Danke schön fürs Lesen und kommentieren und danke speziell an Isi für den Marathon. Ich mach das zu gern *knuddel* Hier ein leichterer Teil mit 'schönem' Ende, damit hier keine traumatisierten Leser zurückbleiben. Gute Nacht, Leute.
Samstag - 8 Uhr - noch 9 Stunden
Es gestaltete sich jedoch sehr viel schwieriger, einen Wagen zu finden, als sie es gedacht hätten. Die meisten Autos waren verschüttet und so schwer beschädigt, dass sie nicht mehr benutzbar waren. Um andere herum lagerten Überlebende. Und Stress wollte keiner der Journalisten provozieren. Also liefen sie weiter. Kai spürte, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Florian wurde ihm zu schwer, auch wenn er ihm das nie sagen würde. Aber er hatte kaum noch ein Gefühl in seinen Armen und seine Beine fühlten sich an wie Pudding. Sein Rücken schmerzte so sehr, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Er seufzte innerlich, straffte sich und ging weiter. Er musste einfach durchhalten. Florian verließ sich auf ihn. Heikos Handy piepste und er las kurz die SMS. Dann richtete er grinsend die Kamera auf Kai, der ihn fragend ansah. "Kai…", drang eine ihm sehr bekannte Stimme ans Ohr. Der horchte auf und starrte in Richtung der Kamera. Ein Lächeln legte sich über sein Gesicht. "Mila…" Fassungslos lauschte er, wünschte sich nichts sehnlicher, als die Stimme seiner Freundin noch einmal zu hören. Ein Adrenalinstoß schoss durch seinen Körper und verdrängt für Sekunden die Müdigkeit und Schmerzen aus seinen Knochen. "Ich bin stolz auf dich", sagte sie leise und rang nach Fassung. Kai kannte sie. Sie hasste es, Schwächen zu zeigen. "Danke, Schatz." Eine Wärme durchströmte ihn und ließ die Hoffnung zurückkehren. "Mach dir keine Sorgen. Wir kommen hier schon raus." "Das weiß ich. Ich verlasse mich darauf." "Kannst du. Du kennst mich doch. Ich halte meine Versprechen." Sie schluchzte leise. Kai blinzelte. Er hasste es, wenn sie weinte. Es brach ihm jedes Mal das Herz. "Mila, bitte, nicht weinen. Glaub mir, wir schaffen das." "Ich glaube dir, Kai. Ich glaube dir alles." Sie schwieg kurz. "Ich liebe dich." "Ich liebe dich auch, Kleines. Ich kann es kaum noch erwarten, dich wieder im Arm halten zu können." Peter mischte sich ein. "Na, besser jetzt?" "Ja. Danke an den Sender oder wer immer dafür verantwortlich ist. Jetzt kann ich wieder fliegen." Der Nachrichtensprecher war verwirrt. "Wie meinst du das?" "Er sagt immer, wenn er meine Stimme hört, fühlt er sich, als ob er fliegen kann." Mila lachte leise. "Ich warte auf dich, Kai. Als leg einen Zahn zu." Kai nickte und tat dies tatsächlich. Beschwingt und frisch lief er durch die Straßen, nahm die kühle Brise des Morgens zum ersten Mal wahr, die sicher bald wieder von der Hitze des Tages abgelöst werden würde. Er sah nicht mehr die Trümmer und die Menschen um sich herum. Er hatte das Gesicht seiner Freundin vor Augen und die Sehnsucht nach ihr in seinem Herzen. Seine Kollegen hatten Mühe, ihm zu folgen. "Dafür kämpfen wir", sagte Heiko leise. "Genau dafür." Er lief schneller, um Kai einzuholen.
Hoffnung. Das ist dieser Teil. Hoffnung und Liebe. Wahnsinn. Zweifellos der einzige leichte Teil, den wir noch zu lesen kriegen, bis die Story endet. *seuftz* Mehr hab ich eigentlich gar nicht zu sagen. Ich freu mich auf den nächsten Teil, so makaber das auch klingt. lg, Isi =)
Kai war wie beflügelt durch das Gespräch mit seiner Freundin. Irgendwann musste Heiko ihn einbremsen. Erst jetzt fiel ihm auch wieder auf, wie heiß es schon war. Und er fing an, sich zum ersten Mal die genauen Schäden anzusehen, die die schweren Beben hinterlassen hatten. "Funk mal Peter an, Heiko." Der tat es und der Nachrichtensprecher meldete sich sofort. "Peter, kannst du bitte mal jemanden in mein Büro schicken. Dort liegt eine Liste in der rechten Schublade von meinem Schreibtisch. So ein blauer Ordner mit einigen Blättern drin. Telefoniert bitte die Namen durch. Sollte sich auch nur einer melden, sagst du mir bitte Bescheid." "Was sind das für Leute?" "Teamangehörige, Journalisten. Hoffentlich noch der eine oder andere Überlebende." Kai wich einer alten Frau aus, die einfach mitten auf der Straße saß und vor sich hin starrte. "Es kann doch nicht sein, dass wir die einzigen sind, die da raus gekommen sind. Wenn ihr jemanden erreicht, überzeugt ihn, die Stadt zu verlassen." Ulrike schaltete sich ein. "Das Team hab ich versucht zu kontaktieren…" "Hör auf." Kai presste die Lippen zusammen. "Ich weiß", sagte er leiser. "Die hätten sich längst bei uns gemeldet." Vor sich sah Kai einen Zaun auftauchen mit einigen Schildern. "Das Militärgelände. Wir sind im äußersten Bezirk der Stadt." "Hurra?", fragte Florian unsicher. Kai zuckte mit den Schultern.
Leider war auch hier die Zerstörung größer, als Kai gedacht hätte. Er sah am Zaun entlang, suchte nach Menschen oder einem Auto. Aber sonderbarerweise sah er niemanden. Das Tor war offen und Wachen gab es nicht. Sie liefen weiter, vorsichtshalber außen am Zaun entlang und in Richtung der riesigen Hallen. Eine war halb eingestürzt und die Trümmer hatten einen Helikopter halb unter sich begraben. Aber nirgendwo sah man ein Auto und die Straße hier war außerdem übersät von Trümmern. "Hier scheint eines der Epizentren der Nachbeben gewesen zu sein. Die Zerstörung ist ja schlimmer als in den Slums, durch die wir gelaufen sind." Florian verrenkte sich den Hals. "Und wo zum Teufel sind die Soldaten." Heiko filmte das ganze Areal. "Ich vermute, tot oder geflohen. Sie werden sich verkrümelt haben und außerhalb der Stadt neu sammeln." "Also das mit dem Auto können wir vergessen. Hier finden wir keins. Und wenn doch, können wir es nicht nutzen." Kai seufzte leise und ließ sich langsam an dem Zaun nach unten rutschen. Er hatte all seine Hoffnung in das Erreichen des Militärgeländes gelegt und war jetzt ziemlich fertig. "Tut mir leid, Leute, aber ich brauche eine Pause." Vorsichtig setzte er Florian so hin, dass der einigermaßen bequem sitzen konnte. Der Moderator sah seinen Kollegen sehr besorgt an. "Kai…" "Ich kann schon noch, keine Sorge, Flo. Ich bring dich hier raus. Ich brauch einfach nur eine kurze Pause." Er hob langsam den Blick, schaute nach rechts und in Richtung Mount Fuji. Die Rauchsäulen waren immer noch da. Sie waren nicht größer geworden oder bedrohlicher, aber sie waren noch da. Müde schloss er die Augen. "Nur ein paar Minuten." Dann war er eingeschlafen. Heiko und Niki sahen Kai besorgt an, dann drückte Niki Florian die Waffe in die Hand. "Hier, pass auf Kai auf. Wir sind gleich wieder da. Komm mit, Heiko." Der folgte ihm ein wenig verwirrt auf das Gelände. Unsicher sah er sich um, während sie zwischen Baracken, eingestürzten Häusern und Lagerhallen entlang liefen. "Niki, ich weiß nicht… Wir sollten hier nicht rumlaufen. Wir haben hier nichts zu suchen und ich möchte nicht von einem verängstigten Jungsoldaten über den Haufen geschossen werden." "Ganz ruhig, Heiko. Wir brauchen nur etwas, um Kai zu unterstützen. Der hält nicht mehr lange durch." Niki drehte den Kopf. Christian schlich ihnen schweigend hinterher. "Da ist jemand." Heiko deutete nach vorn, wo ein Mann vor der eingestürzten Wand eines Hauses saß. Er hatte eine Halbautomatik in der Hand und beäugte die Menschen misstrauisch. Niki hielt Heiko und Christian zurück, nahm seine Mütze höflich ab und näherte sich dem Soldaten. Die Uniform des Mannes war an einigen Stellen zerrissen, im Gesicht hatte er eine Brandverletzung und in seinen Augen lag nackte Angst. Vorsichtig hob Niki die Hand und deutete auf das Haus hinter dem Soldaten. Auf Englisch erklärte er ihm ruhig, was er wollte. Schließlich erhob sich der Soldat, trat einen Schritt zur Seite und nickte vorsichtig. Ganz ruhig und jeden Schritt mit Bedacht nehmend, ging Niki in das Gebäude hinein. Heiko sah ihm verunsichert nach, war aber erleichtert, dass der Soldat ruhig auf seinem Platz stehen blieb und mal Niki im Inneren des Hauses und mal die zwei Journalisten draußen beobachtete. "Hoffentlich geht das gut", murmelte Heiko leise. "Was will Niki da drin?", fragte Peter ihn. "Woher soll ich das wissen. Meine Ohren sind nicht schärfer als das Mikro an der Kamera." Minuten vergingen. Schließlich kam Niki wieder raus und zeigte dem Soldaten seine Beute. Der sah sich die Sachen an, nickte wieder leicht und trat zurück auf seinen alten Platz. Vorsichtig setzte er sich wieder auf einen Haufen Steine. Den fremden Mann ließ er unbehelligt ziehen.
Na toll. Die Militärbasis ist verlassen. Man, damit hätte man ja rechnen können. *seuftz* Aber immerhin haben sie ja doch jemanden gefunden und er hat sie nicht erschossen. Mehr konnten sie jetzt wohl nicht erwarten. So, und was hat Nikki jetzt besorgt? Eine Hilfe für Kai....nen Flaschenzug auf Rädern? Nen Bollerwagen? *rat* Da bin ich ja mal richtig gespannt, auch was die Rundtelefonie von Ulrike wohl ergeben wird. Ich ahne nichts gutes, leider. lg, Isi =)
"Kai, wach auf", sagte Heiko und stieß ihn leicht an. Als der gähnend hoch schreckte, drückte Heiko ihm die Kamera in die Hände. "Hier, du filmst." Verwirrt sah der Reporter sich um. "Mist. Ich dachte, das wäre alles nur ein Alptraum gewesen." Er stemmte sich hoch und streckte sich. Fragend sah er Niki an. "Wie lange habe ich geschlafen?" "Keine halbe Stunde." Er reichte ihm eine Flasche Wasser, die er aus dem Armeedepot mitgenommen hatte. "Hier, trink. Und dann kommt. Wir müssen weiter." Kai trank einen großen Schluck, was dem halben Inhalt der kleinen Plastikflasche entsprach und sah sich dann nach Florian um. Sein Gesicht verzog sich zu einem erleichterten Grinsen. "Klasse Idee, Niki. Ich war so auf das Auto versteift…" Der Österreicher winkte ab. Er wies Heiko und Christian an, die Trage hochzuheben, auf der Florian jetzt lag. "Jetzt kannst du dich mal eine Weile erholen. Mit der Trage könnt ihr euch abwechseln." Kai filmte noch einmal das Militärareal, dann gingen sie wieder los. "Peter." Der Nachrichtensprecher meldete sich gähnend. "Ihr habt doch eine Karte von Fuji im Studio." "Wie kommst du darauf?" "Weil ich dich und den Sender kenne. Wahrscheinlich habt ihr noch so kleine Pins mit Fähnchen." "Ja. Rot für eure Gruppe und blau für die von Norbert." Florian lachte. "Blau? Wieso nicht silbern?" Peter stutzte. "Ähm… so weit haben wir gar nicht gedacht." "Das ist doch jetzt egal", brummte Kai. "Das Militärgelände liegt am Stadtrand, wenn ich mich recht erinnere." Peter bejahte dies. "Wenn wir also weitergehen, kommen wir zu den Bauernhöfen und in Richtung Tokio aus der Stadt raus." "Richtig." "Wenn wir von hier aus Richtung Süden gehen, kommen wir in einen Vorort mit einem großen Park in der Mitte, nicht wahr?" "Ja, genau. Das sind von eurem jetzigen Standpunkt ungefähr vier Kilometer." Kai blickte hoch zum Vulkan, wo der Rauch jetzt doch dichter und dunkler zu werden schien. Dann sah er Niki und Heiko an. "Bis zum nächsten Bauernhof sind es bestimmt zehn Kilometer, vielleicht mehr. Und zwar querfeldein. Wenn wir in Richtung dieser Parkanlage gehen, kommen wir in ein sehr gutes Viertel. Dort könnten wir einen Wagen finden." Schweigend sahen die Männer sich an. Schließlich sagte Florian leise. "Was sagt denn dein Bauchgefühl?" "Es ist ein Risiko, sich weiter in der Stadt aufzuhalten, aber…" Kai blickte wieder hoch zum Berg. "Ich glaube, es ist die bessere Alternative, wenn wir uns hier ein Auto besorgen, anstatt ewig durch die Wildnis zu laufen." Heiko zuckte mit den Schultern und bog auf eine breite Straße ein, die hier und da von Trümmern übersäht war. Die kleinen Baracken rechts und links der Straße, die meist von den Familien der Armeeangehörigen bewohnt wurden, waren größtenteils in sich zusammengefallen. Einige Menschen saßen vor ihren zerstörten Häusern, blickten ängstlich hoch zum Mount Fuji und warteten. Die Fremden beachtete sie nicht weiter. Kai lief neben der Trage her und filmte Florian von oben. "Bequemer, als wenn ich dich trage, mmm?" "Glaub mir, Kai. Die Bequemlichkeit ist mir im Moment völlig egal." Er blickte lächelnd in die Kamera. "Aber so habe ich nicht mehr ein ganz so schlechtes Gewissen." Niki betrachtete Florians Beine, zog seine leichte Jacke aus, die er bis jetzt getragen hatte und deckte sie darüber. Dankbar sah der Moderator ihn an, doch der nickte nur schweigend und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter.
Eine Trage! Das ist natürlich genial! Warum hat da niemand schon früher dran gedacht? Achja...wegen dem Auto. *seuftz* Man sollte sich eben immer einen Plan D 75 Teil II Absatz 1 Version 5b bereit halten. *grins* Na, jetzt kann Kai sich wenigstens mal etwas erholen, dem müssen doch schon die Arme abfallen! Mach bitte ganz schnell weiter, ich hoffe, dass sie in dem Vorort ein Auto finden und endlich da wegkommen. Sonst muss ich leider schnell das virtuelle, fanfictioninterne Beamen erfinden. lg, Isi =)
Grüne Vorgärten mit hohen, schattenspendenden Bäumen säumten die Straße. Hübsche Zäune grenzten die Gärten von denen der Nachbarn ab. Hier sah man keine großen Zerstörungen, aber auch keine Menschen. Die Bewohner hatten sich in ihren Häusern verschanzt und wenn sie die Fremden auf der Straße sahen, zogen sie hastig die Gardinen vor die Fenster. Niki deutete auf eine offene Garage, in der zwei Autos standen. Ein Geländewagen und ein blauer Mittelklassewagen. Er ging zum Tor und klingelte lange. Und zu seinem eigenen Erstaunen erschien ein Mann der Tür. Er besah sich die Besucher, blickte ein wenig verwundert auf die Kamera, die Kai immer noch in der Hand hielt und drückte den Türöffner. Mit einem leisen Klicken sprang die Verriegelung der schmiedeeisernen Tür auf. "Sie können reinkommen", rief er Kai zu. "Nur Sie." Der nickte den anderen zu und ging den Kiesweg hoch auf das Haus zu. Am Akzent des Mannes hatte er bemerkt, dass er einen Amerikaner vor sich hatte. "Sir, es tut mir leid, Sie zu stören", begann er höflich. "Mein Kollege ist verletzt und ich würde mir gern ihr Auto ausborgen, um ihn nach Tokio zu bringen." Der Mann blickte in die Kamera. "Sie sind Journalist?" "Ja, Sir, Sportjournalist. Wir waren wegen des Rennens hier." Die Augen des Amerikaners funkelten. "Dafür hatten wir auch Karten." Er deutete über seine Schulter, wo ein etwa fünfjähriger Junge auf einem Teppich saß und mit einigen Autos spielte. "Leider ist das wohl gelaufen." Kai vermied es, den Mann darauf aufmerksam zu machen, wie egal ihm persönlich das Rennen im Moment war. "Ich kann natürlich für das Auto auch zahlen", sagte er stattdessen und zog seine Brieftasche aus der Hose. "Charles Digson", stellte der Mann sich vor und trat zur Seite. "Kommen Sie doch bitte einen Moment mit rein."
Interessant. Ein Amerikaner in Japan. Nett von Kai, dass er sich den Kommentar über das Rennen gespart hat. Sie brauchen das Auto. Und zwar SCHNELL. Am besten sie nehmen Charles und Sohnemann gleich mit - im zweiten Auto. Je früher, desto besser. Auf gehts! lg, Isi =)
Wenige Minuten hatte Kai gebraucht, dann hielt er den Schlüssel des blauen Autos in der Hand. Die Trage ließen sie bei der Villa zurück, der Amerikaner und seine Familie winkten ihnen noch freundlich nach und gingen wieder rein. Kai war verzweifelt, weil auch er nicht an einen Ausbruch des Mount Fuji glaubte und mit seiner Familie in der Stadt bleiben wollte. Vielleicht würden sie noch die Chance haben, mit dem anderen Auto zu fliehen. Vielleicht… Kai wünschte es ihm und vor allem dem kleinen Sohn des Mannes. Ein weiteres Beben erschütterte die Stadt, viel schwächer als die schweren Nachbeben, die sie schon erlebt hatten. Vorsichtig lenkte Kai das Auto um Hindernisse herum. Aber sie kamen ganz gut voran. Leider mussten sie einen Umweg fahren, der sie fast wieder bis zum Militärgelände zurück brachte, da das Beben einige Brücken zerstört hatte, die einen Kanal überspannten, der die Vororte von einer riesigen Industrieanlage trennte. "Und nun?", fragte Peter und machte Kai darauf aufmerksam, dass die Zuschauer immer noch mitguckten. "Wir fahren jetzt hier weg. Raus aus der Stadt, Richtung Tokio. Dasselbe also, was wir seit dem Beben vorhatten." Florian hielt die Kamera auf sich gerichtet. "Hier sind die Straßen jetzt auch viel freier." "Wenn wir nicht wieder… nein, müssen wir nicht." Kai deutete auf eine Brücke, die sich über den Kanal spannte. "Ich wollte sagen, wenn wir nicht wieder bis ganz zum Militärgelände zurück müssen. Aber die scheint es überstanden zu haben." "Hoffentlich", murmelte Heiko, als das Auto langsam darüber rollte. Alle Insassen hielten Atem an. Aber sie brach nicht zusammen und so kamen sie wohlbehalten am anderen Ufer an. "Wie spannend es doch sein kann, eine Brücke zu überqueren", sagte Florian leise. Er lächelte ein wenig unsicher in die Kamera, drehte sie dann aber weg, als er gähnen musste. "Ich bin so müde und gleichzeitig so aufgekratzt…" "Das geht uns hier in Köln nicht anders. Seit dem Beben sitzen die Leute hier im Studio, in der Kantine und in den Versammlungsräumen. Vor allem der Teil von eurem Team, der bei den Auslandsrennen nicht dabei ist." Kai schluckte und dachte mit einer gewissen Erleichterung an die Hälfte der Leute, die im Sender herum saßen und in der glücklichen Lage waren, sich Sorgen machen zu können. "Habt ihr nichts besseres zu tun?" "Nein, Kai. Wir warten irgendwie alle auf den großen Knall. Kein Mensch hier zweifelt mehr an deinen Worten, auch wenn einige sich verbal noch anders äußern. Aber wenn man ihnen in die Augen sieht, erkennt man, was sie wirklich denken." Kai seufzte leise. "Ich will aber nicht Recht haben. Ich will mich irren." Florian legte ihm vorsichtig eine Hand auf den Unterarm. "Das wollen wir doch alle." Er richtete die Kamera auf den Berg, der immer stärker von schwarzen Rauchwolken umlagert wurde. "Aber es geht nicht immer danach, was man will." Wieder bebte die Erde, heftiger diesmal und Kai sah sich genötigt, den Wagen anzuhalten. Sie warteten, dass die Erde sich beruhigte. Heiko blickte sich um, als er ein lautes Krachen hörte und riss die Augen auf. Er nahm Florian die Kamera weg und filmte die breite, gerade Straße nach hinten aus dem Wagen raus. Deutlich sah man in einiger Entfernung die letzten Reste der Brücke in den Kanal stürzen. "Bitte, gib Gas, Kai", sagte er mit zitternder Stimme. Ich will hier raus. Raus aus dieser Stadt und weg von diesem beschissenen Vulkan." Der Reporter blickte kurz in den Rückspiegel und nickte. "Das ist der Unterschied zwischen Leben und Tod", sagte er leise und drückte das Gaspedal ein wenig mehr durch als zuvor. "Ein paar Minuten."
Gottseidank, sie haben ein Auto! *freu* Verdammt, ich hab echt gehofft, dass der Typ mit seiner Familie auch abhaut *seuftz* Vielleicht überlegt er es sich ja noch anders und nimmt ne andere Brücke. Das war wirklich verdammt knapp. Direkt hinter ihnen ...*seuftz* Weg ist die Brücke. Gottseidank hinter ihnen. Die Nachricht ist unmissverständlich: Kehrt nicht um! Mach bitte ganz schnell weiter, Kitten. lg, Isi =)
Sie waren seit über einer halben Stunde unterwegs, hatten die Stadtgrenze hinter sich gelassen und waren von einigen Autos überholt worden, die es wohl ein wenig eiliger hatten. Jetzt sahen sie vor sich eine Straßensperre. Kai fuhr langsamer und hielt kurz an, obwohl der Soldat ihn durchwinkte. Er drehte die Scheibe runter und fragte den Mann, was er hier bewachte. "Wir lassen niemanden mehr in die Stadt." "Und die Rettungsteams?", fragte Florian leise. "Ist Ihnen schon mal der Vulkan aufgefallen?" Der Soldat wies in Richtung Tokio. "Fahren Sie. Los." Kai nickte und gab Gas. Die Zähne hatte er schmerzhaft zusammengepresst, seine Hände lagen zitternd auf dem Lenkrad. Als Peter etwas sagen wollte, schüttelte er den Kopf und blickte kurz in die Kamera. "Nein. Nicht." Etwa zehn Kilometer außerhalb der Stadt trafen sie auf eine weitere Straßensperre. Hier standen mehr Soldaten und winkten die Autos durch, die von Fuji weg wollten. In einer langen Reihe auf der Gegenfahrbahn standen Hilfsfahrzeuge, Feuerwehren, Polizeiwagen, Rettungsdienste. Lastwagen voller Medikamente und Nahrungsmittel. Kai fuhr an die Seite, runter von der Straße und stieg aus. Er ging auf ein Fahrzeug des Roten Kreuzes zu und klopfte an die Scheibe. Ein Mann sah ihn erst erstaunt, dann grinsend an. "Herr Ebel", sagte er mit einem bayrischen Akzent. "Schön, Sie wohlbehalten zu sehen." Sein Blick wanderte zum Auto hinüber. "Verletzte?" "Unzählige", sagte Kai. "Aber nicht bei uns. Flo hat es ziemlich erwischt, aber ich bringe ihn nach Tokio. Er muss in ein Krankenhaus." Der Mann stieg aus und deutete nach hinten. "Kommen Sie. Ich gebe Ihnen etwas von dem Essen und Trinken. Wenn ich mir den Mount Fuji so ansehe, fürchte ich, wir brauchen das gar nicht alles in der Stadt. Und Sie sehen so aus, als könnten Sie etwas Hilfe gebrauchen." Ein Soldat trat auf sie zu und erkundigte sich, was los sei. Der Fahrer erläuterte es kurz. "Verstehe", sagte der Mann und musterte Kai. "Sie haben Glück, dass Sie Ihrem Verstand gefolgt sind." Er half dem Mitarbeiter der Hilfsorganisation, die Ladeklappe zu öffnen. Kai schüttelte den Kopf. "Mit Verstand hat das wenig zu tun, den haben wir alle ausgeschaltet. Eher mit Instinkt und der Warnung eines alten Mannes." Er wiederholte die Worte des Alten, den er in Fuji gehört hatte. "Der Drache erwacht", murmelte der Soldat. "Darum haben wir die Stadt auch in drei Kreisen vollständig abgesperrt. Wir lassen alle raus, aber niemanden mehr rein." "Wo ist die letzte Absperrung?", fragte Kai und nahm ein Paket mit eingepackten Sandwiches, dazu Flaschen mit Wasser. "Danke." Der Mitarbeiter des Roten Kreuzes winkte ab und stieg wieder in seinen Wagen, froh darüber, so wenigstens ein paar Leuten geholfen zu haben. Der Soldat brachte Kai zu seinem Auto. "Die letzte Absperrung ist 30 Kilometer vor Tokio. Bis dahin haben sie noch einen weiten Weg vor sich. Fahren Sie vorsichtig. Sie sehen übermüdet und sehr unkonzentriert aus." "Danke für die Hilfe." "Wir helfen jedem, der hier kurz anhält. Es ist das einzige, was wir tun können." Er tippte sich leicht gegen die Mütze und ging wieder auf seinen Posten. Kai verteilte das Essen an seine Freunde. Hungrig machten sie sich über den kleinen Imbiss her. Nur Christian rührte nichts an. Heiko sah ihn missbilligend von der Seite an und wollte etwas sagen, doch Niki legte ihm die Hand auf den Unterarm und schüttelte hastig mit dem Kopf. Er sah, dass Kai die ganze Szene im Rückspiegel beobachtete hatte und jetzt mit verkniffener Miene wieder den Motor anließ. Das Auto setzte sich langsam in Bewegung, fuhr zurück auf die Straße und weiter in Richtung Tokio.
Meine Güte, warum drehen die Hilfskonvois nicht um?! Wenigstens waren irgendwelche Leute so schlau, eine Straßensperre .... äh...drei davon aufzubauen. Meine Güte, Leute wie Chris würden da doch reinrasen und Held spielen und dann genauso elendig verrecken wie die, denen sie so unbedingt helfen wollen! *seuftz* Chris soll aufhören, sich so im Elend und Selbstmitleid zu suhlen, da wird einem ja schlecht. Wenn er helfen will, soll er sich zu dem Hilfskonvoi dazustellen und dann kann er zugucken, wie der Vulkan ausbricht. Aber er soll gefälligst aufhören, sich zu Tode zu Hungern, das hilft nämlich niemandem. *knurr* Ich weiß, das klingt hart. Aber das ist die bittere Wahrheit. Manchmal kann man nicht helfen. Mach bitte ganz schnell weiter, Kitten. lg, Isi =)
Danke *knuddel* Aber ich denke Chris verkörpert gut den Teil in jedem Leser, der denkt: Aber man muss doch helfen. Auch wenn der Verstand natürlich sagt: ES GEHT NICHT !!!!
Samstag - 15 Uhr - noch 2 Stunden
Ulrike meldete sich mit müder Stimme bei den Journalisten. "Kai, ich habe die Leute durchtelefoniert. Einige haben sich gemeldet, verletzt, gesund oder bereits auf der Flucht. Leider waren auch welche dabei, die deine Theorie immer noch für Unsinn halten." Der Reporter zuckte mit den Schultern. "Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen." Christian brummte etwas. "Was hast du gesagt?", fragte Kai genervt. "Nichts", nuschelte der und blickte aus dem Seitenfenster. Draußen zogen Reisfelder vorbei, Wiesen, Felder mit Getreide und auch welche, wo die Ernte schon eingebracht worden war. Bauernhäuser waren zu sehen, davor oft Menschen, die in Richtung Fuji blickten. Florian nahm Kais Handy, als dieses piepste. "Der Akku ist leer." "Meiner auch", sagte Niki. Heiko blickte kurz auf seins. "Also meins hat noch Saft. Aber der Akku der Kamera wird auch nicht mehr ewig halten. Ich mache sie mal eine Weile aus, okay Peter?" "Klar. Aber ihr meldet euch, wenn…" Der Nachrichtensprecher schwieg kurz und sagte dann schnell: "Wenn etwas Interessantes passiert." "Sicher." Heiko schaltete sie ab und ihm lief ein Schauer über den Rücken. Denn eigentlich gab es nur eines, was den Sender jetzt übertragungstechnisch noch interessierte. Und das wollte Heiko eigentlich gar nicht sehen.
Norbert und die anderen standen an einer Straßensperre und nahm dankbar das Essen entgegen, was ihm ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes reichte. Der Mann blickte in das Auto und nickte den Fahrern zu. "Sie sind der zweite Wagen mit Formel 1 - Angehörigen, der heute hier durchkommt. Als Fan der Rennsportserie würde ich mich glatt darüber freuen, wenn der Anlass nicht so fürchterlich wäre." Die Jungs rissen die Augen auf und sahen sich plötzlich strahlend an. "Kai und die anderen sind hier auch durchgekommen?" Der Mann nickte. "Ja, vor etwas einer Stunde oder zwei. Ich weiß gar nicht mehr so genau. Ist jedenfalls noch gar nicht so lange her. Wenn Sie sich beeilen, holen Sie sie vielleicht noch ein. Herr Ebel ist relativ langsam gefahren. Er sah auch sehr müde aus." Norbert nickte Mario zu. "Gib Gas. Ich will mich selbst davon überzeugen, dass es ihnen gut geht." Er wandte sich dem Mann zu, der ihn so nett versorgt und ihm sogar die Hand geschient hatte. "Danke für Ihre Hilfe. Und vor allem für die gute Nachricht." Der nickte und trat einen Schritt zurück. "Ich kann mir vorstellen, dass die Nachricht mehr wert ist als das Essen oder die medizinische Erstversorgung." Er sah dem Wagen nach, der langsam beschleunigte und dann in einem wesentlich höheren Tempo davonbrauste, als er vorher gefahren war. Er blickte wieder in Richtung der Stadt, in der Hoffnung noch mehr Leute der Rennsportszene zu sehen. Und damit noch mehr Überlebende, die für ihn in gewissem Sinn keine Fremden waren.
Und noch mehr Hoffnung. Sie sind beide an der Straßensperre. Gottseidank. Hoffen wir, dass noch mehr kommen. Ich wage es zu bezweifeln, aber vielleicht....nur vielleicht.....*Daumen drück* Mach bitte ganz schnell weiter... lg, Isi =)
Aber klar doch, Isi. Hier ein langer Teil, ein wichtiger Teil... vielleicht der wichtigste Teil:
Samstag - 16 Uhr - noch 1 Stunde
Müdigkeit herrschte in dem dunkelblauen Wagen. Die Stadt lag weit hinter ihnen, die Straßenschilder wiesen darauf hin, dass Tokio nur noch 50 Kilometer entfernt war. Die Sonne stand hoch am Himmel und es war wieder einmal unerträglich heiß. Die Erde bebte erneut, es interessierte niemanden mehr. Kai war zwar müde, hatte aber keine Probleme, den Wagen zu lenken. Obwohl er psychisch und auch körperlich am Ende war, standen seine Nerven so unter Strom, dass er die Müdigkeit nicht fühlen konnte. Auf der Straße trafen sie auf keine Fahrzeuge mehr. Irgendwie schien es, als sei kein Auto im Umkreis von Fuji unterwegs. Die Menschen saßen wahrscheinlich vor dem Fernseher und schauten Nachrichten. Außerdem wussten sie ja von dem Armeeangehörigen, dass sie sich immer noch innerhalb einer Sperrzone aufhielten und hier eh keiner rein kam, der nicht befugt war. Kai rieb sich über die Augen, vertrieb den Schleier, der ihm die Sicht zu vernebeln drohte und blickte auf die Tankanzeige. Der Tank war halb voll. Sie kamen lässig bis nach Tokio. Sein Blick glitt hinüber zu Florian. Er hatte die Augen geschlossen, sein Kopf lag an der Scheibe. Er schien zu schlafen, aber der Eindruck täuschte. Kai sah die verkrampften Hände, die auf seinem Bein lagen. Nicht mehr auf Florians Knie, wie vor einigen Stunden, sondern mittlerweile auf dem Oberschenkel. Seine Schmerzen wanderten also tatsächlich, so wie er es schon vermutet hatte. Florian öffnete ein Auge und sah Kai strafend an. "Es geht mir gut", sagte er. Sein Gesicht war bleich, aber ansonsten schien er nicht zu lügen. Mit einem Nicken wandte Kai seinen Blick dem Rückspiegel zu und betrachtete Heiko. Er war äußerlich gefasst, aber sein Körper war angespannt und in seinen Augen stand ein unbeschreiblicher Schmerz. Ein Schmerz, den er krampfhaft versuchte, nicht zu fühlen. Immer noch hielt er sich an der Kamera fest, strich mit der Hand über das Gehäuse. Sie war sein persönlicher Rettungsanker und er hatte sie seit dem großen Beben so gut wie nie aus der Hand gelegt und nur sehr ungern mal für eine Weile aus der Hand gegeben. Niki wirkte ähnlich gefasst wie Heiko. Er sah nach vorn aus dem Fenster, war ruhig und schien gedanklich weit weg zu sein. Auch in seinem Blick lag Schmerz und Trauer, er schien diese Gefühle sogar zuzulassen. Durch seinen Unfall hatte er gelernt, mit psychischen Katastrophen umzugehen und das half ihm hier. Christian saß hinter Kai und der war froh, dass er seinen Kollegen nicht sehen konnte. Denn mit jeder Geste, mit jedem Blick zeigte der ehemalige Formel 1 - Fahrer ihm, dass er mit dessen Entscheidung nicht einverstanden war. Dass er sie nicht unterstützte und dass er ihn dafür regelrecht verachtete. Kai hatte am Morgen noch versucht, sich etwas anderes einzureden, aber inzwischen war er sich sicher. Er konnte auch jetzt dessen vorwurfsvollen Blick in seinem Nacken spüren. Und es reizte ihn. Es zerrte an seinen Nerven, mehr als die Toten es taten, mehr als die ständigen Erdbeben, mehr als die Müdigkeit. Heiko blickte von Christian zu Kai. Die Spannung zwischen den beiden war nahezu greifbar. Er war besorgt um seine beiden Freunde. Und um ihre Freundschaft zueinander. Niki musterte sie ebenfalls schweigend und Florian saß an seine Tür gedrückt und versuchte sich raus zu halten, indem er wieder so tat, als würde er schlafen. Erneut schüttelte ein Erdbeben den Wagen durch. Sekunden lang. Kai fuhr langsamer, aber er fuhr weiter. Das Steuer hielt er krampfhaft fest, seine Fingerknöchel traten weiß hervor. "Vielleicht hätten wir doch noch jemandem helfen können", murmelte Christian. Im selben Moment riss Kai das Steuer des Wagens herum und bremste dann, so dass das Auto in Fahrtrichtung Fuji zum Stehen kam. Er entschuldigte sich bei Florian, als dieser vor Schmerz aufkeuchte und ihn empört ansah. Dann sprang er aus dem Wagen und riss die Tür auf. Er zerrte Christian aus dem Auto und warf mit aller Kraft die Tür zu. Heiko nahm die Kamera und meldete sich in Köln. "Das, was jetzt kommt, war längst fällig", sagte er. Er sah kurz zu Florian, der ihm zunickte. Dann stieg er mit Niki aus dem Wagen. "Was soll der Scheiß, Christian?", fuhr Kai seinen Kollegen an. "Du hältst mich für einen Feigling, nicht wahr? Du hättest bleiben wollen, richtig?" "Ja", knurrte der, hob aber nicht den Blick und starrte auf seine Schuhspitzen. "Wir hätten es versuchen müssen. Vielleicht hätten wir unter den Trümmern noch den ein oder anderen gefunden. Vielleicht…" "Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Zum Teufel damit. Wir mussten da raus." "Weil du dir einbildest, dass ein Vulkan heute ausbricht, der seit 300 Jahren ruht. Und weil du das meinst, muss es passieren. Und wir mussten da weg." Die Männer sahen sich jetzt direkt an. Kai kochte vor Wut. "Siehst du den Rauch, der aus dem Berg aufsteigt. Jedes Mal mehr, wenn die Erde bebt? Bist du so blind oder tust du nur so?" "Aber wir hätten es versuchen müssen." "Es war dunkel. Wir hatten keine Lampen, keine Gerätschaften, nichts. Nur unsere Hände." "Wenn wir bis zum Morgengrauen gewartet hätten, hätten wir etwas gesehen." "Ja", knurrte Kai. "Unsere toten Freunde." Christian schluckte hart. "Das Erdbeben war um 20.15 Uhr. Um 7 Uhr ging die Sonne auf. Rechnen kannst du noch, oder? Wenn uns diese Zeit gefehlt hätte, wären wir jetzt noch fast in der Innenstadt." "Aber, Kai… das unter den Trümmern waren unsere Freunde…" In Kais Augen traten Tränen. "Denkst du etwa, ich weiß das nicht?", schrie er. "Glaubst du, es ist mir egal? Glaubst du, dass ich nicht daran denke, wie scheiße es sein wird, ihren Familien unter die Augen zu treten? Die Wut und Trauer zu sehen? Und der Vorwurf, weil wir überlebt haben, aber ihre Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne nicht? Ich bin kein Eisblock, zum Teufel noch mal. Aber ich wollte da raus. Ich wollte wenigstens uns retten." Kai brüllte sich seinen ganzen Frust von der Seele. Seinen Frust, seine Angst und die Selbstzweifel, die an ihm nagten. "Was wäre denn gewesen, wenn wir noch mehr Leichen gefunden hätten? Denkst du, es wäre leichter geworden? Mir hat der Anblick von Jan schon fast den Rest gegeben. Ich hätte es nicht ertragen, noch mehr zu sehen." "Aber vielleicht leben sie ja noch…" "Dann sind sie höchstwahrscheinlich verletzt. Entweder so schwer, dass wir sie hätten zurücklassen müssen, was keiner von uns gepackt hätte oder nur so wenig, dass wir sie hätten dort raus tragen müssen. Ich hatte mit Florian genug zu tun. Hättest du einen erwachsenen Mann die ganze Nacht tragen können, Christian? Hättest du es gekonnt? Nein. Nicht einmal, wenn Heiko dir geholfen hätte. Also hätten wir uns entscheiden müssen, wen wir mitnehmen." Er senkte die Stimme und näherte sein Gesicht dem seines Gegenübers." Hättest du diese Entscheidung getroffen?" Er packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. "Hättest du diese Entscheidung treffen können, wenn du nicht einmal in der Lage warst, für dich zu entscheiden, ob du fliehst oder in der Stadt bleibst und auf Hilfe wartest?" Niki legte seine Hand auf Kais Arm. "Wir konnten uns alle nicht entscheiden, was besser ist, deshalb sind wir dir kommentarlos gefolgt. Keiner wollte diese Entscheidung treffen und auch Chris macht dir keine Vorwürfe." Er sah Christian direkt an. "Die macht er höchstens sich selber." Kai ließ Christian los. Der senkte den Blick. "Es tut mir leid. Aber ich kann einfach nicht akzeptieren, dass wir alle zurücklassen. 20 Kollegen…" Kai hielt ihm den Schlüssel hin. "Wenn du glaubst, du könntest etwas tun, wenn du glaubst, du könntest auch nur einen retten, dann nimm den Wagen und fahr zurück. Fahr, verdammt noch mal. Aber hör endlich auf, die Stimmung künstlich noch drückender zu machen als sie eh schon ist." "Ich kann nicht…", sagte er schwach. "Ich will zurück, aber ich kann nicht. Ich habe Angst… Ich kann genauso wenig zurück fahren, wie ich dort bleiben konnte." "Christian… verdammt noch mal." Kai legte wieder seine Hände auf dessen Schultern, doch dieses Mal um einiges vorsichtiger. "Die riegeln die Stadt militärisch ab. Glaubst du, das machen die aus Spaß oder weil sie keine Lust haben, den Leuten zu helfen? Sie stoppen die Hilfskonvois, zehn Kilometer von den Menschen entfernt, die auf Hilfe warten. Sie machen es deswegen." Er hob die Hand und deutete auf den Berg, aus dem immer mehr Rauch aufstieg. "Sie lassen die Leute einfach sterben…" "Nein", sagte Kai leise. "Es will nur keiner verantworten, noch mehr Leute in ein Gebiet zu schicken, was ein wahres Pulverfass ist. Ich könnte wetten, dass mittlerweile auch die Radiosender die Bewohner anweisen, die Stadt zu verlassen." Florian stieß die Autotür auf. Bis jetzt hatte er durch das halb herunter gekurbelte Fenster zugehört. "Warum versucht man nicht wenigstens die Randbezirke zu evakuieren? Ich kann das auch nicht ganz nachvollziehen." "Evakuieren? Wenn man das am Freitagmorgen gemacht hätte, wäre wahrscheinlich nicht ein einziger Mensch ums Leben gekommen. Aber unser ach so menschlicher Stolz stand dem im Weg." Verwirrt sahen die anderen Kai an. "Wie meinst du das?" Kai verschränkte die Arme vor der Brust. "Instinkt. Wir Menschen haben doch völlig verlernt, auf unseren Instinkt zu hören. Ich war weiß Gott nicht der Einzige, der vor dem gewarnt hat, was passieren wird. Aber keiner hatte den Mumm zu evakuieren. Denn, wenn nichts passiert wäre, hätte derjenige ja ziemlich doof dagestanden, nicht wahr? Also hoffte man, dass alles gut geht und da es jetzt anders gekommen ist, werden die Verantwortlichen sagen: Es gab ja keine Zeichen. Wer sollte das auch ahnen?" "Erst verpennen sie die Evakuierung und jetzt lassen sie die Leute einfach verrecken, die bis jetzt überlebt haben." Christians Wut begann langsam, sich in die Richtung zu lenken, wo sie hingehörte. Er hob den Blick. "Wir konnten wirklich nichts tun?" "Nein. Wir hätten uns nur selbst gefährdet. Oder wir wären nicht mehr aus der Stadt raus gekommen. Chris… glaub mir… ich hätte auch lieber den Helden gespielt, aber was nützt es uns oder unseren Freunden, wenn wir dabei mit draufgehen? Es mag kalt klingen und egoistisch, aber es ist wenigstens ehrlich. Ich hatte Angst und wollte dort weg." Die beiden sahen sich an und nickten leicht. Sie schlossen einen stillen Frieden miteinander. Auch wenn sie sich beide nicht wohl fühlten in ihrer Haut. "Kai." Niki sah sich um. "Meintest du das dort mit Instinkt?" Die anderen folgten Nikis Blick und bemerkten erst jetzt die Tiere, die überall auf den Feldern saßen. Vögel kreisten am Himmel, Füchse liefen herum, Kaninchen, Wildschweine. Fressfeinde hockten still nebeneinander, blickten in Richtung des Mount Fuji und warteten. Dazwischen sah man Haustiere, Hunde und Katzen. Mehrere hundert Tiere konnten die Journalisten erkennen. Kai deutete auf eine Gruppe kleiner, bläulich schimmernder Vögel. "Die leben ziemlich weit oben auf dem Mount Fuji. Aber sie sind geflohen. Alle Tiere sind geflohen. Oder habt ihr seit unserer Ankunft in der Stadt auch nur ein wildes Tier gesehen? Oder ein Haustier, welches nicht angeleint oder eingesperrt war?" Peter Kloeppel meldete sich, während er bisher nur schweigend zugehört hatte. "Ich denke nicht, dass euch jemand Vorwürfe macht. Kein Mensch, der nicht in eurer Situation war, kann das nachvollziehen. Und meine ganz persönliche Meinung… Helden sind gut, wenn sie selbst überleben und es genießen können, Helden zu sein. Und dort zu bleiben, um mit den anderen zu sterben ist nicht das, was ein vernünftiger Mensch von euch verlangen kann." Kai lächelte leicht. "Danke, dass du versuchst, es uns leichter zu machen. Aber das klappt noch lange nicht. Dafür sind die Vorwürfe, die man sich selber macht, viel zu groß. Egal ob man richtig gehandelt hat oder nicht." Wieder bebte die Erde. Aber hier, 50 Kilometer von der Stadt entfernt, wo man den Berg nicht einmal mehr genau erkennen konnte, waren die Beben nicht mehr so stark. Aber das Beben war anders. Es ließ nicht nach. Eine Minute verging, zwei… Die Tiere wurden nervös, gaben Laute von sich, aber sie blieben sitzen. Sie blieben sitzen und warteten. Florian faltete die Hände und senkte den Kopf. Er betete. Er betete um etwas, wofür er vielleicht irgendwann in der Hölle schmoren würde. Aber das war ihm egal. Er betete darum, dass ihre Freunde, die sie in der Stadt zurücklassen mussten, bereits tot waren und ihnen das erspart blieb, was gleich passieren würde. Kai nahm Heiko die Kamera ab, weil dieser so sehr zitterte, dass die Zuschauer nicht viel von den Bildern haben würden. Und er wollte, dass jeder sehen konnte, was hier passierte. Es war seine persönliche Rechtfertigung für die Flucht. Deshalb stellte er die Kamera auf dem Autodach ab. "Peter, seht ihr den Berg?" "Ja. Dank der Technik besser als ihr." "Wir wollen es gar nicht genau sehen. Glaub mir." Florian bat Kai, ihn aus dem Auto zu holen. Der tat dies natürlich und setzte ihn auf die Motorhaube. Besorgt sah er ihn an, doch Florian winkte ab. "Es geht schon." "Wie kann es sein, dass du rechts kaum noch Schmerzen hast?", stellte er jetzt endlich die Frage, die ihm seit Stunden auf der Seele brannte. Florian schluckte und zog sein Hosenbein ein Stück hoch. Schockiert sahen seine Freunde die dunkelblaue Haut. "Ich nehme an, dass irgendwie der Blutfluss blockiert ist. Ich habe nur dort Schmerzen, wo das Bein langsam abstirbt. Das tut höllisch weh. Aber wenn es vorbei ist, ist es erträglich." Florians Stimme war gefasst, fast gleichgültig. "Flo…" Kai wusste nicht, was er sagen sollte. "Es ist in Ordnung. Ich habe mich von dem Bein verabschiedet, als ich in der Nacht spürte, wie es stirbt. Zumindest versuche ich mit aller Macht, mir das einzureden." Er sah Kai ruhig und ernst an. "Ich denke, ich werde es auch so schaffen. Die heutige Technik macht viel möglich. Und der Verlust, den wir erlitten haben, macht diese Verletzung geradezu lächerlich." Er seufzte und straffte sich. "Ich bin froh, dass ich lebe." Sein Blick war starr auf den Berg gerichtet. Kai sah ihn an, dass er trotz allem Angst hatte, aber er wollte diese Angst nicht herausfordern. Also legte er ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihm aufmunternd zu. "Ich bewundere dich, aber du hast vollkommen Recht. Mit jedem Wort. Merk es dir gut, was du eben gesagt hast, wenn du mal durchhängen solltest." "Muss ich mir nicht merken. Ich habe doch dich. Du erinnerst mich sicher daran." "Versprochen." Immer noch bebte der Boden, der Rauch um den Berg wurde dichter. Die Sonne brannte vom Himmel und der Wind schien eingeschlafen zu sein. Die Natur schien sich zu sammeln und Luft zu holen. Luft für einen finalen Aufschrei.
Und dann entlud sich die Spannung in einem anschwellenden Donnern, welches man im Umkreis von über 50 Kilometern hörte. Die Lava brach durch die Spalten, die die Beben geschaffen hatten, vergrößerte sie und sprengte schließlich mit einem Knall die Kuppel des Berges weg, um einer Feuersäule Platz zu machen, die gefühlte Kilometer in den Himmel schoss. "Wahnsinn", flüsterte Niki. Christian wandte den Blick ab und lehnte sich gegen den Wagen. Florian ließ kurz das Gesicht in seine Hände sinken und lehnte sich dann gegen Kai, der neben ihm saß und jetzt schützend den Arm um ihn legte. Heiko nahm die Kamera jetzt wieder an sich, hielt sich daran fest, hielt sie auf das Schauspiel gerichtet, was für viele Tausend Menschen den sicheren Tod bedeutete. Er richtete die Kamera auf Florian, der wieder die Hände gefaltet hatte und leise vor sich hinmurmelte. Der Moderator warf einen tränenverschleierten Blick in die Linse und sagte dann leise und mit brüchiger Stimme: "Ich bete für die Überlebenden, die noch in der Stadt sind. Ich bete, dass es schnell geht."