten, doch schließlich sagte Norbert laut. "Nein. Wir gehen. Kai hat Recht. Wir verlassen die Stadt." "Klaut euch einen Wagen, wenn ihr einen findet", sagte Niki. "Damit kommt ihr schneller vorwärts." "Ich weiß nicht, wie man ein Auto kurzschließt." "Wir haben hier eine Kamera und damit Kontakt nach Köln", sagte Kai. "Irgendwer wird es euch schon erklären können." Florian neben ihm brummte etwas. Gerhard seufzte leise. "Ein Hoch auf die Technik", murmelte er. "Auch wenn die Leute uns von dort nicht helfen können… irgendwie…" "Ja", sagte Heiko leise. "Es ist aber ein gutes Gefühl, in so einer Hölle nicht allein zu sein." Niki sah auf sein Handy. "Mein Akku reicht nicht mehr lange. Ich gebe euch mal noch die Nummern der anderen durch. Wir bleiben in Kontakt." "Okay." Norbert speicherte die Nummern sofort ab. "Natürlich bleiben wir in Kontakt. Und ihr passt bitte auf euch auf. Ihr müsst schließlich durch die halbe Stadt." "Klar." Niki beendete das Gespräch. "Wieder ein paar, die es geschafft haben." "Ein schönes Gefühl", sagte Kai leise. Dann bremste er den Wagen. "Endstation. Wir müssen laufen." Er deutete nach vorn, wo eine Wand aus Trümmern und eingestürzten Häusern die gesamte Breite der Straße blockierte. "Wir werden die Barriere überwinden und dann einen neuen Wagen suchen, so wie Niki es gesagt hat. Bis dahin machen wir die Kamera aus." Peter, der bis jetzt geschwiegen und zugehört hatte, murmelte eine Zustimmung. "Meldet euch. Auch wenn ihr wissen wollte, wie man ein Auto kurzschließt." "Ich weiß, wie das geht. Kai auch, er hat es ja mit dem hier gerade auch gemacht", murmelte Florian, als Kai um den Wagen ging, die Tür öffnete und ihn vom Sitz zog. "Autsch…" "Entschuldige", murmelte der Reporter. "Woher weißt du das, Flo?", versuchte Peter ihn abzulenken. "Ich muss dazu nichts sagen, wenn ich mich mit einer Aussage selbst belasten würde." Er sah in die Kamera und versuchte zu lächeln. Aber es misslang ihm. Heiko schaltete die Kamera ab. Niki schauderte und hielt sein Handy krampfhaft in der Hand. Sein Blick huschte durch die Gegend. "Jetzt ist es richtig unheimlich hier." "Wir müssen den Akku schonen", gab Heiko zu bedenken. Er wühlte in Kais Reisetasche herum, ob dort noch was drin war, was sich lohnte, mitzunehmen. Dann grinste er. "Kai, du bist ein Genie." Der quälte sich mit Florian auf dem Arm über die Hindernisse. "Danke für das Lob. Aber auf was beziehst du diese Erkenntnis?" "Auf den Ersatzakku für die Kamera." "Was Mann nicht so alles mit sich herumschleppt." Er sah sich um und lächelte. "Vielleicht sollte ich mir einen Handtasche zulegen." Heiko, Florian und Niki lachten. Christian sah sie finster an. "Wie könnt ihr hier Witze reißen, während rings um uns Menschen sterben?" Die anderen verstummten, man hörte das Quietschen von Eisen, das Kratzen von Beton und Holz und das Stöhnen unzähliger Verletzter und Sterbender in der Dunkelheit. Niki sah ihn finster an. "Wir reißen Witze, weil wir sonst vor Angst nicht mehr weiter könnten. Und jetzt kommt. Immer weiter gehen. Nicht stehen bleiben und nicht umdrehen. Wir haben für uns eine Entscheidung getroffen, jetzt ziehen wir die auch durch." Kais Armbanduhr piepste leise. Er schaute darauf. Das Glas war gebrochen, aber sie funktionierte noch. Es war gerade einmal neun Uhr. Vor ungefähr einer Stunde hatte die Erde gebebt. Kai kam es vor wie eine Ewigkeit.
Oh Gott. Dieser Teil ist so unheimlich! Ich stehe in der Dunkelheit, umgeben von Schutt und Geröll und Leichen und Verletzten und bin vor Schock ganz taub, gerade noch aufmerksam genug, um erleichtert zu sein, wenn wieder jemand sich lebend meldet. Meine Gänsehaut ist mehrere Meter dick, glaub ich. *schauder* Ich seh das richtig wie einen Film in meinem Kopf und es ist extrem gruselig. Eine wahre Meisterleistung deinerseits. lg, Isi =)
*sprachlos ist* Ich weiss nicht, was ich sagen soll...Der Teil ist...wie Isi sagte, umheimlich. Ich hab auch Kopfkino...Sehe mich im dunklen stehen, höre die Verletzten und Sterbenden stöhnen, fühle die Hitze und spürte das Beben...Fühle die Erleichterung, wenn sich jemand meldet, der es geschafft hat...
Meine Gänsehaut ist nicht nur Meterdick, sondern gleich Kilometerdick und gleicht eher der chinesischen Mauer....
Ich...denke, du könntest eine Runde Tempos reichen, Principessa....
Danke euch für das fleißige Kommentieren. Da weiß ich doch, wofür ich mir die ganze Arbeit gemacht habe. Und natürlich reich ich gern ne Runde Tempos.
Freitag - 21 Uhr - noch 20 Stunden
Während Peter Kloeppel in Köln die Zeit nutzte, um die neu hinzu gekommenen Fernsehzuschauer davon zu unterrichten, was in Japan geschehen war und wie es dort im Moment stand, kämpften sich die Journalisten mühsam weiter. Niki hatte bei einem Toten eine Handfeuerwaffe gefunden und eingesteckt. Nach dem Grund gefragt, meinte er nur: Menschen benehmen sich in Krisenmomenten oft sehr sonderbar. Und nicht immer so, dass es gut für andere ist. Kai keuchte leise. Florian hatte die Arme um seinen Hals geschlungen und versuchte, sich möglichst leicht zu machen, aber er war nun mal 1,93 Meter groß und daran konnte auch sein Wille nichts ändern. Gemeinsam überwanden sie die Hindernisse, sahen aber nach jedem wieder ein neues. "Hier können wir die Autos vergessen. Man kommt nicht weit." Heiko sah sich besorgt um. Die Kamera hatte er fest an sich gedrückt. Für ihn war sie der Rettungsanker, der ihn davor bewahrte, ins Reich des Wahnsinns abzustürzen. Er beschützte sie und hatte so nicht die Zeit, sich genau nach rechts und links umzusehen. Niki tat dies, aber er schottete seine Gefühle ab gegen das, was er zu sehen bekam. Natürlich gab es überall Überlebende. Aber niemand machte Anstalten, die Stadt zu verlassen. Die Menschen weinten um ihre Angehörigen, versorgten notdürftig ihre Wunden, suchten nach Nahrung und Trinkwasser und saßen dann auf der Straße, um auf Hilfe zu warten. Und sie sahen den dummen Touristen nach, die sich in der Dunkelheit durch die Stadt quälten. Kai hatte genug damit zu tun, Florian über die Hindernisse zu tragen und der Moderator damit, sich schuldig zu fühlen, weil er verletzt worden war und jetzt ein Hindernis für seine Freunde bildete. Natürlich vermied er es, zu sagen, sie sollten ihn hier lassen, denn dafür hätte Kai ihn verbal einen Kopf kürzer gemacht und mit der Wutpredigt wertvolle Kraft vergeudet. Christian Danner schlich hinter den andern her. Er schwieg, blickte auf den Boden, aber er nahm alles um sich herum wahr. Jeden Toten, jeden Verletzten. Er wollte helfen, wollte retten, wollte Trost spenden, obwohl er selber diesen Trost dringend gebraucht hätte. Er hörte Kinder weinen und nach ihren Eltern rufen. All die Jahre, in denen er jetzt schon nach Japan kam, des Berufes wegen, hatte er nicht mehr Worte gelernt als 'Guten Tag', 'Auf Wiedersehen', 'Danke' und die Bezeichnungen einiger lokaler Spezialitäten. Jetzt lernte er zwei neue kennen und die Übersetzung übernahm allein sein Herz: 'Mama' und 'Papa'. Und er wusste, dass er sie nie wieder vergessen würde. Nicht die Worte, nicht die Tränen und das Schluchzen und erst recht nicht die Stimmen, die sie so verzweifelt durch die Nacht riefen.
*schauder* Ich will nie nie nie nie niemals sowas erleben müssen. Hab ich mich klar ausgedrückt? *drohend nach oben guck* Meine Güte, sogar meine Eingeweide zittern. Christian tut mir leid, und obwohl ich verstehen kann, dass er helfen will - ich hab ja selber so ein Helfersyndrom - ist das wirklich das schlimmste, was er jetzt tun könnte. Laufen...einfach laufen, weit weit weg. Das muss er tun. Genau wie alle andern. Wenn er so unbedingt jemandem helfen will, dann kann er ja mal für ne Weile Flo tragen, damit Kai seine Arme ausruhen kann. Bin gespannt auf den nächsten Teil. lg, Isi =)
*taschentuch schnappt* Danke*schnief und heul* Wieder einmal hast du es geschafft, mich so zu berühren, dass ich anfang zu weine...Gut, dass ich vorher um Tempos bat...
Es ist ergreifend, wie du diesen Marsch beschreibst.... Wie ein jeder versucht, nicht den Verstand zu verlieren... Und ich kann Christian verstehen, ich würd auch helfen wollen...Aber, ich weiss nicht, ob ich das könnte - emotional und auch körperlich.... Es ist einfach so.... nicht beschreibbar, ich glaub, das trifft es am besten...
Ich bin immer wieder tief beeindruckt, wie du Gefühle, Empfindungen beschreibst, dass sei auch der Leser spührt...Es ist einfach unglaublich... Man ist mittendrin, statt nur dabei....
Danke schön. Und solange ihr noch lesen wollt und weiter so lieb Kommis schreibt, stell ich euch gern noch mehr online.
Freitag - 22 Uhr - noch 19 Stunden
Nikis Telefon klingelte. Er ging ran und schaltete natürlich den Lautsprecher ein. Es waren Sebastian und Adrian. Sie baten Niki darum, mit Kai sprechen zu dürfen. "Redet ruhig, ich höre zu", sagte der. Er keuchte hörbar, seine Sachen klebten an seinem Körper und er hatte unglaublichen Durst. "Wenn das Gespräch abbricht, keine Angst", warf Niki ein. "Dann ist einfach nur mein Akku leer." "Kai… Norbert sagt, du rechnest ganz fest mit einem Vulkanausbruch? Wieso?" Der Reporter hörte die Panik in Adrians Stimme. War es besser, den jungen Mann in dem Glauben zu lassen, dass es nur seine Einbildung war oder sollte er ihm die Fakten nennen und seine eigenen Schlüsse ziehen lassen? "Es liegt an dem Buch, welches ich momentan lese, gelesen habe meine ich. Es geht dort um den Ausbruch des Vesuv, bei dem Pompeji verschüttet wurde. Und die Anzeichen im Buch stimmen nahezu eins zu eins mit dem überein, was hier passiert." "Und wie realistisch ist das Buch?" "Adrian." Kai stöhnte auf, "ich habe es nicht nachgeprüft, aber mein Instinkt hat mich gewarnt… eigentlich schon seit wir hier sind. Was mich etwas beruhigt hat, war der Schnee oben auf dem Mount Fuji. Ich dachte, wenn von unten Wärme kommt, kann dort kein Schnee liegen. Aber vielleicht…" Er schwieg. Jetzt waren es wirklich Spekulationen, für die er nicht einen Beweis hatte. "… aber vielleicht ist die Lava noch gar nicht durch den erstarrten Teil durchgebrochen, nicht wahr? Aber jetzt nach dem Beben könnte dieser erstarrte Pfropfen Risse bekommen haben und der Druck der Lava von unten könnte ihn praktisch…" Sebastian hatte die Worte wie in Trance gemurmelt und schwieg jetzt schockiert wegen seiner eigenen Worte. "Was? Was könnte passieren?" Heiko sah Kai in der Dunkelheit an. "Je nachdem, wie hoch der Druck ist, könnte es einen Teil des Berges einfach wegsprengen." Schweigen herrschte. "Wie viel Spekulation ist in dieser Theorie?", versuchte Niki ein wenig Realität in das Gespräch reinzubringen. "100 Prozent", gab Kai zu. "Was ich sicher über den Mount Fuji weiß, ist, dass er aus drei Vulkanen besteht und einer von ihnen ist vor 300 Jahren das letzte Mal ausgebrochen. Er hat einen ziemlichen Schaden verursacht und viele Menschen getötet. Aber laut Überlieferungen und Erzählungen wurde der Ausbruch nicht von so heftigen Erdbeben begleitet." "Moment…" Adrian klang aufgebracht und seine Stimme zitterte. "Das heißt, du befürchtest, dass unter dem Vulkan so viel Lava ist, dass die drei inneren Vulkane gemeinsam ausbrechen würden und damit einen Supervulkan bilden könnten?" "Das wäre ein Supergau", gab Kai zu. "Eine Explosion, die der des Vesuv von damals in nichts nachstehen würde. Und es wäre das absolut Schlimmste, was hier passieren könnte." Niki sah ihn strafend von der Seite an und schüttelte den Kopf. "Musste das sein?", flüsterte er. Die Jungs hörten es natürlich, da er den Lautsprecher eingeschaltet hatte. "Ist schon okay", sagte Sebastian und atmete hörbar durch. "Adrian und ich haben nur gestritten, ob wir eine Pause einlegen sollten und vielleicht ein oder zwei Stunden schlafen könnten. Wir haben uns gerade geeinigt, es nicht zu tun." Kai seufzte erleichtert. "Geht weiter. So schnell und so lange ihr könnt. Achtet auf den Weg, dass ihr euch nicht verlauft. Geht bergan, wenn es möglich ist. Haltet euch von hohen Dingen fern, die noch stehen, falls es zu Nachbeben kommt. Und lasst euch nicht aufhalten." "Nein, das tun wir nicht", versprach Sebastian leise. "Wir haben mit drei Kollegen von euch gesprochen. Einem Briten und zwei Franzosen. Sie meinten, ihr wäret verrückt, nachts durch die Stadt zu rennen und sie würden an der Rennstrecke bleiben, bis die Rettungsteams da sind. Wir konnten sie nicht überzeugen, mit uns zu kommen. Nico wollte mit… aber sein Vater hat gemeint, sie würden bleiben und es sei Schwachsinn, was du behauptest…" Norbert Haug mischte sich ein. "Hört jetzt auf. Ich weiß, dass es ungemein erleichternd ist, mit anderen zu reden, selbst wenn sie im gleichen Schlamassel sitzen wie wir. Aber die Handyakkus halten nicht ewig." "Pass auf die Kinder auf", sagte Niki, woraufhin sich die beiden Fahrer bitter beschwerten. Das Handy wurde ausgeschalten. Niki sah Kai und Florian an. "Es sind noch Kinder." Die zwei nickten sofort. "Wenn du Recht hast, werden sie sterben", murmelte Heiko. "Was?" Kai blieb kurz stehen und setzte Florian vorsichtig ab. "Wenn du Recht hast mit dem Ausbruch, werden die Leute sterben, die noch an der Strecke sind. Sie liegt in einem Talkessel. Vom Mount Fuji bis dorthin geht es immer nur bergab." Der Reporter schwieg und nickte. Heiko hatte Recht, vollkommen Recht. Was er nicht aussprach, was die anderen aber genauso gut wussten, war die Tatsache, dass zwischen dem Mount Fuji und der Strecke ihr Hotel lag. Und damit ihre Freunde und Kollegen, die vielleicht noch am Leben waren. Aber wem nützte es, das auszusprechen. Die Wahrheit war auch schlimm genug, wenn man sie schweigend teilte. In manchen Fällen musste man ihr wirklich nicht auch noch eine Stimme verleihen.
Dieses nackte Grauen ist der Hammer. Mir wird richtig kalt, wenn ich dran denke, wie viele Menschen unter den Trümmern begraben liegen und noch leben, oder einfach auf der Straße sitzen...oder auf der Rennbahn. *seuftz* Dieser letzte Absatz hat echt die Grauensstufe noch eine Latte höher gelegt. Der Gedanke, dass sie in dem Hotel sitzen, oder an der Rennstrecke, und den Ausbruch mit ansehen/-hören müssen und ihr letzter Gedanke sein wird, dass Kai recht hatte...*schauder* Mach bitte ganz schnell weiter, diese Story ist der Hammer. lg, Isi =)
Ich mag alle Kommis. Kurze, lange, alle. Und wenn die Story dich wirklich sprachlos macht, dann ist sie gut gelungen. Danke euch beiden, ihr seid echt superlieb und superfleißig *knuddel*
Freitag - 23 Uhr - noch 18 Stunden
Nur ein paar Minuten hatte Kai sich hinsetzen wollen, um zu verschnaufen, doch das Erdbeben, was die Stadt erneut erschütterte, trieb ihn schnell wieder hoch. Als es vorbei war, nahm er Florian wieder auf den Arm und ging weiter. Sein Hand klingelte und Niki zog es ihm aus der Tasche. "Es ist Peter." "Natürlich, wer sonst. Geh schon ran. Ich denke, dass unsere Familien inzwischen auch wissen, was hier los ist und ich möchte, dass sie sehen, dass wir noch am Leben sind." Heiko schaltete die Kamera ein. "Lass das Handy aus. Peter, hier ist Heiko." "Heiko… alles in Ordnung bei euch? Die Nachrichtenagenturen meldeten gerade ein weiteres schweres Beben. Wieder über 7.0." "Wir sind in Ordnung. Wir sind mitten auf der Straße, die meisten Häuser sind eh schon zusammen gefallen. Hier kann uns kaum etwas passieren." Der Nachrichtensprecher schien unglaublich erleichtert. "Da bin ich ja ein wenig beruhigter." Er schwieg kurz. "Florian, deine Frau sagt, du sollst durchhalten und nicht versuchen, den Helden zu spielen." Er lächelte leicht und blickte in die Kamera. "Ich habe Kai nicht gebeten, mich hier zu lassen, Schatz. Er schafft meine paar Kilos schon." "Kein Problem", bestätigte auch Kai. Er blickte jetzt ebenfalls in die Kamera. "Uns geht es soweit ganz gut. Wir versuchen so wenig wie möglich nach rechts und links zu gucken und konzentrieren uns darauf, hier weg zu kommen." Er schwieg kurz. "Was sagen die Experten, Peter?" "Sie wollen abwarten, bis es hell wird und dann per Hubschrauber mal um den Berg fliegen. Vielleicht können wir euch dann mehr sagen. Und die Rettungstrupps werden auch erst morgen früh anfangen, ihr Arbeit aufzunehmen. Im Dunkeln ist es zu gefährlich. Und bei der Stärke der Nachbeben sowieso." Niki verzog das Gesicht. "Es ist kurz nach elf Uhr. Bis es hell wird, dauert es noch einige Stunden." "Bis dahin will ich in der Vorstadt sein. Hoffentlich haben wir dann ein Auto und können fahren." "Wie geht es dem anderen Team? Norbert und den anderen…" Peter hatte etwas Angst, überhaupt zu fragen. "Ich hoffe gut. Sie haben sich vorhin mal kurz gemeldet, nur um zu hören, ob es eine gute Idee wäre, eine Pause einzulegen." Kai schüttelte den Kopf. "Ich habe einen Psychologen hier im Studio. Er rät euch, immer langsam weiter zu laufen, aber keine Pausen einzulegen. Und möglichst wenig zu denken." Kai stöhnte auf. "Dafür brauche ich keinen Experten. Dass man schwer wieder hoch kommt, wenn man müde ist und kurz rastet, weiß ich auch so." Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. "Leute, ich habe Durst." "Ich auch", stimmte ihm Florian zu. Kai sah ihn verwundert an. "Wovon?" "Sucht euch etwas zu Essen. Irgendwo muss es doch einen Supermarkt oder sowas geben, der noch halbwegs steht." Niki deutete auf ein McDonalds. Das Gebäude war zwar beschädigt, aber es sah so aus, als hätte der Verkaufsraum es größtenteils unbeschadet überstanden. Er blickte in die Kamera und sagte dann: "Da sind keine Verkäufer, wir werden uns also mal selber bedienen. Aber wir machen die Kamera aus. Zeugen brauchen wir beim Klauen nicht." "Kein Mensch wird euch das verübeln", sagte Peter. "Meldet euch wieder." Heiko steckte die Kamera ein und sah sich um. Einige Menschen saßen in der Nähe, mit Getränken und Essen aus dem Restaurant. Er kletterte durch ein Loch in der Mauer. "Bleibt draußen." Er stockte. "Falls es wieder beben sollte…" Schweigend warteten die anderen, lauschten nach unten und trieben ihren Kollegen gedanklich an. Er kam einige Minuten später wieder aus dem Restaurant und sie gingen ein Stück weg. "Die meisten Automaten sind kaputt, zum Glück. Passt ein wenig auf beim Trinken, es könnte sein, dass Plastikteilchen da drin rumschwimmen." Er verteilte Wasser und Orangensaft, außerdem einige Salatteller. Die waren zwar inzwischen warm geworden, aber sicher noch nicht verdorben. Sie stärkten sich, sahen andere Menschen, die ebenfalls in das Gebäude kletterten und mit Essen heraus kamen. Zwei kleine Kinder drückten sich in der Nähe der Journalisten herum. Kai sah sie eine Weile an, trank noch einen Schluck von seinem Wasser und reichte den Becher dann den Kindern. Sie nahmen ihn unsicher und tranken gierig. Florian, der neben Kai auf den Steinen saß, blickte seine Kollegen an. Sie alle fragten sich, wo wohl die Eltern der Kinder waren. Und ob sie die zwei vielleicht mitnehmen sollten. Kai reichte dem Jungen noch den Salat, der sich kurz verneigte und dann rannten sie davon. "Wir hätten sie mitnehmen sollen", murmelte Chris. Kai war ein wenig genervt. "Sollen wir sie gewaltsam mitnehmen? Ich glaube, dann werden die vielen ruhigen, schockierten Japaner gleich sehr lebendig. Die bringen uns um."
Dieser trügerische Frieden macht mich fertig. Sie brechen beim McDonalds ein und klauen Essen, und alles, worum sie sich kümmern ist, ob die KAMERA AUS ist!!! Oh man. Das ist so irreal, da muss man beim Lesen beinahe lachen. Sowas nennt man wohl Schockzustand, wenn das Gehirn versucht, so weiterzumachen, als wäre alles normal, während der Verstand sagt, man soll gefälligst den Hintern hochkriegen und sich zusammenreißen. Oh man. Und natürlich hätten sie die Kinder nicht mitnehmen können. Leider. Da wären sie glatt von all den Leuten ringsum gelyncht worden. Der Countdown über jedem Teil hilft übrigens nicht wirklich. Man denkt zwar: uff, jetzt ist erstmal Ruhe....aber man weiß auch: bald geht es los...und dann müssen sie da weg sein... Mach bitte ganz schnell weiter, Kitten. lg, Isi =)
Habe so eben deine neue Story entdeckt und bin absolut fasziniert und sprachlos zu gleich. Beim Lesen hat man das Gefühl, als wäre man selbt mittendrin in der Geschichte. Absoluter Wahnsinn wie du schreibst.
Bin gespannt was noch alles kommt, wenn das erst der Anfang der Katastrophe war.
Danke euch und *freu* noch ein Leser. Hier habt ihr einen weiteren Teil:
Samstag - 0 Uhr - noch 17 Stunden
Kais Uhr piepste wieder. Es war Mitternacht. Die Kamera hatten sie aus gehabt, jetzt gab Niki Heiko einen Wink. Der schaltete sie ein. Peter erkundigte sich sofort, was los war. Niki deutete auf das McDonalds. "Essen. Wir haben Essen gefunden." "Und zwei einsame Kinder", sagte Chris leise. "Wir hätten sie mitnehmen sollen." Kai verdrehte die Augen. "Die wären nicht freiwillig mitgekommen. Wir sind Fremde. Und wenn die Theater gemacht hätten, wären uns die Erwachsenen hier sicher nicht mehr sehr wohl gesonnen. Oder kannst du ihnen erklären, was wir von den Kindern wollen?" Das Verhalten von Christian ging Kai tierisch auf den Geist. Es erzeugte eine zusätzliche Spannung in der Gruppe, die keiner brauchte, aber Kai wollte jetzt keinen Streit provozieren, als schwieg er und schluckte das runter, was er eigentlich noch hatte sagen wollen. Stattdessen hob er Florian wieder hoch und lief weiter. Die anderen folgten ihm. "Magst du noch was haben?", fragte der Moderator und hielt Kai eine Gurkenscheibe vor den Mund. Der nahm sie dankbar. Eine Weile ließ er sich von Florian füttern. "Es reicht", sagte er schließlich. "Du brauchst auch noch etwas, sonst hast du keine Kraft mehr, um gegen die Verletzung zu kämpfen." Florian nickte. "Ich brauch nicht so viel Energie." Kai sah ihn streng an. "Doch." Ihm fiel mal wieder auf, wie blass sein Freund und Kollege aussah und mittlerweile war er sich sicher, dass das nicht allein am fahlen Mondlicht lag. "Wie geht es dir?", fragte er besorgt. "Hast du Schmerzen?" "Nein." Auch wenn er seine Augen nicht sehen konnte, hörte er doch das Zögern in Florians Stimme. Er log. Natürlich hatte er Schmerzen, was angesichts von zwei gebrochenen Beinen auch kein Wunder war. Aber entweder hielt Florian sich verdammt tapfer, oder er fühlte etwas in seinem Körper, was er den anderen nicht mitteilen wollte. Kai hatte einen guten Spürsinn entwickelt, was die Menschen in seiner Umgebung anging. Und Florian verbarg etwas vor ihm. Ein wenig besorgt drehte er den Kopf und blickte schweigend in die Kamera. Heiko gähnte leise. "Entschuldigt, ich bin müde. Es war ein langer, heißer Tag, auch ohne das Erdbeben." Er drehte die Kamera um und blickte hinein. "Wir melden uns, Peter." "Ja, macht das. Regelmäßig, bitte."
Meine Güte, Chris soll sich mal zusammenreißen. Das ist schlimm mit dem. Benutzt der auch mal sein Gehirn, bevor er redet? Ausnahmesituation hin oder her, es ist doch klar, dass Kai Recht hat - wie immer. Flos Benehmen gefällt mir nicht. Wenn er beide Beine gebrochen hat, kann ich mir schon ganz gut vorstellen, was mit ihm los ist. Entweder lügt er, weil er Schmerzen hat und das nicht zugeben will, oder er lügt NICHT, was noch beunruhigender wäre. Keine Schmerzen bei gebrochenen Beinen ohne Schmerzmittel oder Schiene ist immer bedenklich. Ich hoffe, ich täusche mich. lg, Isi =)
"Wartet", rief eine Stimme durch die Dunkelheit. Keuchend kam Nico Rosberg angerannt und fiel fast gegen Sebastian, der ihn erleichtert auffing. "Wo kommst du denn her?" Er blickte hinter Nico in die Dunkelheit. "Wo ist dein Vater?" Nico senkte den Kopf. "Ich bin weggelaufen. Er… er lässt andere Meinungen nicht zu, außer seiner eigenen, aber… ich habe Angst." Er schluchzte und ließ sich von seinem Kollegen kurz in den Arm nehmen. "Ich will hier nur noch weg." Norbert trat hinter die beiden jungen Fahrer und schob sie leicht weiter. "Reden könnt ihr unterwegs. Es ist okay, dass du mitkommst, Nico. Wenn alles gut geht, siehst du deinen Vater bald wieder und dann könnt ihr drüber reden. Er hat sicher Verständnis dafür." "Und wenn nicht?", fragte Nico leise. "Was, wenn ich ihn nicht wieder sehe?" "Dann ist es umso besser, dass du weggelaufen bist. Er wird dankbar sein, dass wenigstens du überlebt hast." Sebastian legte ihm den Arm um die Schulter. "Dein Vater liebt dich." Mario Theissen trat neben Norbert und zog ihn ein Stück weg den Fahrern. "Adrian ist so depressiv, dass ich ihn nicht mal in die Nähe von etwas Scharfem oder Spitzem lassen möchte, Nico wird eine Phase bekommen, wo er unbedingt zurück will, Sebastian sieht aus, als ob er gleich zusammenklappt und ich persönlich komme mir vor wie ein Feigling, weil wir die anderen einfach zurückgelassen haben." Norbert senkte den Kopf. "Mir geht es nicht anders. Und ich glaube Flo, Kai und den anderen auch nicht. Aber mal ganz ehrlich… Was sollen wir tun? Auf die Rettungskräfte warten? Oder im Dunkeln in Schuttbergen wühlen? Und wenn Kai Recht behält, dann sollten wir verschwinden, so lange wir es noch können." "Ich stimme dir ja zu, aber… ich fühle mich einfach schäbig." "Meinst du, ich nicht. Aber ganz ehrlich, Mario… Ich kann mit diesem Gefühl sehr alt werden, wenn ich dafür noch die Zeit bekomme, um überhaupt alt zu werden. Ich hänge an meinem Leben. Und außerdem… Die Jungs brauchen uns jetzt."